Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.01.2010, Az. 4 StR 413/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 10650

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Gegenstand

(Körperverletzung mit Todesfolge im Amt: Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Freispruch; erforderliche Maßnahmen zur Rettung eines gefesselten Untergebrachten bei Brand in der Gewahrsamszelle) 


Tenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des [X.] vom 8. Dezember 2008, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt zum Nachteil des in [X.] geborenen [X.] aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts. Die Nebenkläger beanstanden ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg; einer Erörterung der Verfahrensrügen bedarf es deshalb nicht.

I.

2

1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, es als für den [X.] verantwortlicher Dienstgruppenleiter unterlassen zu haben, sofort nach dem Ertönen des [X.] des in der Gewahrsamszelle [X.] installierten [X.] Rettungsmaßnahmen zugunsten des dort untergebrachten [X.] einzuleiten. Obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass beim Ansprechen eines [X.] stets vom Ausbruch eines Feuers auszugehen sei, habe er das Alarmsignal mehrfach abgestellt. Dabei habe er mögliche Verletzungen des in der Zelle mit Hand- und Fußfesseln auf einer Liege fixierten [X.] durch Rauch- und Feuereinwirkung billigend in Kauf genommen. Zwei Minuten und 21 Sekunden nach Ausbruch des Feuers habe auch der Rauchmelder der [X.] ausgelöst. Der Angeklagte habe erst, nachdem er von seiner Kollegin [X.] energisch aufgefordert worden sei, nach dem Rechten zu sehen, die Schlüssel ergriffen und sich auf den Weg zum [X.] gemacht. Nach dem Öffnen der Zellentür sei es dem Angeklagten und anderen hinzugekommenen Polizeibeamten nicht mehr gelungen, das Leben [X.]'s zu retten, der spätestens sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers an den Folgen eines Hitzeschocks verstorben sei. Bei pflichtgemäßer, sofortiger Reaktion auf den ersten akustischen Alarm hätte der Angeklagte die Gewahrsamszelle [X.] deutlich vor Ablauf von zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers erreichen können, das Feuer mit Hilfe eines auf dem Weg zum [X.] angebrachten Feuerlöschers löschen und das Leben [X.]'s retten können.

3

2. Das [X.] hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

4

Am frühen Morgen des 7. Januar 2005 wurde [X.], der in stark angetrunkenem Zustand Frauen belästigt hatte, auf das [X.] gebracht. Im Arztraum des [X.]s wurden ihm Fußfesseln angelegt, nachdem er mit Füßen nach den Polizeibeamten getreten und mehrfach versucht hatte, sich Verletzungen am Kopf zuzufügen. Ihm wurde von einem herbeigerufenen Arzt um 9.15 Uhr eine Blutprobe entnommen, deren spätere Untersuchung eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 ‰ ergab. Der Arzt erklärte [X.] für gewahrsamstauglich und empfahl dessen Fixierung, um zu verhindern, dass er sich selbst schädigt. Gegen 9.30 Uhr wurde [X.] in der Gewahrsamszelle [X.] auf einer gefliesten und beheizten Liegefläche, auf der eine [X.] lag, an den hierfür vorgesehenen vier Halterungen fixiert. Trotz der Fixierung blieb eine gewisse Beweglichkeit seiner Extremitäten, seines Kopfes und des Körpers erhalten. In der Folgezeit wurde die Gewahrsamszelle viermal kontrolliert. Die letzte Kontrolle führten um 11.45 Uhr die Zeugin [X.] und ein weiterer Polizeibeamter durch.

5

Danach gelang es [X.], den Kunstlederbezug der [X.] zu öffnen und den als Füllung dienenden Schaumstoff, einen PUR-Weichschaum vom Typ [X.], mit einem Einwegfeuerzeug, das entweder bei der vorangegangenen Durchsuchung übersehen worden war oder von ihm auf dem Weg in die Gewahrsamszelle an sich gebracht worden war, zu entzünden. Es entstand eine brennende Schmelze. Die Temperatur im Nahbereich der Flammen betrug etwa 800 Grad Celsius. Gegen 12.00 Uhr sprang im [X.] das Warnsignal des in der Zelle [X.] installierten Ionisationsrauchmelders an. Dieser Rauchmelder löst, wie später durchgeführte Versuche ergeben haben, den Alarm spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ aus. Der Angeklagte lief zu der nur wenige Schritte entfernten Bedienungsvorrichtung des [X.], wobei er mit den Gedanken an eine Fehlfunktion der Anlage, die es in der Vergangenheit gegeben hatte, äußerte: [X.]!". Er drückte die Resettaste und der Warnton verstummte. Anschließend meldete der Angeklagte den ausgelösten Alarm telefonisch seinem Vorgesetzten, dem Zeugen [X.], und bat ihn, mit in den [X.] zu gehen. Als der Angeklagte den nur wenige Schritte entfernt bereitliegenden [X.] ergriff, sprang der Warnton des [X.] erneut an. Der Angeklagte schaltete den Alarm mit der dafür vorgesehenen Taste endgültig aus und rannte mit dem Gedanken an eine Fehlfunktion der Anlage oder auch an einen Feuchtigkeitsschaden in der Anlage in Richtung der [X.]. Nach wenigen Schritten kehrte er um und entnahm dem neben dem Eingang zum Dienstgruppenbereich hängenden Blechkasten den [X.]. Anschließend rannte er erneut los und forderte auf dem Weg zu den [X.] einen Kollegen auf, ihm in den [X.] zu folgen. Dieser beendete das von ihm geführte Telefongespräch und folgte dem Angeklagten, der sogleich weitergelaufen war. Als der Angeklagte die Tür der Gewahrsamszelle [X.] erreichte, trat an deren seitlichen Spalten, bereits Qualm aus. Nach dem Öffnen der Tür schlug dem Angeklagten und seinem Kollegen beißender schwarzer Qualm entgegen. Der Angeklagte rief seinem Kollegen zu, dass er Hilfe hole, und benachrichtigte weitere Kollegen. Der Versuch des zurückgebliebenen Kollegen, das Feuer mittels einer herbeigeholten Decke zu ersticken, und die Rettungsversuche der hinzugekommenen Kollegen scheiterten. [X.] war zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt innerhalb der ersten zwei Minuten nach Ausbruch des [X.] nach dem Einatmen der etwa 800 Grad Celsius heißen Gase an einem Inhalationshitzeschock gestorben.

6

3. Das [X.] hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Soweit ihm eine Körperverletzung mit Todesfolge im [X.] gelegt worden sei, sei nicht erwiesen, dass er mit - zumindest bedingtem - [X.] gehandelt habe. Der Angeklagte habe nicht damit gerechnet, dass [X.] körperlichen Schaden erleiden würde. Zudem habe er dies weder gewollt noch billigend in Kauf genommen. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich vielmehr, dass sich der Angeklagte bemüht habe, schnell in den [X.] zu gelangen.

7

Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung sei ebenfalls nicht gegeben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der eingetretene Todeserfolg objektiv vermeidbar gewesen wäre. Nach den zutreffenden Ausführungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen spreche eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass [X.] bereits innerhalb von zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers verstorben sei. Der Angeklagte hätte die Zelle aber auch dann erst nach mehr als zwei Minuten erreichen können, wenn er sogleich nach dem Ertönen des Signals des [X.] zu der Gewahrsamszelle gelaufen wäre. Der Angeklagte habe im Übrigen nach dem Anspringen des Alarms nicht pflichtwidrig gehandelt.

II.

8

Der Freispruch des Angeklagten hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 30. März 2004 - 1 [X.], [X.], 238 f.; Senat, Urteil vom 24. Juni 2004 - 4 StR 15/04, [X.], 432, jew. m. w. N.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. [X.], Urteil vom 14. August 1996 - 3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Diesen Grundsätzen wird die Beweiswürdigung des [X.]s nicht gerecht.

1. Im Ansatz zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass ein (pflichtwidriges) Unterlassen des Angeklagten für den konkreten Todeseintritt nur dann ursächlich geworden wäre, wenn der Tod [X.]'s, so wie er konkret eingetreten ist, durch ein sofortiges und sachgerechtes Eingreifen des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2002 - 4 StR 51/02, [X.], 303 m. N.). Das [X.] hat dies aber nicht rechtsfehlerfrei verneint. Vielmehr erweist sich die der Annahme, der Angeklagte habe auch bei sofortiger Reaktion die Gewahrsamszelle nicht rechtzeitig erreichen können, zugrunde liegende Beweiswürdigung in mehrfacher Hinsicht als lückenhaft:

a) [X.] begegnet insbesondere die Annahme des [X.]s, dass der Angeklagte erstmals durch das Alarmsignal auf die Notlage [X.]'s aufmerksam werden und mit [X.] beginnen konnte. Nach den Feststellungen war die [X.], durch die der [X.] mit der Gewahrsamszelle verbunden war, bereits vor der letzten Kontrolle der Zelle auf Empfang geschaltet worden. Zwar hatte der Angeklagte, der sich durch „das laute Rufen“ [X.]'s bei einem Telefonat gestört fühlte, die Anlage leiser gestellt, aber nur für kurze Zeit. Dass der Angeklagte, nach dessen Einlassung ein „Rumschreien“ zu hören war, gleichwohl nicht schon vor dem Alarmsignal aufgrund der ihm möglichen akustischen Wahrnehmungen, insbesondere durch Schmerzensschreie, früher auf das Geschehen in der Zelle hätte aufmerksam werden können und die sich anbahnende Gefahr hätte erkennen müssen, ist nach den bisherigen [X.] für den Senat aus folgenden Gründen nicht nachvollziehbar:

Nach den insoweit revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen hat [X.] den bei seiner Einlieferung unversehrten und, wie sich dem Gesamtzusammenhang entnehmen lässt, schwer entflammbaren Kunstlederbezug geöffnet und die [X.] mit einem Einweggasfeuerzeug angezündet. Dieses Feuerzeug kann von dem früheren Mitangeklagten M. bei der Durchsuchung [X.]'s übersehen worden oder diesem Beamten von [X.] beim Transport in die Zelle entwendet worden sein. Das [X.] hat sich aufgrund der Bekundungen des Zeugen F. und durch Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung, die bei der von diesem Zeugen durchgeführten Rekonstruktion gefertigt wurde, davon überzeugt, dass [X.] mit der Hand, die mittels einer Handschelle an der Halterung an der Wand fixiert war, das Feuerzeug aus seiner Hose oder Unterhose herausholen und mit dieser Hand an den Rand der [X.] und die dort befindliche Naht fassen konnte.

Dieser im Ermittlungsverfahren durchgeführten Rekonstruktion lag ersichtlich die Annahme zugrunde, dass die Naht der [X.] geöffnet werden musste, um den Schaumstoff anzünden zu können. Hiervon ging zunächst auch das [X.] aus. Aufgrund der Bekundungen des Zeugen F. zu einem während des Laufs der Hauptverhandlung durchgeführten weiteren Versuch und der Inaugenscheinnahme des hierbei aufgenommenen Films hat sich das [X.] aber davon überzeugt, dass der [X.] von [X.] aufgerissen wurde, nachdem dieser ihn mittels des Feuerzeugs erhitzt hatte. Bei einer so geschaffenen Öffnung wäre der zu entzündende Schaumstoff, im Unterschied zu einer Zündung durch die geöffnete Naht hindurch, vor der Zündung regelrecht freigelegt worden, so dass schnell ein Vollbrand entstehen konnte.

Insoweit ist das Urteil jedoch lückenhaft. Es enthält weder eine hinreichende Darstellung dieses Versuchs, noch verweist es auf Lichtbilder. Ihm lässt sich schon nicht entnehmen, ob die Situation nachgestellt worden ist, in der sich [X.] bei der Brandlegung befand. So bleibt offen, ob der [X.] seiner an der Wand fixierten Hand ausreichte, um den [X.]nbezug "anzuschmoren" und in dem zum Anzünden des [X.] erforderlichen Umfang zu öffnen. Insbesondere fehlen Angaben dazu, ob es möglich war, den [X.]nbezug ohne erhebliche schmerzhafte Verletzungen an der Hand mit dem Einwegfeuerzeug zu erhitzen. Hiermit hätte sich das [X.] schon deshalb auseinandersetzen müssen, weil es nahe liegt, dass ein Mensch, der in einer Zelle einen Brand legt, um die Lösung seiner Fesseln zu erreichen, sich frühzeitig durch Rufen bemerkbar macht und [X.] von sich gibt, wenn er beim Legen eines [X.] Verbrennungen erleidet. Hat aber [X.] bereits vor dem Anzünden des freigelegten [X.] durch Rufe und/oder [X.] auf seine Situation aufmerksam gemacht, stellt sich die Frage nach einer Rettungsmöglichkeit neu. Denn dann hätte der Angeklagte bereits vor dem Alarmsignal des [X.] erkennen können und müssen, dass ein sofortiges Eingreifen zur Abwendung einer möglichen Gefahr für Leib und Leben [X.]'s geboten war.

b) Aber auch wenn man mit dem [X.] davon ausgeht, dass über die [X.] weder [X.] noch sonstige Hinweise auf eine Gefahrensituation zu vernehmen waren, bleiben Unklarheiten hinsichtlich der nach dem Ansprechen des [X.] für eine Rettung verbleibenden Zeit.

Das [X.] ist, was für sich genommen nicht zu beanstanden ist, den Gutachten der rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass der Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit schon innerhalb von zwei Minuten „nach Ausbruch des [X.]“ infolge eines Inhalationshitzeschocks eingetreten ist. Die rechtsmedizinischen Sachverständigen stellten dabei ersichtlich auf einen „Vollbrand“ von Teilen der Schaumstofffüllung der [X.] ab, bei dem Temperaturen von 800 Grad Celsius herrschen, so dass schon zwei Atemzüge zu einem tödlichen Inhalationshitzeschock führen können. Das [X.] ist ferner auf der Grundlage der von dem [X.]n durch drei im Mai 2006 durchgeführte Versuche ermittelten [X.] des in der Zelle installierten Ionisationsrauchmelders davon ausgegangen, dass dieser spätestens 90 Sekunden nach der „Zündung“ ausgelöst worden ist. Danach könnte der Tod nach dem Zweifelsgrundsatz bereits vor der Auslösung des [X.] eingetreten sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der [X.], der von „Zündung“ gesprochen hat, bei der Messung der [X.] auf dieselbe Situation abgestellt hat, wie die rechtsmedizinischen Sachverständigen. Ob dies der Fall war, lässt sich aber den auch insoweit lückenhaften [X.] nicht entnehmen, weil die Bedingungen nicht mitgeteilt werden, unter denen diese Versuche, insbesondere aber der Versuch im Januar 2005, bei dem die Ansprechzeit des [X.] in der Lüftungsanlage ermittelt wurde, durchgeführt wurden.

Danach bleibt offen, ob mit der Messung der [X.] der Rauchmelder begonnen wurde, als eine Gasflamme an den bereits freiliegenden Schaumstoff gehalten wurde, oder erst, als dies zu einem Vollbrand des [X.] geführt hatte. Nach den [X.] basierte „auch“ der am 23. Juni 2008 ausgeführte Versuch, bei dem im Bereich der Flammen eine Temperatur von 800 Grad Celsius herrschte, „nur“ auf einer Zündung an der geöffneten Naht. Erforderlich wäre gewesen, bei der Ermittlung der [X.] der Rauchmelder die Situation, in der [X.] den Brand gelegt hat, unter Berücksichtigung auch der Möglichkeit, dass er den [X.]nbezug zunächst "angeschmort" hat, insgesamt nachzustellen. Dass dies geschehen wäre, teilt das Urteil nicht mit. Auch fehlen Ausführungen dazu, ob der Ionisationsrauchmelder schon durch beim Anschmoren des [X.]es freigesetzte Rußpartikel ausgelöst worden sein kann.

c) Nicht nachvollziehbar ist die Beweiswürdigung auch, soweit das [X.] festgestellt hat, dass der Angeklagte sich sogleich nach dem endgültigen Abschalten des [X.], das zehn Sekunden nach dem Drücken der Resettaste erneut ertönt war, auf den Weg zur Gewahrsamszelle gemacht hat. Es widerspricht schon der Lebenserfahrung, dass der Angeklagte die von ihm und der Zeugin [X.] beschriebenen vielfältigen Aktivitäten, einschließlich des Telefonats mit seinem Dienstvorgesetzten, innerhalb dieser kurzen Zeitspanne bewältigt haben kann. Vor diesem Hintergrund wird sich der neue Tatrichter bei der Zeugin [X.], die den Angeklagten in ihrer ersten polizeilichen Vernehmung deutlich stärker belastet hatte, mit der Aussageentwicklung befassen müssen. Dabei wird nicht nur ein möglicher Gruppendruck im Kollegenkreis, sondern auch ein im Verlauf der Ermittlungen entstandenes Interesse, sich selbst zu entlasten, in den Blick zu nehmen sein. Die Frage der Kausalität zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem Tod [X.]'s wird daher erneut zu überprüfen sei.

2. Bedenken begegnen auch die Ausführungen zum pflichtgemäßen Verhalten.

Löst der in einer Gewahrsamszelle installierte Brandmelder Alarm aus, weist das auf eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben einer in einer verschlossenen und verriegelten Zelle (vgl. Nr. 29. 1 Polizeigewahrsamsordnung - RdErl. des [X.] vom 28. Februar 2006 - 21.11-12340/110, MBl. LSA 2006, 137) verwahrten Person hin. In einem solchen Fall sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt umso mehr, wenn - wie hier - zur Verhinderung einer drohenden Selbstschädigung die Fesselung (vgl. § 64 Nr. 3 [X.] LSA) angeordnet und eine berauschte Person an Händen und Füßen angekettet in Rückenlage fixiert worden ist. Hieran ändert auch die Möglichkeit eines Fehlalarms nichts. Nur wenn die im Fall eines [X.] erforderlichen Maßnahmen unverzüglich ergriffen werden, ist sichergestellt, dass sofort mit der Rettung der verwahrten Person begonnen werden kann.

Dem Angeklagten waren die Umstände bekannt, unter denen es zur Ingewahrsamnahme [X.]'s gekommen war. Insbesondere wusste er auch, auf welche Weise dieser in der Gewahrsamszelle fixiert worden war. Der Angeklagte hätte erkennen können und müssen, dass [X.] im Falle eines [X.] in besonderem Maße gefährdet war. Unbeschadet der Frage, ob [X.] wegen seines Zustands nicht ohnehin nach Nr. 12. 7 Polizeigewahrsamsordnung nur unter ständiger Aufsicht zweier Beamter hätte untergebracht werden dürfen, hätte er deshalb unter Mitnahme des [X.] und der Fußfesselschlüssel sofort zur Gewahrsamszelle eilen müssen. Alles weitere, insbesondere die telefonische Benachrichtigung des [X.] und - was sinnvoll gewesen wäre - weiterer der sich in der Dienststelle aufhaltenden Kollegen, sowie das Abschalten des [X.], hätte seine Kollegin übernehmen können.

Tepperwien                            Maatz                            Athing

                       Ernemann                       Mutzbauer

Meta

4 StR 413/09

07.01.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dessau-Roßlau, 8. Dezember 2008, Az: 6 Ks 4/05

§ 261 StPO, § 340 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.01.2010, Az. 4 StR 413/09 (REWIS RS 2010, 10650)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10650

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

23 KLs 6/23

4 StR 150/10

4 StR 150/10

4 StR 413/09

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