Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2016, Az. 2 BvR 695/16

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2016, 13014

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen materieller Subsidiarität bei unterlassener Anhörungsrüge - hier: körperliche Durchsuchung eines in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten


Gründe

1

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] richtet, ist sie unzulässig, weil nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt hat.

2

1. Dieser in § 90 Abs. 2 [X.] zum Ausdruck kommende Grundsatz verlangt, dass Beschwerdeführer alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen ([X.] 134, 106 <113 ff.> unter Verweis auf [X.] 107, 395 <414>; 112, 50 <60>). Das kann auch bedeuten, dass Beschwerdeführer zur Wahrung des [X.] gehalten sind, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung mit den gegebenen Rechtsbehelfen, insbesondere mit einer Anhörungsrüge, selbst dann anzugreifen, wenn sie im Rahmen der ihnen insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen wollen ([X.] 134, 106 <115> unter Verweis auf [X.] 126, 1 <17>), durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge in den vor den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch andere Grundrechtsverletzungen, durch die sie sich beschwert fühlen, beseitigt werden ([X.] 134, 106 <115> unter Verweis auf [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, juris Rn. 10).

3

a) Zum Rechtsweg gehört, soweit statthaft, auch die Anhörungsrüge (vgl. zum Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes etwa [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. Juli 2015 - 2 BvR 1245/15 -, juris, Rn. 4). Eine Anhörungsrüge war hier statthaft und nicht deshalb entbehrlich, weil sie offensichtlich aussichtslos gewesen wäre (vgl. [X.]K 7, 403 <407>). Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. März 2011 - 2 BvR 43/10 -, 2 BvR 86/10 -, 2 BvR 140/10 -, juris, Rn. 2 unter Verweis auf [X.] 19, 32 <36>; 49, 325 <328>; [X.]K 7, 438 <441>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 6. August 1992 - 2 BvR 628/92 -, juris, Rn. 10; Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 188/09 -, NVwZ 2009, [X.]; Beschluss der [X.] des [X.] vom 30. Juli 2009 - 2 BvR 1575/09 -, juris, Rn. 3). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist daher verletzt, wenn das Gericht einem Verfahrensbeteiligten, bevor es eine ihm ungünstige Entscheidung trifft, keine Gelegenheit gibt, zu der im Verfahren abgegebenen Stellungnahme der Gegenseite Stellung zu nehmen ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. März 2011 - 2 BvR 43/10 -, 2 BvR 86/10 -, 2 BvR 140/10 -, juris, Rn. 2 unter Verweis auf [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 15. November 2010 - 2 BvR 1183/09 -, juris). Dies gilt - auch wenn der Gehörsverstoß zur Aufhebung der ergangenen Entscheidung nur unter der Voraussetzung führt, dass sie auf dem Verstoß beruht ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. März 2011 - 2 BvR 43/10 -, 2 BvR 86/10 -, 2 BvR 140/10 - juris, Rn. 2 unter Verweis auf [X.] 7, 239 <241>; 13, 132 <145>; 52, 131 <152 f.>; 89, 381 <392 f.>; stRspr) - unabhängig davon, ob unter den gegebenen Umständen von der Möglichkeit auszugehen ist, dass eine mögliche Gegenstellungnahme Einfluss auf das Entscheidungsergebnis gewinnt, oder nicht. Denn der grundrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör dient nicht nur der Gewährleistung sachrichtiger Entscheidungen, sondern auch der Wahrung der Subjektstellung der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. März 2011 - 2 BvR 43/10 -, 2 BvR 86/10 -, 2 BvR 140/10-, juris, Rn. 2 unter Verweis auf [X.] 107, 395 <409>).

4

b) Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers hat dieser eine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt in dem Verfahren den einstweiligen Rechtsschutz betreffend nicht zur Kenntnis- und Stellungnahme erhalten, obgleich das [X.] dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 4. März 2016 die Einholung einer solchen Stellungnahme angekündigt hatte. Auch in dem angegriffenen Beschluss vom 16. März 2016 wurde eine solche Stellungnahme offenbar verwendet, ohne diese dem Beschwerdeführer vorab zu übersenden und eine Frist zur Stellungnahme einzuräumen.

5

2. Angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist dem [X.] eine Entscheidung darüber versagt, ob der angegriffene Beschluss des [X.] mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Hiergegen bestehen Bedenken, da das [X.] bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorliegt, nicht geprüft hat, ob es sich bei der allgemeinen Anordnung um eine Allgemeinverfügung handelt ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. Mai 2011 - 2 BvR 722/11 -, juris, Rn. 3). Zudem hat das [X.] die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt, die körperliche Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer trotz seiner beiden auslegungsfähigen Anträge vom 1. Februar 2016, mit denen er die Rechtswidrigkeit der Maßnahme rügte, weiter durchzuführen, offensichtlich nicht als Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift erachtet.

6

3. Schließlich sind im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der allgemeinen Anordnung und ihrer Anwendung auf den Beschwerdeführer die besonderen Umstände des Einzelfalls zu beachten (vgl. zu dem schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch unbekleidete Durchsuchungen etwa [X.]K 2, 102; [X.], Beschluss der[X.] des [X.] vom 10. Juli 2013 - 2 BvR 2815/11 -, juris, Rn. 15; Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. März 2015 - 2 BvR 746/13 -, juris, Rn. 33).

7

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 695/16

14.04.2016

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Aachen, 16. März 2016, Az: 33i StVK 188/16, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 64 SichVVollzG NW, § 109 Abs 1 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 14.04.2016, Az. 2 BvR 695/16 (REWIS RS 2016, 13014)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13014

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