Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.08.2020, Az. 1 StR 474/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 844

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Gegenstand

Versuchter Verdeckungsmord durch Unterlassen nach Medikamentenverwechslung bei einem Palliativpatienten durch eine Pflegekraft: Würdigung eines möglichen Motivbündels und des tatbeherrschenden Ziels


Leitsatz

Zum versuchten Verdeckungsmord durch Unterlassen nach Medikamentenverwechslung bei einem Palliativpatienten durch Pflegekräfte.

Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Mai 2019 – unter Erstreckung auf die Mitangeklagten D.     und P.     – mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

A.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.

3

Die Angeklagte ist staatlich geprüfte Altenpflegerin und war als Wohnbereichsleiterin im Alten- und Pflegeheim S.           in M.        tätig. Dort war sie unter anderem für die Pflege des [X.] geborenen Palliativpatienten und Geschädigten A.            zuständig.

4

Der Geschädigte befand sich seit dem 12. November 2015 in vollstationärer Unterbringung im Wohnbereich des [X.]. Nach einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt kehrte der schwerstkranke und schwerstpflegebedürftige Geschädigte, der unter unheilbaren Beschwerden litt, auf seinen Wunsch am 20. April 2016 in das Pflegeheim zurück. Bei dem Geschädigten bestand unter anderem eine dekompensierte schwerste Herzinsuffizienz, ein fortgeschrittenes Karzinom der Schilddrüse mit diffuser Knochenmetastasierung, eine Nierenschädigung mit Nierenmetastasen, eine Stauungspneumonie mit erheblicher Schädigung der Lunge sowie schwersten Einschränkungen des Bewegungsapparates. Er wurde zumindest für die [X.] nach dem Krankenhausaufenthalt – im Einklang mit seiner Patientenverfügung vom 11. Juli 2013 – palliativmedizinisch versorgt mit [X.], unter anderem Morphium, und befand sich in der „Terminalphase seiner Erkrankung“.

5

Am 7. Mai 2016 erhielt der Geschädigte im Rahmen der [X.] gegen 11.30 Uhr versehentlich die Medikamente, die für die Mitpatientin [X.]bestimmt waren, darunter das blutdrucksenkende Mittel „Valsartan“. Die Gabe dieses Medikaments konnte den kritischen Zustand des Geschädigten verstärken und lebensbedrohliche Komplikationen dadurch herbeiführen, dass ein Blutdruckabfall die ohnehin eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Nieren weiter beeinträchtigen sowie bei der bestehenden Herzinsuffizienz den Eintritt eines Herzinfarktes begünstigen konnte.

6

Die Angeklagte hatte zu dieser [X.] gemeinsam mit der nicht revidierenden Mitangeklagten [X.], wobei ihr die Funktion der Schichtleiterin zukam. Sie hatte die Medikamente entgegen dem damaligen Sicherheitsstandard und den hausinternen Anweisungen nicht in dem beschrifteten Dispenser belassen, sondern in kleine Becher umgefüllt. Die Mitangeklagte [X.]  stellte die Becher in Anwesenheit der Angeklagten jeweils auf das [X.]. Wer von beiden letztlich die Medikamente verwechselte, konnte das [X.] nicht klären. Die Verwechslung wurde dadurch bemerkt, dass die Patientin [X.]  die Angeklagte alsbald nach der [X.] darauf hinwies, dass sie die falschen Medikamente erhalten habe. Der Geschädigte hatte die Medikamente zu diesem [X.]punkt bereits eingenommen.

7

Der Angeklagten und der Mitangeklagten [X.]war bewusst, dass sie bei einer Medikamentenverwechslung sofort einen Arzt hätten informieren müssen, damit dieser gegebenenfalls Gegenmaßnahmen in die Wege hätte leiten können. Sie unterließen jedoch die Benachrichtigung eines Arztes. Bei der [X.] gegen 13.30 Uhr unterrichtete die Angeklagte den nicht revidierenden weiteren Mitangeklagten [X.]    über die Medikamentenverwechslung. Die Frage des Mitangeklagten [X.]     , ob schon ein Arzt informiert sei, verneinte die Angeklagte und äußerte, dass dies nicht nötig sei; man solle zunächst abwarten und er solle öfter nach dem Gesundheitszustand des Geschädigten sehen. Nach einem weiteren Gespräch zwischen der Angeklagten und dem Mitangeklagten [X.]     informierte sich dieser selbst über den Gesundheitszustand des Geschädigten und stellte fest, dass der Geschädigte insbesondere an einem auffallend niedrigen Blutdruck litt. In einem anschließenden Telefonat mit der Angeklagten berichtete er von dem verschlechterten Zustand und über seine Pflicht, jetzt einen Arzt zu informieren. Die Angeklagte entgegnete: „Spinnst du, die sperren [X.] ein“ und bemerkte zudem, sie hoffe, dass der Geschädigte endlich sterben könne. Gegen 15.21 Uhr informierte der Mitangeklagte [X.]    die spezialisierte ambulante Palliativversorgung und berichtete der Krankenschwester über die Zustandsverschlechterung des Patienten, ohne die Medikamentenverwechslung zu erwähnen.

8

Am 9. Mai 2016 unterrichtete der Mitangeklagte [X.]     eine Arztpraxis über den schlechten Gesundheitszustand des Geschädigten. Bei der nachfolgenden Untersuchung erfolgte wiederum kein Hinweis auf die Falschmedikation. Erst am 11. Mai 2016 informierte der Mitangeklagte [X.]     den zuständigen Hausarzt   T.    bei einem Besuch über die Medikamentenverwechslung.   T.       entschied aufgrund des schlechten Zustands des Geschädigten, diesem lediglich eine Palliativversorgung – vor allem mit schmerzlindernden Medikamenten – zukommen zu lassen. Der Geschädigte verstarb am 14. Mai 2016.

9

Die Todesursache konnte im Nachhinein nicht geklärt werden, da der Leichnam des Geschädigten bereits verbrannt war. [X.] Todesursache ist aufgrund der Vorerkrankungen und der Krankheitssymptome in der [X.] vom 7. bis 14. Mai 2016 ein Nieren- oder Herzversagen aufgrund eines am 9. Mai 2016 erlittenen Herzinfarkts. Naheliegend ist, dass die am 7. Mai 2016 fehlerhaft verabreichten Medikamente maßgeblichen Einfluss auf den Todeseintritt hatten, wobei eine derartige Kausalität nicht nachgewiesen werden konnte.

II.

Das [X.] hat eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen versuchten Mordes durch Unterlassen angenommen. Die Angeklagte habe – wie ihr bewusst gewesen sei – keine Kenntnis davon gehabt, welche konkreten Wirkungen und Nebenwirkungen die falschen Medikamente auf den Gesundheitszustand des Geschädigten entfalten konnten. Sie habe seit Kenntniserlangung von der Medikamentenverwechslung jedoch damit gerechnet, dass diese den Tod beschleunigen oder gar verursachen könnte und der Tod möglicherweise nur durch schnelle, ärztlich eingeleitete Gegenmaßnahmen zu verhindern wäre. Die Angeklagte habe einen tödlichen Verlauf billigend in Kauf genommen, um die Fehlmedikation, die zudem pflichtwidrig nicht in der Krankenakte des Geschädigten dokumentiert wurde, zu vertuschen.

B.

I.

Da die Revision mit der Sachrüge vollumfänglich Erfolg hat, kommt es auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge nicht an.

II.

Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes durch Unterlassen hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Bereits die Annahme des [X.]s, die Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) [X.] Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. [X.], Urteile vom 18. Juni 2020 – 4 [X.] Rn. 22 und vom 18. Oktober 2007 – 3 [X.] Rn. 11, jeweils mwN).

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des [X.] auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht. Bei der Gesamtwürdigung hat das Tatgericht auch die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. insgesamt [X.], Urteile vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 19 mwN und vom 26. November 2014 – 2 StR 54/14 Rn. 20 f.; Beschluss vom 27. August 2013 – 2 [X.] Rn. 11).

b) Diese Grundsätze gelten sowohl für Begehungsdelikte als auch für Unterlassungstaten (vgl. LK-StGB/[X.], 13. Aufl., § 13 Rn. 73; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 13 Rn. 37 mwN). Gegenstand des Vorsatzes müssen bei Unterlassungen neben der Untätigkeit die physisch-reale Handlungsmöglichkeit, der Eintritt des Erfolges, die [X.] sowie die die objektive Zurechnung begründenden Umstände sein (vgl. [X.]/[X.], 4. Aufl., § 13 Rn. 38). Hinsichtlich der hypothetischen Kausalität genügt bedingter Vorsatz dahingehend, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, sein Eingreifen könne den Erfolg abwenden (vgl. [X.], Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 [X.], [X.]St 32, 367, 370; vom 16. Februar 2000 – 2 StR 582/99 Rn. 18 f. und vom 11. April 2001 – 3 [X.], [X.]St 46, 373, 379; implizit auch Urteil vom 6. Mai 1960 – 4 [X.], [X.]St 14, 282, 284; Beschlüsse vom 3. Mai 1984 – 4 StR 266/84 Rn. 4 und vom 13. Juni 2002 – 4 [X.] Rn. 6; [X.], Strafrecht, Allgemeiner Teil II, 2003, § 31 Rn. 186; [X.], StGB, 67. Aufl., § 13 Rn. 87; LK-StGB/[X.], 13. Aufl., § 13 Rn. 73; [X.]/[X.], 4. Aufl., § 13 Rn. 38).

c) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beweiswürdigung der [X.] zur Frage einer bedingt vorsätzlichen Tötung rechtsfehlerhaft. Die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist oder mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise näher liegend gewesen wäre (vgl. [X.], Urteile vom 31. Oktober 2019 – 1 [X.] Rn. 49 und vom 16. August 2012 – 3 [X.] Rn. 6).

d) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, da sich das [X.] nicht hinreichend mit den für die Feststellung eines bedingten Vorsatzes der Angeklagten wesentlichen Umständen auseinandergesetzt hat.

aa) Hinsichtlich des Wissenselements des bedingten Vorsatzes hat das [X.] allerdings ohne Rechtsfehler maßgeblich darauf abgestellt, dass die Angeklagte wusste, dass es sich um einen schwerstkranken Patienten handelte. Die Angeklagte sei eine äußerst erfahrene Pflegekraft, der sich – auch in dem Bewusstsein, dass sie mangels medizinischer Kenntnisse die Gefahr im Konkreten nicht zutreffend erfassen konnte – die abstrakte Gefahrenlage für das Leben des Patienten durch die Medikamentenverwechslung geradezu aufdrängen musste. Soweit der [X.] die Beweiswürdigung des [X.]s zum Wissenselement des bedingten Vorsatzes beanstandet, nimmt er letztlich eine eigene Beweiswürdigung unter abweichender Gewichtung der Beweisumstände vor, die revisionsrechtlich unbehelflich ist. Die [X.] hat den Umstand gesehen, dass die Standardmedikation des Geschädigten bereits blutdrucksenkende Mittel umfasste, da es ausgeführt hat, dass nach den Angaben der toxikologischen Sachverständigen die blutdrucksenkende Wirkung des Medikaments „Valsartan“ im Zusammenwirken mit der Standardmedikation deutlich verstärkt worden sei ([X.]). Ausgehend von dem äußerst kritischen Gesundheitszustand des Geschädigten („Terminalphase seiner Erkrankung“, [X.]) konnte das [X.] aufgrund der Gabe der nicht indizierten Medikamente ohne Rechtsfehler annehmen, dass die Angeklagte als sehr erfahrene Pflegekraft mit einem möglichen Todeseintritt rechnete.

bb) Zu Recht hat das [X.] in diesem Zusammenhang nicht auf die Maßstäbe abgehoben, die der 5. Strafsenat des [X.] in seiner Entscheidung zum sog. [X.] aufgestellt hat. Der 5. Strafsenat hat in dieser Entscheidung für die Konstellation der hypothetischen Kausalität – hinsichtlich des Wissenselements des Vorsatzes – verlangt, dass dem Täter bewusst sein muss, dass der ([X.] mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde ([X.], Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 20/16, [X.]St 62, 223 Rn. 55). Mit diesen Anforderungen formuliert der 5. Strafsenat im Ergebnis eine Änderung der Rechtsprechung zum Vorsatz in allen Fällen, in denen – wie bei pflichtwidrigem Unterlassen oder einem Eingriff in einen rettenden Kausalverlauf – bei der rechtlichen Bewertung ein hypothetischer Kausalverlauf an die Stelle einer durch [X.] tatsächlich in Gang gesetzten Kausalkette tritt. Die Verengung des Vorsatzes auf sicheres Wissen über hypothetische Kausalverläufe bedeutet eine grundlegende Abkehr von der bisher geltenden Dogmatik insbesondere in Unterlassungsfällen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 57, 65 f.; [X.], [X.], 707, 708). Insoweit reicht nach der bisherigen Rechtsprechung bei dem Versuch eines Totschlags nach § 212 StGB bei einer Tatbegehung durch [X.] ebenso wie durch Unterlassen aus, dass der Täter den Eintritt des Todes nur für möglich hält.

Einen Grund für eine Modifikation der Anforderungen an den Vorsatz bei hypothetischen Kausalverläufen und damit auch für eine Differenzierung der [X.] bei [X.] und bei Unterlassen nennt der 5. Strafsenat nicht; ein solcher ist auch nicht erkennbar. Die vom 5. Strafsenat zitierten Entscheidungen stützen nicht seine These, der Vorsatz verlange in Fällen der „[X.]“ ein sicheres Wissen des [X.] dahingehend, dass der ([X.] mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde ([X.], Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 20/16, [X.]St 62, 223 Rn. 55 unter Hinweis auf [X.], Urteil vom 28. Juli 1970 – 1 [X.], [X.] 1971, 361, 362 [bei [X.]] und „wohl auch“ Beschluss vom 6. März 2007 – 3 [X.], [X.], 469; siehe im Einzelnen dazu [X.], [X.], 707 f.; [X.], StGB, 67. Aufl., § 22 Rn. 31a f.). Der 5. Strafsenat vermischt vielmehr Fragen des Vorsatzes mit Fragen des Beweismaßes für die Feststellung der – dem objektiven Tatbestand zuzuordnenden – (hypothetischen) Kausalität (vgl. nur [X.]/[X.], [X.], 57, 65 f.; [X.], [X.] 2016, 384, 395 f.; [X.], StGB, 67. Aufl., § 13 Rn. 87; § 22 Rn. 31a f.; LK-StGB/[X.], 13. Aufl., § 13 Rn. 73; [X.], [X.], 707, 708; [X.], [X.] 2018, 539 ff.).

Da der bedingte Tötungsvorsatz – wie nachfolgend ausgeführt – bereits auf der Grundlage der Definition der bisherigen Rechtsprechung nicht ausreichend begründet ist, bedarf es einer Anfrage bei dem 5. Strafsenat gemäß § 132 GVG nicht.

cc) Die Beweiswürdigung zum Willenselement des bedingten Vorsatzes begegnet rechtlichen Bedenken. Die [X.] hat bei der Gesamtwürdigung nicht berücksichtigt, dass die Angeklagte den Mitangeklagten [X.]    bei der [X.] gegen 13.30 Uhr über die Medikamentenverwechslung unterrichtete und diesen aufforderte, öfter nach dem Gesundheitszustand des Geschädigten zu sehen. Dieser Gesichtspunkt könnte – auch vor dem Hintergrund, dass ein weiterer Mitwisser geschaffen wurde – gegen die billigende Inkaufnahme eines [X.] durch die Angeklagte sprechen. Zudem wäre in den Blick zu nehmen, dass für ein Kaschieren der Medikamentenverwechslung das Eintreten des Todes des Geschädigten nicht erforderlich war, der Angeklagten vielmehr daran gelegen sein konnte, dass der Tod gerade nicht eintritt. Mit diesen vorsatzkritischen Umständen hat sich das [X.] nicht auseinandergesetzt, vielmehr maßgeblich auf das Erkennen der Gefährlichkeit der eingetretenen Situation sowie die – spätere – Äußerung gegenüber dem Mitangeklagten [X.]    , „sie hoffe, dass der Geschädigte endlich sterben könne“ ([X.]) abgehoben. Bei einer Gesamtschau dieser Umstände wird deutlich, dass Anhaltspunkte für eine ambivalente Haltung der Angeklagten zu dem Eintritt des Todes des ihrer Obhut und Pflege anvertrauten Patienten vorliegen könnten, die das [X.] nicht erörtert hat.

2. Auch die Annahme des [X.] der [X.] hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Mordmerkmal der [X.] gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder – im Falle des Unterlassens – die ihm zur Abwendung des [X.] gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine „andere“ Straftat zu verdecken. Dabei schließen sich [X.] und bedingter Tötungsvorsatz nicht grundsätzlich aus. So kommt die Annahme von [X.] im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird, wenn nicht im Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 24. April 2018 – 1 [X.] Rn. 12 mwN). Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des [X.] Mittel der Verdeckung sein soll (vgl. [X.], Beschluss vom 24. April 2018 – 1 [X.] Rn. 12; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 211 Rn. 245 f.). Nach den Feststellungen unterließ es die Angeklagte, einen Arzt herbeizurufen, um die Fehlmedikation zu vertuschen, da sie deshalb arbeitsrechtliche Konsequenzen für sich und die Mitangeklagte [X.]befürchtete. Dabei war ihr bewusst, dass die Medikamentenverwechslung den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfüllt. Demgemäß war das Unterlassen selbst Mittel der Verdeckung, wobei für die Verdeckung der Fehlmedikation und damit der fahrlässigen Körperverletzung der Eintritt des Todes nicht zwingend notwendig war.

b) Allerdings liegt ein Rechtsfehler darin, dass das [X.] andere Beweggründe für das Unterlassen der Angeklagten nicht gesehen und erörtert hat, die der Annahme des [X.] der [X.] entgegenstehen.

Kommen bei der Prüfung der subjektiven Mordmerkmale verschiedene, möglicherweise zusammenwirkende Motive des [X.] in Betracht (sogenanntes Motivbündel), hat das Tatgericht sämtliche wirkmächtigen Elemente in seine Würdigung einzubeziehen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 2004 – 1 [X.] Rn. 16; [X.], StGB, 67. Aufl., § 211 Rn. 68c). In der Rechtsprechung des [X.] ist für den [X.] anerkannt, dass auch die Absicht, durch Tötung eine Entdeckung früherer Straftaten zu vermeiden, mit anderen Beweggründen zusammenfallen kann; sie muss aber für sich gesehen Triebfeder des [X.] sein (vgl. [X.], Urteile vom 6. Oktober 2004 – 1 [X.] Rn. 16; vom 8. Juli 1975 – 5 [X.], [X.] bei [X.] 1976, 15 und vom 8. November 1983 – 5 [X.] Rn. 14).

Das [X.] hat festgestellt, dass die Angeklagte in einem Telefonat am 7. Mai 2016 gegen 15.00 Uhr gegenüber dem Mitangeklagten [X.]     bemerkte, sie hoffe, dass der Geschädigte endlich sterben könne ([X.]). Darin kann ihre – möglicherweise altruistische – Haltung zum Ausdruck kommen, letztlich dem Willen des Geschädigten nachzukommen, der nach den Feststellungen nur noch eine palliativmedizinische Behandlung wünschte. Damit hat die [X.] ein weiteres mögliches Motiv für das Nichtunterrichten eines Arztes von der Fehlmedikation festgestellt. Das [X.] hat dieses Motiv jedoch nicht bei der Prüfung der [X.] erwähnt ([X.]). Vielmehr hat es ausgeführt, dass letztlich keine anderen überzeugenden Motive für das Verhalten der Angeklagten ersichtlich seien. Damit ist die Würdigung des [X.]s hinsichtlich eines möglichen Motivbündels und des tatbeherrschenden Ziels lückenhaft.

3. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zum Tatgeschehen zu ermöglichen.

4. Die [X.] ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die Mitangeklagten [X.]und [X.]    zu erstrecken, die kein Rechtsmittel eingelegt haben. Sie sind von der Gesetzesverletzung ebenso betroffen. Da das [X.] die Annahme eines Tötungsvorsatzes bei diesen Mitangeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung vom Vorliegen des Tötungsvorsatzes bei der Angeklagten ableitet, fehlt den Feststellungen des [X.]s auch insoweit eine tragfähige Beweisgrundlage (vgl. zu diesem [X.] [X.], Beschlüsse vom 15. April 2013 – 3 StR 35/13 Rn. 11 mwN und vom 22. August 2013 – 1 [X.] Rn. 17; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 357 Rn. 5; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 357 Rn. 14).

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Das neue Tatgericht wird den Umstand, dass die Angeklagte nach den Feststellungen die gebotene Handlung auch deshalb unterließ, damit der Geschädigte endlich sterben könne ([X.]), – gegebenenfalls auch unter [X.] – näher in den Blick zu nehmen haben. In diesem Zusammenhang könnte auch die vom [X.] zwar erwähnte, aber nicht näher dargestellte Patientenverfügung des Geschädigten vom 11. Juli 2013 Bedeutung erlangen.

Insoweit wäre allerdings zu bedenken, dass Festlegungen in einer Patientenverfügung oder – bei nicht hinreichendem Situationsbezug der Anordnungen – weitergehend ein Handeln in Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur bei dessen [X.] relevant werden (vgl. MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., [X.]. zu § 211 Rn. 135 ff.). Eine erhalten gebliebene Einwilligungsfähigkeit des Geschädigten liegt hier nach den Feststellungen aber nicht fern, da der Geschädigte, bei dem geistige Einschränkungen durch die Erkrankungen nicht vorlagen, noch am 20. April 2016 selbst entschieden hat, in das Alten- und Pflegeheim zurückzukehren und sich dort palliativ versorgen zu lassen, und überdies noch in der Lage war, die ihm übergebenen Medikamente selbständig zu nehmen.

Nur dann, wenn eine selbstbestimmte Entscheidung des Geschädigten nicht mehr erreichbar gewesen wäre, stellt sich die Frage, ob eine Rechtfertigung nach den Grundsätzen, die der [X.] für einen rechtfertigenden Behandlungsabbruch in Übereinstimmung mit dem (mutmaßlichen) Patientenwillen entwickelt hat (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 [X.], [X.]St 55, 191 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 10. November 2010 – 2 [X.] Rn. 10 ff.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], in StGB, 30. Aufl., [X.]. zu §§ 211 ff. Rn. 28 ff.; [X.]/Knauer/Brose, Medizinrecht, 3. Aufl., § 216 StGB Rn. 6 ff.), für Fälle der Zustandsverschlechterung nach einer Medikamentenverwechslung überhaupt in Betracht kommen kann. Dies ist für solche Situationen, in denen der Betroffene bereits palliativ-medizinisch versorgt wird, zu bejahen, so dass es auf die Festlegungen in der Patientenverfügung ankäme, die grundsätzlich auch das Pflegepersonal binden (vgl. [X.]/Knauer/Brose, Medizinrecht, 3. Aufl., § 216 StGB Rn. 19; [X.]/[X.], [X.], 79. Aufl., § 1901a Rn. 24). Jedenfalls ist der Senat für die hier vorliegende Sachverhaltsgestaltung – unabhängig von der weiteren umstrittenen Frage, ob die Einhaltung des in § 1901a Abs. 1 und 2, § 1901b, § 1904 [X.] vorgesehenen Verfahrens, welches ein bestimmtes Vorgehen zwischen Arzt und Bevollmächtigtem oder Betreuer vorsieht, Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Strafbefreiung ist (vgl. wohl zu Recht ablehnend etwa [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., [X.]. zu §§ 211 ff. Rn. 28j; [X.]/Knauer/Brose, Medizinrecht, 3. Aufl., § 216 StGB Rn. 22 und § 223 StGB Rn. 61 jeweils mwN zum Streitstand; [X.], Beschluss vom 8. Februar 2017 – [X.], NJW 2017, 1737, 1738 Rn. 14 f.; anderer Auffassung [X.], Beschluss vom 10. November 2010 – 2 [X.] Rn. 12; offen gelassen [X.], Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 [X.], [X.]St 55, 191 Rn. 25) – der Auffassung, dass eine Pflegekraft die Entscheidung, dass keine weitere Behandlung stattfindet, nur in Absprache mit einem Arzt, der allein die medizinische Indikation von möglichen Behandlungsmaßnahmen nach der Medikamentenverwechslung zu bestimmen hat, treffen durfte.

Raum     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Hohoff     

      

Leplow     

      

Meta

1 StR 474/19

19.08.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Landshut, 21. Mai 2019, Az: 101 Js 16927/17 Ks

§ 13 Abs 1 StGB, § 22 StGB, § 23 Abs 1 StGB, § 211 Abs 2 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.08.2020, Az. 1 StR 474/19 (REWIS RS 2020, 844)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 844

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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