Bundessozialgericht, Urteil vom 25.06.2015, Az. B 14 AS 17/14 R

14. Senat | REWIS RS 2015, 9079

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Nichtberücksichtigung der Nachzahlung von Asylbewerberleistungen - verfassungskonforme Auslegung


Leitsatz

Existenzsichernde Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind nicht als Einkommen im Rahmen des SGB 2 zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger werden die Urteile des [X.] vom 29. Mai 2013 und des [X.] vom 31. Oktober 2012 sowie der Bescheid des Beklagten vom 3. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2009 aufgehoben.

Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Rechtsstreits in allen Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Aufhebung einer Leistungsbewilligung nach dem [X.] ([X.]) wegen der Nachzahlung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ([X.]).

2

Zuletzt mit Bescheid vom [X.] bewilligte das beklagte Jobcenter den in Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägern zu 1 und 2, einem Ehepaar, und ihren Kindern Sh, geboren am [X.] und Kläger zu 3, B, geboren am 13.11.1993 und Kläger zu 4, sowie E, geboren am 14.2.1997 und Kläger zu 5, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] in Höhe von monatlich 681,22 Euro für September und Oktober 2009 unter Berücksichtigung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des [X.] zu 1. Nachdem die Wohnortgemeinde K der Kläger den [X.]n darüber informiert hatte, dass die Kläger zusammen mit einem weiteren Kind der Kläger zu 1 und 2, das keine Leistungen nach dem [X.] bezog und die zunächst ebenfalls erhobene Klage zwischenzeitlich zurückgenommen hat, eine Nachzahlung von sog [X.] gemäß § 2 Abs 1 [X.] in Höhe von insgesamt 7329,46 Euro erhielten, die im September 2009 ausgezahlt wurde, hob der [X.] die zuvor genannte Bewilligung ab [X.] auf, weil die Hilfebedürftigkeit der Kläger durch die als Einkommen zu berücksichtigende Nachzahlung entfallen sei (Aufhebungsbescheid vom 3.9.2009, Widerspruchsbescheid vom 28.10.2009).

3

Das angerufene Sozialgericht (SG) hat die hiergegen gerichteten Klagen abgewiesen (Urteil vom 31.10.2012). Das [X.] ([X.]) hat die Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom [X.]) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Durch die Nachzahlung der [X.] sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, die dem Bewilligungsbescheid zugrunde gelegen hätten. Denn die [X.] seien als Einkommen nach § 11 [X.] aF zu berücksichtigen und damit sei die Hilfebedürftigkeit der Kläger entfallen. Die Berücksichtigung einer solchen Nachzahlung als Einkommen sei insbesondere nicht durch § 11 Abs 1 Satz 1 [X.] aF ausgeschlossen, weil es sich nicht um "Leistungen nach diesem Buch" handele. Etwas anderes folge nicht aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, zumal das [X.] ([X.]) die Berücksichtigung einer Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe ([X.]) gebilligt habe (Hinweis auf das Urteil des Senats vom [X.] AS 46/08 R). Das Urteil des [X.] hinsichtlich der Bewilligung von Sozialhilfe in gemischten Bedarfsgemeinschaften, wenn der Partner [X.] ([X.]) erhalte ([X.] vom [X.] [X.] 20/09 R - [X.]E 108, 241 = [X.]-3500 § 82 [X.] 8), stehe dem nicht entgegen, weil dieses Urteil nicht eine Nachzahlung, sondern parallel bezogene Sozialleistungen betreffe. Die Nachzahlung habe den Klägern auch als bereite Mittel zur Verfügung gestanden.

4

Mit ihren Revisionen rügen die Kläger die Verletzung von § 11 [X.] aF. Rechtswidrig zunächst vorenthaltene Sozialleistungen dürften bei ihrer durch Rechtsmittel erstrittenen Nachzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Zudem verfolgten [X.], Zwölftes [X.] ([X.]) und [X.] identische Zwecke, sodass eine wechselseitige Anrechnung ausscheide.

5

Die Kläger beantragen,
die Urteile des [X.]s Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 2013 und des [X.] vom 31. Oktober 2012 sowie den Bescheid des [X.]n vom 3. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2009 aufzuheben.

6

Der [X.] beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässigen Revisionen der [X.]läger sind begründet. Die angefochtenen Urteile des [X.] und des [X.] sowie der Aufhebungsbescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sind aufzuheben, weil keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen seit dem letzten Bewilligungsbescheid eingetreten ist. Die Nachzahlung der Leistungen nach dem [X.] im September 2009 an die [X.]läger ist nicht als Einkommen im Rahmen des [X.]B II zu berücksichtigen, sodass kein Grund für eine Aufhebung der ihnen gegenüber erfolgten Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorliegt und es für September und Oktober 2009 bei den bewilligten Leistungen bleibt.

8

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Aufhebungsbescheid vom 3.9.2009 wegen der Aufhebung der zuvor erfolgten Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II sind materiell-rechtlich zur Beurteilung des von den Vorinstanzen angenommenen Zuflusses von zu berücksichtigendem Einkommen § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II in der für die strittige Zeit geltenden Fassung des [X.] für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ([X.] 2954 <[X.]>, im Folgenden [X.]B II aF), weil bei Rechtsstreitigkeiten über Leistungen in schon abgeschlossenen [X.]en auf das für die strittige Zeit geltende Recht abzustellen ist, sowie verfahrensrechtlich insbesondere § 40 Abs 1 [X.]B II aF, § 48 Abs 1 [X.] ([X.]B X).

9

Die Voraussetzungen für eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sind nicht erfüllt, weil die den [X.]lägern zugeflossene Nachzahlung von Leistungen nach dem [X.] nicht als Einkommen nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF zu berücksichtigen ist. Dies kann zwar nicht dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF entnommen werden, dessen Auslegung insofern unergiebig ist (dazu 1.). Gegen eine Berücksichtigung der strittigen Nachzahlung sprechen jedoch der Sinn und Zweck des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF (dazu 2.) sowie systematische und historische Zusammenhänge (dazu 3.). Denn die Leistungen nach dem [X.]B II, dem [X.]B XII und dem [X.] bilden drei nebeneinanderstehende Existenzsicherungssysteme.

1. Nach § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF sind als Einkommen zu berücksichtigen "Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem [X.] …". Mit dieser Formulierung wurde nahezu wörtlich die Regelung des § 76 Abs 1 Satz 1 des bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetzes ([X.]) übernommen. In der Begründung zum Entwurf des [X.]B II (BT-Drucks 15/1516, [X.]) ist nur ausgeführt: "Die Vorschrift regelt die Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie das Sozialhilferecht. Abs 1 entspricht inhaltlich dem Sozialhilferecht." Im [X.]B II in der Fassung der Neubekanntmachung vom 13.5.2011 ([X.] 850, im Folgenden [X.]B II nF) ist diese Regelung ohne inhaltliche Änderung in § 11a Abs 1 [X.] [X.]B II nF verschoben worden.

Nach dem Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF ist eine Nachzahlung von Leistungen nach dem [X.] nicht von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen, weil nur Leistungen "nach diesem Buch", womit das [X.]B II gemeint ist, und Leistungen des [X.] Entschädigungsrechts genannt werden. Hieraus kann jedoch nicht unmittelbar etwas hergeleitet werden, weil es zahlreiche nicht zu berücksichtigende Einnahmen gibt, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen (vgl nur die Auflistung bei [X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, Stand: März 2015, [X.] § 11a Rd[X.] 308 ff). Von diesen ist vorliegend zwar keine einschlägig, sie belegen aber, dass § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF keine abschließende Regelung hinsichtlich des zu berücksichtigenden Einkommens enthält.

2. Gegen eine Berücksichtigung der Nachzahlung nach dem [X.] sprechen Sinn und Zweck des § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF, existenzsichernde Leistungen nicht als Einkommen einsetzen zu müssen.

Durch die Nichtberücksichtigung von "Leistungen nach diesem Buch" will die Vorschrift [X.] vermeiden, weil die Berücksichtigung von Leistungen nach dem [X.]B II bei der Ermittlung von Ansprüchen nach dem [X.]B II vor allem bei einer Bedarfsgemeinschaft mit mehreren Personen und der wechselseitigen Berücksichtigung von Einkommen (vgl § 7 Abs 3, § 9 Abs 2 [X.]B II) keinen Sinn ergeben würde ([X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, [X.] § 11a Rd[X.] 34; Striebinger in Gagel, [X.]B II/[X.]B III, Stand: März 2015, § 11a [X.]B II Rd[X.] 6).

Demgemäß sind Nachzahlungen von Leistungen nach dem [X.]B II, die Anspruchsteller zB im Rahmen eines Gerichtsverfahrens für frühere [X.]e erstritten haben und nun ausgezahlt werden, ebenfalls nicht als Einkommen im laufenden [X.] zu berücksichtigen ([X.] in [X.], [X.]B II, Stand: Mai 2015, § 11a Rd[X.]2; [X.] in Eicher, [X.]B II, 3. Aufl 2014, § 11a Rd[X.] 5). Eine andere Auslegung würde gegen den gesetzlichen Rechtsanspruch auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende verstoßen und die Verpflichtung des Leistungsträgers nach § 17 Abs 1 [X.] [X.] ([X.]B I), darauf hinzuwirken, dass die Berechtigten die ihnen zustehenden Sozialleistungen umfassend und zügig erhalten, in ihr Gegenteil verkehren, weil die zunächst erfolgte rechtswidrige Leistungsverweigerung "belohnt" werden würde; außerdem wäre dies mit dem Gebot einer effektiven Rechtsschutzgewährung nicht vereinbar (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ; vgl zur entsprechenden Rechtslage schon unter dem [X.]: [X.] <[X.]> vom 30.4.1992 - 5 C 12/87 - [X.]E 90, 154, Juris Rd[X.]4; [X.] vom 5.5.1994 - 5 C 43/91 - [X.]E 96, 18, Juris Rd[X.]1; ebenso zur Berücksichtigung von Vermögen, das auf erstrittenen Nachzahlungen beruht: Radüge in JurisP[X.]-[X.]B II, 4. Aufl 2015, § 12 Rd[X.]77; [X.] in [X.], [X.]B XII, 5. Aufl 2014, § 90 Rd[X.] 78 f).

Bestätigt wird diese Auslegung durch die Rechtsprechung zur sog gemischten Bedarfsgemeinschaft, in der die [X.] der einschlägigen Regelungen des [X.]B II deutlich wird (vgl B[X.] vom 16.10.2007 - [X.]/9b [X.] - B[X.]E 99, 131 = [X.] 4-3500 § 28 [X.]; B[X.] vom 15.4.2008 - [X.]/7b [X.]/06 R - [X.] 4-4200 § 9 [X.] 5).

Für solche gemischten Bedarfsgemeinschaften hat der 8. Senat des B[X.] zu der § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF entsprechenden Vorschrift des § 82 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII ausgeführt, dass das [X.] des Partners nach dem [X.]B II bei dem anderen Partner, der Leistungen nach dem [X.]B XII begehrt, nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist. Die beiden korrespondierenden Vorschriften § 11 Abs 1 Satz 1 [X.]B II aF und § 82 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII bezweckten, existenzsichernde Leistungen nicht als Einkommen einsetzen zu müssen. Dies habe der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 82 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII übersehen, sodass die Regelung auf [X.] entsprechend anzuwenden sei. Hierfür spreche außerdem die zwischenzeitliche Regelung des (früheren) Zuschlags zum [X.] nach § 24 [X.]B II aF als nicht zu berücksichtigendes Einkommen in § 82 Abs 1 [X.]B XII, die mittlerweile nur gestrichen worden sei, weil dieser Zuschlag abgeschafft worden sei (B[X.] vom 9.6.2011 - [X.] [X.] 20/09 R - B[X.]E 108, 241 = [X.] 4-3500 § 82 [X.] 8, Rd[X.]6 ff mwN). Dem hat sich die sozialhilferechtliche Literatur angeschlossen ([X.] in [X.], [X.]B II/[X.]B XII/[X.], Stand: Mai 2015, § 82 [X.]B XII Rd[X.] 38; [X.] in JurisP[X.]-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 82 [X.]B XII Rd[X.] 35, der die Entscheidung auf Leistungen nach dem [X.] überträgt).

In der aktuellen Literatur zum [X.]B II sind diese Ausführungen zu Recht auf die Nachfolgevorschrift in § 11a [X.]B II nF übertragen worden, weil jede andere Entscheidung zu nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen führen würde ([X.] in [X.]/[X.], [X.]B II, [X.] § 11a Rd[X.] 59; [X.] in [X.], [X.]B II, Stand: Januar 2015, § 11a Rd[X.]5a; Söhngen in JurisP[X.]-[X.]B II, § 11a Rd[X.]8). Aus den zuvor aufgezeigten Gründen gilt dies - entgegen der Ansicht des [X.] - nicht nur für parallel bezogene Sozialleistungen, sondern ebenso für Nachzahlungen.

3. Für die Nichtberücksichtigung einer Nachzahlung nach dem [X.] als Einkommen nach dem [X.]B II sprechen zudem die systematischen Zusammenhänge zwischen den Leistungen nach dem [X.]B II, dem [X.]B XII und dem [X.]. Denn diese haben sich historisch vor allem aus der umfassenden Regelung des Fürsorgerechts im früheren [X.] entwickelt (dazu a) und haben [X.] im Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (dazu b), dem stehen Differenzierungen hinsichtlich der Leistungshöhe nicht entgegen (dazu c). Durch andere Entscheidungen wird dieses Ergebnis bestätigt (dazu d) und durch Entscheidungen zu anderen Einnahmen, insbesondere der des Senats zur [X.], nicht in Frage gestellt (dazu e).

a) Ursprünglich waren die Leistungen zur Existenzsicherung, die heute nach dem [X.]B II, dem [X.]B XII und dem [X.] beansprucht werden können, im [X.] als umfassendem Fürsorgesystem geregelt - mit Ausnahme der ebenfalls zum 1.1.2005 durch das [X.]B II abgelösten [X.]. Das [X.] differenzierte nicht zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (vgl §§ 18 ff [X.]: Hilfe zur Arbeit) und enthielt auch Regelungen für nicht [X.] Staatsangehörige - ebenfalls ohne weitere Differenzierung (§ 120 [X.] aF).

Erst durch das Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30.6.1993 ([X.] 1074) wurde in Umsetzung des sog Asylkompromisses eine Sonderregelung außerhalb des damaligen [X.] hinsichtlich der Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt von Asylbewerbern und ihnen gleichgestellten ausländischen Staatsangehörigen durch Einführung des [X.] geschaffen und § 120 [X.] dahingehend geändert, dass Leistungsberechtigte nach § 1 [X.] keine Leistungen der Sozialhilfe erhielten (vgl die Begründung des Gesetzentwurfs in BT-Drucks 12/4451, [X.]).

Die Ausdifferenzierung zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern bei gleichzeitiger Zusammenfassung der Erwerbsfähigen mit den bisherigen [X.]-Empfängern erfolgte durch die Schaffung des [X.]B II mittels des [X.] und die Schaffung des [X.]B XII durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.]B vom 27.12.2003 ([X.] 3022) zum 1.1.2005 bei gleichzeitiger Aufhebung des [X.] (vgl zur Begründung des Gesetzentwurfs zum [X.]B II: BT-Drucks 15/1516 [X.], 41 ff, zum [X.]B XII BT-Drucks 15/1514 [X.], 50 f).

Die zuletzt in §§ 190 ff [X.] - in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung ([X.]B III aF) geregelte [X.] war demgegenüber ein Sondersystem mit strukturell höheren Ansprüchen, das an die Zurücklegung bestimmter Versicherungszeiten oder ihnen gleichgestellter Zeiten anknüpfte und auf eine Lebensstandardsicherung abzielte (vgl zur historischen Entwicklung nur Spellbrink, in [X.]/Eicher, [X.]asseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003, § 13 Rd[X.] 3 ff, 15 ff; zum [X.] in der [X.]: [X.] <[X.]> vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87- [X.] 87, 234 = [X.] 3-4100 § 137 [X.] 3, Juris Rd[X.] 74). Die [X.] war eine Entgeltersatzleistung, die nach einem bestimmten Arbeitseinkommen bemessen wurde und von der Größe der Familie abhängig war (§ 195 [X.]B III aF). Zudem war sie im Vergleich mit der Sozialhilfe für die Leistungsberechtigten hinsichtlich der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen großzügiger (vgl §§ 193 f [X.]B III aF sowie die [X.]VO vom 13.12.2001, [X.] 3734 und §§ 76 ff, 88 [X.] mit Durchführungsverordnung; vgl zu den Unterschieden zum [X.] das noch zu erörternde Urteil des Senats vom 21.12.2009 - [X.] AS 46/08 R - Rd[X.]0 sowie grundlegend zur Abschaffung der [X.] durch "andersartige Ansprüche" nach dem [X.]B II: B[X.] vom 23.11.2006 - B 11b A[X.]/06 R - B[X.]E 97, 265 = [X.] 4-4200 § 20 [X.] 3, Rd[X.] 41 ff).

b) [X.] aller drei heutigen Existenzsicherungssysteme ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG. Aufgrund dessen ist, "(w)enn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, (ist) der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen (…). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht [X.] und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der [X.] aufhalten, gleichermaßen zu" (so zuletzt [X.] vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - [X.] 132, 134 = [X.] 4-3520 § 3 [X.] 2 unter Hinweis auf [X.] vom [X.] - 1 BvL 1/09 ua - [X.] 125, 175 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]2).

c) Dass Differenzierungen hinsichtlich der Leistungshöhe in Abhängigkeit von den Besonderheiten bestimmter Personengruppen zulässig sind ([X.] vom 18.7.2012, aaO, Rd[X.] 73) und es sie in erheblichem Maße auch tatsächlich gibt (vgl nur den Vorrang des Sachleistungsprinzips nach § 3 Abs 1 [X.] im Unterschied zu den Geldleistungen nach § 20 [X.]B II, § 27a [X.]B XII), schließt die strukturelle Gleichwertigkeit der drei Leistungssysteme nicht aus (vgl B[X.] vom 21.12.2009 - [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]4 Rd[X.]9 zum Nebeneinander von Leistungen nach dem [X.]B II, [X.]B XII, [X.]; B[X.] vom 6.10.2011 - [X.] A[X.]71/10 R - B[X.]E 109, 176 = [X.] 4-4200 § 20 [X.]6 zu einer gemischten Bedarfsgemeinschaft von Partnern iS des [X.]B II und des [X.]). Dieser strukturellen Gleichwertigkeit der drei Existenzsicherungssysteme steht nicht entgegen, dass das [X.] kein besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs ist (vgl § 68 [X.]B I), weil dies nichts an den gemeinsamen verfassungsrechtlichen Grundlagen zu ändern vermag und das [X.] zumindest materielles Sozialrecht ist, für das Teile des [X.]B I und des [X.]B X anwendbar (vgl § 7 Abs 4, § 9 Abs 3 [X.]) und zudem die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind (§ 51 Abs 1 [X.] 6a Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>).

d) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die vom [X.] schon früher ausgesprochene Nichtberücksichtigung von Schmerzensgeld nach § 253 Abs 2 [X.] als Einkommen nach dem [X.]. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im [X.] im Unterschied zu anderen einkommens- und vermögensabhängigen staatlichen Existenzsicherungssystemen wie dem [X.]B II - dort heute § 11a Abs 2 [X.]B II - ist mangels hinreichender Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG ([X.] vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 - [X.] 116, 229, juris Rd[X.] 43 ff).

In dieselbe Richtung weist das Urteil des 9. Senats des B[X.] vom 24.5.2012, nach dem die Beschädigtengrundrente nach dem [X.] kein Einkommen iS des § 7 [X.] ist, weil insoweit der sozialhilferechtliche Einkommensbegriff heranzuziehen ist, da das Asylbewerberleistungsrecht zwar als besonderes System außerhalb des seinerzeit geltenden [X.], jedoch unter Wahrung fürsorgerischer Gesichtspunkte eingeführt worden ist (B[X.] vom [X.] - B[X.]E 111, 79 = [X.] 4-3520 § 7 [X.], Rd[X.] 21 ff mwN).

e) Aus der Entscheidung des Senats zur Berücksichtigung einer Nachzahlung von [X.] für November und Dezember 2004 im Januar 2005 als Einkommen iS des § 11 [X.]B II aF folgt nichts anderes, weil diese gerade mit den schon oben dargestellten erheblichen Systemunterschieden zwischen dem [X.] und der [X.] begründet wurde (B[X.] vom 21.12.2009 - [X.] AS 46/08 R - Rd[X.]0).

Die weiteren zahlreichen Einnahmen, insbesondere Nachzahlungen, die nach der Rechtsprechung des B[X.] im Unterschied zu der vorliegenden Nachzahlung nach dem [X.] als Einkommen nach § 11 Abs 1 [X.]B II aF oder jetzt nach § 11a Abs 1 Satz 1 [X.]B II nF zu berücksichtigen sind, stammen nicht aus einem mit den drei Existenzsicherungssystemen [X.]B II, [X.]B XII und [X.] vergleichbaren Rechtsgrund, sodass aus ihnen nichts für die Beurteilung von Leistungen nach dem [X.] hergeleitet werden kann (vgl nur B[X.] vom 16.12.2008 - [X.] [X.]/07 R - [X.] 4-4200 § 11 [X.]9: [X.]rankengeld; B[X.] vom 3.3.2009 - [X.] AS 47/08 R - B[X.]E 102, 295 = [X.] 4-4200 § 11 [X.] 24: Abfindung aufgrund arbeitsgerichtlichen Vergleichs; B[X.] vom 30.9.2008 - [X.] AS 29/07 R - B[X.]E 101, 291 = [X.] 4-4200 § 11 [X.]5, Rd[X.]8: Einkommensteuererstattung; bestätigt in B[X.] vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 R - B[X.]E 112, 229 = [X.] 4-4200 § 11 [X.] 57; B[X.] vom 21.6.2011 - [X.] AS 21/10 R - B[X.]E 108, 258 = [X.] 4-4200 § 11 [X.] 39: Auflösung einer Ansparrücklage).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 17/14 R

25.06.2015

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Dortmund, 31. Oktober 2012, Az: S 55 (30) AS 411/09, Urteil

§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11a Abs 1 Nr 1 SGB 2, § 2 Abs 1 AsylbLG, § 3 Abs 1 AsylbLG, § 82 Abs 1 S 1 SGB 12, Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.06.2015, Az. B 14 AS 17/14 R (REWIS RS 2015, 9079)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9079

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvL 10/10

1 BvL 1/09

1 BvR 293/05

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