Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.09.2020, Az. 6 AZR 136/19 (A)

6. Senat | REWIS RS 2020, 489

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Gegenstand

Aussetzung wegen anhängiger Verfassungsbeschwerde


Leitsatz

Ist in einem Parallelverfahren eine Verfassungsbeschwerde anhängig, kann in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO eine Aussetzung der Verhandlung erfolgen, wenn dies in Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG sowie zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien angemessen erscheint. Die Aussetzung kann zeitlich befristet werden.

Tenor

Die Verhandlung wird bis zum 31. März 2022 ausgesetzt.

Gründe

1

I. Die [X.]en streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

Der Kläger war seit März 1988 bei der [X.] (Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pilot beschäftigt. Die Schuldnerin bediente mit mehr als 6.000 [X.]eschäftigten im [X.] inner- und außereuropäische Ziele. Hierfür unterhielt sie ua. Stationen an den Flughäfen [X.] und [X.]. Der Einsatzort des [X.] war [X.].

3

Am 15. August 2017 beantragte die Schuldnerin beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen bei Eigenverwaltung. Das Gericht ordnete zunächst die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den [X.]n am 16. August 2017 zum vorläufigen Sachwalter.

4

Der Executive Director der persönlich haftenden Gesellschafterin der Schuldnerin, der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin und der [X.] unterzeichneten am 12. Oktober 2017 für die Schuldnerin eine Erklärung. Demnach war beabsichtigt, den [X.]etrieb bis spätestens 31. Januar 2018 stillzulegen.

5

Für das [X.] war gemäß § 117 Abs. 2 [X.]etrVG durch Abschluss des „Tarifvertrags Personalvertretung ([X.]) für das [X.] der [X.]“ eine Personalvertretung ([X.]) gebildet. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2017 wandte sich die Schuldnerin an die [X.]. Es sei beabsichtigt, die durch die [X.]etriebsstilllegung bedingten Kündigungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Laufe des Monats Oktober 2017, voraussichtlich ab 26. Oktober 2017, unter Wahrung der ggf. durch § 113 [X.] begrenzten Kündigungsfrist zu erklären.

6

Am 1. November 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Das Insolvenzgericht ordnete Eigenverwaltung an und bestellte den [X.]n zum Sachwalter. Dieser zeigte noch am gleichen Tage eine drohende Masseunzulänglichkeit an. Zudem stellte er den Kläger und weitere nicht mehr einzusetzende Piloten und Kabinenpersonal von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.

7

Die Schuldnerin erstattete mit Formular und [X.]egleitschreiben vom 24. November 2017 bei der [X.] eine Massenentlassungsanzeige bzgl. des gesamten [X.]s.

8

Mit Schreiben vom 28. November 2017 kündigte sie mit Zustimmung des [X.]n gegenüber dem Kläger das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2018.

9

Am 17. Januar 2018 hob das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung auf und bestellte den [X.]n zum Insolvenzverwalter.

Der Kläger hat sich mit seiner fristgerecht erhobenen Klage gegen die Kündigung vom 28. November 2017 gewandt. Die Kündigung sei unwirksam. Eine [X.]etriebsstilllegung sei zum [X.]punkt ihres Zugangs nicht beschlossen gewesen, die Schuldnerin habe vielmehr noch mit möglichen [X.]etriebserwerbern verhandelt. Tatsächlich hätten dann [X.]etriebsteilübergänge auf andere Luftfahrtunternehmen stattgefunden. Die [X.] sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei fehlerhaft.

Der Kläger hat zuletzt noch beantragt,

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Schuldnerin vom 28. November 2017, zugegangen am 29. November 2017, nicht aufgelöst wurde.

Der [X.] hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wegen der beabsichtigten und tatsächlich erfolgten Stilllegung des Flugbetriebs sozial gerechtfertigt. Ein [X.]etriebs(teil)übergang sei nicht geplant gewesen und habe auch nicht stattgefunden. Die Rechte der [X.] seien gewahrt. Die Massenentlassung sei ordnungsgemäß gegenüber der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt worden.

Die Vorinstanzen haben sowohl den Kündigungsschutzantrag als auch einen im [X.]erufungsverfahren noch anhängigen Antrag auf Auskunftserteilung abgewiesen. Das [X.] hat die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger beschränkt auf den Kündigungsschutzantrag sein Klageziel weiter.

Der [X.] hat am 13. Februar 2020 in mehreren Verfahren mit identischen Sachverhalten entschieden, dass die streitbefangenen Kündigungen des [X.]s der Schuldnerin vom 28. November 2017 unwirksam sind (vgl. ua. [X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 29 ff.). Hiergegen hat der [X.] [X.] erhoben und deswegen die Aussetzung der Verhandlung im vorliegenden Verfahren angeregt. Der Kläger hat dieser Anregung widersprochen.

II. [X.] kann auch gegen den Willen des [X.] jedenfalls bis zum 31. März 2022 ausgesetzt werden. Die Revision ist nach derzeitigem Stand zwar zulässig und begründet. Der [X.] wäre an einer Entscheidung auch nicht durch eine Verpflichtung zur Vorlage an den [X.] (im [X.]) nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gehindert. In entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO ist aber wegen der anhängigen [X.] eine Aussetzung der Verhandlung bis zum 31. März 2022 gerechtfertigt.

1. Die streitgegenständliche Kündigung ist wegen Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] iVm. § 134 [X.]G[X.] unwirksam. Entgegen der Auffassung des [X.]s erstattete die Schuldnerin die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderliche Massenentlassungsanzeige wegen Verkennung des unionsrechtlich determinierten [X.]s nicht ordnungsgemäß iSd. § 17 Abs. 3 [X.]. Dies hat der [X.] in einem Parallelverfahren bereits entschieden und nimmt auf die [X.]egründung dieses Urteils [X.]ezug ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 70 ff.). Es wurde eine inhaltlich nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige bei der örtlich unzuständigen [X.] erstattet. Eine Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit [X.] erfolgte vor Zugang der Kündigung beim Kläger hingegen nicht. Der Vortrag des [X.]n im vorliegenden Verfahren gibt keinen Anlass für eine andere [X.]eurteilung.

a) Der [X.] hat die seitens des [X.]n angeführte Rechtsprechung des [X.] zum [X.] der Richtlinie 98/59/[X.] (im Folgenden [X.]) bereits vollständig berücksichtigt ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 32 ff., 54). Soweit der [X.] im vorliegenden Verfahren zum maßgeblichen [X.] des § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] bzw. der [X.] nur seine abweichende Rechtsansicht wiederholt, welche der [X.] bereits im führenden Verfahren gewürdigt hat, besteht kein Anlass zu weitergehenden Ausführungen. Soweit er erstmals unter [X.]erufung auf die Ausführungen des [X.] in Rn. 54 seiner Entscheidung vom 13. Mai 2015 (- [X.]/13 - [[X.]]) geltend macht, die [X.] schließe es nicht aus, im nationalen Recht unter bestimmten Voraussetzungen auf das Unternehmen als größere Organisationseinheit abzustellen, hat der [X.] Gesetzgeber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Dementsprechend hat der [X.] die Massenentlassung in einer [X.]etriebsstruktur vorgenommen, die allerdings, wie der [X.] bereits ausgeführt hat, nicht den Vorgaben der [X.] entsprach.

b) [X.]ezüglich der Zwecksetzung der nach § 17 Abs. 1, Abs. 3 [X.] zu erstattenden Massenentlassungsanzeige und den Rechtsfolgen einer fehlerhaften Anzeige wird ebenfalls auf die [X.]egründung der Leitentscheidung verwiesen ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 97 ff.). Die weiteren Argumente des [X.]n verfangen nicht.

aa) Die Meldepflicht des § 38 Abs. 1 Satz 1 SG[X.] III ersetzt keine ordnungsgemäße Anzeige der geplanten Massenentlassung. Auch verwirklicht die Freistellung der Mehrzahl der Piloten vor den Kündigungen entgegen der Annahme des [X.]n den Schutzzweck der [X.] nicht und macht eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers nicht überflüssig (vgl. [X.] 14. Mai 2020 - 6 [X.] - Rn. 133).

bb) Soweit der [X.] insbesondere durch die Komplexität der Rechtslage, die durch die in den verschiedenen Regelungsbereichen maßgeblichen, teils unionsrechtlich, teils national determinierten unterschiedlichen [X.]e vermeintlich entsteht, eine unzulässige [X.]eschränkung der durch Art. 16 GRC geschützten unternehmerischen Freiheit sieht, trifft das jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung nicht zu.

(1) Die [X.] selbst greift nicht in die freie Entscheidung des Arbeitgebers ein, Massenentlassungen vorzunehmen ([X.] 21. Dezember 2016 - [X.]/15 - [[X.]] Rn. 30 ff.).

(2) Ein solcher Eingriff kann hier auch nicht aus dem nationalen Recht abgeleitet werden. Der [X.] verkennt, dass seine Anzeige bereits deshalb unwirksam ist, weil sie fälschlicherweise in der bezogen auf die Personalvertretung tariflich begründeten [X.]etriebsstruktur erfolgt ist, die mit dem vom Gerichtshof zur [X.] entwickelten [X.] offenkundig nicht in Einklang stand (vgl. bereits [X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 114). Die angeführte Komplexität resultiert hier nicht aus gesetzlichen Vorgaben, sondern aus dem Nebeneinander von gesetzlichen und tariflichen Regelungen. Letztere sind jedoch gerade das Resultat der von der Schuldnerin in Form eines Tarifabschlusses in Anspruch genommenen unternehmerischen Freiheit. Darüber hinaus wäre es der Schuldnerin unbenommen geblieben, das Risiko einer Unwirksamkeit der Kündigung wegen Erstattung der Anzeige bei einer örtlich unzuständigen Arbeitsagentur durch eine Sammelanzeige bzw. eine Anzeige bei sämtlichen in Frage kommenden Agenturen für Arbeit wesentlich zu vermindern.

(3) Darum kommt es auf die Ansicht des [X.]n, die sozioökonomischen Zielsetzungen der Anzeigepflicht hätten kein hinreichendes Gewicht, um eine [X.]eschränkung des Kündigungsrechts zu rechtfertigen, nicht an. Er räumt selbst ein, dass ein solcher Eingriff vor allem dann vorliegen könne, wenn „alle materiell und verfahrensmäßig dem Kündigungsschutz dienenden Vorgaben beachtet“ worden seien. Genau daran fehlt es vorliegend jedoch.

(4) Es kann folglich dahinstehen, ob und inwieweit der Anwendungsbereich des Art. 16 GRC in teilharmonisierten Regelungsbereichen wie denen der [X.] überhaupt eröffnet ist (dazu [X.] 6. März 2014 - [X.]/13 - [Siragusa] Rn. 26; EuArbRK/[X.] 3. Aufl. [X.]. 16 Rn. 29).

c) Der [X.] wird für den gesamten [X.]ereich des [X.] unionsrechtlich bestimmt. Der [X.] kann daher auch bei der Frage, wo die Anzeige zu erstatten ist, keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Urteil des [X.]s vom 14. Mai 2020 (- 6 [X.] - Rn. 147 ff.) verwiesen.

2. Zu einer Vorlage an den Gerichtshof besteht entgegen der Auffassung des [X.]n keine Verpflichtung.

a) Ein einzelstaatliches Gericht ist, soweit gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist, grundsätzlich verpflichtet, den Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV anzurufen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage nach der Auslegung des [X.] stellt. Dies ist ua. dann nicht der Fall, wenn das Gericht feststellt, dass die betreffende unionsrechtliche [X.]estimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (vgl. [X.] 4. Oktober 2018 - [X.]/17 - [Kommission/Frankreich (Steuervorabzug für ausgeschüttete Dividenden)] Rn. 108 ff. [X.]) und die Rechtslage damit in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel lässt („acte éclairé“, vgl. [X.] 9. Mai 2018 - 2 [X.]vR 37/18 - Rn. 29; [X.] 12. Juni 2019 - 1 [X.] - Rn. 88, [X.]E 167, 53). Hierfür ist eine vollkommene Identität der strittigen Fragen der jeweiligen Verfahren nicht erforderlich (vgl. [X.] 6. Oktober 1982 - 283/81 - [[X.]] Rn. 14).

b) Hier besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.

aa) Der [X.] hat eine solche bereits geprüft und verneint ([X.] 13. Februar 2020 - 6 [X.] - Rn. 115). Auch der Achte [X.] des [X.] hat bezogen auf eine Kündigung im selben Insolvenzverfahren bzgl. des [X.]s des § 17 Abs. 1 Satz 1 [X.] bzw. der [X.] keinen Klärungsbedarf durch den Gerichtshof gesehen, sondern sich insoweit der Rechtsprechung des [X.]s angeschlossen ([X.] 27. Februar 2020 - 8 [X.] - Rn. 169 ff.).

bb) Die im vorliegenden Verfahren seitens des [X.]n schriftsätzlich oder in der Verhandlung vor dem [X.] formulierten Fragen müssen dem Gerichtshof nicht gestellt werden. Sie sind entweder nicht entscheidungserheblich oder durch die Rechtsprechung des [X.] ausreichend geklärt. Der [X.] hält dem [X.] im Ergebnis lediglich eine fehlerhafte Subsumtion unter die Rechtsprechung des [X.] vor, die jedoch allein Aufgabe der nationalen Gerichte ist und keine Vorlagepflicht auslösen kann (vgl. [X.] 13. Mai 2015 - [X.]/13 - [[X.] ua.] Rn. 52; 30. April 2015 - [X.]/14 - [[X.] und [X.]] Rn. 70; EuArbRK/[X.] 3. Aufl. AEUV Art. 267 Rn. 46; [X.]/[X.]/[X.] 20. Aufl. AEUV Art. 267 Rn. 6).

cc) Soweit der [X.] auf die unterschiedliche [X.]eurteilung der streitgegenständlichen Massenentlassung innerhalb der Tatsacheninstanzen der [X.]n Arbeitsgerichtsbarkeit hinweist, ist dies unbeachtlich. Das bloße Vorliegen sich widersprechender Entscheidungen anderer einzelstaatlicher Gerichte ist kein ausschlaggebendes Kriterium für das [X.]estehen der in Art. 267 Abs. 3 AEUV genannten Pflicht, denn maßgeblich ist hierbei die Gefahr von Divergenzen in der Rechtsprechung auf Unionsebene (vgl. [X.] 9. September 2015 - [X.]/14 - [[X.] ua.] Rn. 39 ff.; [X.] 2020, 112, 121). [X.]ezogen auf die [X.] Gerichtsbarkeit kann es bei der Rechtsanwendung schon wegen der Unabhängigkeit [X.] (Art. 97 [X.]) und der daraus folgenden „konstitutionellen Uneinheitlichkeit der Rechtspflege“ ([X.] 26. April 1988 - 1 [X.]vR 669/87 ua. - zu III der Gründe, [X.]E 78, 123) auch in gleichgelagerten Fällen zu abweichenden Entscheidungen kommen.

3. Trotz der damit grundsätzlich bestehenden Entscheidungsreife ist die Verhandlung aber jedenfalls bis zum 31. März 2022 auszusetzen.

a) Eine [X.]efugnis zur Aussetzung ergibt sich allerdings nicht direkt aus § 148 Abs. 1 ZPO als allein in [X.]etracht kommender Verfahrensregelung.

aa) Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem [X.]estehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit [X.] der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen [X.]edeutung voraus. [X.] ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt. Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren [X.]eantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung nicht. Anderenfalls würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in [X.] beeinträchtigt. Eine Aussetzung allein aus [X.] sieht das Gesetz nicht vor ([X.] 27. Juni 2019 - IX Z[X.] 5/19 - Rn. 7 [X.]).

bb) Eine [X.] in diesem Sinne besteht hier nicht. [X.]ei den Verfahren, deren Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, handelt es sich um unabhängige Rechtsstreitigkeiten. Es besteht lediglich eine Parallelität bzgl. der zu entscheidenden Rechtsfragen.

b) Eine Aussetzung kann aber in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO erfolgen.

aa) § 148 Abs. 1 ZPO ist über seinen Wortlaut hinaus auf vergleichbare Fallgestaltungen entsprechend anwendbar ([X.] 18. September 1997 - 3 [X.] - Rn. 9; GK-Arb[X.]/[X.] Stand September 2017 § 55 Rn. 50). Nach ständiger Rechtsprechung ist in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO eine Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung eines [X.] nach Art. 267 AEUV vorzunehmen (vgl. [X.] 30. Januar 2019 - 10 [X.] (A) - Rn. 114, [X.]E 165, 233; 17. Juni 2015 - 4 [X.] (A) - [X.]E 152, 12; 17. März 2015 - 1 [X.] (A) - [X.]E 151, 131; 25. Februar 2015 - 5 [X.] (A) - [X.]E 151, 75). Die Möglichkeit der Aussetzung wird auch bejaht, wenn die Vorlage an den Gerichtshof in einem anderen Rechtsstreit erfolgt ist ([X.] 20. Mai 2010 - 6 [X.]) - Rn. 7 ff., [X.]E 134, 307; [X.] 11. April 2019 - I ZR 186/17 -). Zur [X.]egründung wird darauf verwiesen, dass eine Aussetzung auch möglich ist, wenn bezogen auf die streitentscheidende Norm ein Normenkontrollverfahren oder eine Verfassungsbeschwerde beim [X.] anhängig ist (vgl. hierzu [X.] 28. Januar 1988 - 2 [X.] - zu II 3 der Gründe; [X.] 5. Juli 2018 - [X.]/17 - Rn. 13; 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - Rn. 4; 30. März 2005 - [X.] - zu II 2 b bb der Gründe, [X.]Z 162, 373; 18. Juli 2000 - [X.] - zu II 1 der Gründe [X.]). Die entsprechende Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO ist bei einer Vorlage an den Gerichtshof durch eine gleichartige Interessenlage gerechtfertigt. Die Vorschrift will nach einhelliger Auffassung eine doppelte Prüfung derselben Frage in mehreren Verfahren verhindern. Das dient der Prozesswirtschaftlichkeit und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen ([X.] 20. Mai 2010 - 6 [X.]) - Rn. 9, aaO).

bb) An dieser Rechtsprechung ist auch nach der mit Wirkung zum 1. November 2018 erfolgten Einfügung des § 148 Abs. 2 ZPO festzuhalten. Diese Gesetzesänderung schließt entgegen der Ansicht des [X.] eine entsprechende Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO nicht aus.

(1) § 148 Abs. 2 ZPO bezieht sich nur auf Musterfeststellungsverfahren und hat damit einen anderen Regelungsbereich als § 148 Abs. 1 ZPO. Mit § 148 Abs. 2 ZPO wurde lediglich eine zusätzliche Aussetzungsmöglichkeit geschaffen. Dies zeigt schon die Verwendung der Konjunktion „ferner“ (Nordholtz/[X.], 251). Die damit zum Ausdruck gebrachte Eigenständigkeit entspricht der gesetzgeberischen Zielsetzung. § 148 Abs. 2 ZPO trägt dem Umstand Rechnung, dass Unternehmer ihre Ansprüche nicht in das Klageregister eines Musterfeststellungsverfahrens eintragen lassen können. Um ihnen zumindest die Möglichkeit zu eröffnen, von dem Ausgang eines Musterfeststellungsverfahrens zu profitieren, sollen sie durch § 148 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit erhalten, in einem Individualprozess einen Aussetzungsantrag zu stellen (vgl. [X.]. 19/2741 S. 24). Diese Zielsetzung weist keinen [X.]ezug zu § 148 Abs. 1 ZPO auf.

(2) Die Frage, ob die bisherige Rechtsprechung zur Durchführung von „Pilotverfahren“ außerhalb des Anwendungsbereichs von § 148 ZPO (vgl. hierzu [X.] 12. Februar 2015 - III [X.]/14 - Rn. 33, [X.]Z 204, 184) nach Einfügung des § 148 Abs. 2 ZPO noch fortzuführen ist, bedarf hier keiner Entscheidung (ablehnend [X.]/[X.] ZPO 33. Aufl. § 148 Rn. 11; vgl. auch [X.] 16. August 2018 - 4 W 34/18 - zu II 2 d der Gründe).

cc) Demnach kommt auch bei Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.] in einem Parallelverfahren eine Aussetzung der Verhandlung in entsprechender Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO in [X.]etracht.

(1) In dieser prozessualen Konstellation werden wie bei einer Vorlage an den Gerichtshof oder einem Normenkontrollverfahren streitentscheidende Rechtsfragen durch ein höherrangiges Gericht geklärt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Vorlagen an den Gerichtshof und Normenkontrollverfahren durch ein Fachgericht eingeleitet werden. Demgegenüber wird die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.] als außerordentlicher Rechtsbehelf durch die unterlegene [X.] eingelegt. Schon deshalb kommt eine gleichsam automatische Aussetzung der Verhandlung in Parallelverfahren nicht in [X.]etracht. Anderenfalls könnte die unterlegene [X.] durch die bloße Einlegung der Verfassungsbeschwerde in einem durch die [X.] bereits letztinstanzlich entschiedenen Verfahren die Aussetzung in zahlreichen Parallelverfahren herbeiführen. Eine solche Wirkung kann der Verfassungsbeschwerde, die die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt ([X.] 18. Januar 1996 - 1 [X.]vR 2116/94 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 93, 381; [X.]/[X.] [X.] Stand August 2018 Art. 93 Rn. 332), nicht beigemessen werden (vgl. auch zu [X.] gegen Zwischenentscheidungen [X.] 5. Juli 2018 - [X.]/17 - Rn. 14).

(2) Andererseits kann bei parallel gelagerten Fällen eine einzelne Verfassungsbeschwerde ausreichen, um eine umfassende Klärung der verfassungsrechtlichen Fragen durch das [X.] zu ermöglichen. Das ist der Fall, wenn weitere zu erwartende [X.] nicht zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage für das [X.] führen und das [X.] nicht beschleunigen würden (vgl. zum Vorlageverfahren [X.] 20. Mai 2010 - 6 [X.]) - Rn. 10, [X.]E 134, 307). Zahlreiche weitere [X.] in Parallelverfahren würden im Gegenteil nur zu einer unnötigen [X.]elastung des [X.]s führen und könnten im Extremfall die Funktionsfähigkeit des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde, das auch dem Ziel dient, das objektive Verfassungsrecht zu wahren, auszulegen und fortzubilden ([X.] 13. April 2010 - 1 [X.]vR 216/07 - Rn. 35, [X.]E 126, 1), gefährden (zum Gedanken der Schonung der Ressourcen des höherrangigen Gerichts vgl. [X.] 24. Januar 2012 - [X.]/11 - Rn. 9).

(3) In diesem Spannungsfeld ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO nur möglich, wenn in Abwägung zwischen der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen und dem [X.]eschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 Arb[X.] eine Aussetzung unter [X.]erücksichtigung der Interessen beider [X.]en angemessen erscheint. Dies ist bei der nach § 148 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Ermessenausübung anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. [X.] 16. April 2014 - 10 AZ[X.] 6/14 - Rn. 5). Zur Vermeidung einer überlangen Verfahrensdauer bedarf es einer Einschätzung der Gesamtdauer des Verfahrens (vgl. [X.] 5. August 2013 - 1 [X.]vR 2965/10 - Rn. 20; 2. Dezember 2011 - 1 [X.]vR 314/11 - Rn. 7; 22. September 2008 - 1 [X.]vR 1707/08 - Rn. 20). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist stets im Lichte der aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 [X.] und Art. 19 Abs. 4 [X.] sowie Art. 6 Abs. 1 [X.] folgenden Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener [X.] zum Abschluss zu bringen, zu beurteilen ([X.] 13. Februar 2014 - III [X.] - Rn. 27 [X.]). Der [X.] gibt dabei allerdings ebenso wenig wie das [X.] feste Fristen vor, sondern stellt auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ab ([X.] 13. Dezember 2017 - 5 [X.] 84/17 - Rn. 6).

dd) Ausgehend von diesen Grundsätzen erscheint hier eine Aussetzung der Verhandlung bis zum 31. März 2022 angemessen.

(1) Wird § 148 Abs. 1 ZPO entsprechend angewendet, kommt auch eine befristete Aussetzung der Verhandlung in [X.]etracht (vgl. [X.] 9. Juli 2008 - 5 [X.] - Rn. 23). Die Ermessensausübung bezieht sich nicht nur auf die Aussetzung als solche, sondern auch auf ihre Dauer. Dies ergibt sich schon aus § 150 ZPO, wonach das Gericht die Anordnung einer Aussetzung jederzeit wieder aufheben kann. Erst recht kann es die Aussetzung von vornherein nur auf eine begrenzte Dauer festsetzen, wenn dies der prozessualen Situation entspricht.

(2) Hier ist eine Aussetzung der Verhandlung bis zum 31. März 2022 angebracht. Zur Vermeidung der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist es angesichts der identischen Rechtsfragen für beide [X.]en sinnvoll, die Entscheidung des [X.]s über die anhängigen [X.] abzuwarten. Nach weiteren Entscheidungen des [X.]s zu erwartende [X.] würden nicht zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage für das [X.] führen und das [X.] nicht beschleunigen. Eine Aussetzung der Verhandlung ohne zeitlichen Rahmen wäre mit dem arbeitsgerichtlichen [X.]eschleunigungsgrundsatz jedoch schwerlich zu vereinbaren. Der [X.] hält eine Aussetzung der Verhandlung bis zum 31. März 2022 für angemessen. Es darf davon ausgegangen werden, dass das [X.] bis dahin über die Annahme der [X.] entschieden haben wird (§ 93a [X.]G). Dieser befristeten Aussetzung stehen gewichtige Interessen des [X.] nicht entgegen. Eine Weiterbeschäftigung als Pilot kommt bei dem [X.]n wegen der Einstellung des Flugbetriebs ohnehin nicht in [X.]etracht, etwaige [X.] wären wegen der Masseunzulänglichkeit des Insolvenzverfahrens schwerlich in nennenswerter Höhe zu realisieren. Zudem haben die Prozessbevollmächtigten des [X.]n in der Verhandlung vor dem [X.] erklärt, dass gegenüber dem vormaligen [X.] der Schuldnerin zwischenzeitlich Folgekündigungen erklärt wurden.

c) Das erforderliche rechtliche Gehör ist den [X.]en mit Schreiben vom 14. Juli 2020 und in der mündlichen Verhandlung gewährt worden.

        

    Spelge    

        

    Heinkel    

        

    Krumbiegel    

        

        

        

    C. Klar    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 136/19 (A)

10.09.2020

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 17. April 2018, Az: 6 Ca 6859/17, Urteil

§ 148 Abs 1 ZPO, § 9 Abs 1 ArbGG, Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, Art 267 Abs 3 AEUV, § 17 Abs 1 KSchG, § 17 Abs 3 KSchG, Art 16 EUGrdRCh, § 134 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.09.2020, Az. 6 AZR 136/19 (A) (REWIS RS 2020, 489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 489


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 6 AZR 136/19 (A)

Bundesarbeitsgericht, 6 AZR 136/19 (A), 10.09.2020.


Az. 6 Ca 6859/17

Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 Ca 6859/17, 17.04.2018.


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