Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.03.2023, Az. XII ZB 228/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1374

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Darlegung eines vorübergehenden Funktionsausfalls eines Computers; Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung


Leitsatz

1. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf einen vorübergehenden Funktionsausfall eines Computers gestützt, bedarf es näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (im Anschluss an BGH Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW 2004, 2525).

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. April 2011 - XII ZB 701/10, NJW 2011, 1972).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Familiensenats des [X.] vom 2. Mai 2022 wird auf Kosten des Antragsgegners verworfen.

[X.]: 22.200 €

Gründe

I.

1

Das antragstellende Land verlangt vom Antragsgegner Zahlung von Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht wegen geleisteter Unterhaltsvorschusszahlungen. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner antragsgemäß zur Zahlung verpflichtet. Gegen den ihm am 25. Oktober 2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner form- und fristgemäß Beschwerde eingelegt.

2

Auf Antrag des [X.]n des Antragsgegners hat das [X.] die Frist zur Begründung der Beschwerde bis einschließlich 27. Januar 2022 verlängert. Die Beschwerdebegründung des Antragsgegners ist am 28. Januar 2022 um 0:03 Uhr per besonderem elektronischen Anwaltspostfach beim [X.] eingegangen.

3

Nachdem der Antragsgegner auf die Unzulässigkeit seiner Beschwerde wegen des verspäteten Eingangs der Beschwerdebegründung hingewiesen worden ist, hat er wegen der versäumten [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

4

Zur Begründung hat er vorgetragen, sein [X.]r habe die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht einreichen können, weil die verwendete Computertechnik am Tage des [X.] von 23:54 Uhr bis 23:58 Uhr nicht mehr funktioniert habe. Sein [X.]r habe gegen 23:50 Uhr die [X.] mit der Beschwerdebegründung über die Weboberfläche des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hochladen und an das [X.] digital übermitteln wollen. Dabei sei es zu einem nicht mehr nachvollziehbaren Problem mit dem verwendeten Laptop gekommen, sodass die Beschwerdebegründung erst nach Neustart des Computers habe übersandt werden können. Der [X.] seines [X.]n, den dieser am Tage nach dem Fristablauf zu Rate gezogen habe, habe festgestellt, dass der verwendete Laptop bereits am Tage des [X.] um 23:20 Uhr begonnen habe, Fehlermeldungen aufzuzeichnen. Er habe die aufgezeichneten Fehler aber nicht benennen können. Die Aufzeichnung der Warnungen hätten mit dem Neustart des Gerätes um 23:54 Uhr geendet. Der Ausfall der Computerhardware sei für seinen [X.]n nicht vorhersehbar gewesen.

5

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde verworfen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

7

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 5 FamFG iVm §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des [X.]. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsgegner weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).

8

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt: Die Beschwerdebegründungfrist sei nicht eingehalten, weil der [X.] erst nach Ablauf der bis 27. Januar 2022 verlängerten Begründungsfrist beim [X.] eingegangen sei.

9

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] könne dem Antragsgegner nicht gewährt werden. Der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass seinen [X.]n kein Verschulden treffe. Die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorgelegen habe oder [X.] der Hard- und Software ursächlich gewesen seien, die der [X.] des Antragsgegners verschuldet habe, sei ebenso wahrscheinlich, wie das vom Antragsgegner behauptete spontane Auftreten eines Hardwarefehlers, der sich nach etwa 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben habe. Es bestehe somit keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den [X.]n des Antragsgegners kein Verschulden treffe. Der Antragsgegner habe in der Begründung seines [X.] selbst angegeben, dass auch der die IT-Technik der Kanzlei des [X.]n des Antragsgegners betreuende Berater nach Kontrolle des maßgeblichen Laptops die Ursachen der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht habe feststellen können. Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners verhalte sich auch nicht dazu, ob der für den Versand des [X.]es per [X.] zum Einsatz gekommene Laptop nach dem Vorfall einer technischen Wartung oder Reparatur unterzogen worden sei und ob das Gerät vor dem Vorfall stets einwandfrei funktioniert habe. Nach alledem sei ein dem Antragsgegner [X.] Verschulden seines [X.]n an der Versäumung der [X.] nicht auszuschließen.

2. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

a) Das [X.] hat die Beschwerde zu Recht gemäß §§ 112 Nr. 1, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Antragsgegner diese nicht innerhalb der bis zum 27. Januar 2022 verlängerten [X.] begründet hat.

b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde abgelehnt.

aa) Nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die [X.] einzuhalten. Das Verschulden seines [X.]n ist dem Beteiligten zuzurechnen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO). Der Verfahrensbeteiligte muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 ZPO). Dabei verlangt ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt” oder „[X.]” gestützter Wiedereinsetzungsantrag nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (vgl. [X.] Beschluss vom 17. Mai 2004 - [X.] - NJW 2004, 2525, 2526). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem [X.]n verschuldet war (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2011 - [X.] 701/10 - NJW 2011, 1972 Rn. 8 mwN).

bb) Gemessen hieran ist die Auffassung des [X.], der Antragsgegner habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sein [X.]r die Fristversäumung nicht verschuldet hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Zwar stellen nach der Rechtsprechung des [X.] nicht vorhersehbare und nicht vermeidbare Störungen einer EDV-Anlage einen Wiedereinsetzungsgrund dar, wenn sie das rechtzeitige Erstellen oder Absenden eines Schriftsatzes verhindern ([X.] Beschlüsse vom 22. November 2017 - [X.]/15 - FamRZ 2018, 281 Rn. 23 und vom 12. Februar 2015 - [X.]/13 - NJW-RR 2015, 1196 Rn. 10 mwN). Nach dem vom Antragsgegner zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags gehaltenen Vortrag besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Januar 2022 - [X.] 227/21 - FamRZ 2022, 647 Rn. 11 mwN) dafür, dass der [X.] auf einem unvorhersehbaren und nicht vermeidbaren Fehler der verwendeten Hard- oder Software beruhte.

Der Antragsgegner räumt in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst ein, dass der Grund für die Funktionsstörung des verwendeten Laptops letztlich nicht aufgeklärt werden konnte. Auch dem von seinem [X.]n beauftragten [X.] war es nach Auswertung der im Ereignisprotokoll aufgezeichneten Fehler nicht möglich, eine Ursache für den [X.] zu benennen. Aus dem Vortrag des Antragsgegners ergibt sich weiter, dass der Laptop offensichtlich vor dem hier maßgeblichen [X.]raum fehlerfrei funktionierte, es nach dem Neustart des Computers auch zu keinen weiteren Funktionsstörungen mehr kam und eine Reparatur oder Wartung des Laptops nicht erforderlich war.

Für die Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax hat der [X.] jedoch bereits entschieden, dass ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts nicht hinreichend glaubhaft gemacht wird, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden haben, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt ist ([X.] Beschluss vom 10. Oktober 2006 - [X.] - NJW 2007, 601 Rn. 12). Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des [X.], dass ein von dem [X.]n verschuldeter Bedienfehler mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein unerwartet aufgetretener Hard- oder Softwarefehler, der sich nach 30 Minuten ohne weitere Maßnahmen von selbst behoben hat, keinen rechtlichen Bedenken.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht gegen einen vom [X.]n des Antragsgegners verschuldeten Bedienfehler auch nicht, dass dieser mit dem elektronischen Versand und der Signierung von Schriftstücken über den hier eingesetzten Laptop vertraut war. Im vorliegenden Fall nutzte der [X.] zur Fertigung und Übermittlung der Beschwerdebegründungsschrift einen aufwendigen Weg, obwohl ihm bis zum Ablauf der Begründungsfrist nur noch wenig [X.] zur Verfügung stand. Nach dem Vortrag des Antragsgegners hatte sein [X.]r den Schriftsatz zunächst unter Verwendung einer Spracherkennungssoftware auf einem älteren Desktop-PC erstellt. Gegen 23:26 Uhr begann er mit den erforderlichen Korrekturen des Schriftsatzes. Anschließend wechselte er zu seinem Laptop, um gegen 23:50 Uhr den Schriftsatz zu signieren und ihn an das Beschwerdegericht per [X.] zu übermitteln. Unter diesen Umständen ist es nicht auszuschließen, dass es auch bei jemandem, der mit der Bedienung eines Computers und den Arbeitsabläufen vertraut ist, aufgrund des [X.]drucks zu einer Fehlbedienung des Computers kommt.

cc) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es im vorliegenden Fall auch an der Darlegung fehlt, weshalb der [X.] des Antragsgegners nicht von der in § 130 d Satz 2 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die [X.] vor Ablauf der Begründungsfrist in herkömmlicher Weise - etwa per Telefax - einzureichen. Denn die in dieser Vorschrift vorgesehene Möglichkeit, bei einer technischen Störung ein Dokument nach den allgemeinen Vorschriften zu übermitteln, besteht unabhängig davon, ob die Störung auf einem Defekt des Übertragungsgeräts beruht oder in der Sphäre des [X.] liegt (vgl. [X.]/[X.]/[X.] ZPO 43. Aufl. § 130 d Rn. 2).

Guhling     

  

Klinkhammer     

  

Günter

  

Nedden-Boeger     

  

Pernice     

  

Meta

XII ZB 228/22

01.03.2023

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Rostock, 2. Mai 2022, Az: 11 UF 168/21

§ 85 Abs 2 ZPO, § 130d ZPO, § 233 ZPO, § 236 ZPO, § 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 117 Abs 5 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.03.2023, Az. XII ZB 228/22 (REWIS RS 2023, 1374)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1374

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