Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2016, Az. VII ZB 45/14

7. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4507

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Prüfungspflicht des Berufungsgerichts hinsichtlich der fristgerechten Einlegung der Berufung


Leitsatz

Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht eingelegt ist. Dazu kann es gehören, dass das Berufungsgericht ermittelt, ob die gewählte Telefaxnummer dem Berufungsgericht zugeordnet ist. Des Weiteren kann bei Bestehen einer gemeinsamen Briefannahmestelle zu ermitteln sein, ob der gewählte Telefaxanschluss aufgrund einer Geschäftsordnungsregelung Teil einer gemeinsamen Posteingangsstelle ist.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 25. August 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 1.884,61 €

Gründe

I.

1

Die Beklagte wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist.

2

Das Urteil, mit dem die Beklagte zur Zahlung von Vergütung für Reparaturarbeiten an einem Heizkessel und Beseitigung einer Verstopfung einer Abwasseranlage in Höhe von 1.884,62 € verurteilt worden ist, ist der Beklagten am 24. April 2014 zugestellt worden. Die auf den 23. Mai 2014 datierte Berufungsschrift ist am 30. Mai 2014 beim Berufungsgericht, dem [X.], eingegangen. Auf dem Schriftsatz ist "vorab per Fax: 2017-1009" vermerkt.

3

Mit Verfügung vom 4. Juni 2014 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts der Beklagten mitgeteilt, dass bei der Poststelle des [X.] weder am 23. Mai noch am 24. Mai 2014 ein Faxeingang vermerkt und die Berufung aufgrund Fristablaufs unzulässig sei. Darauf hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mitgeteilt, dass die Berufungsschrift rechtzeitig vorab an das Berufungsgericht unter der Telefaxnummer 2017-1009 gefaxt worden sei und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt werde. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2014, eingegangen beim Berufungsgericht am selben Tag, hat er die Ausführungen ergänzt.

4

Zur Begründung des [X.] hat die Beklagte Folgendes ausgeführt und hierzu eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.] vorgelegt: Die Berufungsschrift sei durch die Mitarbeiterin [X.] am 23. Mai 2014 gefertigt, vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet und von der Mitarbeiterin [X.] an die Faxnummer des [X.] P. 2017-1009 gefaxt worden. Der Sendebericht zeige die Übertragung von zwei Seiten sowie die Mitteilung, dass das Fax ordnungsgemäß übertragen worden sei.

5

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Beklagte mache eine Übersendung des Berufungsschriftsatzes per Fax am 23. Mai 2014 zwar glaubhaft. Allerdings sei die Faxnummer, an die das Fax ausweislich des [X.] abgeschickt worden sei, nicht diejenige des [X.] P., sondern des Amtsgerichts [X.] eines fristgebundenen Schriftsatzes komme es darauf an, wann das zuständige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Schriftstück erhalte. [X.] es eine gemeinsame Posteingangsstelle zweier Gerichte, so sei der Schriftsatz dort mit Einreichung bei dem Gericht eingegangen, an das er adressiert sei. [X.] es jedoch getrennte Faxnummern, so erlange nur das Gericht, zu welchem die Faxnummer gehöre, die Verfügungsgewalt. So liege es im Streitfall. Dass an diesem fehlerhaften Ablauf die Beklagte bzw. deren Prozessbevollmächtigte kein Verschulden treffe, lasse sich nicht feststellen. Die Beklagte habe ohnehin im Rahmen ihres [X.] nichts dazu vorgetragen, warum sie die Faxnummer des Amtsgerichts verwendet habe.

6

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde. Im Rechtsbeschwerdeverfahren führt sie aus, auf der [X.]seite "Dienstleistungsportal der Landesverwaltung [X.]" sei unter [X.] ausdrücklich als Telefaxnummer des [X.] P. auch die Nummer mit der Endung -1009 vermerkt gewesen. Auch das Gerichtsverzeichnis des Justizportals des [X.] und der Länder habe die Telefaxnummer -1009 als Faxnummer des [X.] P. ausgewiesen. Diese Umstände sprächen dafür, dass Sendungen an die Faxnummer -1009 auch in die Verfügungsgewalt des [X.] P. gelangten. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob es eine gemeinsame Verfügung der Leiter des [X.] und des Amtsgerichts gegeben habe, worin geregelt sei, dass die [X.] eines Gerichts zugleich als [X.] des anderen Gerichts gälten.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

8

1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten wegen Verfristung als unzulässig verworfen, ohne zuvor die hierzu gebotenen Feststellungen zu treffen. Das verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. [X.] NJW-RR 2008, 446 f., juris Rn. 8 ff.; [X.], Beschluss vom 10. März 2011 - [X.], NJW-RR 2011, 790 Rn. 3).

9

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]gerichtshofs kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks allein darauf an, wann es in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt ist.

Wird bei Übersendung mittels Telefax eine andere [X.] als die des angeschriebenen Gerichts verwendet, bleibt entscheidend, wann der Schriftsatz nach Weiterleitung durch das zunächst angewählte Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt.

Wird ein Schriftstück allerdings bei einer gemeinsamen [X.] mehrerer Gerichte eingereicht, so gilt es mit der Einreichung bei dem Gericht eingegangen, an das es adressiert ist. Nur dieses Gericht erlangt die tatsächliche Verfügungsgewalt ([X.], Beschluss vom 1. Juni 2016 - [X.] 382/15, [X.], 1038 Rn. 11; Beschluss vom 23. April 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 830 Rn. 12; Beschluss vom 23. Mai 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1461 Rn. 9).

b) Das Berufungsgericht durfte die Berufung mit der gegebenen Begründung nicht als unzulässig verwerfen. Es hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht eingelegt ist, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Das Berufungsgericht unterstellt, dass die Telefaxnummer mit der Endung -1009 ausschließlich dem [X.] zugeordnet sei. Mangels Begründung kann nicht nachvollzogen werden, warum das Gericht feststellt, bei diesem [X.] handele es sich nicht um ein Empfangsgerät des [X.].

Das Berufungsgericht prüft nicht, ob mit Eingang des korrekt an das [X.] adressierten Schriftsatzes per Telefax dieser als in die Verfügungsgewalt des [X.] gelangt zu gelten hat. Dies wäre der Fall, wenn der genutzte [X.] Teil einer gemeinsamen Posteingangsstelle war, für den aufgrund einer Geschäftsordnungsregel galt, dass die bei einem dieser Anschlüsse eingehenden [X.] als bei der angeschriebenen Gerichtsstelle eingegangen anzusehen sind.

Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht überhaupt Ermittlungen dazu vorgenommen hätte, wie bei den Justizbehörden [X.] im Mai 2014 organisiert war. Zu solchen Ermittlungen bestand aber jedenfalls angesichts des Umstandes, dass zwischen diesen Stellen eine gemeinsame Briefannahmestelle eingerichtet ist, Anlass.

c) Demnach ist nicht auszuschließen, dass die angegriffene Verwerfung der Berufung zu Unrecht erfolgt ist.

III.

Der angefochtene Beschluss ist mithin aufzuheben, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit zu geben, die unterlassene Prüfung nachzuholen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Sollten die Ermittlungen des Berufungsgerichts ergeben, dass der [X.] mit der Endung -1009 am 23. Mai 2014 ausschließlich dem [X.] zugewiesen war, ohne dass eine Regelung über eine gemeinsame Faxannahmestelle existierte, wäre der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu prüfen (§ 233 ZPO).

Dieser kann nicht wegen Verschuldens bei der Auswahl des [X.]es zurückgewiesen werden. Nach den Darlegungen der Beklagten ist die Frist weder aus eigenem noch aus ihr zurechenbarem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten versäumt.

Zwar hat sie in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vom 13. Juni 2014 und im Schriftsatz vom 20. Juni 2014 keine Ausführungen dazu gemacht, warum die Mitarbeiterin [X.] die Faxnummer mit der Endung -1009 für die des [X.] P. hielt. Grundsätzlich müssen alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]gerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung durch einen gerichtlichen Hinweis nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erörtert und vervollständigt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 26. April 2016 - [X.], NJW-RR 2016, 952 Rn. 14; Beschluss vom 3. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 874 Rn. 8 f.; Beschluss vom 25. September 2013 - [X.] 200/13, NJW 2014, 77 Rn. 9).

Deshalb wäre der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 10. September 2014 bei der neuen Entscheidung zu berücksichtigen. Mit diesem Schriftsatz hat sie auf den Beschluss des [X.], mit dem ihr (erstmals) die Auffassung des Berufungsgerichts mitgeteilt worden war, dass die Berufungsschrift an einen falschen [X.] übermittelt worden sei, reagiert. Sie hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im [X.] im Gerichtsverzeichnis des Justizportals des [X.] und der Länder sowie im Dienstleistungsportal der Landesverwaltung [X.] die Telefaxnummer -1009 als Faxnummer des [X.] P. ausgewiesen war. Hiernach hätte die Beklagte die Anforderungen, die der [X.]gerichtshof an die Auswahl der richtigen Telefaxnummer des Empfängergerichts stellt, erfüllt. Dafür genügt es, wenn die [X.] anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorgenommen wird, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht (vgl. [X.], Beschluss vom 23. April 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 830 Rn. 8 und vom 12. Juni 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1267 Rn. 7; jeweils m.w.N.).

Eick                       Halfmeier                   Jurgeleit

           [X.]

Meta

VII ZB 45/14

05.10.2016

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Potsdam, 25. August 2014, Az: 3 S 31/14

§ 522 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2016, Az. VII ZB 45/14 (REWIS RS 2016, 4507)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 1114 WM2017,734 REWIS RS 2016, 4507

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