Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.11.2015, Az. 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2015, 2879

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Rechtssatzverfassungsbeschwerde einer niederländischen Versandapotheke gegen § 78 Abs 1 S 4 AMG (juris: AMG 1976) - Verletzung einer unionsrechtlichen Notifizierungspflicht (hier: gem Art 11 EWGRL 105/89) führt nicht zur Nichtigkeit nationaler Regelungen - ausländische juristische Person kann Eingriff in Berufsfreiheit jedenfalls über Art 2 Abs 1 GG geltend machen - hier: Unzulässigkeit mangels hinreichender Substantiierung der Verfassungsbeschwerde - zudem wohl keine Verfassungsverletzung


Tenor

1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen die Vereinbarkeit der Preisregulierung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] (im Folgenden: [X.]) mit dem Grundgesetz sowie unionsrechtlichen Bestimmungen.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin und Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (im Folgenden: Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft [X.] Rechts und betreibt eine Vollsortimentapotheke, die Arzneimittel hauptsächlich auf Bestellung über Fernkommunikationsmittel (Post, Telefon, [X.]) per Kurierdienst an Kunden liefert. Bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel gewährt sie [X.] Kunden sogenannte Boni. Die Beschwerdeführerin macht sich insoweit zunutze, dass sie in [X.] nur Höchstpreise zu beachten hat, wohingegen sich der Abgabepreis bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in [X.] nach der Arzneimittelpreisverordnung richtet.

3

Ermächtigungsgrundlage der Arzneimittelpreisverordnung ist § 78 Abs. 1 [X.]. Dieser wurde mit Wirkung vom 26. Oktober 2012 durch Art. 1 Nr. 62 des [X.] zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 ([X.]) um einen weiteren, vierten Satz ergänzt, der bestimmt, dass die auf der Grundlage von Satz 1 erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für Arzneimittel gilt, die gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1a in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden. § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a [X.] betrifft den Versand eines Arzneimittels an den Endverbraucher von einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] oder einem anderen Verkehrsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum.

4

Die Beschwerdeführerin hat mit [X.] vom 6. Dezember 2012 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und mit [X.] vom 28. Januar 2013 Verfassungsbeschwerde erhoben.

5

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich die Beschwerdeführerin gegen das Inkrafttreten von § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.]. Sie rügt eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 [X.] sowie der Art. 70 ff. [X.] und Art. 76 ff. [X.] durch die Missachtung von Unionsrecht. § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] tauge nicht als Grundlage einer Freiheitsbeschränkung, da das [X.] und anderer Vorschriften formell und materiell verfassungswidrig sei. Die Regelung sei formell verfassungswidrig, weil [X.] verpflichtet gewesen sei, die Änderung des § 78 [X.] bei der [X.] zu notifizieren. Dieser, sich aus Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme ([X.] vom 11. Februar 1989, [X.] 8-11) sowie aus Art. 117 AEUV ergebenden Pflicht, sei die [X.]republik [X.] nicht nachgekommen. § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] sei aber auch aus materiellen Gründen verfassungswidrig, weil er gegen die [X.] (Art. 34 AEUV) verstoße, also nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sei und deshalb keine zulässige Beschränkung der Berufsfreiheit darstellen könne.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerf[X.]); die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerf[X.]). Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerf[X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerf[X.]), weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 108, 129 <136>).

7

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

8

a) Offen bleiben kann, ob sich die Beschwerdeführerin als ausländische juristische Person auf Art. 12 Abs. 1 [X.] berufen kann.

9

aa) Nach Art. 19 Abs. 3 [X.] gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Aufgrund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und des allgemeinen Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) gilt dies auch für juristische Personen aus anderen Mitgliedstaaten der [X.] (vgl. [X.] 129, 78 <94 ff.>).

bb) In der Sache ist die wesensmäßige Anwendbarkeit auf juristische Personen mit Blick auf die von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügte Berufsfreiheit ebenso zu bejahen wie mit Blick auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] 10, 89 <99>; stRspr). Für juristische Personen, die wie die Beschwerdeführerin ihren Sitz nicht in [X.] haben, ist eine Berufung auf Art. 12 Abs. 1 [X.] allerdings zweifelhaft, da dieser nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für [X.] gilt (vgl. [X.] 78, 179 <196>; 104, 337 <346>; offen [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2157/07 -, juris, Rn. 21). Eine unionsrechtskonforme Auslegung - ungeachtet einer ebenfalls in Betracht zu ziehenden Nichtanwendbarkeit der Beschränkung des Grundrechts auf [X.] - des Art. 12 Abs. 1 [X.] könnte zu einer Auslegung contra legem führen (vgl. nur [X.], Urteil vom 15. Januar 2014, [X.], [X.]/12, Rn. 39 m.w.N.). Denn es würde die [X.] übersteigen, wollte man das Bürgerrecht des Art. 12 Abs. 1 [X.] auch auf Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten ausweiten (vgl. [X.], [X.], [X.] 750 <758>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], Art. 2 Abs. 1 Rn. 35 ; Lücke, [X.] 2001, [X.] 112 ff.; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], [X.], 2002, Art. 2 I Rn. 276; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], Art. 12 Rn. 105 ; [X.], Staatsrecht, [X.], 2006, § 111 III. 2., [X.] 1830 f.; [X.], in: [X.] Kommentar, [X.], Art. 2 Abs. 1, Rn. 99 ; [X.], in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2010, Art. 12 Abs. 1 Rn. 266 f., 272; Kämmerer, in: von [X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2012, Art. 12 Rn. 10; Dreier, in: [X.]., [X.], [X.], 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 115 f., Art. 2 I Rn. 17, Art. 12 Rn. 58; [X.], Grundrechte, 6. Aufl. 2014, Rn. [X.], in: [X.], [X.], 7. Aufl. 2014, Art. 12 Rn. 33 f.; an[X.] [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2010, § 170 Rn. 43; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], Art. 12 Rn. 37 <1. März 2015>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl. 2014, Art. 12 Rn. 12; [X.]/[X.], Grundrechte, 4. Aufl. 2014, § 11 Rn. 448). Das gilt auch mit Blick auf juristische Personen.

Dies bedeutet freilich nicht, dass die Verfassung juristische Personen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten der [X.] in diesem Bereich ohne Schutz ließe. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts verstieße eine unterschiedliche Behandlung von inländischen und ausländischen juristischen Personen gegen die Grundfreiheiten des Binnenmarktes (Art. 26 Abs. 2 AEUV) und das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV. Es reicht daher nicht aus, dass Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten und ihnen gleichgestellte juristische Personen [X.]n beziehungsweise inländischen juristischen Personen einfachgesetzlich gleichgestellt sind, ihre Rechte aber gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a [X.] nicht auch mit Hilfe des [X.] durchsetzen können (vgl. [X.] 129, 78 <97 f.>; [X.], in: [X.] Kommentar, [X.], Art. 2 Abs. 1, Rn. 99 ; [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2011, § 198 Rn. 30; entgegen [X.], AöR 123 <1998>, [X.] 541 <560 ff., 574>; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], Art. 2 Abs. 1 Rn. 35 ; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], [X.], 2002, Art. 2 I Rn. 277; [X.], Staatsrecht, [X.], 2006, § 104 IV. 3., [X.] 945; [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2009, § 168 Rn. 50; [X.], in: [X.]/[X.], Grundrechte, 2010, Art. 12 Rn. 59; [X.], in: [X.], [X.], 7. Aufl. 2014, Vor Art. 1 Rn. 73). Vielmehr muss diesen jedenfalls im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des Art. 2 Abs. 1 [X.] [X.]elbe Schutz gewährleistet werden, der [X.]n durch Art. 12 Abs. 1 [X.] zukommt (vgl. [X.]/[X.], [X.] 1995, [X.] 1077 <1083>; [X.], [X.], [X.] 750 <758 f.>; [X.], Staatsrecht, [X.], 2006, § 111 III. 2., [X.] 1830 f.; [X.], in: [X.] Kommentar, [X.], Art. 2 Abs. 1, Rn. 99 ; [X.], in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2010, Art. 12 Abs. 1 Rn. 266 f., 272; [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2011, § 198 Rn. 29; [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2011, § 196 Rn. 49; [X.], in: von [X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2012, Art. 2 Rn. 3; Dreier, in: [X.]., [X.], [X.], 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 115 f., Art. 2 I Rn. 17, Art. 12 Rn. 58; [X.], Grundrechte, 6. Aufl. 2014, Rn. 585). Mit dem offenen Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 [X.] ist das vereinbar (entgegen Lücke, [X.] 2001, [X.] 112 <115 f.>).

Vor diesem Hintergrund erscheint es denkbar, das bei inländischen juristischen Personen über Art. 12 Abs. 1 [X.] gewährleistete Schutzniveau bei ausländischen juristischen Personen über das subsidiär anwendbare allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 [X.] sicherzustellen (vgl. [X.] 35, 382 <399>; 49, 168 <180>; 78, 179 <196 f.>; 104, 337 <346>; ebenso [X.]/[X.], [X.] 1995, [X.] 1077 <1081 ff.>; [X.], [X.], [X.] 750 <758>; Heintzen, in: [X.]/Papier, HGRe, [X.], 2006, § 50 Rn. 46; [X.], Staatsrecht, [X.], 2006, § 111 III. 2., [X.] 1830 f.; [X.], in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], [X.], [X.], 6. Aufl. 2010, Art. 12 Abs. 1 Rn. 266 f., 272; [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2011, § 196 Rn. 49; Dreier, in: [X.]., [X.], [X.], 3. Aufl. 2013, Vorb. Rn. 115 f., Art. 2 I Rn. 17, Art. 12 Rn. 58; [X.], Grundrechte, 6. Aufl. 2014, Rn. 585). Dessen Verletzung könnte die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen.

b) Die Beschwerdeführerin hat allerdings die von ihr behauptete Verletzung ihrer Rechte nicht substantiiert dargelegt (§ 23 Abs. 1 Satz 2 BVerf[X.], § 92 BVerf[X.]).

aa) Eine substantiierte Begründung erfordert, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung seiner Grundrechte oder grundrechtsähnlichen Rechte hinreichend deutlich aufzeigt (vgl. [X.] 6, 132 <134>; 89, 155 <171>; 108, 370 <386 f.>). [X.] er eine Grundrechtsverletzung in einer Fallgestaltung, zu der einschlägige Rechtsprechung des [X.] vorliegt, muss er sich mit dieser auseinan[X.]etzen, um in seinem Fall die Möglichkeit eines Grundrechtsverstoßes ausreichend darzutun (vgl. [X.] 101, 331 <346>; 130, 76 <110>).

bb) In der Beschwerdeschrift findet eine nähere Auseinan[X.]etzung mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Einschränkung der Grundrechte nicht statt. Zwar können die Grundrechte nur durch solche Normen eingeschränkt werden, die formell und materiell verfassungsgemäß sind (vgl. nur [X.] 6, 32 <37 ff.>; 96, 10 <21>; 121, 317 <369>; 130, 131 <142>). Insofern sind auch die Regelungen der Art. 70 ff. und Art. 76 ff. [X.] zu beachten. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung einer Notifizierungspflicht gegenüber der [X.] gründet sich dagegen nicht auf Verfassungsrecht, insbesondere nicht auf die Art. 70 ff. beziehungsweise Art. 76 ff. [X.] und hätte - da dem Unionsrecht kein Geltungsvorrang vor nationalem Recht zukommt - nicht die Nichtigkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] zur Folge. Selbst wenn man einen derartigen Verstoß unterstellt, bliebe die Norm ein den Grundrechtsvorbehalt ausfüllendes Gesetz (vgl. [X.] 31, 145 <174 f.>; 82, 159 <191>; 110, 141 <154 f.>; 115, 276 <299 f.>; stRspr).

Auch auf die Vereinbarkeit der [X.] mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die hierzu bestehende reichhaltige Rechtsprechung (vgl. nur [X.] 17, 232 <238 ff.>; 53, 96 <98>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 1990 - 1 BvR 1418/90, 1 BvR 1442/90 -, juris; Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. September 2002 - 1 BvR 1385/01 -, juris) geht die Verfassungsbeschwerde nicht ein. Dagegen würde der thematisierte Verstoß gegen die [X.] nach Art. 34 AEUV, für sich genommen, nicht zu einem Verstoß gegen materielles Verfassungsrecht führen.

2. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde auch unbegründet ist. Allerdings spricht manches dafür, dass gegen das [X.] und anderer Vorschriften hinsichtlich der Änderung des § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen und dass die mit ihm verbundene Beschränkung von Art. 12 Abs. 1 beziehungsweise Art. 2 Abs. 1 [X.] weder formell noch materiell zu beanstanden ist.

a) [X.] geschützte Interessen können nach ständiger Rechtsprechung des [X.] im Regelfall nur durch Normen eingeschränkt werden, die ihrerseits formell und materiell mit der Verfassung übereinstimmen (vgl. [X.] 6, 32 <37 ff.>; 96, 10 <21>; 121, 317 <369>; 130, 131 <142>; stRspr). Insoweit kann, wer durch eine Norm in seinen Grundrechten beeinträchtigt wird, auch rügen, dass die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten und das Verfahren nicht eingehalten worden sind (vgl. [X.] 6, 32 <41>; 72, 175 <187 ff.>; 95, 193 <214>; stRspr). Ebenfalls kann gerügt werden, dass eine Norm nicht mit den obersten Grundwerten der freiheitlich [X.] Grundordnung in Einklang stehe oder den ungeschriebenen elementaren Verfassungsgrundsätzen und Grundentscheidungen des Grundgesetzes wi[X.]preche (vgl. [X.] 6, 32 <41>; 54, 143 <144>; stRspr).

Dagegen ergeben sich aus dem Unionsrecht keine formellen oder materiellen Anforderungen an nationale Gesetze, deren Verletzung ihre Gültigkeit in Frage stellen könnte. Eine Verletzung von Unionsrecht kann daher grundsätzlich auch nicht mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Da dem Unionsrecht nur ein Anwendungs-, kein Geltungsvorrang vor nationalem Recht zukommt, zieht ein Verstoß gegen Unionsrecht nach [X.] Recht weder ohne weiteres einen Verstoß gegen das Grundgesetz nach sich noch führt er zur Nichtigkeit der nationalen Regelung. [X.] sie den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, bleibt sie ein grundrechtliche Schutzbereiche wirksam beschränkendes Gesetz auch dann, wenn sie gegen Unionsrecht verstößt (vgl. [X.] 31, 145 <174 f.>; 82, 159 <191>; 110, 141 <154 f.>; 115, 276 <299 f.>; stRspr).

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit, der dem [X.] entspringt (vgl. [X.] 123, 267 <346 f.> unter Verweis auf die Präambel und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Zwar verpflichtet der Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl. [X.] 123, 267 <354>; 126, 286 <303>; 129, 124 <172>) [X.] Stellen auch verfassungsrechtlich zur Einhaltung des Unionsrechts (vgl. [X.] 129, 124 <172>). Sie müssen Verstöße gegen das Unionsrecht daher vermeiden, soweit dies im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts möglich ist (vgl. [X.] 127, 293 <334>).

Dies führt jedoch nicht dazu, dass das Unionsrecht selbst zum verfassungsrechtlichen Maßstab würde. Seine Geltung und Anwendung in [X.] beruhen - in Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 1 [X.] - vielmehr auf dem mit dem Zustimmungsgesetz zu den Verträgen erteilten [X.], dem selbst keine Verfassungsqualität zukommt (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 [X.]; vgl. [X.] 22, 293 <296>; 31, 145 <173 f.>; 37, 271 <277 f., 301>; 75, 223 <244>; 89, 155 <190>; 123, 267 <398, 400, 402>; 129, 78 <99>). Dies kann nicht unter Rückgriff auf den Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit überspielt werden (vgl. Kaiser/[X.], Der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der Europarechtsfreundlichkeit, in: [X.]/[X.], Linien der Rechtsprechung des [X.], 2011, [X.] 545 <566>).

b) Nach diesen Maßstäben dürfte § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügen.

Das [X.] und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 ist kompetenzgemäß und verfahrensgerecht erlassen worden. Die Gesetzgebungskompetenz des [X.] ergibt sich aus Art. 74 Nr. 19 [X.]. Die Verfahrensvorschriften der Art. 76 bis Art. 78 [X.] sind eingehalten. Der [X.]tag hat das Gesetz beschlossen, der [X.]rat ihm gemäß Art. 78 [X.] zugestimmt. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung einer Notifizierungspflicht gründet sich auf Unionsrecht und hat für die formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes keine Bedeutung.

An der materiellen Vereinbarkeit des § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] mit dem Grundgesetz dürften ebenfalls keine Zweifel bestehen. Das [X.]verfassungsgericht hat in der Preisregulierung durch die seit dem 1. Januar 1978 geltende Arzneimittelpreisverordnung keinen Verfassungsverstoß gesehen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Dezember 1990 - 1 BvR 1418/90, 1 BvR 1442/90 -, juris, Rn. 10 ff.; Beschluss der [X.] des [X.] vom 19. September 2002 - 1 BvR 1385/01 -, juris, Rn. 23 f.; hierzu [X.], [X.], 4. Aufl. 2014, § 78 Rn. 3; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 1. Aufl. 2012, § 78 Rn. 28; [X.], APR 2008, [X.] 10 <13>). Auch hat es festgestellt, dass eine geordnete Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln die vorrangige Aufgabe des Apothekers ist, hinter der das Streben nach Gewinn zurückzutreten hat (vgl. [X.] 17, 232 <238 ff.>; 53, 96 <98>). Warum sich für die mit § 78 Abs. 1 Satz 4 [X.] bewirkte ausdrückliche Erstreckung der Arzneimittelpreisverordnung auf Arzneimittel, die erst in den Geltungsbereich des Grundgesetzes verbracht werden, insoweit eine andere verfassungsrechtliche Bewertung ergeben sollte, ist nicht ersichtlich. Ob dies auch für die unionsrechtliche Bewertung unter dem Blickwinkel von Art. 34 AEUV gilt, ist für das vorliegende Verfahren hingegen ohne Belang.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerf[X.] abgesehen.

III.

Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12

04.11.2015

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvQ

Art 2 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, Art 23 Abs 1 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 18 Abs 1 AEUV, Art 26 Abs 2 AEUV, Art 34 AEUV, § 73 Abs 1 S 1 Nr 1a AMG 1976, § 78 Abs 1 S 4 AMG 1976 vom 19.10.2012, AMPreisV, Art 1 Nr 62 AMRuaÄndG 2, Art 11 Abs 2 S 2 EWGRL 105/89

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.11.2015, Az. 2 BvR 282/13, 2 BvQ 56/12 (REWIS RS 2015, 2879)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 2879

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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