Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2012, Az. 5 StR 238/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3882

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Gegenstand

Revisionsurteil wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Anforderungen an die tatrichterliche Beweiswürdigung zum Vorsatz bei Tod einer Patientin während einer Schönheitsoperation


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist;

b) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen ergänzenden Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind die ergänzend getroffenen Feststellungen zur Person des Angeklagten und die Entscheidung zu rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, die jeweils bestehen bleiben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten beider Revisionsverfahren, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:

2

Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten für den am 12. April 2006 eingetretenen Tod der 49 Jahre alten [X.], an der der als ambulant praktizierender Chirurg tätige Angeklagte am 30. März 2006 in seiner Tagesklinik im Rahmen einer mehrstündigen [X.] eine Bauchdeckenstraffung, verbunden mit einer Fettabsaugung, Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und Versetzung des Bauchnabels vorgenommen hatte.

3

a) In seinem in dieser Sache ergangenen ersten Urteil vom 1. März 2010 hat das [X.] den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und auf ein vierjähriges Berufsverbot als niedergelassener Chirurg, Sportmediziner und Arzt im Rettungsdienst erkannt. Ferner hat die [X.] ein Jahr der verhängten Freiheitsstrafe wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt.

4

b) Mit Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10 ([X.]St 56, 277) hat der Senat auf die Revisionen des Angeklagten und des [X.] das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tathergang, die zur Begründung des Verbrechens der Körperverletzung mit Todesfolge getroffen worden sind, sowie die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen im Übrigen und diejenigen zur Person des Angeklagten aufrechterhalten. Ferner hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil im Strafausspruch und in der zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung ergangenen Kompensationsentscheidung aufgehoben. Er hat insbesondere die Begründung der Annahme bedingten Tötungsvorsatzes und – auf die Revision des [X.] – die Begründung der Verneinung von [X.] beanstandet und die Sache zur erneuten Prüfung des Tötungsvorsatzes und der Mordmerkmale der Verdeckungsabsicht und der niedrigen Beweggründe sowie zur Rechtsfolgenbestimmung an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.

5

c) Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Mord (durch Unterlassen) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihm für die Dauer von fünf Jahren verboten, die Tätigkeit eines Arztes für Humanmedizin auszuüben. Das [X.] hat eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von lediglich drei Wochen festgestellt, über die Feststellung hinaus eine Kompensation indes versagt. Die gegen das Urteil mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

6

2. Die [X.] hat zu den subjektiven Tatumständen einer Straftat gegen das Leben die folgenden Feststellungen getroffen:

7

Der Angeklagte wusste nicht nur um das Gebot, seine nach Wiedereintritt des Herzschlages noch bewusstlose Patientin in Begleitung eines Notarztes auf die nächstgelegene Intensivstation zu verbringen, sondern war auch mit den möglichen Folgen eines Herzkreislaufstillstandes in Gestalt einer zum Tode führenden posthypoxischen Hirnschädigung vertraut. „Zu seinen Gunsten nicht ausschließbar vertraute er nach der Wiederbelebung      [X.]  s gleichwohl jedoch zunächst noch darauf, dass sich das von ihm erkannte [X.] nicht realisieren und Frau [X.]nach [X.] der Betäubung das Bewusstsein wiedererlangen werde.“ Nachdem die von ihm hierfür veranschlagte [X.] verstrichen war, ohne dass seine Patientin Anzeichen eines bevorstehenden Erwachens zeigte, erkannte der Angeklagte, dass ihr Gehirn Schaden genommen hatte und sie infolgedessen versterben konnte und nahm dies billigend in Kauf. Er ging nicht davon aus, dass sie auch bei sofortiger intensivmedizinischer Versorgung in einem Krankenhaus nicht mehr zu retten wäre. Vor der Überstellung der Patientin in das [X.] fasste er den Plan, die Verantwortung für ihren drohenden Tod den Krankenhausärzten zuzuschreiben, „indem er diese nur völlig unzureichend über den Zustand [X.]s und dessen Ursachen informierte und dadurch die Gefahr einer fehlerhaften [X.]behandlung erhöhte oder zumindest die Basis für die Behauptung einer solchen schuf.“ Dabei ging es ihm darum, „sein fehlerhaftes Verhalten im [X.] an die Wiederbelebung zu vertuschen, um seinen Ruf als Arzt und seine wirtschaftliche Existenz nicht zu gefährden“ ([X.]).  

8

3. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zum Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen versuchten Mordes.

9

a) Ob die auf § 261 StPO und ergänzend auf § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge, das [X.] habe seiner Beweiswürdigung und der Strafzumessung die nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel gestützte Annahme zugrunde gelegt, der Angeklagte habe im Rahmen der Hauptverhandlung ein Obduktionsfoto der Verstorbenen „präsentiert“, durchgreift oder aber etwa letztlich daran scheitern muss, dass zuverlässige Erkenntnisse darüber, ob sich die Feststellung des [X.]s aus der Beweisaufnahme ergibt, ohne deren – im Revisionsverfahren nicht statthafte – Rekonstruktion nicht zu gewinnen sind, kann der Senat offen lassen. Denn die Revision des Angeklagten führt jedenfalls mit der Sachrüge zum gleichen Erfolg.

b) Die Annahme von Tötungsvorsatz hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die ihr zugrunde liegende zentral auf das Einlassungsverhalten des Angeklagten gestützte Beweiswürdigung ist lückenhaft und nicht frei von Widerspruch.

aa) Zwar unterliegt es entgegen der Ansicht der Revision keinem Zweifel, dass auch die Einlassung des bestreitenden Angeklagten zu seiner Überführung herangezogen werden kann. Schlussfolgerungen im Rahmen der Beweiswürdigung aus dem Inhalt der Einlassung des Angeklagten sind – anders als etwa die Berücksichtigung seines [X.], soweit er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht – stets zulässig. Sie sind Teil der dem Tatrichter obliegenden freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) und stellen – anders als die strafschärfende Verwertung von Verteidigungsverhalten – keine Sanktionierung dar.

Gleichwohl ist der aus dem Einlassungsverhalten des Angeklagten, mit dem er die Verantwortung für den Tod seiner Patientin auf die Krankenhausärzte zu verlagern versuchte, zur Begründung eines Tötungsvorsatzes gezogene Schluss der [X.] auf eine entsprechende handlungsbestimmende Motivation in der [X.] rechtsfehlerhaft. Er entbehrt angesichts der Verschiedenheit der Situationen und der auf der unterstellten Motivation fußenden Handlungen – unrichtige Einlassungen im Rahmen des Strafverfahrens einerseits, die unsachgemäße, womöglich zum Tode der Patientin führende Vorgehensweise in der [X.] andererseits – einer hinreichend tragfähigen Grundlage. Hinzu kommt, dass sich dem Urteil nicht in nachvollziehbarer Weise entnehmen lässt, inwiefern – insbesondere aufgrund welcher medizinischer oder rechtsmedizinischer Umstände – der Angeklagte durch die verspätete Einweisung seiner Patientin in die Intensivstation eine Grundlage schaffen konnte, die geeignet sein könnte, die Behauptung eines Verschuldens der Krankenhausärzte zu untermauern. Schon infolge dieses Rechtsfehlers kann die Annahme des Tötungsvorsatzes keinen Bestand haben, weil die [X.] zur Begründung des voluntativen Vorsatzelements maßgeblich auf die der ärztlichen Untätigkeit zugrunde liegenden sachfremden Motive abstellt.

bb) [X.] bedenklich ist ferner die Begründung, mit der das [X.] die der Annahme von Tötungsvorsatz entgegenstehende Möglichkeit ausgeschlossen hat, dass der Angeklagte nach Ablauf der Wirkungsdauer der Betäubung erkannt hat, dass das Leben          [X.]    s – was objektiv nach den Feststellungen des [X.] in Betracht kommt – schon zu diesem [X.]punkt nicht mehr zu retten und auch durch die sofortige Verbringung ins Krankenhaus keine Lebensverlängerung mehr zu erreichen war. Soweit die [X.] diesbezüglich anführt, für eine solche Annahme hätten sich keine „zureichenden Anhaltspunkte“ gefunden ([X.]), lässt sie außer [X.], dass der Angeklagte – wie im Urteil an anderer Stelle ([X.]) festgestellt – über umfangreiche Erfahrung im Bereich der Intensiv- und Rettungsmedizin verfügte und schon aus diesem Grund nicht ganz fernliegt, dass er eine etwa gegebene Aussichtslosigkeit weiterer [X.] auch erkannt haben könnte. Wenn das [X.] weiterhin darauf abstellt, dass der Angeklagte selbst – trotz eines in diese Richtung gehenden Hinweises des Kammervorsitzenden – zu keinem [X.]punkt solches behauptet habe, trägt auch diese Argumentation nicht die gezogene Schlussfolgerung. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass eine derartige Behauptung des Angeklagten sich nicht mit seiner sonstigen – nach Überzeugung des [X.]s ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung vorgebrachten – Einlassung hätte vereinbaren lassen, die Verstorbene sei in seiner Praxis auf dem Wege der Besserung gewesen. Nachdem die [X.] diese Einlassung bereits als widerlegt angesehen hat, durfte sie sie aber im Rahmen der Beweisführung nicht als Beleg für einen Tötungsvorsatz des Angeklagten heranziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2011 – 5 [X.], [X.], 318).

Abweichendes ergibt sich ferner nicht daraus, dass der Versuch, die Verantwortung auf die Krankenhausärzte zu verlagern, nach Ansicht der [X.] wegen der bindend gewordenen Feststellungen des [X.] in der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Hauptverhandlung „nicht mehr zielführend war“. Dass das [X.] hieraus den Schluss gezogen hätte, der Angeklagte sei subjektiv tatsächlich von der Richtigkeit seiner – objektiv widerlegten – Behauptungen überzeugt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Solches stünde zudem sogar in krassem Widerspruch zu der Überzeugung des [X.]s, der Angeklagte habe „einen tödlichen Ausgang spätestens im Verlauf des Nachmittags auch tatsächlich für möglich oder zumindest nicht ganz fernliegend gehalten“ ([X.] 16).

c) Da bereits die Annahme von Tötungsvorsatz rechtsfehlerhaft ist, kann der Schuldspruch wegen versuchten Mordes keinen Bestand haben, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob tragfähige Feststellungen für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe belegt wären.

4. Der Senat ändert den Schuldspruch ab. Er schließt aus, dass sich in einer erneuten Hauptverhandlung bisher nicht zu Tage getretene Anhaltspunkte werden finden lassen, die geeignet wären, die hier denkbaren, der Annahme von Tötungsvorsatz entgegenstehenden Sachverhaltsvarianten auszuschließen.

5. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass schon angesichts der besonders gravierenden Verletzung der Aufklärungspflicht und des ärztlichen Standards bei Durchführung der äußerst gefahrenträchtigen [X.] sowie in Ansehung der Feststellungen zum grob pflichtwidrigen, rücksichtslosen, ersichtlich von Eigensucht geprägten Nachtatverhalten die Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 227 Abs. 2 StGB als ausgesprochen fernliegend erscheint. Auch wird die erneute Anordnung eines Berufsverbots zwingend geboten sein, die jedoch nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO ihre Grenze in der im ersten Urteil angeordneten Maßregel finden muss, weil diese von der Staatsanwaltschaft unangefochten geblieben ist und die Schuldspruchrevision der Nebenklage sich nunmehr als erfolglos erwiesen hat. Die im angefochtenen Urteil zur bisherigen Verfahrensverzögerung getroffene Entscheidung ist rechtsfehlerfrei.

[X.]                              Raum                              Schneider

                      Dölp                               [X.]

Meta

5 StR 238/12

16.08.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 16. Dezember 2011, Az: (540) 1 Kap Js 721/06 Ks (12/11)

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB, § 227 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.08.2012, Az. 5 StR 238/12 (REWIS RS 2012, 3882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3882

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Wird zitiert von

5 StR 238/12

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5 StR 561/10

5 StR 165/11

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