Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Az. 2 AZR 237/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 13347

ARBEITSRECHT DISKRIMINIERUNG BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) EUROPÄISCHER GERICHTSHOF (EUGH) KÜNDIGUNG MUTTERSCHUTZ KÜNSTLICHE BEFRUCHTUNG SÄCHSISCHES LANDESARBEITSGERICHT

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Gegenstand

Kündigung - Mutterschutz - In-vitro-Fertilisation - Diskriminierung


Leitsatz

1. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) greift das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ab dem Zeitpunkt der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (Embryonentransfer).

2. Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG nichtig, wenn sie wegen der - beabsichtigten - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwangerschaft erklärt wird.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. März 2014 - 3 [X.]/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die 1975 geborene Klägerin war bei dem Beklagten, der mit insgesamt zwei Arbeitnehmern eine Versicherungsvertretung betreibt, seit Februar 2012 als Büroleiterin beschäftigt. Der Beklagte äußerte sich regelmäßig positiv über die Arbeitsleistung der Klägerin. Verwarnungen oder Abmahnungen erteilte er ihr nicht.

3

Am 14. oder 15. Januar 2013 eröffnete die Klägerin dem Beklagten in einem persönlichen Gespräch, dass sie seit mehreren Jahren einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hege und ein erneuter Versuch einer künstlichen Befruchtung anstehe.

4

Mit Schreiben vom 31. Januar 2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 1. März 2013 und stellte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. In der Folge besetzte er ihre Stelle mit einer älteren Arbeitnehmerin.

5

Am 7. Februar 2013 wurde bei der Klägerin eine Frühschwangerschaft festgestellt. Unter dem 13. Februar 2013 teilte sie dies dem Beklagten mit. Der Mutterpass der Klägerin und ein ärztliches Schreiben vom 16. Mai 2013 benennen als Datum des sog. [X.] im Rahmen einer künstlichen Befruchtung den 24. Januar 2013. Am 1. Oktober 2013 wurde die Tochter der Klägerin geboren.

6

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat vorgebracht, bei deren Zugang sei sie bereits schwanger gewesen. Zudem stelle die Kündigung eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts dar. Sie sei wegen ihrer Ankündigung, sich künstlich befruchten zu lassen, erklärt worden.

7

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Januar 2013 nicht aufgelöst worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie bei Zugang der Kündigung bereits schwanger gewesen sei. Die von ihr vorgelegten Bescheinigungen seien widersprüchlich. Ihnen könne nicht entnommen werden, dass der [X.] am 24. Januar 2013 stattgefunden habe. Im Übrigen komme es für den Beginn der Schwangerschaft auf den Zeitpunkt der Einnistung an. Die Kündigung habe er allein deshalb erklärt, weil er mit der Arbeitsleistung der Klägerin nicht zufrieden gewesen sei.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung ist gemäß § 134 BGB unwirksam. Sie verstößt sowohl gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (A.) als auch gegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 [X.] (B.).

A. Die Klägerin genoss bei Zugang der Kündigung den besonderen Schutz aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

I. Nach dieser Vorschrift ist eine ohne behördliche Zustimmung (dazu § 9 Abs. 3 MuSchG) ausgesprochene Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur [X.] die Schwangerschaft bekannt war oder sie ihm innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

II. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Nr. 1 MuSchG. Die Klägerin hat dem [X.]n die Schwangerschaft jedenfalls binnen zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Eine behördliche Zustimmung lag nicht vor.

III. Die Klägerin war bei Zugang der Kündigung schwanger. Im Fall einer Schwangerschaft aufgrund einer Befruchtung außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) beginnt der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter ([X.]) und nicht erst mit ihrer Einnistung ([X.]).

1. In der Humanmedizin bezeichnet Schwangerschaft den Zustand der Frau von der Konzeption (dh. von dem zur Befruchtung führenden Verkehr) bis zur Geburt (vgl. [X.] 265. Aufl. „Konzeption“ und „Schwangerschaft“). Die [X.] wird entweder post menstruationem (dh. vom ersten Tag der letzten Menstruation bis zum [X.]) mit durchschnittlich 280 Tagen oder post conceptionem (dh. von der Konzeption bis zum [X.]) mit durchschnittlich 263 bis 273 Tagen berechnet ([X.] 265. Aufl. „[X.]“). Die Berechnung hängt unter anderem davon ab, ob auf den körperlichen Zustand der Frau oder auf den Beginn des Lebens abgestellt wird ([X.] 2009, 79).

2. Bei natürlicher Empfängnis wird der Beginn des [X.] aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in der Weise bestimmt, dass von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird (st. Rspr., vgl. [X.] 12. Mai 2011 - 2 [X.] - Rn. 33; 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 1 der Gründe, [X.]E 88, 357). Dieser [X.]raum umfasst die mittlere [X.], die bei einem durchschnittlichen Menstruationszyklus zehn Lunarmonate zu je 28 Tagen - gerechnet vom ersten Tag der letzten Regelblutung an - beträgt. Er markiert die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann. Damit werden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich ist.

Entgegen kritischen Stimmen in der Literatur [X.]/[X.]/[X.] 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b mwN) lässt der Senat dabei nicht einen Anscheinsbeweis zugunsten der Arbeitnehmerin eingreifen. Vielmehr verzichtet er bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Anspruch nehmen kann. Da sich - sofern nicht ausnahmsweise der Tag der Konzeption zweifelsfrei feststeht - Fehler und Ungenauigkeiten nicht vermeiden lassen, ist es gerechtfertigt, zunächst von der der Arbeitnehmerin günstigsten Berechnungsmethode auszugehen. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung über den mutmaßlichen Entbindungstermin erschüttern, indem er Umstände darlegt und beweist, aufgrund derer es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft vor [X.] auszugehen. Die Arbeitnehmerin muss dann weiteren Beweis führen und ist gegebenenfalls gehalten, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden ([X.] 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 3 c der Gründe, [X.]E 88, 357). Werden im Verlauf der Schwangerschaft genauere Erkenntnisse über den [X.]punkt ihres Beginns gewonnen, kann zudem eine korrigierte Bescheinigung erstellt werden ([X.] 27. Oktober 1983 - 2 [X.] - zu [X.] 2 c dd der Gründe).

3. Bei einer Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation beginnt der besondere Kündigungsschutz mit dem [X.]. Es kann weder die 280-Tages-Regel zur Anwendung gelangen, noch entscheidet der [X.]punkt der [X.].

a) Die In-vitro-Fertilisation ist eine Methode der künstlichen Befruchtung, bei der entnommene Eizellen mit präparierten Spermien befruchtet und die Embryos anschließend in den Uterus der Frau transferiert werden ([X.] 265. Aufl. „In-vitro-Fertilisation“). Der Vorgang läuft in mehreren Schritten ab, darunter die hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit dem Ziel, mehrere Eizellen gleichzeitig zur Reifung zu bringen, die Follikelpunktion, die Entnahme der Eizellen, die Befruchtung einer oder mehrerer Eizellen mit aufbereiteten Spermien, die Einsetzung der befruchteten Eizelle oder Eizellen in die Gebärmutter und die Einnistung (vgl. [X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 30, Slg. 2008, [X.]).

b) Aus Gründen der Rechtssicherheit kann eine Schwangerschaft bei Durchführung einer In-vitro-Fertilisation frühestens im [X.]punkt des [X.]s und nicht bereits mit Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Frau beginnen ([X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 41, Slg. 2008, [X.]). Da das „Einfrieren“ befruchteter Eizellen (sog. Kryokonservierung) durch das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 ([X.]), zuletzt geändert am 21. November 2011 ([X.] 2228)) zeitlich nicht begrenzt wird (§ 9 Nr. 4 des Gesetzes; vgl. [X.]/[X.] Medizinrecht 2. Aufl. § 9 [X.] Rn. 2), könnte sich eine Arbeitnehmerin andernfalls unter Umständen mehrere Jahre auf den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG berufen (aA [X.] 2009, 79).

c) Da eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation keinesfalls vor dem [X.] beginnen kann, verbietet sich eine Rückrechnung um 280 Tage vom mutmaßlichen Geburtstermin. Damit würden - weil der erste Tag der letzten Menstruation notwendig früher liegen muss - auch [X.]en vor dem Transfer einbezogen, ohne dass es nötig wäre, auf diese Weise der Gefahr vorzubeugen, eine tatsächlich schon schwangere Frau vom besonderen Kündigungsschutz auszuschließen.

d) Richtigerweise beginnt eine Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation auch nicht später als mit dem [X.] (ebenso [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Aufl. § 9 MuSchG Rn. 10; [X.]/[X.] 15. Aufl. § 3 [X.] Rn. 6; [X.] [X.] 40/2014 [X.]. 3; [X.]/[X.] 4. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 7; Küttner/Poeche Personalbuch 2014 Mutterschutz Rn. 5; [X.]/[X.]. § 195 RVO Rn. 41; [X.]/Zipperer MuSchG 9. Aufl. § 3 Rn. 2). Sie beginnt nicht erst mit der [X.] (so aber [X.] 7. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 6; KR/[X.]/[X.] 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 29; etwas missverständlich [X.]/[X.] MuSchG 8. Aufl. § 1 Rn. 141a; Rancke/Pepping Mutterschutz 3. Aufl. § 3 MuSchG Rn. 5; [X.]/[X.] MuSchG § 3 Rn. 118: sie sprechen jeweils von „erfolgreicher Implantation“).

aa) Der Mutterschutz genießt einen hohen Rang. Mit ihm verwirklicht der nationale Gesetzgeber seinen Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. [X.] 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - zu [X.] 2 b aa der Gründe, [X.]E 109, 64). Zugleich kommt er den Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz ([X.]) nach. Zweck des Mutterschutzes ist es, die im Arbeitsverhältnis stehende Mutter vor arbeitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu bewahren. Das Kündigungsverbot in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG soll die schwangere Arbeitnehmerin vor der Gefahr schützen, die die Möglichkeit einer Entlassung für ihre psychische und physische Verfassung darstellt (vgl. [X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 34, Slg. 2008, [X.] zu Art. 10 Nr. 1 der [X.]). Um die Sicherheit und den Schutz jeder schwangeren Arbeitnehmerin zu gewährleisten, ist nach den unionsrechtlichen Vorgaben von dem frühestmöglichen [X.]punkt des Vorliegens einer Schwangerschaft auszugehen ([X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 37, 40, aaO zu Art. 10 Nr. 1 der [X.]). Das ist der [X.]punkt der Verbindung einer befruchteten Eizelle mit dem Organismus der werdenden Mutter durch den [X.]. Spätestens damit ist ein Zustand erreicht, der demjenigen nach der natürlichen Befruchtung entspricht. Auch bei der natürlichen Empfängnis beginnt die Schwangerschaft mit der Konzeption, nicht erst mit der [X.].

bb) Das Abstellen auf den [X.] bedeutet zudem Rechtssicherheit. Der [X.]punkt des Transfers lässt sich problemlos feststellen. Für den [X.]punkt der [X.] gilt dies nicht. Bei der [X.] handelt es sich um einen Prozess, der mit Anheftung der Blastozyste (bzw. des Embryos) am fünften und sechsten Entwicklungstag beginnt und am elften bis zwölften Tag abgeschlossen wird ([X.] 265. Aufl. „[X.]“). Wann genau dieser Prozess bei der betreffenden Frau beginnt und endet, wird in der Regel nicht festgestellt. Damit ist der frühestmögliche Termin der [X.] nur schwer zu bestimmen. Es verbliebe eine erhebliche Unsicherheit über den Beginn des Kündigungsschutzes.

cc) Das Abstellen auf den [X.] steht nicht in Widerspruch zu § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zwar kann danach ein - strafbewehrter - Schwangerschaftsabbruch erst vorliegen, wenn die Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter abgeschlossen ist. Schutzobjekt des § 218 StGB ist jedoch nicht (auch) die werdende Mutter, sondern ausschließlich die Leibesfrucht. Der strafrechtliche Schutz setzt deshalb erst nach dem biologisch-medizinischen Beginn einer Schwangerschaft ein (vgl. [X.]/[X.]/[X.] StGB 29. Aufl. § 218 Rn. 6). Er stellt auf den [X.]punkt der [X.] ab, weil vorher kaum zwischen einem Abbruch und einem ungewollten Frühstabgang der Leibesfrucht unterschieden werden kann (vgl. [X.]. 12/2605 S. 22; [X.]/[X.]/[X.] StGB 29. Aufl. vor §§ 218 bis 219b Rn. 35). Die andere Zielrichtung des § 218 Abs. 1 Satz 2 StGB als die des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtfertigt es, für den Beginn des jeweiligen Schutzes unterschiedliche [X.]punkte festzulegen. So liegt es im Übrigen nicht nur bei der Schwangerschaft aufgrund einer In-vitro-Fertilisation, sondern auch bei der natürlichen Schwangerschaft.

dd) Der Hinweis des [X.]n auf geringe Erfolgsaussichten von In-vitro-Fertilisationen spielt für den Streitfall keine Rolle. Die Klägerin hat zwischenzeitlich ein Kind entbunden. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob durch den [X.] der Beginn des besonderen Kündigungsschutzes lediglich für den Fall bestimmt wird, dass es in der Folge zu einer [X.] kommt, oder ob der besondere Kündigungsschutz mit der Einsetzung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter „unbedingt“, also in jedem Fall, einsetzt und - ohne Nachwirkung - wieder endet, wenn eine Einnistung ausbleibt. Die letztgenannte Sichtweise könnte durch Art. 10 Nr. 1 [X.] geboten sein, entspricht der Rechtslage bei natürlicher Schwangerschaft (bei der die nicht zur [X.] führende Konzeption freilich oft unbemerkt bleiben wird) und verwirklicht den Grundsatz, dass die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts zum [X.]punkt seiner Vornahme feststehen soll [X.]/[X.]/[X.] 10. Aufl. § 9 MuSchG Rn. 64b zur Rechtsprechung des Senats zum Beginn der Schwangerschaft bei natürlicher Empfängnis). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG (vgl. auch Art. 2 Buchst. a der [X.]) wird er durchbrochen, indem eine ohne Kenntnis von der Schwangerschaft erklärte Kündigung unwirksam wird, wenn die Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber fristgerecht entsprechende Mitteilung macht. Insofern wird dem Arbeitgeber ohnehin ein mindestens zweiwöchiger - bei fehlendem Verschulden der Arbeitnehmerin sogar längerer - „Schwebezustand“ zugemutet. Solches ist dem Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht auch in anderen Zusammenhängen nicht fremd (vgl. für das Arbeitsrecht nur § 85 [X.], §§ 174, 180 BGB und zB für das Mietrecht § 543 Abs. 2 Satz 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB).

4. Danach war die Klägerin bei Zugang der Kündigung schwanger. Das [X.] hat festgestellt, dass der [X.] am 24. Januar 2013 erfolgt ist. Diese Feststellung bindet den Senat. Gegen sie ist ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff nicht geführt worden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

a) Der [X.]punkt des [X.]s ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO. Eine solche ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht den gesamten Inhalt der Verhandlung berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob eine Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei, ohne Verletzung von Denkgesetzen sowie allgemeinen [X.] erfolgt und ob sie rechtlich möglich ist ([X.] 21. August 2014 - 8 [X.] - Rn. 40; 20. Juni 2013 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 145, 278).

b) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast für das Bestehen einer Schwangerschaft im Kündigungszeitpunkt zunächst durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung genügt ([X.] 7. Mai 1998 - 2 [X.] - zu II 3 c der Gründe, [X.]E 88, 357), und die Klägerin mit ihrem Mutterpass und dem Schreiben vom 16. Mai 2013 zwei Bescheinigungen vorgelegt hat, die als Tag des [X.]s den 24. Januar 2013 ausweisen. Der [X.] geht selbst davon aus, dass die Klägerin an diesem Tag aufgrund einer „[X.]“ ausgefallen sei.

c) Die von der Revision gerügten Widersprüche in den ärztlichen Bescheinigungen bestehen nicht. Zwar wurde laut Mutterpass am 27. Februar 2013 eine Schwangerschaft in der siebten/achten Woche festgestellt. Diese Angabe beruhte jedoch ersichtlich auf einer Berechnung anhand der letzten Menstruation, die im Mutterpass mit Datum vom 8. Januar 2013 angegeben ist. Dem entspricht die Feststellung einer Frühschwangerschaft in der fünften Woche in der ärztlichen Bescheinigung vom 11. Februar 2013.

B. Die Kündigung verstieß außerdem gegen § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 [X.]. Sie diskriminierte die Klägerin wegen ihres Geschlechts.

I. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das [X.] - noch - keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 [X.] genannten Gründe diskriminiert, ist gemäß § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1 [X.] unwirksam. Zwar regelt das [X.] nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 [X.] unzulässige Benachteiligung hat. Jedoch ergibt sich die Rechtsfolge aus § 134 BGB. Seit Inkrafttreten des [X.] sind deshalb diskriminierende Kündigungen nicht mehr am Maßstab des § 242 BGB zu messen. § 2 Abs. 4 [X.] steht dem nicht entgegen ([X.] 19. Dezember 2013 - 6 [X.]/12 - Rn. 14, 18, 22).

II. Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, der [X.] habe die Klägerin durch die Kündigung wegen ihres Geschlechts diskriminiert.

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 [X.] dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 [X.] genannten Merkmale benachteiligt werden. Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 [X.] liegt vor, wenn eine Person wegen eines der verpönten Merkmale eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

2. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 [X.] an. Erst die dem [X.] zugrunde liegenden Erwägungen können Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 [X.] sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt ([X.] 22. Oktober 2009 - 8 [X.] - Rn. 29).

3. Die Kündigung wegen einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin oder aus einem im Wesentlichen auf der Schwangerschaft beruhenden Grund kommt nur bei Frauen in Betracht. Sie stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (vgl. [X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 46, Slg. 2008, [X.]; 8. September 2005 - [X.]-191/03 - [[X.]] Rn. 47, Slg. 2005, [X.]; jeweils zur [X.]). Da die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung einer In-vitro-Fertilisation ausschließlich Frauen betreffen, führt die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die hauptsächlich aus dem Grund erfolgt, dass sie beabsichtigt, sich dieser Behandlung zu unterziehen, ebenfalls zu einer unmittelbaren Geschlechtsdiskriminierung (vgl. [X.] 26. Februar 2008 - [X.]/06 - [[X.]] Rn. 50, Slg. 2008, [X.] zur [X.]; siehe auch [X.] 3. Juni 2014 - 12 [X.]/13 - zur Nichtverlängerung eines Arbeitsverhältnisses).

4. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass maßgeblicher Grund für die Kündigung die - geplante - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit verbundene Möglichkeit einer Schwangerschaft waren.

a) Die zugunsten der Klägerin eingreifende Beweislastregel des § 22 [X.] für eine Benachteiligung wegen eines der in § 1 [X.] genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der Darlegungslast aus. Es genügt, dass die Beschäftigte Indizien vorträgt und gegebenenfalls beweist, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Hierzu ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Schluss auf eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Diskriminierungsmerkmal erlauben. Vielmehr reicht es, wenn dafür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Ist dies der Fall, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat ([X.] 7. Juli 2011 - 2 [X.] - Rn. 34; 22. Juli 2010 - 8 [X.] - Rn. 65).

b) Die Würdigung, ob die Arbeitnehmerin Tatsachen vorgetragen hat, die ihre Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen, obliegt den Tatsachengerichten. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO haben sie unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze gelten auch, wenn nicht darüber zu entscheiden ist, ob eine Behauptung „wahr“ ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung der Arbeitnehmerin als „wahr“ vermuten lassen ([X.] 22. Juli 2010 - 8 [X.] - Rn. 66; 17. Dezember 2009 - 8 [X.] - Rn. 20).

c) Die gewonnene Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem verpönten Merkmal - hier dem Geschlecht der Klägerin - und einem Nachteil kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt ([X.] 18. September 2014 - 8 [X.] 753/13 - Rn. 24; 27. März 2014 - 6 [X.] 989/12 - Rn. 37).

d) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des [X.]s, maßgeblicher Grund für den Ausspruch der Kündigung seien die - beabsichtigte - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und die damit einhergehende Möglichkeit einer Schwangerschaft der Klägerin gewesen, allemal stand.

aa) Das [X.] hat, wenn auch ohne Bezug auf § 22 [X.], hinreichende Indizien für seine Annahme darin gesehen, dass der [X.], der sich bis dahin regelmäßig positiv über ihre Arbeitsleistung geäußert hatte, das Arbeitsverhältnis der Klägerin kurze [X.] nach ihrer Mitteilung vom 14. oder 15. Januar 2013 von einer erneut „anstehenden“ künstlichen Befruchtung - nämlich am 31. Januar 2013 - gekündigt und ihre Stelle mit einer „älteren“ Arbeitnehmerin besetzt hat. Ferner hat es gemeint, der [X.] habe die aus diesen Umständen resultierende Vermutung nicht durch substantiierten Sachvortrag entkräftet.

bb) Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Insbesondere der zeitliche Zusammenhang trägt den Schluss, die Kündigung sei aufgrund der Ankündigung der Klägerin erfolgt (vgl. dazu [X.] 23. April 2009 - 6 [X.] 189/08 - Rn. 15, [X.]E 130, 347 zu § 612a BGB). Soweit der [X.] die unstreitigen Tatsachen - die Mitteilung der Klägerin und das Fehlen von Verwarnungen und Abmahnungen - anders beurteilt sehen will, setzt er lediglich seine eigene Würdigung an die Stelle derer des [X.]s. Rechtsfehler zeigt er damit nicht auf.

cc) Die vom [X.]n erstmals in der Revisionsinstanz vorgebrachten Tatsachen können gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Berücksichtigung mehr finden. Verfahrensrügen iSv. § 559 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO hat er nicht erhoben.

[X.]. Der [X.] hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Söller    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 237/14

26.03.2015

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Leipzig, 21. Juni 2013, Az: 9 Ca 600/13, Urteil

§ 9 Abs 1 S 1 MuSchG, § 5 Abs 2 S 1 MuSchG, Art 6 Abs 4 GG, § 7 Abs 1 AGG, § 134 BGB, § 22 AGG, § 218 Abs 1 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.03.2015, Az. 2 AZR 237/14 (REWIS RS 2015, 13347)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 1899 REWIS RS 2015, 13347

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