Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.07.2011, Az. 5 StR 561/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4968

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Gegenstand

Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Tötungsvorsatz eines Schönheitschirurgen bei unterlassener Einweisung einer rechtswidrig operierten komatösen Patientin zur Reanimation ins Krankenhaus


Leitsatz

Zur Strafbarkeit gemäß § 227 StGB und zum Tötungsvorsatz eines Schönheitschirurgen, der es vorübergehend unterlassen hat, seine wegen eines Aufklärungsmangels rechtswidrig operierte komatöse Patientin zur cerebralen Reanimation in ein Krankenhaus einzuweisen .

Tenor

1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 1. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tathergang, die zur Begründung des Verbrechens der Körperverletzung mit Todesfolge getroffen worden sind, sowie die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen im Übrigen und diejenigen zur Person des Angeklagten. All diese Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Insoweit werden die Rechtsmittel verworfen.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil im Strafausspruch und in der zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung ergangenen Kompensationsentscheidung aufgehoben.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und auf ein vierjähriges Berufsverbot als niedergelassener [X.]hirurg, Sportmediziner und Arzt im Rettungsdienst erkannt. Die [X.] hat ferner ein Jahr der verhängten Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt.

2

Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und des [X.] erzielen die aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolge. Die auf Teile des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte, vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist umfassend begründet.

3

1. Das [X.] hat zur Person des Angeklagten und zum objektiven Tatgeschehen im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

4

a) Der seit 1988 im Fach Unfallchirurgie habilitierte Angeklagte war nach früheren Tätigkeiten als Assistenzarzt in der plastischen [X.]hirurgie und als Stationsarzt in der Unfallchirurgie von 1985 bis 1995 als Oberarzt in der Unfallchirurgie des [X.] tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die Erstversorgung von [X.]werverletzten und ihre weitere Betreuung bis hin zur Rehabilitation. Zudem führte er selbständig viele Lokal- und Regionalanästhesien durch. Ab 1994 betrieb der Angeklagte als ambulant praktizierender [X.]hirurg eine Tagesklinik in [X.]. Er nahm zahlreiche plastische chirurgische Eingriffe vor, darunter auch viele [X.]önheitsoperationen.

5

b) Am 30. März 2006 unterzog sich die 49 Jahre alte gesunde    [X.].   bei dem Angeklagten von 9.00 Uhr bis 12.30 Uhr einer Bauchdeckenstraffung, verbunden mit einer Fettabsaugung, Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und Versetzung des Bauchnabels. Für die [X.] und das schmerzausschaltende Verfahren hatte sie am 22. März 2006 schriftlich ihr Einverständnis erklärt. Der Angeklagte sicherte Frau [X.].   der Wahrheit zuwider zu, dass am Tag der [X.] ein Anästhesist zugegen sein werde. Auf ihre in Anwesenheit ihres Ehemanns vor Beginn des Eingriffs gestellte Frage, wo der Anästhesist sei, antwortete eine der Arzthelferinnen, „dass dies der Doktor gleich mache“ ([X.], 23). Gegen 8.00 Uhr erhielt die Patientin Beruhigungsmittel und wurde im [X.]ssaal an Überwachungsgeräte angeschlossen, mittels derer die Frequenz des Herzschlages, der Erregungsablauf des Herzens, der Blutdruck und die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff gemessen wurden. Eine Blutgasmessung, mit der die Sauerstoffversorgung des Gehirns zu bestimmen ist, erfolgte dabei nicht. 20 Minuten vor Beginn der [X.] wurde die Narkose eingeleitet und kurz darauf vom Angeklagten eine Periduralanästhesie gesetzt. Gegen 9.00 Uhr füllte der Angeklagte die [X.] der Patientin, aus denen Fett abgesaugt werden sollte, mit einer Tumeszenzlösung. Gegen Ende des Eingriffs (11.00 Uhr und 12.15 Uhr) wurden weitere Narkosemittel zugeführt.

6

Beim [X.]ließen der Wunde gegen 12.30 Uhr kam es bei der Patientin zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Der Angeklagte reanimierte mittels einer Herzdruckmassage. Währenddessen erbrach die Patientin. Nach Säuberung des Mund- und [X.] fuhr der Angeklagte mit der Massage fort. Zum Offenhalten der Atemwege setzte er einen Guedel-Tubus ein, der nicht vor Aspiration schützt. Er verabreichte Sauerstoff mittels einer Maske und führte Adrenalin und andere Medikamente zu. Gegen 13.00 Uhr befand sich die Herzfrequenz wieder im Normbereich bei zwischen 12.20 Uhr bis noch 13.20 Uhr stark abgesenktem Blutdruck. Die Patientin atmete spontan und erhielt Infusionen und blutdrucksteigernde Medikamente in nicht dokumentierter Menge und zu nicht dokumentierten [X.]punkten. Bei Dienstende der Arzthelferin [X.]       gegen 14.30 Uhr waren die „Vitalwerte“ wieder im Normbereich, der äußere Zustand der Patientin war indes unverändert. Die Helferin fragte sich, ob nicht besser ein Notarzt zu alarmieren sei; sie traute sich aber nicht, dies anzusprechen, weil sich der cholerische Angeklagte nichts hätte sagen lassen. Die Patientin erlangte auch nach [X.] der Wirkung der Narkosemittel ihr Bewusstsein nicht wieder.

7

c) Der Angeklagte führte seine Sprechstunde weiter und sah in regelmäßigen Abständen nach der Patientin. Er ließ deren Ehemann gegen 15.00 Uhr der Wahrheit zuwider ausrichten, dass seine Frau aufgewacht und alles in Ordnung sei. Sie schlafe jedoch immer wieder ein, weshalb er nicht mit ihr sprechen könne. Gegen 18.00 Uhr erklärte der Angeklagte dem Nebenkläger erneut, mit seiner Frau sei alles in Ordnung, er wolle sie aber über Nacht in ein Krankenhaus bringen, da sie immer wieder einschlafe. Gleiches bekundete er gegen 18.30 Uhr gegenüber einer Ärztin des [X.], als er anfragte, ob ein Bett auf der Intensivstation zur Verfügung stehe. Der Angeklagte bestellte gegen 19.10 Uhr einen Krankentransportwagen ohne intensivmedizinische Ausrüstung, der um 19.45 Uhr eintraf. Die [X.] erkannten sofort den [X.] der Lage der bewusstlosen Patientin und bemerkten anhand ihrer lockeren Extremitäten, ihrer Hautfärbung und der [X.]weißbildung, dass sie Sauerstoff benötige. Der Angeklagte widersetzte sich zunächst der Absicht eines Rettungssanitäters, mit Blaulicht und [X.] zum Krankenhaus zu fahren. Letzterer bestand nach lautstark und erregt geführter Diskussion darauf und machte den Angeklagten verantwortlich für den Einsatz der Sonderrechte.

8

Der Angeklagte verschwieg bei der Einlieferung der komatösen Patientin auf der Intensivstation gegen 20.00 Uhr den eingetretenen Herzstillstand mit nachfolgender Reanimation und die Aspiration der Patientin. Er übergab keine Krankenunterlagen und teilte die verabreichten Medikamente nicht mit. Er war später über die hinterlassene Mobilfunktelefonnummer für die Ärzte des Krankenhauses nicht erreichbar. Die Zusage, die Patientenunterlagen alsbald zu übergeben, erfüllte er nicht. Erst am 3. April 2006 händigte er dem Nebenkläger, der mit der Einschaltung der Polizei gedroht hatte, eine Kopie des [X.]sberichtes und des Narkoseprotokolls aus.    [X.].   verstarb am 12. April 2006 im Krankenhaus an den Folgen einer globalen Hirnsubstanzerweichung, ohne das Bewusstsein zuvor wiedererlangt zu haben.

9

2. Zu den medizinisch relevanten Zusammenhängen hat das [X.] mit Hilfe von mehreren medizinischen Sachverständigen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Die Vornahme der komplexen mehrstündigen [X.] ohne Hinzuziehung eines Anästhesisten entsprach nicht dem ärztlichen Standard: Die Betäubung durch eine Periduralanästhesie in Verbindung mit der Verabreichung einer Tumeszenzlösung sowie zentral wirkender Opiate stelle sowohl in ihren Einzelkomponenten aber besonders in ihrer Kombination ein mit bekannten Risiken behaftetes Verfahren dar, das zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vitalfunktionen des Patienten führe. Eine gebotene Überwachung durch einen Anästhesisten hätte die [X.]hancen einer früheren Diagnose des lebensbedrohlichen Zustands und einer folgenden adäquaten Therapie deutlich verbessert, wodurch sich die Überlebenschancen erhöht hätten.

b) Der Angeklagte behandelte     [X.].   nach der Reanimation unter groben Verstößen gegen die ärztliche Kunst, indem er der spontan atmenden Patientin lediglich Infusionen und blutdrucksteigernde Medikamente verabreichte: Nachdem der Angeklagte mangels Blutgasanalyse nicht feststellen konnte, ob dem Gehirn der Patientin genügend Sauerstoff zugeführt würde, wäre eine endotrachiale Intubation mit zusätzlicher Sauerstoffbeatmung und – bei der unklar gebliebenen Ursache des [X.] – eine sofortige Verlegung der Patientin zur cerebralen Reanimation in eine Intensivstation vorzunehmen gewesen.

c) Wann genau die irreversible, zum Tode führende Hirnschädigung durch Sauerstoffunterversorgung nach der Wiederbelebung in der Praxis des Angeklagten eingetreten war, konnte nicht sicher geklärt werden. Jedenfalls litt die Patientin zum [X.]punkt ihrer Ankunft im Krankenhaus bereits an einer schweren posthypoxischen Hirnschädigung, die, wie eine Auswertung computertomographischer Aufnahmen vom 30. und 31. März 2006 in Zusammenschau mit den bekannten Tatsachen zur Entwicklung des Zustands der Patientin ergab, in den Nachmittagsstunden des 30. März 2006 entstanden war. Bei einer sofortigen Verlegung in ein Krankenhaus nach der Reanimation hätte die Patientin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt, zumindest eine nicht unerhebliche [X.] länger gelebt.

d) Das [X.] hat unterschiedliche Einwände des Angeklagten, mit denen er sein Verhalten als medizinisch begründet dargelegt hat, mit Hilfe von Sachverständigengutachten und Zeugenbekundungen widerlegt. Danach war seine Patientin nach der Reanimation wie nahezu jeder schwer erkrankte Mensch transportfähig. Eine den Transport erschwerende Rechtsherzinsuffizienz lag nicht vor. Die vom Angeklagten nicht für möglich gehaltene weitergehende Intubation der Patientin ist im Krankenhaus als erste Maßnahme komplikationslos erfolgt. Der Zustand der Patientin in der Tagesklinik des Angeklagten hatte sich nicht gebessert. Eine fehlerhafte Behandlung durch Ärzte im [X.] Gertrauden Krankenhaus hat das [X.] beweiswürdigend ausgeschlossen.

3. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes hat das [X.] im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde gelegt:

a) Das sich aus den Umständen der komplexen [X.] ergebende Erfordernis, einen Anästhesisten zumindest in Rufbereitschaft in der Praxis zur Verfügung zu haben, sei dem Angeklagten aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung bekannt gewesen.

b) Die Kenntnis des Gebots, eine nach Wiedereintritt des Herzschlages noch bewusstlose Patientin in der [X.] in Begleitung eines Notarztes in die nächstgelegene Intensivstation zu verbringen, erachtete die [X.] als für das Wissen eines jeden Arztes derart grundlegend, dass der in der Rettungs- und Intensivmedizin langjährig erfahrene Angeklagte hierüber jedenfalls verfügte. Auf dieser Grundlage und nach dem Hinweis des Angeklagten auf einen möglichen tödlichen Verlauf der [X.] im Rahmen der Aufklärung hat das [X.] angenommen, dass für den Angeklagten die Gefahr des [X.] vorhersehbar war.

c) Nachdem ab 15.00 Uhr der übliche [X.]raum für das [X.] der Narkosemittel längst verstrichen war und sich der Zustand der Patientin nicht verbessert hatte, erkannte der Angeklagte sogar die Gefahr eines tödlichen Ausgangs als möglich und nicht ganz fernliegend.

Aus dem Geschehensablauf und der Interessenlage hat das [X.] gefolgert, „dass der Angeklagte zumindest unter anderem deswegen     [X.].   erst am Abend des 30. März 2006 in ein Krankenhaus verbringen ließ, weil er bei Bekanntwerden des Zwischenfalles einen drohenden Ansehensverlust sowie um seine wirtschaftliche und berufliche Existenz fürchtete. Darüber hinaus wusste er, dass die vorgenommene [X.] ohne Anästhesist nicht dem ärztlichen Standard entsprach und er seine Patientin nach dem Herzstillstand nur unzureichend weiterbehandelt hatte“ ([X.]). Er habe das Geschehen fortan heruntergespielt und versucht, den Sachverhalt zu verschleiern. „Dabei ging er so weit, dass er selbst seinen Kollegen im [X.] Gertrauden Krankenhaus völlig unzureichende Informationen gab und keine aussagekräftigen Patientenunterlagen übergab“ ([X.]). Die [X.] nahm dabei systematische Vertuschungs- und Verharmlosungshandlungen an, die belegen, dass der Angeklagte aus sachfremden Motiven keinen Rettungswagen angefordert hatte. Solches führe zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ab 15.00 Uhr, als der Angeklagte die für seine Patientin eingetretene Lebensgefahr erkannt hatte. Im Hinblick auf die zeitliche Unsicherheit des Eintritts der irreversiblen Gehirnschädigung begründet dies im Zweifel eine Strafbarkeit als untauglicher Totschlagsversuch.

4. Die Revision des Angeklagten führt mit Sachrüge zur Aufhebung des [X.]uldspruchs. Hierdurch entfallen auch der Straf- und der [X.]. Die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen und zu deren Verwirklichung durch den Angeklagten als Körperverletzung mit Todesfolge (zusammengefasst sub 1 bis 3 b dieses Urteils) bleiben – wie auch die fehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Person des Angeklagten – aufrecht erhalten. Sie sind von dem durchgreifenden Rechtsfehler nicht erfasst. Das neue Tatgericht kann zu diesem Bereich allenfalls weitergehende Feststellungen treffen, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen.

a) Die Verfahrensrügen sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 [X.]. Sie greifen jedenfalls in der Sache aus den Gründen der Antragsschrift des [X.]s vom 9. Februar 2011 nicht durch. [X.] zu einer etwa todesursächlichen fehlerhaften Behandlung der Patientin im [X.] Gertrauden Krankenhaus und hinsichtlich der Notwendigkeit, einen Anästhesisten hinzuzuziehen, liegen nicht vor.

b) Die sachlichrechtlichen Revisionsangriffe gegen die beweiswürdigenden Erwägungen des [X.]s hinsichtlich des Umfangs der Aufklärung durch den Angeklagten bedürfen keiner vertiefenden Betrachtung. [X.]on nach dessen Einlassung durfte die [X.] davon ausgehen, dass eine Aufklärung der Patientin darüber, dass die Hinzuziehung eines Anästhesisten medizinisch geboten war, nicht erfolgt ist. Dies berechtigte zur Annahme eines durchgreifenden Aufklärungsmangels ([X.], Urteil vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, [X.]St 43, 306, 309). Fehlerfrei hat das [X.] festgestellt, dass die Patientin unter dieser Prämisse die Vornahme der [X.] abgelehnt hätte, deren Durchführung ohne Anästhesisten sie ersichtlich auch nicht etwa kurzfristig bei Kenntnis von der Situation zu Beginn des Eingriffs schlüssig gebilligt hat. Dies führt zu der Bewertung des Eingriffs als Körperverletzung (vgl. [X.]St aaO S. 309; [X.], Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10, NJW 2011, 1088, 1089, zur Aufnahme in [X.]St bestimmt; [X.], Urteile vom 25. September 1990 – 5 [X.] – und 5. Juli 2007 – 4 [X.], [X.]R StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2 und 8).

c) Indes hält die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Das [X.] hat das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nur mit lückenhaften, die Feststellungen zum Handlungsablauf und zur Interessenlage nicht erschöpfenden Erwägungen belegt.

aa) [X.] ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 [X.], [X.], 93 [X.]; [X.], Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10). Da beide [X.]uldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. [X.] aaO). Diese hat das [X.] nicht in dem gebotenen Umfang vorgenommen.

bb) Zwar hat es – im Einklang mit einen ähnlichen Ausgangssachverhalt würdigenden Urteilen des 1. Strafsenats des [X.] (vom 26. Juni 2003 – 1 [X.], [X.], 35, und vom 7. Dezember 2005 – 1 [X.]) – zutreffend angenommen, dass eine ausdrückliche Erörterung der Frage, ob ein Arzt einen Patienten vorsätzlich am Leben oder an der Gesundheit geschädigt hat, geboten ist, falls nach Eintritt von Komplikationen der Arzt aus sachfremden Motiven keinen Rettungswagen angefordert hat. Das Vorliegen solcher Motive beschreibt indes keinen Erfahrungssatz, aus dem auf das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zu schließen wäre, sondern diese bedürfen ihrerseits wertender Betrachtung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau.

Die [X.] hat – im Gegensatz zu den argumentativ herangezogenen Umständen aus dem vom 1. Strafsenat des [X.] gewürdigten Fall – nicht auf Äußerungen des Angeklagten selbst und offensichtliche, absehbar dramatisch verlaufende lebensbedrohende Verletzungen abstellen können, aus denen weitergehend auf sachfremde Beweggründe seines Handelns zu schließen war. Sie hat allein den Vertuschungshandlungen des Angeklagten das Motiv entnommen, zum [X.]utz seiner eigenen Interessen eine Aufdeckung seines ärztlichen Fehlverhaltens zu verhindern; dieserhalb habe er sich mit dem Tod der Patientin abgefunden. Diese [X.]lussfolgerung entbehrt indes der argumentativen Auseinandersetzung mit gegenläufigen, im Urteil festgestellten Umständen, die vielmehr die Annahme bewusster Fahrlässigkeit rechtfertigen könnten.

Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass ein rational verankerter Zusammenhang zwischen dem angenommenen Handlungsmotiv – Vertuschung von Fehlern zur [X.]onung eigener Interessen – und dem Tod der Patientin wenigstens bei zu erwartendem Todeseintritt in der Tagesklinik des Angeklagten schwerlich bestehen kann: Dass die [X.] ohne Anästhesist, aber mit Komplikationen vorgenommen worden war, konnte keinesfalls – schon gar nicht gegenüber dem ständig auf Aufklärung dringenden Ehemann der Patientin – längere [X.] verborgen werden. Ein Todeseintritt in der Tagesklinik hätte bei der zur Wahrung zivilrechtlicher Ansprüche des [X.] sicher zu erwartenden Obduktion die Erkenntnis der wahren Todesursache, der ärztlichen Fehler des Angeklagten, ergeben. Zudem erwägt das [X.] im Rahmen von Überlegungen zu einem Rücktritt vom Totschlagsversuch, dass der Angeklagte „es für möglich hielt, dass     [X.].   ohne Verlegung auf eine Intensivstation sterben würde“ ([X.]); hiernach hielt er sogar zu einem relativ späten [X.]punkt noch eine Rettung der Patientin im Krankenhaus für möglich. Einer starken Skepsis am Überleben der Patientin und einer damit einhergehenden Billigung ihres Todes wenigstens bis zum Transport ins Krankenhaus widerstreiten namentlich die – erst im Rahmen der Erörterung des [X.] der anderen niedrigen Beweggründe erörterten – festgestellten Antriebe für das pflichtwidrige Handeln des Angeklagten, nämlich „Eigenüberschätzung und Verbohrtheit“ (UA S. 59).

Die Annahme des Willenselements des Tötungsvorsatzes vor dem Entschluss des Angeklagten, die Patientin in ein Krankenhaus zu verlegen, hat demnach keinen Bestand.

d) Der Angeklagte ist auch dadurch rechtsfehlerhaft beschwert, dass das [X.] einen Versuch durch [X.] anstatt einen für den Angeklagten günstigeren (untauglichen) Versuch durch Unterlassen (vgl. § 13 Abs. 2 StGB) angenommen hat.

Die von der [X.] als Beleg seiner Auffassung zur Begründung aktiven Tuns herangezogenen Entscheidungen des 1. Strafsenats des [X.] (Beschluss vom 21. März 2002 – 1 StR 53/02; Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 [X.], [X.], 35) rechtfertigen solches nicht. Ihnen lagen mehrere Behandlungsfehler – und damit [X.] – zugrunde. Die Rechtsprechung des [X.] stellt zur Lösung der Abgrenzungsproblematik wertend auf den [X.]werpunkt des Vorwurfs ab (vgl. [X.] [GS], Beschluss vom 17. Februar 1954 – [X.], [X.]St 6, 46, 59; [X.], Urteil vom 13. September 1994 – 1 [X.], [X.]St 40, 257, 265 f.; [X.], Urteil vom 12. Juli 2005 – 1 [X.], [X.], 174; vgl. auch [X.], Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 [X.], NJW 2010, 2963, 2966, zur Aufnahme in [X.]St bestimmt). Dieser liegt nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen hier im Unterlassen der Veranlassung der medizinisch gebotenen cerebralen Reanimation in einer Intensivstation eines Krankenhauses und nicht im bloßen Zuführen – zudem eher nutzloser – kreislaufstabilisierender Medikamente. Den Unterlassungsvorwurf hat das [X.] selbst in seiner wertenden Betrachtung ([X.]) als zentral angesehen.

e) Wegen der vom [X.] angenommenen Tateinheit (vgl. [X.], Urteil vom 4. Dezember 2008 – 4 [X.], [X.], 472; [X.], Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 [X.]) hat auch der [X.]uldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu entfallen (vgl. [X.], Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 [X.], [X.]R [X.] § 353 Aufhebung 1), der indes auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen bedenkenfrei ist. Insbesondere wird das verwirklichte Risiko vom [X.]utzzweck der verletzten Aufklärungspflicht erfasst (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juni 1995 – 4 StR 760/94, [X.], 34, 35; [X.], Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 [X.], [X.], 464, 465; [X.]/[X.] in [X.]önke/[X.], StGB, 28. Aufl., § 223 Rn. 40 f.; [X.] in Festschrift für [X.], 2011, [X.], 447). In der vom Angeklagten vorgenommenen – zur einwilligungslosen [X.] gehörenden – todesursächlichen fehlerhaften Reanimationsanschlussbehandlung hat sich dessen Übernahmeverschulden realisiert (vgl. [X.] Nr. 2 Berufsordnung der Ärztekammer [X.] vom 30. Mai 2005, [X.] vom 3. Juni 2005, S. 1883, 1889; [X.], Urteil vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10, [X.]St 55, 121, 133 ff. [X.]). Solches durch den Einsatz eines weiteren Facharztes, des Anästhesisten, zu vermeiden und durch diesen alsbald eine Behandlung zur Lebensrettung erfolgreich durchführen zu lassen, war gerade der Grund für die Notwendigkeit von dessen Mitwirkung, über deren Einhaltung der Angeklagte im Rahmen der Aufklärung getäuscht hatte. Bei dieser Sachlage haftet der Körperverletzung des Angeklagten ohne Weiteres die spezifische Gefahr an, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. [X.], Urteil vom 18. September 1985 – 2 [X.], [X.]St 33, 322, 323 [X.]).

f) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen einschließlich derjenigen, mit denen das [X.] die Tat als Körperverletzung mit Todesfolge bewertet hat (hier zusammengefasst sub 1 bis 3 b), sind von dem Fehler in der Beweiswürdigung nicht betroffen; diese – wie auch die das weitere objektive Tatgeschehen und die persönlichen Verhältnisse betreffenden – Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 353 Rn. 12 und 15). Insoweit ist die Revision des Angeklagten unbegründet.

5. Im selben begrenzten Umfang greift die Revision des [X.] durch, der mit der Sachrüge namentlich eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes erstrebt. Das [X.] hat fehlerfrei festgestellte Umstände, die zu dem von der Anklage erfassten Lebenssachverhalt gehören, nicht in seine Kognition einbezogen (vgl. [X.], Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 [X.], [X.], 289). Diese hätten nicht sicher ausschließbar eine tatmehrheitliche Verurteilung wegen eines untauglichen Versuchs eines Mordes durch Unterlassen zur Verdeckung einer anderen Straftat oder auch einen tateinheitlichen untauglichen Mordversuch durch Unterlassen aus niedrigen Beweggründen rechtfertigen können.

a) Das [X.] ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den lebensbedrohlichen Zustand seiner Patientin erkannte, und hat angenommen, dass – freilich ohne Begründung im Einzelnen – er an eine noch mögliche Rettung im Krankenhaus geglaubt hat. Unter diesen Prämissen hat es das [X.] unterlassen zu erwägen, ob ein untauglicher Unterlassungsversuch der Tötung zur Verdeckung der zuvor erfolgten Körperverletzung vorliegen kann (vgl. [X.], Urteile vom 1. Februar 2005 – 1 [X.], [X.]St 50, 11, 14, und vom 17. Mai 2011 – 1 StR 50/11). Die Sach- und Rechtslage ähnelt den Fällen einer (unerkannt gebliebenen) Tötung im Straßenverkehr mit nachfolgender unterlassener Hilfeleistung und Flucht durch den Täter (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 1991 – 4 [X.], [X.], 583, 584 [X.]).

Solches anzunehmen kommt nunmehr für das neu berufene Tatgericht in Betracht, falls sich feststellen lassen sollte, dass der Angeklagte nach Erkennen der Todesgefahr geplant hat, mit der Einlieferung so lange zu warten, bis die Patientin im Krankenhaus sicher versterben würde. Hierdurch hätte möglicherweise ein Nachweis seiner eigenen Verursachung erschwert oder gar unmöglich gemacht werden können.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt der neu vorzunehmenden Beweiswürdigung und Bewertung unter diesem Aspekt könnte sein, dass der Angeklagte in Kenntnis der Gefahr eines tödlichen Verlaufs der Erkrankung seiner Patientin bei angenommener Rettungsmöglichkeit gegen 18.30 Uhr – gerade in der Intensivstation – ein Bett bestellt hat und dabei die nachfolgende sachwidrige Verzögerung dieser Rettungschance auf den Willen des Angeklagten zurückzuführen sein könnte um das Versterben der Patientin im Krankenhaus zur [X.]onung eigener Interessen zu fördern.

Solches gilt insbesondere für den vom Angeklagten begleiteten Transport der Patientin in das Krankenhaus und die Umstände ihrer Übergabe durch den Angeklagten in die intensivmedizinische Abteilung. Hierbei hatten erstmalig Dritte, die Rettungssanitäter, den Angeklagten auf den lebensbedrohlichen Zustand der Patientin aufmerksam gemacht. Ausgangspunkt der heftig geführten Diskussion mit dem Angeklagten waren die sich aus § 35 Abs. 5a [X.] ergebenden Erfordernisse der Rettung eines Menschenlebens oder der Abwendung schwerer gesundheitlicher [X.]äden, für welche die Sanitäter den Angeklagten verantwortlich machten. Dieser Vorgang wäre daraufhin zu bewerten gewesen, ob dem Angeklagten durch die Einschätzung Dritter der lebensgefährliche Zustand seiner Patientin zu Bewusstsein gebracht wurde und er anschließend in Kenntnis dieses Umstands die ihm gemäß [X.] Nr. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer [X.] (aaO) und des Behandlungsvertrages gegenüber den Krankenhausärzten obliegenden Informationspflichten über den bisherigen Behandlungsverlauf nicht erfüllt hat.

b) Bei alledem würde freilich allein die – dann sogar nach dem Zweifelsgrundsatz zugunsten des Angeklagten anzunehmende – Möglichkeit eines schon im Laufe der Reanimationsanschlussbehandlung alsbald gefassten bedingten Tötungsvorsatzes dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht die Grundlage entziehen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 211 Rn. 72 f.). Bei gleichwohl sicherer Feststellung entsprechender Unterlassungsmotive müssten diese einer erneuten eigenständigen tatgerichtlichen Bewertung unter dem Gesichtspunkt tateinheitlich verwirklichter niedriger Beweggründe zugeführt werden. Sollten solche nicht angenommen werden können, käme wiederum eine tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen in Betracht.

6. Sollte die neue Beweisaufnahme – was nicht fernliegt, aber vom Revisionsgericht nicht sicher zu prognostizieren ist – keinen Nachweis des Tötungsvorsatzes ergeben, wird zum [X.]uldspruch gemäß § 227 StGB allein auf Grund der aufrechterhaltenen Feststellungen entschieden werden können. Der nur vom Angeklagten mitangefochtene [X.], der ohne bestehenden [X.]uldspruch nicht aufrechtzuerhalten ist, wird jedenfalls ohne Einschränkung wieder zu verhängen sein.

7. Die zulässigerweise auf den Strafausspruch und das Ausmaß der Kompensation für die vom [X.] angenommene konventionswidrige Verfahrensverzögerung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Die [X.] hat es unterlassen, die Anwendung von § 227 Abs. 2 StGB zu begründen. Es versteht sich nicht von selbst, dass die zur Begründung eines (sonstigen) minderschweren Falles gemäß § 213 StGB unter Verbrauch der Versuchsmilderung herangezogenen schuldmindernden, vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten betreffenden Umstände ([X.]) auch die Annahme eines minderschweren Falles einer (vollendeten) Körperverletzung mit Todesfolge, bei der es an einem vertypten [X.] fehlte, gerechtfertigt hätten.

Auch die [X.] hat keinen Bestand. Zwar stellt die [X.] [X.]abläufe dar, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren „nicht nennenswert gefördert“ hat ([X.]). Indes unterlässt sie die gebotene Bewertung der – angesichts der überaus komplexen Materie eher großzügig zu bemessenden – [X.]en näherer Erwägung der Fakten und Prüfung der jeweils nächsten Ermittlungsschritte. Zudem liegt nahe, dass auch das mitgeteilte Einlassungsverhalten des Angeklagten [X.] Einfluss auf den Verfahrensgang genommen hat. Jedenfalls erscheint das festgesetzte Maß der Kompensation deutlich überhöht (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 19/11 [X.]); es muss gegebenenfalls neu bestimmt werden.

[X.]                                        Raum                                    Brause

                      [X.]neider                                      [X.]

Meta

5 StR 561/10

07.07.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 1. März 2010, Az: (535) 1 Kap Js 721/06 Ks (15/08)

§ 227 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.07.2011, Az. 5 StR 561/10 (REWIS RS 2011, 4968)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4968

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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