Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2024, Az. XII ZB 510/23

12. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 271

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Gegenstand

Entscheidung über Verfahrenskostenhilfe und Zulässigkeit des Rechtsmittels


Leitsatz

Der verfahrenskostenhilfebedürftige Rechtsmittelführer ist auch dann unverschuldet an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels gehindert, wenn er ein wegen bestehenden Anwaltszwangs unzulässiges persönliches Rechtsmittel eingelegt und dafür Verfahrenskostenhilfe beantragt hat. Das Rechtsmittelgericht hat auch in diesem Fall zunächst über die beantragte Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden, bevor es das Rechtsmittel als unzulässig verwirft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - XII ZB 289/15, FamRZ 2016, 209).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 14. August 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschwerde des Antragsgegners verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat die Ehe der Beteiligten geschieden und festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet. Gegen diesen der damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am 25. Mai 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 15. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangenem Schreiben vom 12. Juni 2023 persönlich Beschwerde eingelegt und diese begründet. Gleichzeitig hat er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Mit am 25. Juni 2023 beim [X.] eingegangenem privatschriftlichem Schreiben hat der Antragsgegner die Beschwerde erneut eingelegt und begründet sowie nochmals Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Das [X.] hat die Beschwerde als unzulässig, weil nicht durch einen Rechtsanwalt eingelegt, verworfen und zugleich das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen, weil die Beschwerde unzulässig sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Verwerfung seiner Beschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde des Antragsgegners verworfen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

3

1. Das Rechtsmittel richtet sich allein gegen die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde, nicht aber gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe. Es ist zwar nicht explizit auf die Entscheidung über die Verwerfung der Beschwerde beschränkt worden und auch der Antrag enthält keine solche ausdrückliche Beschränkung. Da allerdings eine Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe mangels Zulassung durch das [X.] gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 574 Abs. 1 ZPO nicht statthaft wäre (vgl. [X.] Beschluss vom 7. September 2023 - [X.]/23 - juris Rn. 1 und [X.]Z 184, 323 = [X.] 2010, 154 Rn. 5 mwN) und die Beschwerdebegründung die Versagung von Verfahrenskostenhilfe der Sache nach unbeanstandet lässt, ist die Rechtsbeschwerde als konkludent auf die [X.] beschränkt anzusehen.

4

2. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.]. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 23. August 2023 - [X.] 278/22 - FamRZ 2023, 1982 Rn. 6 mwN).

5

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Beschwerde nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen dürfen, dass diese entgegen § 114 FamFG nicht von einem Rechtsanwalt eingelegt worden ist. Denn der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 12. Juni 2023 innerhalb der Beschwerdefrist die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.

6

a) Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist Verfahrenskostenhilfe beantragt hat, ist bis zur Entscheidung über seinen Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen oder rechtzeitig zu begründen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste. Das gilt auch dann, wenn neben dem Verfahrenskostenhilfegesuch ein unzulässiges Rechtsmittel eingelegt worden ist. Da der Verfahrenskostenhilfe beantragende Beteiligte wegen seiner Bedürftigkeit gehindert ist, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, ist ihm, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, nach Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Beschwerdegericht hat dementsprechend zunächst über das Verfahrenskostenhilfegesuch zu entscheiden (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - [X.] 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 6 mwN).

7

b) Daran gemessen durfte das [X.] die Beschwerde nicht gleichzeitig mit der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners verwerfen. Es hätte vielmehr zunächst über die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden müssen, weil dem Antragsgegner - bei Nachholung der formwirksamen Beschwerdeeinlegung und -begründung innerhalb der [X.] - Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerde- und der [X.] zu gewähren gewesen wäre.

8

Der Antragsgegner musste nach den gegebenen Umständen insbesondere nicht mit der Ablehnung seines [X.]s wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er ausweislich der innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der beigefügten Belege als Empfänger von Leistungen nach dem [X.] nicht in der Lage war, die Verfahrenskosten selbst zu tragen.

9

Entgegen der Ansicht des [X.]s stand einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht entgegen, dass ein Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der nach § 113 Abs. 1 FamFG für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingegangen ist. Die Frist zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginnt bei einem innerhalb der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist gestellten [X.] regelmäßig nicht vor der Zustellung der Entscheidung über den [X.]. Früher beginnt die Frist nur, wenn der Beteiligte - etwa wegen eines gerichtlichen Hinweises, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht vorliegen - schon zuvor nicht mit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe rechnen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Mai 2014 - [X.] 689/13 - NJW-RR 2014, 1347 Rn. 23 f. mwN).

Mangels vorheriger Entscheidung des [X.]s über das Verfahrenskostenhilfegesuch des Antragsgegners war das durch dessen Bedürftigkeit bedingte Hindernis, einen Rechtsanwalt für das Beschwerdeverfahren zu beauftragen, nicht behoben und hatte daher die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Lauf der Beschwerdefrist - und der [X.] - entgegen der Ansicht des [X.]s vor der [X.] nicht zu laufen begonnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 234 Abs. 2 ZPO). Der Antragsgegner musste auch nicht wegen des zuvor ergangenen Hinweises des [X.]s auf die Unzulässigkeit der Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit einer Versagung von Verfahrenskostenhilfe rechnen. Er durfte darauf vertrauen, dass das [X.] der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei rechtzeitig gestelltem [X.] zunächst über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu entscheiden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2015 - [X.] 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 6 mwN), entsprechen und ihn nicht durch eine gleichzeitige Entscheidung über den [X.] und die Verwerfung der Beschwerde rechtlos stellen würde.

Auf die weiteren vom [X.] angestellten Erwägungen kommt es daher nicht an.

4. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass mit der Zustellung dieses Beschlusses die [X.] hinsichtlich der abgelaufenen Beschwerde- und der [X.] zu laufen beginnt. Dem Beklagten bleibt es unbenommen, erneut Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu beantragen (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. November 2015 - [X.] 289/15 - FamRZ 2016, 209 Rn. 9 und vom 23. März 2011 - [X.] 51/11 - FamRZ 2011, 881 Rn. 15).

[X.]     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Pernice     

      

Meta

XII ZB 510/23

10.01.2024

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 14. August 2023, Az: 21 UF 102/23

§ 113 Abs 1 FamFG, § 233 ZPO, § 234 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2024, Az. XII ZB 510/23 (REWIS RS 2024, 271)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 271 MDR 2024, 391


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XII ZB 510/23

Bundesgerichtshof, XII ZB 510/23, 10.01.2024.


Az. 21 UF 102/23

Oberlandesgericht Köln, 21 UF 102/23, 14.08.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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