Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.08.2012, Az. 5 StR 238/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3875

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5 StR 238/12
(alt: 5 StR 561/10)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 16. August 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Körperverletzung mit Todesfolge

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 16. August 2012
beschlossen:

1.
Auf die Revision
des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2011 gemäß §
349 Abs. 4 StPO

a)
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Ange-klagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist;

b)
im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen er-gänzenden Feststellungen aufgehoben; hiervon aus-genommen sind die ergänzend getroffenen [X.] und die Entschei-dung zu rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, die jeweils bestehen bleiben.

2.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten bei-der Revisionsverfahren, an eine andere Schwurgerichts-kammer des [X.] zurückverwiesen.

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G r ü n d e

1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:

Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten für den am 12. April 2006 eingetretenen Tod der 49 Jahre alten

[X.], an der der als ambulant praktizierender Chirurg tätige An-geklagte am 30. März 2006 in seiner Tagesklinik im Rahmen einer mehr-stündigen Operation eine Bauchdeckenstraffung, verbunden mit einer Fett-absaugung, Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und Versetzung des Bauchnabels vorgenommen hatte.

a) In seinem in dieser Sache ergangenen ersten Urteil vom
1. März 2010 hat das [X.] den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer [X.] von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und auf ein vierjähriges [X.] als niedergelassener Chirurg, Sportmediziner und Arzt im Ret-tungsdienst erkannt. Ferner hat die [X.] ein Jahr der ver-hängten Freiheitsstrafe wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt.

b) Mit Urteil vom 7. Juli 2011

5 StR 561/10 ([X.]St 56, 277) hat der Senat auf die Revisionen des Angeklagten und des [X.] das ge-nannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tathergang, die zur Begrün-dung des Verbrechens der Körperverletzung mit Todesfolge getroffen [X.] sind, sowie die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen im Übri-gen und diejenigen zur Person des Angeklagten aufrechterhalten. Ferner hat der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil im Straf-ausspruch und in der zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung er-gangenen Kompensationsentscheidung aufgehoben. Er hat insbesondere die Begründung der Annahme bedingten Tötungsvorsatzes und

auf die Revisi-1
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on des [X.]

die Begründung der Verneinung von [X.] beanstandet und die Sache zur erneuten Prüfung des Tötungsvorsatzes und der Mordmerkmale der Verdeckungsabsicht und der niedrigen Beweggründe sowie zur Rechtsfolgenbestimmung an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

c) Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr wegen Körperver-letzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Mord (durch [X.]) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihm für die Dauer von fünf Jahren verboten, die Tätigkeit eines Arztes für Humanmedizin auszuüben. Das [X.] hat eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von lediglich drei Wochen festgestellt, über die [X.] hinaus eine Kompensation indes versagt. Die gegen das Urteil mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten er-zielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2. Die [X.] hat zu den subjektiven Tatumständen einer Straftat gegen das Leben die folgenden Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte wusste nicht nur um das Gebot, seine nach [X.] noch bewusstlose Patientin in Begleitung eines Notarztes auf die nächstgelegene Intensivstation zu verbringen, sondern war auch mit den möglichen Folgen eines Herzkreislaufstillstandes in Gestalt ei-ner zum Tode führenden posthypoxischen Hirnschädigung

i-nen Gunsten nicht ausschließbar vertraute er nach der Wiederbelebung

[X.] s gleichwohl jedoch zunächst noch darauf, dass sich das von ihm [X.] nicht realisieren und Frau [X.]
nach [X.] der Be-täubung das [X.] veranschlagte [X.] verstrichen war, ohne dass seine Patientin [X.] eines bevorstehenden Erwachens zeigte, erkannte der Angeklagte, dass ihr Gehirn Schaden genommen hatte und sie infolgedessen versterben 5
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konnte und nahm dies billigend in Kauf. Er ging nicht davon aus, dass sie auch bei sofortiger intensivmedizinischer Versorgung in einem Krankenhaus nicht mehr zu retten wäre. Vor der Überstellung der Patientin in das [X.] fasste er den Plan, die Verantwortung für ihren völlig unzureichend über den Zustand

[X.]s und dessen Ursachen informierte und dadurch die Gefahr einer fehlerhaften Anschlussbehandlung
Wiederbelebung zu vertuschen, um seinen Ruf als Arzt und seine wirtschaft-liche Existenz nicht zu

3. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zum Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen versuchten Mordes.

a) Ob die auf § 261 StPO und ergänzend auf § 244 Abs. 2 StPO ge-stützte Verfahrensrüge, das [X.] habe seiner Beweiswürdigung und der Strafzumessung die nicht durch die in der Hauptverhandlung verwende-ten Beweismittel gestützte Annahme zugrunde gelegt, der Angeklagte habe im Rahmen der Hauptverhandlung ein Obduktionsfoto der Verstorbenen
zuverlässige Erkenntnisse darüber, ob sich die Feststellung des [X.] aus der Beweisaufnahme ergibt, ohne deren

im Revisionsverfahren nicht statthafte

Rekonstruktion nicht zu gewinnen sind, kann der Senat offen las-sen. Denn die Revision des Angeklagten führt jedenfalls mit der Sachrüge zum gleichen Erfolg.

b) Die Annahme von Tötungsvorsatz hält sachlich-rechtlicher [X.] nicht stand. Die ihr zugrunde liegende zentral
auf das Einlassungsver-halten des Angeklagten gestützte Beweiswürdigung ist lückenhaft und nicht frei von Widerspruch.

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aa) Zwar unterliegt es entgegen der Ansicht der Revision keinem Zweifel, dass auch die Einlassung des bestreitenden Angeklagten zu seiner Überführung herangezogen werden kann. Schlussfolgerungen im Rahmen der Beweiswürdigung aus dem Inhalt der Einlassung des Angeklagten sind

anders als etwa die Berücksichtigung seines [X.], soweit er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht

stets zulässig. Sie sind Teil der dem Tatrichter obliegenden freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhand-lung geschöpften Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) und stellen

anders als die strafschärfende Verwertung von [X.]

keine Sank-tionierung dar.

Gleichwohl ist der aus dem Einlassungsverhalten des Angeklagten, mit dem er die Verantwortung für den Tod seiner Patientin auf die [X.] zu verlagern versuchte, zur Begründung eines Tötungsvorsatzes gezogene Schluss der [X.] auf eine entsprechende hand-lungsbestimmende Motivation in der [X.] rechtsfehlerhaft. Er entbehrt angesichts der Verschiedenheit der Situationen und der auf der unterstellten Motivation fußenden Handlungen

unrichtige Einlassungen im Rahmen des Strafverfahrens einerseits, die unsachgemäße, womöglich zum Tode der Pa-tientin führende Vorgehensweise in der [X.] andererseits

einer hin-reichend tragfähigen Grundlage. Hinzu kommt, dass sich dem Urteil nicht in nachvollziehbarer Weise
entnehmen lässt, inwiefern

insbesondere auf-grund welcher medizinischer oder rechtsmedizinischer Umstände

der An-geklagte durch die verspätete Einweisung seiner Patientin in die [X.] eine Grundlage schaffen konnte, die geeignet sein könnte, die Behaup-tung eines Verschuldens der Krankenhausärzte zu untermauern. Schon in-folge dieses Rechtsfehlers kann die Annahme des Tötungsvorsatzes keinen Bestand haben, weil die [X.] zur Begründung des volun-tativen [X.] maßgeblich auf die der ärztlichen Untätigkeit zu-grunde liegenden sachfremden Motive abstellt.

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bb) [X.] bedenklich ist ferner die Begründung, mit der das [X.] die der Annahme von Tötungsvorsatz entgegenstehende Mög-lichkeit ausgeschlossen hat, dass der Angeklagte nach Ablauf der Wirkungs-dauer der Betäubung erkannt hat, dass das Leben

[X.]s

was ob-jektiv nach den Feststellungen des [X.] in Betracht kommt

schon zu diesem [X.]punkt nicht mehr zu retten und auch durch die sofortige Verbrin-gung ins Krankenhaus keine Lebensverlängerung mehr zu erreichen war. Soweit die [X.] diesbezüglich anführt, für eine solche An-lässt sie außer [X.], dass der Angeklagte

wie im Urteil an anderer Stelle ([X.]) festgestellt

über umfangreiche Erfahrung im Bereich der Inten-siv-
und Rettungsmedizin verfügte und schon aus diesem Grund nicht ganz fernliegt, dass er eine etwa gegebene Aussichtslosigkeit weiterer [X.] auch erkannt haben könnte. Wenn das [X.] weiterhin darauf abstellt, dass der Angeklagte selbst

trotz eines in diese Richtung gehenden Hinweises des [X.]

zu keinem [X.]punkt [X.] behauptet habe, trägt auch diese
Argumentation nicht die gezogene Schlussfolgerung. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass eine derartige Behauptung des Angeklagten sich nicht mit seiner sonstigen

nach Über-zeugung des [X.] ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung vor-gebrachten

Einlassung hätte vereinbaren lassen, die Verstorbene sei in seiner Praxis auf dem Wege der Besserung gewesen. Nachdem die [X.] diese Einlassung bereits als widerlegt angesehen hat, durfte sie sie aber im Rahmen der Beweisführung nicht als Beleg für einen [X.] des Angeklagten heranziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Juni 2011

5 [X.], [X.], 318).

Abweichendes ergibt sich ferner nicht daraus, dass der Versuch, die Verantwortung auf die Krankenhausärzte zu verlagern, nach Ansicht der [X.] wegen der bindend gewordenen Feststellungen des [X.] in der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Hauptver-14
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Schluss gezogen hätte, der Angeklagte sei subjektiv tatsächlich von der Richtigkeit seiner

objektiv widerlegten

Behauptungen überzeugt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Solches stünde zudem sogar in krassem [X.] zu der Überzeugung des [X.], der [X.] spätestens im Verlauf des Nachmittags auch tatsächlich

c) Da bereits die Annahme von Tötungsvorsatz rechtsfehlerhaft ist, kann der Schuldspruch wegen versuchten Mordes keinen Bestand haben, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob tragfähige Feststellungen für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe belegt wären.

4. Der Senat ändert den Schuldspruch ab. Er schließt aus, dass sich in einer erneuten Hauptverhandlung bisher nicht zu Tage getretene Anhalts-punkte werden finden lassen, die geeignet wären, die hier denkbaren, der Annahme von Tötungsvorsatz entgegenstehenden Sachverhaltsvarianten auszuschließen.

5. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des [X.] nach sich. Für die neue Verhandlung weist der Senat da-rauf hin, dass schon angesichts der besonders gravierenden Verletzung der Aufklärungspflicht und des ärztlichen Standards bei Durchführung der äu-ßerst gefahrenträchtigen Operation sowie in Ansehung der Feststellungen zum grob pflichtwidrigen, rücksichtslosen, ersichtlich von Eigensucht [X.] die Annahme eines minder schweren Falles gemäß §
227 Abs. 2 StGB als ausgesprochen fernliegend erscheint. Auch wird die erneute Anordnung eines Berufsverbots zwingend geboten sein, die jedoch nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO ihre Grenze in der im ersten Urteil angeord-neten Maßregel finden muss, weil diese von der Staatsanwaltschaft [X.] geblieben ist und die Schuldspruchrevision der Nebenklage sich 15
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nunmehr als erfolglos erwiesen hat. Die im angefochtenen Urteil zur [X.] Verfahrensverzögerung getroffene Entscheidung ist rechtsfehlerfrei.

[X.] Schneider

Dölp [X.]

Meta

5 StR 238/12

16.08.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.08.2012, Az. 5 StR 238/12 (REWIS RS 2012, 3875)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3875

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5 StR 238/12

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