Bundessozialgericht, Urteil vom 25.10.2018, Az. B 7 AY 2/18 R

7. Senat | REWIS RS 2018, 2408

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Gegenstand

(Asylbewerberleistung - Verzinsung einer Nachzahlung - weder unmittelbare noch analoge Anwendung des § 44 SGB 1 - entsprechende Anwendung des § 291 BGB)


Leitsatz

Leistungsberechtigten, die einen Anspruch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (juris: AsylbLG) gerichtlich geltend machen, steht auch ein Anspruch auf Prozesszinsen zu.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des [X.] vom 26. April 2018 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz jeweils aus 261,25 [X.] ab dem 15. August 2013 zu zahlen. Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.

Der Beklagte hat drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Verfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch auf Verzinsung für den [X.]raum von Juni 2009 bis [X.]ezember 2010 nachgezahlter Kosten der Unterkunft in Höhe von noch 783,75 [X.].

2

[X.]ie Kläger sind algerische Staatsangehörige, der Kläger zu 3 ist der 1985 geborene [X.] der Kläger zu 1 und 2. Sie halten sich ohne wesentliche Unterbrechungen seit 1992 im [X.] auf; nach erfolglos durchgeführten Asylverfahren sind sie im [X.] geduldet (§ 60a des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im [X.] - [X.] ) und erhalten Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz ([X.]). [X.]ie Kläger zu 1 und 2 bewohnten von Juni 2009 bis [X.]ezember 2011 eine Wohnung in [X.] im [X.], der Kläger zu 3 lebte dort bis Juni 2011. Ausländerrechtlich waren sie zur Wohnsitznahme in der Samtgemeinde [X.] verpflichtet.

3

[X.]er Beklagte hat sich in einem von den Klägern zu 1 bis 3 und ihrer Tochter F, der früheren Klägerin zu 4, geführten Klageverfahren (Az: [X.] AY 86/13; Klageerhebung am 14.8.2013) bereit erklärt, höhere Unterkunftskosten für die [X.] von Juni 2009 bis [X.]ezember 2010 "im Wege der Regelung § 12 [X.] plus 10 %" zu zahlen. [X.]iese Erklärung nahmen die Kläger als Anerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit für erledigt. In Umsetzung dieser Erklärung bewilligte der Beklagte weitere Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 55 [X.], insgesamt 1045 [X.] (bestandskräftiger Bescheid vom 11.3.2015, adressiert an die Kläger zu 1 und 2).

4

[X.]en Antrag, diesen Betrag zu verzinsen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 2.12.2015; Widerspruchsbescheid vom 10.12.2015, beide adressiert an den Rechtsanwalt der Kläger).

5

[X.]as Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Beklagten unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt, den der früheren Klägerin zu 4 gewährten [X.] gemäß § 44 Sozialgesetzbuch [X.] - ([X.]) zu verzinsen, bezogen auf die Kläger zu 1 bis 3 die Klage aber abgewiesen (Urteil vom [X.]). [X.]as [X.] ([X.]) [X.] hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, § 44 [X.] sei im [X.] weder unmittelbar noch analog anzuwenden, weil es jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Aus demselben Grund scheide auch die Gewährung von Prozesszinsen in analoger Anwendung des § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus. Verfassungsrechtliche Bedenken stünden dem vollständigen Ausschluss von Zinsleistungen im [X.] nicht entgegen (Urteil vom [X.]). [X.]er Beklagte hat für die frühere Klägerin zu 4 ein Viertel des [X.]s (261,25 [X.]) entsprechend der Entscheidung des SG verzinst.

6

Mit ihren Revisionen machen die Kläger einen Verstoß gegen § 44 [X.] bzw § 291 BGB geltend. [X.]ie strukturelle Gleichwertigkeit der Existenzsicherungssysteme nach dem [X.] ([X.]I), dem [X.] - ([X.]) und dem [X.] gebiete es, nachgezahlte Leistungen nach dem [X.] genauso zu verzinsen wie solche nach dem [X.]I oder dem [X.]. [X.]as [X.] ([X.]) habe gerade mit der Gleichwertigkeit der Systeme ua die analoge Anwendung des § 116a [X.] im [X.] begründet.

7

[X.]ie Kläger beantragen,
die Urteile des [X.]s [X.] vom 26. April 2018 und des [X.] vom 8. April 2016 sowie den Bescheid vom 2. [X.]ezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. [X.]ezember 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die ihnen nachgezahlten Leistungen in Höhe von jeweils 261,25 [X.] mit wenigstens vier vom Hundert zu verzinsen.

8

[X.]er Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind zulässig und überwiegend begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Ein Zinsanspruch in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 44 [X.] besteht zwar nicht. Den Klägern steht aber ein Anspruch auf Verzinsung der auf sie anteilig entfallenen Nachzahlung in Höhe von je 261,25 [X.] ab Rechtshängigkeit der ursprünglichen Zahlungsklage ([X.]) dem Grunde nach zu.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 2.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2015 (§ 95 [X.]), mit dem der Beklagte die Verzinsung des auf die Kläger entfallenden [X.] von 783,75 [X.] abgelehnt hat. Dagegen wenden sich die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 [X.]), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]).

Der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung des [X.] kann, auch soweit er auf die Zahlung von [X.] (§ 291 [X.]) dem Grunde nach gerichtet ist, zulässigerweise selbständig und unabhängig von der Hauptforderung (Nachzahlung von Kosten der Unterkunft) zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden (vgl nur [X.] <[X.]> Urteil vom [X.] - 10 [X.]; [X.] <[X.]> Urteil vom [X.] - [X.] = [X.], 352; [X.]E 38, 49, juris Rd[X.]1; [X.] <[X.]> Urteil vom [X.] - 2 C 27/84 = NJW 1988, 1682). Die Kläger mussten sich nicht bereits im Verfahren um die Hauptforderung weitergehende Ansprüche vorbehalten ([X.]Z 34, 337, 340). Dafür, dass die Kläger mit der allein auf nachzuzahlende Unterkunftskosten gerichteten Klage zugleich auf die Geltendmachung von [X.] verzichtet hätten, gibt es keine Anhaltspunkte.

Der Zulässigkeit der Klage des [X.] zu 3 steht nicht dessen fehlende Klagebefugnis (§ 54 Abs 1 [X.]) entgegen. Wie bereits das [X.] zutreffend ausgeführt hat, ist der Kläger zu 3 durch die angefochtenen Bescheide beschwert. Mit dem Bescheid vom 1[X.] (Bewilligung weiterer Kosten der Unterkunft in Höhe von 1045 [X.]) hat der Beklagte sein Anerkenntnis im Verfahren [X.] AY 86/13, den Klägern höhere Kosten der Unterkunft zu zahlen, umgesetzt. Auch wenn dieser Bescheid nur an die Kläger zu 1 und 2 adressiert war, konnte der Kläger zu 3 diesen Bescheid nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts (vgl zu dieser Voraussetzung bei der Auslegung von Verwaltungsakten nur: [X.]-1500 § 77 [X.] Rd[X.]5; [X.]surteil vom [X.] AY 8/07 R - Rd[X.]2; [X.] in von [X.]/Schütze, [X.] - <[X.] X>, 8. Aufl 2014, § 31 Rd[X.] 25 mwN) als Ergebnis des auch von ihm geführten Klageverfahrens nur so verstehen, dass auch ihm gegenüber eine Entscheidung getroffen werden sollte. Den Antrag auf Verzinsung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger deshalb (folgerichtig) für die gesamte "[X.]" gestellt, also auch für den Kläger zu 3. Dieser konnte mithin auch den Bescheid vom 2.12.2015 und den Widerspruchsbescheid vom 10.12.2015 nur als Ablehnung auch ihm gegenüber verstehen. Diese Bescheide sind gegenüber allen Klägern durch Zustellung an ihren Bevollmächtigten wirksam bekannt gegeben geworden (§ 1 Abs 1 [X.] Verwaltungsverfahrensgesetz vom 3.12.1976 - Nds GVBl 1976, 311, zuletzt in der Fassung des [X.] - Nds GVBl 2009, 361 - iVm § 43 Abs 1 Verwaltungsverfahrensgesetz des [X.] , § 41 Abs 1 Satz 2 VwVfG bzw § 41 Abs 5 VwVfG, § 1 Abs 1 [X.] Verwaltungszustellungsgesetz vom 23.2.2006 - Nds GVBl 2006, 72 - iVm §§ 5, 7 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz des [X.] ).

Den Klägern steht kein Anspruch auf Verzinsung nach § 44 [X.] bereits nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit der Hauptforderung zu. § 44 [X.] ist im [X.] weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Nach § 44 Abs 1 [X.] sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Von § 44 [X.] werden allerdings nur diejenigen Leistungen erfasst, die dem Einzelnen als Sozialleistungen iS des § 11 [X.] zustehen ([X.], 72, 75 = [X.]-7610 § 291 [X.] S 4; [X.]100 § 56 [X.]), also Leistungen, die in einem der Bücher des [X.] aufgeführt sind oder als dessen besondere Teile (§ 68 [X.]) gelten. Hierzu zählen jedoch nicht die an Asylleistungsberechtigte erbrachten Leistungen nach dem [X.], denn sie sind weder als Sozialleistungen in den §§ 18 ff [X.] aufgeführt, noch enthält § 68 [X.] eine Regelung, wonach das [X.] als besonderer Teil des [X.] gilt. Auch das [X.] sieht eine (ausdrückliche) Anwendung des § 44 [X.] nicht vor. § 9 Abs 3 [X.] ordnet lediglich eine (entsprechende) Anwendung der Bestimmungen des [X.] über die Mitwirkung von Leistungsberechtigten an (§§ 60 bis 67 [X.]; dazu auch unten).

Auch eine analoge Anwendung des § 44 [X.] scheidet aus. Eine Analogie, also die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (vgl: [X.], 80 = [X.]-5910 § 89 [X.]; [X.] [X.]-2500 § 38 [X.] 2 S 10). Daneben muss eine planwidrige Regelungslücke vorliegen ([X.] 82, 6, 11 ff mwN; [X.], 102, 104 = [X.]-2500 § 38 [X.] S 3; [X.], 199, 202 f = [X.]-3800 § 1 [X.] 21 S 95 f mwN). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie und dem mit dem [X.] verfolgten Gesetzeszweck ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst auf die Aufnahme des § 44 [X.] in das [X.] verzichtet hat.

Mit der Schaffung des [X.] durch das Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber (Gesetz vom 30.6.1993 - [X.]) und der damit erfolgten Herauslösung der Existenzsicherung für bestimmte Gruppen von Ausländern aus dem [X.]sozialhilfegesetz ([X.]) wollte der Gesetzgeber ein eigenständiges Leistungsrecht für Ausländer mit einem nur kurzen Aufenthalt in der [X.]republik Deutschland schaffen (zur grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit, für Asylbewerber ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen vgl [X.] 116, 229; [X.], 49 = [X.]-3520 § 2 [X.] 2, Rd[X.] 30). Dabei verstand er das [X.] - unter Berücksichtigung fürsorgerischer Elemente - im [X.] als Regelung des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts von Ausländern nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG; BT-Drucks 12/4451 S 5) und hat deshalb seine Gesetzgebungskompetenz nicht allein auf Art 74 Abs 1 [X.] 7 Grundgesetz (; öffentliche Fürsorge), sondern auch auf Art 74 Abs1 [X.] 4 GG (Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer) gestützt. [X.] war das [X.] zudem vorrangig auf die Verschaffung von Sachleistungen gerichtet. Schon deshalb und unter Berücksichtigung der Vorstellung des Gesetzgebers, ein Gesetz für Personen mit nur kurzem Aufenthalt im [X.]gebiet zu schaffen, ist davon auszugehen, dass im [X.] bewusst von einer Regelung zur Verzinsung von (nach dem Verständnis des Gesetzgebers nur ausnahmsweise denkbaren) Geldansprüchen abgesehen worden ist. Ein anderes Verständnis ist nicht etwa deshalb anzunehmen, weil Ansprüche auf Sozialhilfe nach dem [X.] (als Geldleistungen) nach § 44 [X.] zu verzinsen waren (vgl nur [X.], 90) und folglich auch nachgezahlte Sozialhilfeleistungen an (ab 1.11.1993 nach dem [X.] leistungsberechtigte) Ausländer nach § 120 [X.] in der bis 31.10.1993 geltenden Fassung der Verzinsung nach § 44 [X.] unterlagen. Denn der Gesetzgeber wollte mit dem [X.] gerade eine systematische Trennung und in der Sache eine deutliche Abkehr vom Leistungssystem nach dem [X.] erreichen. Dies wird auch daran deutlich, dass er mit der Herauslösung der Ansprüche dieser Personengruppe aus dem [X.] insbesondere der Rechtsprechung des [X.] begegnen wollte (vgl [X.] Urteil vom 26.9.1991 - 5 C 61.88), das für Ausländer einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 2 [X.] bejaht hatte, der nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles auf das zum Lebensunterhalt [X.] eingeschränkt werden konnte. Der sozialhilferechtliche Grundsatz individueller Bedarfsdeckung mit dem Ziel existenzieller Sicherung und [X.] Integration sollte deshalb durch ein vereinfachtes und auf die Bedürfnisse eines in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes ausgerichtetes System ersetzt und dadurch das Leistungsrecht wesentlich dem Ausländer- und Asylrecht angepasst werden (BT-Drucks 12/4451 S 5).

In der weiteren Entwicklung des [X.] ist der Gesetzgeber von diesem Verständnis nicht abgerückt. Durch das 1. Änderungsgesetz zum [X.] (Gesetz vom 26.5.1997 - [X.] 1130) wurden zwar ua in § 7 Abs 4 [X.] (in der bis 28.2.2015 geltenden Fassung, seitdem § 9 Abs 3 [X.]) die entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 [X.] angeordnet und der damalige § 9 Abs 3 [X.] (jetzt: § 9 Abs 4 [X.]) um die entsprechende Anwendung der §§ 44 bis 50 [X.] X erweitert. Dass dabei versehentlich eine Einbeziehung des § 44 [X.] unterblieben ist, ist schon nach der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 13/2746 [X.]) auszuschließen. Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass auf das [X.] die Vorschriften des [X.] nicht anzuwenden waren. Er sah nämlich (allein) wegen aus seiner Sicht unzureichender Regelungen über die Mitwirkung von Leistungsberechtigten in den (für das Verwaltungsverfahren an sich maßgeblichen) [X.]n der Länder (zur Anwendbarkeit der [X.] der Länder im Bereich des [X.] [X.]-1300 § 44 [X.] 22 Rd[X.] 21) die Notwendigkeit, die entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 [X.] anzuordnen. Des Verweises auf einzelne Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrens hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, mit dem [X.] im [X.] materielles Sozialrecht geschaffen zu haben; vielmehr hätte dann eine Einbeziehung des [X.] in den Katalog des § 68 [X.] nahegelegen.

Nach Inkrafttreten des [X.] hat der Gesetzgeber auch Änderungen des § 68 [X.] selbst nicht zum Anlass genommen, dieses als besonderen Teil des [X.] in § 68 [X.] einzubeziehen. Dies hätte jedenfalls mit Einführung des [X.] XII zum 1.1.2005 (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, [X.] 3022, 3054; BT-Drucks 15/1514 [X.]) und der Begründung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten auch im Anwendungsbereich des [X.] nahegelegen. Doch hat er mit diesem Gesetz lediglich die bis dahin in § 68 [X.]1 [X.] normierte Geltung des [X.] als besonderen Teil des [X.] ersatzlos gestrichen.

Änderungen des [X.] in der [X.] ab 2015 rechtfertigen keinen anderen Schluss. Selbst wenn spätestens seit der Entscheidung des [X.]verfassungsgerichts ([X.]) zur (verfassungswidrig zu niedrigen) Höhe der Grundleistungen nach § 3 [X.] ([X.] Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - [X.] 2012, 1715 f = [X.]-3520 § 3 [X.] 2 Rd[X.] 90) geklärt ist, dass es sich bei den Leistungen nach dem [X.] um materielles Sozialrecht handelt, weil die [X.] nach dem [X.]I, dem [X.] XII und dem [X.] zwar teilweise sachlich unterschiedlich ausgestaltet sind, aber gleichwertig der Sicherung des Existenzminimums dienen (vgl dazu nur [X.], 20 = [X.]-3520 § 9 [X.] 4; [X.] 119, 164 = [X.]-4200 § 11 [X.] 73, insbesondere Rd[X.] 24), hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Entscheidung des [X.] durch das Gesetz zur Änderung des [X.] und des [X.] (vom 10.12.2015, in [X.] getreten am [X.] - [X.]) an seinem strukturellen Grundverständnis festgehalten. Noch in der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 18/2592 S 20 zu § 3) wurden die durch das Sachleistungsprinzip bedingten [X.] zwischen [X.] XII/[X.]I und dem [X.] betont. Zwar ist gerade dieser Systemunterschied durch das zeitgleich ebenfalls am [X.] in [X.] getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern (vom 23.12.2014 - [X.]) aufgegeben und bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen in § 3 [X.] ein vorrangiger Geldleistungsanspruch geschaffen worden. Zur Begründung stellte der Gesetzgeber allerdings im Wesentlichen nur darauf ab (BT-Drucks 18/3144 [X.]), dass nach einer Erhebung aus dem [X.] bundesweit durchschnittlich schon in 49 % aller Fälle Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form von Geldleistungen gewährt worden seien und bei Ländern und Kommunen die Abschaffung des Vorrangs des Sachleistungsprinzips folglich zu einer Verwaltungsvereinfachung und einer Verringerung des [X.] führe.

Nichts anderes gilt in Bezug auf die weiteren Änderungen des [X.] in den Jahren 2015 und 2016 durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (AsylVfBeschlG vom 20.10.2015, in [X.] getreten am 24.10.2015 - [X.] 1722), das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren ([X.] vom 11.3.2016, in [X.] getreten am 17.3.2016 - [X.] 390) und das [X.] ([X.] vom [X.], in [X.] getreten am 6.8.2016 - [X.] 1939). Schließlich ist seit 2015 auch § 9 [X.] mehrfach geändert worden (der in seinem Abs 3 bereits einen Verweis auf die Regelungen der §§ 60 bis 67 [X.] enthält, dazu oben). Durch das [X.] zur Änderung des [X.] - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (InsoAntrAussG/[X.]I ÄndG 9 vom [X.] - [X.] 1824) ist § 9 Abs 4 Satz 2 [X.] neu gefasst und durch das [X.] vom [X.] § 9 Abs 5 [X.] um § 117 [X.] XII ergänzt worden. Eine Einbeziehung des § 44 [X.] ist allerdings auch insoweit unterblieben.

Mit diesem Ergebnis setzt sich der [X.] nicht in Widerspruch zu der von ihm bejahten analogen Anwendung des § 116a [X.] XII im [X.] ([X.], 20 = [X.]-3520 § 9 [X.] 4), in der neben einer vergleichbaren Interessenlage in den Existenzsicherungssystemen nach dem [X.]I, [X.] XII und [X.] auch von einer durch das Gesetz zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] ([X.]/[X.]I/[X.] XII ÄndG vom 24.3.2011 - [X.] 453) entstandenen planwidrigen Regelungslücke ausgegangen worden ist. Denn anders als bei den hier ua im Streit stehenden [X.] nach § 44 [X.] hat der Gesetzgeber selbst - bewusst (dazu [X.] 113, 231 = [X.]-3250 § 9 [X.]) - die Anwendung des § 44 [X.] X im [X.] angeordnet (§ 9 Abs 4 Satz 1 [X.] [X.] in der seit [X.] geltenden Normfassung, zuvor § 9 Abs 3 [X.]), dabei allerdings zunächst die bereits für die übrigen Existenzsicherungssysteme (vgl § 40 Abs 1 [X.]I und § 116a [X.] XII) geltende Modifikation des § 44 Abs 4 [X.] X, nämlich die Begrenzung der Nachzahlung von Leistungen auf ein Jahr anstelle der in § 44 Abs 4 [X.] X vorgesehenen [X.], nicht im [X.] nachvollzogen. Dass die damit geschaffene Besserstellung von Leistungsberechtigten nach § 1 [X.] (im Verhältnis zu Leistungsberechtigten nach dem [X.]I und dem [X.] XII) durch den Gesetzgeber nicht planvoll beabsichtigt war, hat der [X.] wiederum - wie hier - mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und dem damit verfolgten Ziel einer leistungsrechtlichen Schlechterstellung des erfassten Personenkreises begründet.

Den Klägern steht ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung (§ 94 [X.]) allerdings ein Anspruch auf [X.] in entsprechender Anwendung des § 291 [X.] zu. Nach § 291 [X.] hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Auch der unbezifferte Geldanspruch - hier auf höhere Kosten der Unterkunft - ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen (zum unbezifferten Schmerzensgeldanspruch vgl [X.] Urteil vom [X.] - NJW 1965, 531). Die [X.] beginnt dabei wegen § 187 Abs 1 [X.] mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit, hier am 15.8.2013 ([X.] [X.], [X.], 77. Aufl 2018, § 291 Rd[X.] 6). Die Vorschriften des § 288 Abs 1 Satz 2, Abs 2 und 3 und des § 289 Satz 1 [X.] finden entsprechende Anwendung. Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs 1 Satz 2 [X.]). Der Basiszinssatz (§ 247 [X.]) ist seit dem 1.1.2013 allerdings unter Null gesunken ([X.] in jurisPK-[X.], 8. Aufl 2017, § 247 [X.] Rd[X.]2), sodass der Zinssatz im Ergebnis unterhalb des Wertes von 5 % liegt (Seichter in jurisPK-[X.], 8. Aufl 2017, § 288 [X.] Rd[X.]1). Dass der Zinssatz mit einer bestimmten Anzahl von Prozentpunkten "über" dem Basiszinssatz definiert ist, bedeutet nicht, dass Anspruch auf eine Mindestverzinsung in Höhe der [X.] besteht ([X.], aaO, Rd[X.]3; [X.], NJW 2012, 3329, 3332; [X.] 2013, 21, 22; str, [X.], NJ 2014, 13).

Die Verzinsungspflicht nach § 291 [X.] bildet nicht nur einen Unterfall der Verzinsung wegen Verzugs (§ 288 [X.]), der ggf in einem "erst-recht-Schluss" im Geltungsbereich des [X.] auch den Ausschluss von [X.] rechtfertigen könnte. Vielmehr ist selbständiger Rechtsgrund von [X.] allein die Rechtshängigkeit einer Forderung, dh der Schuldner wird schon deshalb einer [X.] unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das eingegangene Risiko einstehen soll ([X.] Urteil vom [X.] - [X.] - juris Rd[X.] 3 mwN; stRspr). Der Sache nach ist der Anspruch auf [X.] mithin eine rein prozessuale, aus dem Prozessrechtsverhältnis erwachsende Nebenforderung ([X.] Urteil vom [X.] - 10 [X.] - juris Rd[X.]1 mwN), also ein vom Verschulden unabhängiger, reiner Risikozuschlag, den der Schuldner zu zahlen hat, wenn er sich auf einen Prozess einlässt und unterliegt ([X.] in [X.] zum [X.], 7. Aufl 2016, § 291 Rd[X.]).

Unter Berücksichtigung des dargestellten gesetzgeberischen Verständnisses des [X.] als im [X.] ausländerrechtliches Regelungswerk schließt sich der [X.] insoweit der Rechtsprechung des (ua für das Ausländer- und Asylrecht zuständigen) [X.] an, wonach zwar Verzugszinsen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden ([X.] Urteil vom 4.7.2003 - 7 [X.]/02 - mwN), für öffentlich-rechtliche Geldforderungen [X.] hingegen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 [X.] zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht - wie hier das [X.] - keine gegenteilige Regelung trifft (stRspr; vgl nur [X.]E 114, 61 mwN). Mit vergleichbaren Überlegungen ist in der Rechtsprechung des [X.] auch bei der Frage der Anerkennung von [X.] für Entschädigungsansprüche wegen überlanger Gerichtsverfahren von einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung des [X.] ausgegangen worden (vgl nur [X.]-1720 § 198 [X.] 4 Rd[X.] 61), weil Entschädigungsansprüche nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]) außerhalb des [X.] sozialrechtlicher Ansprüche stünden (so auch zum Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG [X.] 105, 100 = [X.]-1100 Art 104a [X.], Rd[X.] 56). Darauf, dass ein Anspruch auf [X.] auf Forderungen aus dem Sozialrecht in ständiger Rechtsprechung des [X.] nur dann bejaht wird, wenn ein solcher entweder im [X.] selbst oder in einer spezialgesetzlichen Regelung ausdrücklich vorgesehen ist (vgl [X.] [X.]-7610 § 291 [X.] mwN) oder wenn einer der von der Rechtsprechung mittlerweile anerkannten Ausnahmefälle bei Ansprüchen im [X.] vorliegt (vgl nur [X.] 97, 23 = [X.]-2500 § 129 [X.] 3; [X.] 95, 141 = [X.]-2500 § 83 [X.] 2; [X.] 92, 223 = [X.]-2500 § 39 [X.]; [X.]-4200 § 6b [X.] 4; [X.] Urteil vom [X.] - B 1 KR 7/08 R), kommt es deshalb nicht an. Zu verzinsen ist vorliegend nur der jeweils auf die Kläger entfallende Teil der Nachzahlung in Höhe von 261,25 [X.] (je ein Viertel von 1045 [X.]). Dementsprechend haben die Kläger ihren Anspruch auf Zinsen aus diesem Betrag konkretisiert.

[X.] beruht auf § 193 [X.] und berücksichtigt einerseits den überwiegenden Erfolg der Klage, nämlich [X.] in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, andererseits das teilweise Unterliegen im Hinblick auf die geforderten Verzugszinsen, die schon ab Fälligkeit, wenn auch in geringerer Höhe (4 %) zu zahlen gewesen wären.

Meta

B 7 AY 2/18 R

25.10.2018

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AY

vorgehend SG Hildesheim, 8. April 2016, Az: S 42 AY 5/16, Urteil

§ 3 AsylbLG, § 44 Abs 1 SGB 1, § 11 SGB 1, § 291 S 1 BGB, § 291 S 2 BGB, § 288 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.10.2018, Az. B 7 AY 2/18 R (REWIS RS 2018, 2408)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2408

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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