Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2017, Az. XII ZR 54/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4689

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SACHVERSTÄNDIGENBEWEIS ZEUGENBEWEIS UNGEEIGNETHEIT EINES BEWEISMITTELS

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Gegenstand

Geschäftsraummietrechtsstreit: Auslegung einer Ablösungsvereinbarung mit dem Vormieter für Inventar eines Varieté-Theaters unter Gehörsverstoß bei Nichtberücksichtigung von Sachvortrag und Beweisangeboten; Aufwendungsersatz- und Schadensersatzansprüche des Nachmieters gegen den Vermieter nach Wasserschaden und Inhaltskontrolle für eine formularmäßige Aufrechnungsbeschränkung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 7. April 2016 zugelassen, soweit darin die Berufung der Klägerin gegen ihre auf die Widerklage erfolgte Verurteilung zur Räumung und Herausgabe sowie zur Zahlung von mehr als 9.971,91 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 5.271,70 € seit dem 5. Juli 2014 und aus einem Betrag von 4.700,21 € seit dem 5. Juni 2014 zurückgewiesen worden ist.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und im Umfang der Zulassung aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 92.558 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin schloss im März 2009 mit der Streithelferin des [X.] einen gewerblichen Mietvertrag über ein als Club ("[X.]") genutztes Objekt. In § 5.3 des Vertrags war formularmäßig vorgesehen, dass der Mieter gegenüber Ansprüchen des Vermieters nur mit Gegenansprüchen aufrechnen oder ein Zurückbehaltungsrecht ausüben darf, wenn der Gegenanspruch oder das Zurückbehaltungsrecht vom Vermieter anerkannt oder rechtskräftig festgestellt wurde. Im August 2011 ereignete sich ein Starkregen, in dessen Folge Wasser in die Mieträume eindrang. Die Klägerin macht insbesondere geltend, dass dadurch Wasserschäden an dem auf dem Fußboden verklebten Teppichboden, an einer Trockenbauwand sowie an einem als Holzkonstruktion errichteten [X.] entstanden seien. Nachdem weder die Streithelferin noch der Beklagte, der die Immobilie im Jahr 2012 von der Streithelferin erworben hatte, zur Beseitigung der Wasserschäden oder zur Kostenübernahme bereit waren, zahlte die Klägerin zwischen August 2013 und Juli 2014 keine Miete mehr. Der Beklagte kündigte das Mietverhältnis im Februar 2014 fristlos wegen Zahlungsverzugs.

2

Die Klägerin hat mit ihrer Klage von dem [X.] die Kosten für die von ihr veranlassten Reparaturen der Wasserschäden sowie für einen Betriebsausfallschaden in einer Gesamthöhe von 71.724,99 €, gegebenenfalls unter Verrechnung der nicht gezahlten Mieten geltend gemacht. Das [X.] hat die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage des [X.] zur Räumung und Herausgabe der Mieträume und zur Zahlung von 63.260,40 € rückständiger Miete nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung hat die Klägerin ihr Zahlungsbegehren noch in einer Höhe von 66.202,50 € weiterverfolgt und Abweisung der Widerklage beantragt. Das [X.] hat die Berufung zurückgewiesen.

3

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nur noch gegen ihre Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der Mieträume sowie gegen ihre Verpflichtung zur Zahlung rückständiger Miete von mehr als 9.971,91 € nebst Zinsen.

II.

4

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Die zuzulassende Revision führt im Umfang der Anfechtung des Berufungsurteils durch die Klägerin zu dessen Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).

5

1. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Klägerin stünden nicht deswegen Ansprüche zu, weil der Beklagte als Vermieter mit der Beseitigung der von ihm nicht zu vertretenden Wasserschäden in Verzug geraten wäre. Die Pflicht des Vermieters zur Instandhaltung gelte nicht für Einbauten wie Theken, Podeste oder Wandverkleidungen, die der Mieter selbst eingebracht habe. Sie umfasse lediglich Einrichtungen wie Fußböden oder Türen, Fenster und Wände, die zum festen Bestandteil der Mietsache gehörten. Im vorliegenden Fall mache die Klägerin ganz überwiegend Schäden an solchen Einrichtungen geltend, die nicht im Eigentum des [X.] stünden, sondern für deren Instandhaltung die Klägerin als Eigentümerin selbst verantwortlich sei. Dies ergebe sich aus dem am 20. März 2009 abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Vormieterin des Objektes, wonach das gesamte "bewegliche und unbewegliche Inventar" des Clubs für einen Kaufpreis von 70.000 € an die Klägerin verkauft worden sei. Gegen die Behauptung der Klägerin, dass die bodenfest verbundenen Gegenstände - insbesondere das in Form einer Holzkonstruktion aufgebaute [X.] - nicht mit veräußert worden seien, spreche der eindeutige Wortlaut des Kaufvertrags und der Umstand, dass sich der hohe Kaufpreis von 70.000 € allein durch den Verkauf des beweglichen Mobiliars, welches in einem gebrauchten Zustand gewesen sei, nicht schlüssig erklären lasse. Anhaltspunkte für einen möglichen "Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB" seien daher allein hinsichtlich der zerstörten Fußböden denkbar. Die von der Klägerin eingereichten Abrechnungen und Auflistungen über die im Mietobjekt durchgeführten Sanierungsarbeiten ermöglichten aber wegen fehlender Differenzierung keine Überprüfung, ob der Klägerin zumindest ein Teilbetrag wegen der Erneuerung des Fußbodens zugesprochen werden könne.

6

2. Zu Recht beanstandet die Klägerin, dass das Berufungsgericht seine Feststellungen zum Vertragsgegenstand der schriftlichen Vereinbarung vom 20. März 2009 unter Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) getroffen hat.

7

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2016 - [X.]/15 - juris Rn. 10 und vom 7. September 2011 - [X.] - [X.] 2012, 268 Rn. 9 mwN). Das gilt auch und insbesondere dann, wenn diese Nichtberücksichtigung auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht, also der von einer [X.] angebotene Beweis nicht erhoben wird, weil das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst ([X.] Beschluss vom 19. Januar 2012 - [X.]/11 - [X.], 164 Rn. 8 mwN).

8

b) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, dass insbesondere die Trockenbauwand und das aus Holz gefertigte Podest von der Vereinbarung zwischen der Klägerin und der ausscheidenden Mieterin umfasst gewesen seien, aus seinem Verständnis des in der Vertragsurkunde verwendeten Begriffs "unbewegliches Inventar" gewonnen, den das Berufungsgericht für eindeutig hält. Zwar gehört zu den anerkannten Grundsätzen für die - an sich dem Tatrichter vorbehaltene - Auslegung einer Individualvereinbarung, dass der Wortlaut der Vereinbarung den Ausgangspunkt einer Auslegung bildet. Jedoch geht der übereinstimmende [X.]wille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vor, selbst wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - [X.] - juris Rn. 17 mwN; [X.] Beschluss vom 11. November 2014 - [X.] - NJW 2015, 409 Rn. 11 mwN). Im Streitfall hat die Klägerin sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zu einem abweichenden Verständnis des Kaufvertrags vorgetragen und durch Vernehmung des Zeugen S. unter Beweis gestellt, dass mit "unbeweglichem Inventar" lediglich die Bar und die Theke des Lokals gemeint gewesen sein sollen. Da sich aus der Erhebung des von der Klägerin angebotenen Beweises wesentliche Erkenntnisse für die Auslegung des Kaufvertrags hätten ergeben können, konnte es diesen Beweisantrag nicht unter Hinweis auf einen vermeintlich eindeutigen Vertragswortlaut übergehen, ohne dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu verletzen (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - [X.] - juris Rn. 17; [X.] Urteil vom 15. Februar 2017 - [X.] - [X.], 597 Rn. 28). Die vom Berufungsgericht zur Stützung seines Auslegungsergebnisses angestellten Erwägungen zum schlüssigen Zusammenhang zwischen der Höhe des Kaufpreises und dem Gegenstand des Kaufvertrags stellen insoweit lediglich eine - unzulässige - vorweggenommene Beweiswürdigung dar, für die es im Übrigen an einer belastbaren tatsächlichen Grundlage fehlt.

9

3. Der von der Klägerin gerügte Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich.

a) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Erhebung des gebotenen Beweises zu einem abweichenden Verständnis von der Reichweite der Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Vormieter gelangt wäre. Hat der neue Mieter die von dem Vormieter in die Mietsache eingebrachten Einrichtungen (hier insbesondere den Fußbodenbelag, die in Leichtbauweise errichtete Zwischenwand und das [X.]) und das damit verbundene Recht zur Wegnahme dieser Einrichtungen (§ 539 Abs. 2 BGB) nicht im Wege einer Ablösungsvereinbarung übernommen, hängt es von der Auslegung des Mietvertrags zwischen dem Vermieter und dem Nachmieter ab, ob die von dem Vormieter in den Mieträumen zurückgelassenen Einrichtungen als Bestandteile der Mietsache mitvermietet worden sind oder nicht. Ist dies der Fall, wovon jedenfalls bei solchen, fest mit der Mietsache verbundenen Einbauten mangels einer ausdrücklich entgegenstehenden Vereinbarung im Zweifel auszugehen sein dürfte, erstreckt sich die [X.] (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) des Vermieters auch auf diese Einrichtungen. Dann ist es auch nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 536 a Abs. 2 Nr. 1 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin wegen Verzugs des [X.] - und/oder der Streithelferin - mit der Beseitigung der streitgegenständlichen Wasserschäden insbesondere an der Trockenbauwand und dem [X.] bejaht hätte.

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich - soweit sie angefochten worden ist - auch nicht aus anderen Gründen ganz oder teilweise als richtig. Insbesondere stand der Aufrechnung mit einem etwaigen Aufwendungsersatzanspruch der Klägerin gegen die laufende Miete - was schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - das im vorliegenden Mietvertrag formularmäßig vereinbarte [X.] nicht entgegen. Der Mieter von Geschäftsräumen wird durch eine Formularklausel, die dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Möglichkeit der Aufrechnung mit einer unbestrittenen Forderung zusätzlich von deren Anerkennung durch den Vermieter abhängig ist, im Sinne von § 307 BGB unangemessen benachteiligt, so dass die Klausel insgesamt unwirksam ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2007 - [X.] - NJW 2007, 3421, 3422; vgl. auch [X.] Urteile vom 16. März 2006 - [X.]/03 -NJW-RR 2006, 1350, 1351 und vom 1. Dezember 1993 - [X.] - NJW 1994, 657 f.).

Dose     

       

Klinkhammer     

       

Schilling

       

Guhling     

       

Krüger     

       

Meta

XII ZR 54/16

27.09.2017

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 7. April 2016, Az: 1 U 883/15

Art 103 Abs 1 GG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 307 BGB, § 535 Abs 1 S 2 BGB, § 536 BGB, § 536a BGB, § 539 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2017, Az. XII ZR 54/16 (REWIS RS 2017, 4689)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4689

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