Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2018, Az. VIII ZR 290/18

8. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 3389

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Gegenstand

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht: Anwaltszwang für einen Vollstreckungsschutzantrag im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Ausschluss bei versäumtem Vollstreckungsschutzantrag; Wert der Beschwer bei einem Wohnraummietverhältnis auf 50 Jahre


Tenor

Der Antrag der Beklagten vom 11. September 2018, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss der 2. Zivilkammer des [X.] ([X.]) vom 27. August 2018 in Verbindung mit dem Urteil des [X.] vom 22. Mai 2018 ([X.]. 31a [X.]/17) einstweilen einzustellen, wird abgelehnt.

Die Anträge der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Notanwalts für eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen den vorbezeichneten Beschluss des [X.] ([X.]) werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beklagte ist von dem Amtsgericht mit dem im Tenor genannten für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil zur Räumung und Herausgabe des von ihr bewohnten Hauses der Klägerin in S.         verurteilt worden. Das Amtsgericht hat insoweit einen Herausgabeanspruch der Klägerin aus § 985 BGB bejaht, da es der [X.] nicht gelungen sei, ihre - schon nicht substantiiert vorgetragene - Behauptung zu beweisen, sie sei deshalb zum Besitz der Wohnräume berechtigt (§ 986 Abs. 1 Satz 1 BGB), weil sie im Jahre 2010 mit ihrer Mutter, der früheren Eigentümerin des Hauses, einen Mietvertrag über 50 Jahre geschlossen und die Miete in Höhe von 80.000 € für die gesamte Mietzeit im Voraus bar bezahlt habe. Die Berufung der [X.] hat das [X.] mit Beschluss vom 27. August 2018 nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückgewiesen.

2

Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 11. September 2018 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt sowie die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines bei dem [X.] zugelassenen Rechtsanwalts beantragt. Zudem hat die Beklagte mit einem weiteren Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten die Beiordnung eines Notanwalts beantragt (§ 78b ZPO).

II.

3

1. Der Antrag der [X.] auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 544 Abs. 5 Satz 2, § 719 Abs. 2 ZPO ist unzulässig, weil er entgegen § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht von einem bei dem [X.] zugelassenen Rechtsanwalt gestellt worden ist. Der Antrag unterliegt (auch) im [X.] dem Anwaltszwang nach § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 6. Mai 2004 - [X.] 4/04, [X.], 2370 unter [X.]; vom 9. Juni 2004 - [X.], [X.], 416 unter [X.]; vom 17. September 2008 - [X.], juris; vom 12. August 2009- [X.] 30/09, [X.] 2010, 53 Rn. 3; vom 30. März 2011 - I[X.] 23/10, juris; vom 22. Februar 2012 - [X.] 12/11, [X.], 1432 Rn. 2; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 14. Dezember 1994 - [X.], juris Rn. 1; vom 24. März 2015 - [X.], juris Rn. 4).

4

Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Partei für das [X.] die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Juni 2004 - [X.], aaO; vom 17. September 2008 - [X.], aaO; vom 22. Februar 2012 - [X.] 12/11, aaO; vom 12. August 2009 - [X.] 30/09, aaO; vom 30. März 2011 - I[X.] 23/10, aaO; vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. Dezember 1994 - [X.], aaO). Aus § 78 Abs. 3 ZPO ergibt sich keine Ausnahme von dem vorbezeichneten Anwaltszwang, da diese Vorschrift über das Prozesskostenhilfeverfahren hinaus nicht auch den Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung umfasst (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Dezember 1994 - [X.], aaO; vom 6. Mai 2004 - [X.] 4/04, aaO; vom 12. August 2009 - [X.] 30/09, aaO [zu der damaligen inhaltsgleichen Vorschrift des § 78 Abs. 5 ZPO]; vom 22. Februar 2012 - [X.] 12/11, aaO; [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 78 Rn. 28; Vollkommer, [X.], 1432, 1433).

5

Ob die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung über den Wortlaut von § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO und § 719 Abs. 2 ZPO hinaus zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes bereits während der Dauer des Verfahrens auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine von einem beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt noch einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde zulässig sein kann (ablehnend [X.], Beschluss vom 22. Februar 2001 - I ZA 1/01, juris Rn. 19 f. [für den Prozesskostenhilfeantrag vor Einlegung der Revision]; offengelassen in [X.], Beschlüsse vom 6. Mai 2004 - [X.] 4/04, aaO unter II 2 a; vom 9. Juni 2004 - [X.], aaO; vom 22. Februar 2012 - [X.] 12/11, aaO Rn. 3), bedarf keiner Entscheidung.

6

2. Denn der Antrag der [X.] auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist jedenfalls unbegründet. Nach § 719 Abs. 2 ZPO, der gemäß § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO in dem hier gegebenen Fall der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechende Anwendung findet, kann das Revisionsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil anordnen, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Diese Voraussetzungen liegen aus mehreren Gründen nicht vor.

7

a) Nicht unersetzlich sind Nachteile, die der Schuldner selbst vermeiden kann. Deswegen kann er sich nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s nur dann darauf berufen, die Zwangsvollstreckung bringe ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil, wenn er in der Berufungsinstanz einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO gestellt hat. Hat der Schuldner dies versäumt, kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn es dem Schuldner im Berufungsverfahren aus besonderen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar war, einen Vollstreckungsschutzantrag zu stellen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 1. April 2014 - [X.], juris Rn. 5; vom 27. Februar 2018 - [X.], [X.], 221 Rn. 5; jeweils mwN).

8

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz einen Antrag nach § 712 ZPO nicht gestellt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ihr die Stellung eines solchen Antrags nicht möglich oder nicht zumutbar war.

9

b) Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt zudem dann nicht in Betracht, wenn das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2017 - [X.], [X.], 293 Rn. 2 mwN; vom 4. Juli 2017 - [X.], [X.], 542 Rn. 14). So verhält es sich hier. Der Nichtzulassungsbeschwerde der [X.] fehlt es an der für eine Einstellung der Zwangsvollstreckung erforderlichen Erfolgsaussicht.

aa) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist bereits unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer sich - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde - lediglich auf 5.600 € beläuft und damit die in § 26 Nr. 8 EGZPO vorgegebene Wertgrenze von mehr als 20.000 € nicht erreicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Wert der Beschwer bei einem Streit über das Bestehen eines Mietverhältnisses, dessen Dauer unbestimmt ist, nach dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Nettomiete (§§ 8, 9 ZPO) zu bemessen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 7. März 2017- [X.], aaO Rn. 3; vom 6. Februar 2018 - [X.], [X.], 221 Rn. 2; jeweils mwN).

Das von der [X.] behauptete Mietverhältnis ist ungeachtet der von ihr vorgetragenen Vereinbarung einer Dauer von 50 Jahren als ein Mietverhältnis anzusehen, dessen Dauer im Sinne der vorbezeichneten Rechtsprechung des Senats unbestimmt ist.

(1) Dies folgt hier bereits aus § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn weder den Feststellungen des Berufungsgerichts noch dem Vorbringen der [X.] lässt sich ein für den wirksamen Abschluss eines zeitlich befristeten Mietverhältnisses ([X.]) erforderlicher [X.] nach § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB entnehmen. Ohne einen solchen [X.] gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte [X.] geschlossen (§ 575 Abs. 1 Satz 2 BGB).

(2) Zudem folgt auch aus § 550 Satz 1 BGB, dass es sich bei dem von der [X.] behaupteten Mietverhältnis um ein solches von unbestimmter Dauer handelt. Nach dieser Vorschrift gilt der Mietvertrag für unbestimmte [X.], wenn er für längere [X.] als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen wird. Das Berufungsgericht hat - wie bereits das Amtsgericht - rechtsfehlerfrei angenommen, dass die von der [X.] vorgelegte handschriftliche Quittung vom 10. Oktober 2010 über den angeblichen Erhalt von 80.000 € als Mietvorauszahlung nicht den Anforderungen eines schriftlichen Mietvertrages genügt.

(3) Unter Zugrundelegung des Sachvortrags der [X.] beträgt - ausgehend von einer Gesamtmiete in Höhe von 80.000 € für einen [X.]raum von 50 Jahren - die der [X.] zugrunde zu legende jährliche (Netto-) Miete 1.600 €, der dreieinhalbfache Betrag dieser Miete mithin 5.600 €.

bb) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im Übrigen auch unbegründet, da ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) weder von der [X.] aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich ist und der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts der Rechtslage entspricht.

3. Da die von der [X.] beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO), sondern vielmehr aussichtslos ist (§ 78b Abs. 1 ZPO), sind auch deren Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde sowie auf Beiordnung eines Notanwalts zurückzuweisen.

Dr. Milger     

        

Dr. Schneider     

        

Dr. Fetzer

        

Dr Bünger     

        

Dr. Schmidt     

        

Meta

VIII ZR 290/18

26.09.2018

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Frankenthal, 27. August 2018, Az: 2 S 126/18

§ 8 ZPO, § 9 ZPO, § 78 Abs 1 S 3 ZPO, § 544 Abs 5 S 2 ZPO, § 712 Abs 1 ZPO, § 712 Abs 2 ZPO, § 719 Abs 2 ZPO, § 26 Nr 8 ZPOEG, § 546 BGB, § 550 S 1 BGB, § 575 Abs 1 S 1 BGB, § 575 Abs 1 S 2 BGB, § 985 BGB, § 986 Abs 1 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.09.2018, Az. VIII ZR 290/18 (REWIS RS 2018, 3389)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3389


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VIII ZR 290/18

Bundesgerichtshof, VIII ZR 290/18, 26.09.2018.


Az. 2 S 126/18

Landgericht Frankenthal (Pfalz), 2 S 126/18, 27.08.2018.


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