Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 06.05.2019, Az. 2 BvR 1429/16

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 7637

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch zivilgerichtliche Berufungsentscheidung aufgrund einer von der Vorinstanz abweichenden Vertragsauslegung ohne richterlichen Hinweis gem § 139 Abs 1 ZPO - jedoch Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Vorlage der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung aus dem fachgerichtlichen Verfahren


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Der Beschwerdeführer und Kläger des Ausgangsverfahrens schloss mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens am 31. Januar 2008 einen notariellen Kaufvertrag über den Erwerb einer Immobilie. Der Kaufvertrag sah von der Beklagten bis zum 16. Mai 2008 vorzunehmende Sanierungsleistungen (Ziffer IV.3.) sowie die Löschung einer bestehenden Bankgrundschuld vor. Nach erfolgter Pfandfreistellungserklärung seitens der Bank gegenüber dem Notar wurde der Beschwerdeführer zur Zahlung einer Kaufpreisrate aufgefordert. Er zahlte am 18. Oktober 2008 einen Teilbetrag und machte wegen des restlichen Anteils ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Eine den Vorgaben der Verordnung über die Pflichten der Immobilienmakler, Darlehensvermittler, Bauträger, Baubetreuer und Wohnimmobilienverwalter (Makler- und Bauträgerverordnung - [X.]) entsprechende Pfandfreistellungserklärung der Bank erhielt der Beschwerdeführer allerdings erst am 8. November 2011. Da die Entgegennahme des Kaufpreises aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen zwingende Vorschriften der Makler- und Bauträgerverordnung verstoßen hatte, klagte er für den Zeitraum vom 18. Oktober 2008 bis zum 8. November 2011 Zinsen auf den seiner Ansicht nach zu Unrecht vorzeitig angeforderten und gezahlten Kaufpreisanteil aus § 817 Satz 1, § 819 Abs. 2, § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB ein.

2

2. Das [X.] wies die Klage zunächst weitestgehend ab. Zwar bestehe der geltend gemachte Verzinsungsanspruch aus § 819 Abs. 2 BGB dem Grunde nach, da die Beklagte die Teilzahlung des Kaufpreises in Kenntnis der Verstöße gegen die Makler- und Bauträgerverordnung entgegengenommen habe; der Beschwerdeführer müsse sich aber die [X.] der Immobilie anrechnen lassen. Auf Berufung und Anschlussberufung hob das [X.] das Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück.

3

3. Sodann gab das [X.] der Klage statt. Abweichend von seiner ersten Entscheidung müsse sich der Beschwerdeführer keine [X.] anrechnen lassen. Ziffer IV.3. des Kaufvertrags sei so zu verstehen, dass zu dem dort benannten Tag auch die [X.] erfolgen sollte, so dass die Inbesitznahme durch den Beschwerdeführer keine Nutzungsersatzansprüche habe auslösen können.

4

4. Auf die Berufung der Beklagten hob das [X.] das Urteil des [X.] mit Endurteil vom 14. April 2015 auf und wies die Klage ab. Zwar liege in der fehlenden Übersendung der Freistellungserklärung ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 4 [X.]. Der Beklagten sei aber insgesamt nicht der für § 819 Abs. 2 BGB nötige Vorsatz nachzuweisen. Ein auf das fahrlässige Verhalten der Beklagten gestützter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB bestehe zwar dem Grunde nach, reduziere sich wegen der Anrechnung der [X.] aber auf Null. Anders als das [X.] meine, statuiere Ziffer IV.3. des Kaufvertrags eine bloße Pflicht zur Fertigstellung, keinen Anspruch auf Besitzüberlassung; der [X.] sollte nach der Vorstellung der [X.]en allein von der Zahlung des Kaufpreises abhängen. Der verfrühte [X.] löse Nutzungsersatzansprüche aus, die das Gericht auf die vom Beschwerdeführer aufgewandten Finanzierungskosten schätzte.

5

5. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde vom 29. April 2015, deren Begründung der Beschwerdeführer nicht vorgelegt hat, wies der [X.] mit Beschluss vom 1. Juni 2016 zurück.

6

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Er macht insbesondere geltend, das [X.] habe nicht auf seine vom [X.] abweichende Auslegung des Kaufvertrags hingewiesen.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig ist. Ihre Begründung genügt nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.].

8

1. Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer alle vorgebrachten Einwände bereits im fachgerichtlichen Ausgangsverfahren geltend macht und das [X.] dies prüfen kann (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 10. März 2016 - 2 BvR 408/16 -, Rn. 3; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. Juli 2016 - 2 BvR 1552/14 -, Rn. 5; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1453/16 -, Rn. 3; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. November 2018 - 2 BvR 882/17 -, Rn. 11).

9

Daran fehlt es hier. Der Beschwerdeführer hat für die verfassungsrechtliche Beurteilung insoweit unverzichtbare Unterlagen, namentlich die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum [X.], nicht vorlegt und sie ihrem wesentlichen Inhalt nach auch nicht wiedergegeben (vgl. [X.]E 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; [X.]K 5, 170 <171>).

2. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass das Urteil des [X.]s gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet ein Gericht insbesondere, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.]E 42, 364 <367 f.>; 47, 182 <187>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. August 2017 - 2 BvR 863/17 -, Rn. 15). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich in den Entscheidungsgründen niederschlägt (vgl. [X.]E 5, 22 <24>; 25, 137 <140>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 17. November 2017 - 2 BvR 1131/16 -, Rn. 48). Nur wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der [X.] zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. [X.]E 25, 137 <140>; 85, 386 <404>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 17. November 2017 - 2 BvR 1131/16 -, Rn. 48).

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat jedoch nur Erfolg, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auch auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht, wenn also nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne den Verstoß zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung gekommen wäre (vgl. [X.]E 7, 239 <241>; 18, 147 <150>; 28, 17 <19 f.>; 62, 392 <396>; 89, 381 <392 f.>; 112, 185 <206>; [X.]K 15, 116 <119>; 19, 377 <383>).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das [X.] gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, weil es nicht vorab auf seine vom [X.] abweichende Auslegung des streitgegenständlichen Kaufvertrags hingewiesen hat.

Der in erster Instanz obsiegende Berufungsbeklagte darf darauf vertrauen, nicht nur rechtzeitig darauf hingewiesen zu werden, dass und aufgrund welcher Erwägungen das Berufungsgericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, sondern auch Gelegenheit zu erhalten, seinen Tatsachenvortrag sachdienlich zu ergänzen oder weiteren Beweis anzutreten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 -, Rn. 13; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 -, Rn. 11; vgl. auch [X.], Beschluss vom 29. Mai 2018 - [X.]/17 -, NJW 2018, S. 3652 <3654 [X.]. 15>). Die Frage, wie Ziffer IV.3. des Kaufvertrags zu verstehen ist, war im vorliegenden Fall aus Sicht der Fachgerichte entscheidend dafür, ob der Beschwerdeführer vorzeitig Besitz erlangt hat und in der Folge Nutzungsersatzansprüchen ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund hätte das [X.] auf seine der landgerichtlichen Auffassung widersprechende Interpretation des Kaufvertrags gemäß § 139 Abs. 1 ZPO hinweisen müssen. Das hat es ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht getan.

c) Diese Gehörsverletzung dürfte allerdings nicht entscheidungserheblich gewesen sein, weil die Umstände, die der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen in der Beschwerdeschrift auf einen entsprechenden Hinweis des [X.]s hin vorgetragen hätte, nicht zu einer abweichenden Entscheidung geführt hätten. Das kann angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde hier jedoch dahin stehen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1429/16

06.05.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG München, 14. April 2016, Az: 9 U 1138/14 Bau, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 139 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 06.05.2019, Az. 2 BvR 1429/16 (REWIS RS 2019, 7637)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7637

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 1756/23 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Verletzung von Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 GG durch …


2 BvR 2579/17 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der Versagung von PKH für eine zivilprozessuale Berufung - mangelnde Substantiierung …


2 BvR 977/16 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Anspruch auf rechtliches Gehör begründet Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung, soweit gesetzlich …


2 BvR 1258/18 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Beschleunigungsgrundsatz gebietet ggf Vorabentscheidung über Zulassung der Anklage, falls eine Terminierung auf …


1 BvR 2884/18 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) durch zivilgerichtliche …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.