Bundessozialgericht, Urteil vom 08.10.2019, Az. B 12 KR 8/19 R

12. Senat | REWIS RS 2019, 2917

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Beitragsstreitigkeit (hier: Beitragspflicht von Leistungen aus dem bei einem privaten Versicherungsunternehmen abgeschlossenen Gruppenversicherungsvertrag für die Berufsgruppe der Seelotsen) - Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Gebot des gesetzlichen Richters - Änderung des Streitgegenstands - neuer Verwaltungsakt - Ermittlungen seitens des Revisionsgerichts - keine Aufteilung des angefochtenen Beschlusses wegen Unterschiedlichkeit der Richterbank


Leitsatz

1. Das Berufungsgericht verstößt gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, wenn es ohne ehrenamtliche Richter durch Beschluss die Berufung zurückweist, obwohl während des Berufungsverfahrens ein den angefochtenen Verwaltungsakt abändernder oder ersetzender neuer Verwaltungsakt ergangen ist, über den auf Klage zu entscheiden gewesen wäre.

2. Das Revisionsgericht hat die Existenz eines solch neuen Verwaltungsakts von Amts wegen zu ermitteln, soweit sein Erlass - wie regelmäßig in Beitragsstreitigkeiten - auf der Hand liegt.

3. Eine Aufteilung des mit der Revision angefochtenen Beschlusses in eine Entscheidung auf Berufung und eine Entscheidung auf Klage scheidet wegen der Unterschiedlichkeit der Richterbank aus.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 31. Mai 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine einmalige Kapitalleistung in Höhe von 286 522,35 Euro als Versorgungsbezug der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) und [X.] Pflegeversicherung ([X.]) unterliegt.

2

Der Kläger war als Seelotse Mitglied der [X.] Nord-Ostsee-Kanal I. Er bezieht seit 1.7.2007 eine Altersrente der beklagten [X.] ([X.]) Knappschaft-Bahn-See. Als Rentner ist der Kläger bei der Beklagten als Kranken- und Pflegekasse pflichtversichertes Mitglied in der [X.] und [X.]. Neben der Altersrente erhält er einen laufenden Versorgungsbezug der beigeladenen [X.] - Gemeinsame Übergangskassen der Reviere/Gemeinsame Ausgleichskasse ([X.]/[X.]).

3

Zum 1.10.2007 erhielt der Kläger von der [X.]) eine einmalige Kapitalleistung in Höhe von 286 522,35 Euro ([X.] 8). Grundlage dieser Leistung ist ein zwischen der beigeladenen [X.] und der Rechtsvorgängerin der [X.] vom 7./20.7.1972 ([X.]). Danach sind Mitglieder einer vom [X.] erfassten [X.] Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeits-, Alters-, Witwen- und Waisenrentenversicherung (§§ 1, 2 und 6 [X.]). Die [X.] als Rechtsvorgängerin der Beklagten legte 1/120 der Kapitalleistung der Beitragserhebung in der [X.] und [X.] für die [X.] ab 1.10.2007 zugrunde (Bescheid vom 7.11.2007, Widerspruchsbescheid vom 25.2.2013).

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Der Kläger hat hiergegen am 27.7.2015 Berufung eingelegt und beantragt, die erstinstanzliche Entscheidung sowie den "Bescheid vom 07.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2013" aufzuheben. Nachdem die Beklagte weitere Beitragsbescheide (25.6., 15.7., 17.12.2015, 24.6., 8.7., 21.12.2016, 28.6., 19.7.2017) erlassen hatte, hat das [X.] die Berufung durch Beschluss vom [X.] nach § 153 Abs 4 SGG in der Besetzung mit drei Berufsrichtern aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zurückgewiesen. Die Gruppenversicherung sei notwendiger integraler Bestandteil einer angemessenen Alterssicherung der [X.].

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 229 Abs 1 Satz 1 [X.] 3 SGB V iVm Art 3 Abs 1 GG sowie von Art 3 Abs 1 GG. Die im Senatsurteil vom 10.6.1988 (12 RK 35/86 - [X.] 2200 § 180 [X.] 43) geforderte Versorgung der [X.] entsprechend derjenigen eines Kapitäns auf Großer Fahrt sei bereits durch die gesetzliche Altersrente und die Leistungen der [X.]/[X.] erreicht. Die streitigen Kapitalleistungen gingen über dieses [X.] hinaus und seien vom Auftrag des § 28 Abs 1 [X.] 6 Seelotsgesetz ([X.], in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.9.1984 ; zuvor § 32 Abs 1 [X.] 6 [X.] in der Fassung vom 13.10.1954 ), Maßnahmen für eine ausreichende Versorgung der [X.] zu treffen, nicht gedeckt. Die vom [X.] zur Beitragspflicht von Leistungen aus einer Direktversicherung iS von § 229 Abs 1 Satz 1 [X.] 5 SGB V entwickelten Grundsätze ließen sich auf den vorliegenden Fall übertragen. Er sei von Anfang an Versicherungsnehmer gewesen und habe damit von vornherein eines der vom [X.] für die Beitragsfreiheit geforderten Kriterien erfüllt. Der allgemeine Gleichheitssatz sei verletzt, wenn im Vergleich zu anderen Altersvorsorgeprodukten Beiträge sowohl in der [X.] als auch in der Auszahlungsphase und damit doppelt erhoben würden.

6

Der Kläger beantragt,

        

den Beschluss des [X.] vom 31. Mai 2018 und das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. Mai 2015 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Februar 2013 und die Bescheide vom 25. Juni 2015, 15. Juli 2015, 17. Dezember 2015, 24. Juni 2016, 8. Juli 2016, 21. Dezember 2016, 28. Juni 2017 und 19. Juli 2017 insoweit aufzuheben, als Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und [X.] Pflegeversicherung auf Kapitalzahlungen der H.([X.] 8) festgesetzt worden sind.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8

Die beigeladene [X.] hat keinen Antrag gestellt.

9

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom [X.] die nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangenen Bescheide übersandt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]). Der angefochtene Beschluss des [X.] beruht auf dem Verfahrensfehler der fehlerhaften Besetzung des Berufungsgerichts nur mit Berufsrichtern. Das [X.] hätte nicht im Wege des vereinfachten Beschlussverfahrens nach § 153 Abs 4 [X.] (dazu 1.) ohne Beteiligung [X.] entscheiden dürfen (dazu 3.), weil nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils weitere Verwaltungsakte Gegenstand des Rechtsstreits geworden sind (dazu 2.). Dieser Mangel ist vom Revisionsgericht auch ohne entsprechende Rüge von Amts wegen zu beachten (dazu 4.). Dem stehen die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht entgegen (dazu 5.).

1. Nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] kann das [X.], außer in den Fällen des [X.] nach § 105 Abs 2 Satz 1 [X.], die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Zu dieser Entscheidungsform sind die Beteiligten vorher zu hören (§ 153 Abs 4 Satz 2 [X.]). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen nicht vor. Zwar hat das [X.] dem Anhörungsgebot mit Schreiben vom [X.] an die Beteiligten Rechnung getragen. Die Möglichkeit des vereinfachten Beschlussverfahrens ohne die Mitwirkung [X.] (vgl § 33 Abs 1 iVm § 12 Abs 1 Satz 2 Alt 1 [X.]) war aber nicht (mehr) eröffnet.

2. Gegenstand des Klageverfahrens war zunächst der Bescheid der Beklagten vom 7.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]. Die nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ergangenen weiteren Verwaltungsakte (Bescheide vom 25.6., 15.7., 17.12.2015, 24.6., 8.7., 21.12.2016, 28.6. und 19.7.2017) sind mit ihrem Erlass gemäß § 96 Abs 1 in Verbindung mit § 153 Abs 1 [X.] Gegenstand des Rechtsstreits geworden. Durch sie sind die auf die Kapitalleistung erhobenen Beiträge zur [X.] und [X.] jeweils neu festgesetzt und damit frühere Beitragserhebungen im Sinne dieser Vorschriften abgeändert worden. Die Einbeziehung abändernder oder ersetzender Verwaltungsakte in ein anhängiges Klageverfahren ist nicht in das Ermessen der Beteiligten gestellt. Sie werden im Wege einer gesetzlichen Klageänderung automatisch Gegenstand des Rechtsstreits, ohne dass es auf den Willen der Beteiligten ankommt ([X.] vom 17.11.2005 - [X.]/11 [X.] 57/04 R - [X.] 4-1500 § 96 [X.] Rd[X.]1; vgl auch [X.] vom 9.12.2016 - [X.] [X.] 1/15 R - juris). Daher ist unerheblich, ob vorliegend die späteren Beitragsbescheide von den Beteiligten in das Verfahren eingeführt wurden. Auch kommt es für die Rechtsfolge des § 96 Abs 1 [X.] nicht darauf an, ob das Gericht bei seiner Entscheidung die zwischenzeitlich erlassenen Verwaltungsakte gewürdigt und damit tatsächlich einbezogen hat. Die unabhängig vom Willen der Beteiligten kraft Gesetzes eintretende Klageänderung hindert die Beteiligten allerdings nicht, über den Verfahrensgegenstand im Rahmen ihrer allgemeinen Dispositionsbefugnis zu verfügen und die Klage ausdrücklich auf die Anfechtung des Ausgangsverwaltungsakts zu beschränken ([X.] vom 17.11.2005, aaO Rd[X.]2). Eine solche Begrenzung des Streitgegenstands liegt aber nicht schon in dem mit [X.] vom 27.7.2015 formulierten Antrag des [X.], die erstinstanzliche Entscheidung sowie den "Bescheid vom 07.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2013" aufzuheben, der zeitlich jedenfalls vor Erlass der Verwaltungsakte vom 17.12.2015, 24.6., 8.7. und 21.12.2016 sowie 28.6. und 19.7.2017 gestellt worden ist.

3. Über erst während des Berufungsverfahrens wirksam erlassene Verwaltungsakte, die einen mit dem Rechtsmittel bereits angefochtenen Verwaltungsakt abändern oder ersetzen im Sinne des § 96 Abs 1 in Verbindung mit § 153 Abs 1 [X.], hat das Berufungsgericht nicht zweitinstanzlich auf Berufung, sondern erstinstanzlich auf Klage zu befinden (stRspr; vgl [X.] vom [X.] - B 13 R 61/09 R - [X.] 4-5050 § 22 [X.] Rd[X.] mwN). Daher hätte vorliegend aufgrund mündlicher Verhandlung oder nach Zustimmung der Beteiligten (§ 124 Abs 2 [X.]) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil unter Beteiligung [X.] entschieden und - ausgehend von der Rechtsansicht des [X.] - die Klage gegen die im Berufungsverfahren erlassenen Beitragsbescheide abgewiesen werden müssen (vgl [X.] Beschluss vom 22.11.2012 - [X.] P 10/12 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]). Für die notwendige erstinstanzliche Entscheidung bietet § 153 Abs 4 [X.] keine Grundlage. Das folgt sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift (vgl [X.] Beschluss vom 11.5.2011 - B 5 R 34/11 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] zu einer rechtswidrigen Teilstattgabe der Berufung nach nicht angenommenem Teilanerkenntnis und Zurückweisung im Übrigen) als auch aus deren Regelungszweck.

Nach dem Gesetzestext ist dem Berufungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis eingeräumt, die "Berufung" durch Beschluss zurückzuweisen. Als "Berufung" wird aber das mit Devolutiv- und Suspensiveffekt versehene Rechtsmittel gegen vorinstanzliche Entscheidungen der Sozialgerichte bezeichnet (vgl § 143 [X.]), das grundsätzlich auf Überprüfung des erstinstanzlich beurteilten Streitgegenstands gerichtet ist (vgl § 157 [X.]) und eine Beschwer durch die erstinstanzliche Entscheidung voraussetzt. Auf erst im Berufungsverfahren ergangene Verwaltungsakte kann sich eine erstinstanzliche Entscheidung nicht erstrecken. Zudem soll das vereinfachte Beschlussverfahren zu einer Straffung des Verfahrens und Entlastung des [X.] beitragen, ohne den Rechtsschutzanspruch der Beteiligten zu vernachlässigen (vgl BT-Drucks 12/1217 [X.] zu den Grundzügen der Entlastung des sozialgerichtlichen Verfahrens). Es bezweckt die Beschleunigung rechtlich wie tatsächlich einfach gelagerter Verfahren, die bereits wegen umfassender Sachverhaltsaufklärung und Erörterung in der Vorinstanz zügig zu einer verfahrensbeendenden Entscheidung gebracht werden können sollen ([X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - juris Rd[X.] mwN). Bei erst im Berufungsverfahren erlassenen Verwaltungsakten fehlt es zwangsläufig an einer solchen erstinstanzlichen Erörterung. Gleichwohl das vereinfachte Beschlussverfahren gegenüber erst während des Berufungsverfahrens erlassenen Verwaltungsakten einzuräumen, ließe außer [X.], dass Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention im Rahmen des gebotenen fairen Verfahrens das Recht auf eine mündliche Verhandlung zubilligt (vgl [X.] Beschluss vom 8.4.2014 - [X.] [X.] 22/14 B - [X.] 4-1500 § 158 [X.] Rd[X.]), die mündliche Verhandlung das "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens ist und den Zweck verfolgt, dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, §§ 62, 128 Abs 2 [X.]) zu genügen (vgl [X.] Beschluss vom 8.9.2015 - B 1 KR 134/14 B - juris Rd[X.] 8).

Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 153 Abs 4 [X.] ist nicht danach zu differenzieren, ob die im Berufungsverfahren nach § 96 Abs 1 in Verbindung mit § 153 Abs 1 [X.] einzubeziehenden Verwaltungsakte eine wesentliche Änderung der prozessualen Situation mit sich bringen oder nicht (vgl hierzu [X.] Beschluss vom 8.4.2014 - [X.] [X.] 59/13 B - juris Rd[X.] 5, ohne über die Rechtslage im Fall einer unveränderten [X.] zu entscheiden). Anders als in den Fällen einer erneut notwendigen weiteren Anhörungsmitteilung aufgrund einer entscheidungserheblichen Veränderung der [X.], über die das [X.] ausschließlich als Berufungsinstanz zu entscheiden hat, ist in Verfahren, in denen das Berufungsgericht auch als erstinstanzliches Gericht zu entscheiden hat, schon der Anwendungsbereich der Verfahrensvorschrift nicht eröffnet (vgl oben). Daher kann dahingestellt bleiben, ob der Erlass eines Verwaltungsakts im Berufungsverfahren, der Gegenstand des Klageverfahrens wird, ausnahmslos mit einer wesentlichen Änderung der [X.] einhergeht.

4. An einer - wie hier notwendigen - Entscheidung des [X.] durch Urteil haben neben den Berufsrichtern zwei ehrenamtliche Richter mitzuwirken (§ 33 Abs 1 Satz 1 [X.]). Das Berufungsgericht hat vorliegend hingegen durch Beschluss allein der Berufsrichter entschieden und damit die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) missachtet. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung ist ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu berücksichtigen.

Das Revisionsgericht hat zwischen [X.] zu unterscheiden, die es nur auf entsprechende Rüge hin oder unabhängig davon von Amts wegen zu beachten hat. Von Amts wegen ist bei einer zulässigen Revision ein fortwirkender Verstoß gegen einen verfahrensrechtlichen Grundsatz zu berücksichtigen, der im öffentlichen Interesse zu beachten und dessen Befolgung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist ([X.] vom [X.] [X.], 286 = [X.] 4-2600 § 2 [X.], Rd[X.]7 mwN). Zu solch schwerwiegenden, die Wirksamkeit des Verfahrens als Ganzes betreffenden [X.] zählen das Fehlen der allgemeinen oder besonderen Prozessvoraussetzungen sowie ein Verstoß gegen tragende Grundsätze des sozialgerichtlichen Verfahrens wie die Mitwirkung [X.] (§ 12 Abs 1 Satz 1, § 33 Abs 1 Satz 1 [X.]). Demgegenüber sind weniger bedeutsame Verfahrensverstöße, die nicht in der nächsten Instanz fortwirken, nur auf Rüge zu beachten, und auch nur, solange das [X.] nicht entfallen ist ([X.] vom 8.11.2007 - [X.]/9a S[X.]/06 R - [X.], 189 = [X.] 4-1500 § 155 [X.], Rd[X.]3 mwN). Der mit der gesetzeswidrigen Entscheidung des [X.] im Wege des vereinfachten Beschlussverfahrens nach § 153 Abs 4 [X.] einhergehende Verstoß einerseits gegen den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf eine Entscheidung durch [X.] (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) und andererseits gegen den das sozialgerichtliche Verfahren prägenden Grundsatz der Mitwirkung [X.] (§ 33 [X.]) ist als absoluter Revisionsgrund (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]) ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu berücksichtigen (stRspr; vgl nur [X.] vom 19.10.2016 - [X.] [X.]/15 R - juris Rd[X.]6 mwN). Den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ist nicht die Rechtsmacht eingeräumt, durch [X.] Verhalten die Unbeachtlichkeit einer Verletzung des der Rechtsstaatlichkeit dienenden grundrechtsgleichen Rechts auf [X.] herbeizuführen ([X.] vom [X.] - B 4 RS 2/06 R - [X.] 4-1500 § 155 [X.] Rd[X.] 33 f).

Mit der vorliegenden Entscheidung setzt sich der [X.] nicht in Widerspruch zu früherer Rechtsprechung des [X.]. In seinem - die Zulassung der Sprungrevision (§ 161 [X.]) gegen einen Gerichtsbescheid (§ 105 [X.]) betreffenden - Urteil vom 21.8.2008 (B 13 RJ 44/05 R - [X.] 4-2600 § 96a [X.] Rd[X.] ff) hat der 13. [X.] des [X.] lediglich Zweifel daran geäußert, ob in der Entziehung des gesetzlichen Richters ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensfehler liege. Die dort zitierten Urteile des 6. [X.]s vom 15.9.1977 (6 [X.] 4/77 - [X.]E 44, 244 = [X.] 7323 § 3 [X.]) und des 7. [X.]s vom 24.5.1984 (7 [X.] - [X.]E 57, 15 = [X.] 1500 § 31 [X.] 3) sind zwischenzeitlich überholt. Auch die bezeichneten [X.]e gehen mittlerweile von einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel aus (vgl [X.] vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - juris Rd[X.]1 f; [X.] vom 17.8.2011 - B 6 KA 32/10 R - [X.]E 109, 34 = [X.] 4-2500 § 89 [X.] 5, Rd[X.]; [X.] vom [X.] - B 7 [X.] 43/08 R - juris Rd[X.] 8 f). Soweit der erkennende [X.] in seinem Urteil vom 22.3.2001 (B 12 RJ 2/00 R - [X.] 3-5070 § 21 [X.] 9 S 45) ausgeführt hat, dass der Verfahrensfehler der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung nur auf entsprechende Rüge beachtlich sei, betraf dies einen anderen Sachverhalt. Gegenstand war ein Urteil eines [X.], das in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern statt durch den Berichterstatter allein ergangen ist.

5. An der Berücksichtigung der im Berufungsverfahren erlassenen Verwaltungsakte ist der [X.] nicht durch die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist (§ 163 [X.]), gehindert. Das [X.] hat zwar die Existenz dieser Verwaltungsakte nicht festgestellt, sondern in seinem Beschluss ausschließlich den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 7.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] erwähnt. Insoweit kann offenbleiben, ob Tatsachenfeststellungen eines Gerichts, die unter Verletzung des [X.] auf [X.] getroffen worden sind, überhaupt der Bindung nach § 163 [X.] fähig sind (vgl hierzu [X.] vom [X.] - B 4 RS 2/06 R - [X.] 4-1500 § 155 [X.] Rd[X.] 37). Hat das Revisionsgericht - wie hier - von Amts wegen einen Verfahrensfehler zu beachten, ist es jedenfalls befugt, die insoweit maßgebenden tatsächlichen Feststellungen selbst zu ermitteln und zu treffen. Das gilt zumindest dann, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht aus Art 101 Abs 1 Satz 2 GG auf [X.] bestehen. Bliebe der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]) trotz hinreichender Anhaltspunkte unbeachtet, würde dessen Berücksichtigung von Amts wegen ins Leere gehen und der vorinstanzliche Grundrechtsverstoß in der Revisionsinstanz perpetuiert (vgl [X.] vom [X.] - B 4 RS 2/06 R - [X.] 4-1500 § 155 [X.] Rd[X.]9).

In der Sache geht es vorliegend um die Beitragspflicht des [X.] in der [X.] und [X.] aufgrund einer einmalig ausgezahlten Kapitalleistung. Sie betrifft einen Zeitraum von mehreren Jahren, da bei einer nicht regelmäßig wiederkehrenden Leistung 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag, längstens jedoch für 120 Monate, gilt (§ 229 Abs 1 Satz 3 SGB V). Dass währenddessen infolge von [X.], neu festgesetzten Beitragsbemessungsgrenzen oder sonstigen Änderungen in den [X.] die Beiträge durch abändernde Verwaltungsakte regelmäßig neu festzusetzen sind, liegt offenkundig auf der Hand. Die Beklagte hat auf die daher gebotene Nachfrage des [X.]s mitgeteilt, dass entsprechende Beitragsneufestsetzungen im Berufungsverfahren durch die weiteren Bescheide vom 17.12.2015, 24.6., 8.7. und 21.12.2016 sowie 28.6. und 19.7.2017 geregelt worden sind.

6. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] insgesamt. Der angefochtene Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.] lässt sich nicht in eine gesetzeskonforme Zurückweisung der Berufung mit ordnungsgemäßer Besetzung des Spruchkörpers und eine rechtswidrige Entscheidung unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters über die Klage aufspalten. Das [X.] hat das Verfahren als Ganzes geführt, ohne dass ein Teil des streitbefangenen Zeitraums abgetrennt worden ist. Die gesetzeswidrige Entscheidung auch über die Klage "infiziert" den gesamten Beschluss (vgl [X.] Beschluss vom 11.5.2011 - B 5 R 34/11 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]).

7. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 12 KR 8/19 R

08.10.2019

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Lüneburg, 21. Mai 2015, Az: S 16 KR 100/13, Urteil

§ 12 Abs 1 SGG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 229 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 5, § 57 Abs 1 SGB 11, § 21 SeelotG, § 28 Abs 1 Nr 6 SeelotG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 08.10.2019, Az. B 12 KR 8/19 R (REWIS RS 2019, 2917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2917

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