Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2017, Az. VI ZB 36/16

6. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 14139

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Gleichzeitige Beantragung von Prozesskostenhilfe und Einlegung eines wegen Anwaltszwangs unzulässigen Rechtsmittels; unverschuldete Verhinderung zur wirksamen Einlegung des Rechtsmittels bis zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag)


Leitsatz

Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das Rechtsmittelgericht hat zunächst über das Prozesskostenhilfegesuch zu entscheiden, um so der Partei Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, falls sie beabsichtigt, das Rechtsmittelverfahren - im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten - durchzuführen.

Tenor

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des [X.] vom 22. Juli 2016 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der vorgenannte Beschluss im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.318,36 €.

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 29. März 2016, berichtigt durch Beschluss vom 21. Juni 2016, beide Entscheidungen dem [X.]n zugestellt am 23. Juni 2016, hat das Amtsgericht den [X.]n zur Zahlung von 1.318,36 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt und festgestellt, dass die Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung stammt. Mit Schriftsatz vom 29. Juni 2016, beim [X.] eingegangen am 1. Juli 2016, hat der [X.] persönlich gegen das Urteil Berufung und gegen den Berichtigungsbeschluss Beschwerde eingelegt sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Mit Beschluss vom 22. Juli 2016 hat das [X.] den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die Berufung gegen das Urteil und die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss keine Aussicht auf Erfolg hätten. Mit demselben Beschluss hat das [X.] die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil der [X.] die Berufung nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt habe.

2

Gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig wendet sich der [X.] mit seiner Rechtsbeschwerde, für deren Einlegung und Begründung er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat, nachdem der Senat ihm Prozesskostenhilfe für diese Rechtsbeschwerde bewilligt hat.

II.

3

Dem [X.]n war gemäß § 233 Satz 1 ZPO antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen.

III.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat - wie im Folgenden näher ausgeführt - das Verfahrensgrundrecht des [X.]n auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2015 - [X.] 289/15, [X.], 209 Rn. 4; vom 23. April 2013 - [X.], [X.], 2822 Rn. 7; vom 23. März 2011 - [X.] 51/11, [X.], 881 Rn. 7; vom 16. November 2010 - [X.]/10, NJW 2011, 230 Rn. 10; vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 227).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass sie nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechend durch einen Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Beschwerdeführer hat innerhalb der Berufungsfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

6

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. nur Senatsbeschluss vom 24. Januar 2017 - [X.]/16, juris Rn. 11; [X.], Beschluss vom 4. November 2015 - [X.] 289/15, [X.], 209 Rn. 6 mwN). Dies gilt auch dann, wenn neben dem [X.] eine unzulässige Berufung eingelegt worden ist. Da die Prozesskostenhilfe beantragende [X.] wegen ihrer Prozesskostenhilfebedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung im Berufungsverfahren zu beauftragen, ist ihr, wenn sie nach den gegebenen Umständen nicht mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Prozesskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ([X.], Beschluss vom 4. November 2015 - [X.] 289/15, [X.], 209 Rn. 6). Das Berufungsgericht hat dementsprechend zunächst über das [X.] zu entscheiden, um so der [X.] Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, falls sie beabsichtigt, das Berufungsverfahren - im Falle der Versagung von Prozesskostenhilfe auf eigene Kosten - durchzuführen ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2015 - [X.] 289/15, [X.], 209 Rn. 6; vom 23. März 2011 - [X.] 51/11, [X.], 881 Rn. 10; vom 3. Dezember 2003 - [X.]/03, NJW-RR 2004, 1218, 1219).

7

b) Vorliegend hat der [X.] seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Belege hierzu innerhalb der Berufungsfrist gestellt. Das Berufungsgericht hat dementsprechend den Antrag nicht mangels Bedürftigkeit, sondern mangels Erfolgsaussicht versagt. Es hätte allerdings dem [X.]n zunächst diese Entscheidung bekanntgeben müssen. Der [X.] hätte dann die Möglichkeit gehabt, auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt zu beauftragen und diesen Berufung, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag, einlegen zu lassen.

8

3. Nach der Zurückverweisung an das [X.] hat der [X.] Gelegenheit, die Berufung - verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - auf eigene Kosten einzulegen und zu begründen.

9

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das [X.] zwar über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss, bislang aber - soweit ersichtlich - nicht über die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss entschieden hat.

[X.]     

      

Offenloch     

      

[X.]

      

[X.]     

      

Müller     

      

Meta

VI ZB 36/16

14.03.2017

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Köln, 22. Juli 2016, Az: 20 S 20/16

§ 78 Abs 1 S 1 ZPO, § 233 ZPO, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2017, Az. VI ZB 36/16 (REWIS RS 2017, 14139)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2356 REWIS RS 2017, 14139

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