Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.05.2015, Az. XI ZR 27/14

11. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 10951

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Gegenstand

Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Schadensersatzklage wegen Kapitalanlegerverlusten: Begründung des Gerichtsstands für Verbrauchersachen durch rügelose Einlassung in der Klageerwiderung einer irischen Bank zu ihrer Inanspruchnahme aus der Finanzierung einer Filmfondsbeteiligung


Leitsatz

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 24 Satz 1 EuGVVO aF wird durch eine rügelose Einlassung in der Klageerwiderung begründet (Fortführung von BGH, Urteil vom 31. Mai 2011, VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 Rn. 35).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 17. Dezember 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die [X.] im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung an einem Filmfonds auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Am 5. Dezember 2001 zeichnete der damals im Bezirk des [X.] wohnende Kläger auf Empfehlung eines Mitarbeiters der [X.] zu 1), der [X.], eine Kommanditeinlage in Höhe von 160.000 € an dem Filmfonds "S.  "                        [X.].  . Die Beteiligung wurde in Höhe von 41,4% über die Beklagte zu 2), eine in [X.] ansässige [X.], finanziert.

3

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte zu 2) sei ihm aufgrund Prospekthaftung im weiteren Sinne, aus vorvertraglicher [X.] bei der Anbahnung der Anteilsfinanzierung und gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264a StGB neben der [X.] zu 1) schadensersatzpflichtig. Er hat am 19. Dezember 2010 einen Güteantrag an einen Mediator gerichtet, der am 5. Mai 2011 das Scheitern des [X.] festgestellt hat. Nach Verlegung seines Wohnsitzes in die [X.] hat der Kläger am 28. Juni 2012 Klage gegen beide [X.] beim [X.] München I eingereicht.

4

Das [X.] hat die auf Zahlung und Feststellung gerichtete Klage gegen die Beklagte zu 2) durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Das [X.] habe die Klage zu Recht wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der [X.] Gerichte als unzulässig abgewiesen. Da die [X.] zu 2) eine eigenständige juristische Person mit Sitz in [X.] sei, sei der Anwendungsbereich der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der bis zum 9. Januar 2015 geltenden Fassung (im Folgenden: [X.] aF) eröffnet, deren Gerichtsstände denen des nationalen Rechts vorgingen.

8

Eine internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte nach der [X.] aF sei nicht gegeben.

9

Im Zeitpunkt der Zeichnung der Fondsbeteiligung habe zwar ein Gerichtsstand gemäß Art. 15 Nr. 1 Buchst. c, Art. 16 [X.] aF bestanden. Darunter fielen nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern alle Klagen, die zu einem Verbrauchervertrag eine so enge Bindung aufwiesen, dass sie von ihm nicht getrennt werden könnten. Dazu gehörten auch konkurrierende nichtvertragliche, insbesondere deliktische Anspruchsgrundlagen. Der Finanzierungsvertrag zwischen den Parteien sei ein Verbrauchergeschäft im Sinne des Art. 15 [X.] aF. Die [X.] zu 2) habe ihre gewerbliche Tätigkeit auf [X.] als damaligen Wohnsitzstaat des [X.] als Verbraucher ausgerichtet; im Rahmen dieser Tätigkeit sei der konkrete Vertrag geschlossen worden. Der Gerichtsstand in [X.] gemäß Art. 15, 16 [X.] aF sei aber durch den Umzug des [X.] in die [X.] vor Einreichung der Klage weggefallen. Maßgeblich sei der Wohnsitz des Verbrauchers im Zeitpunkt der Klageerhebung. Der Antrag des [X.] auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens bei einem Anwaltsmediator rechtfertige keine andere Beurteilung, weil dieses Verfahren weder Rechtsprechungscharakter habe noch Voraussetzung für die Durchführung eines streitigen Gerichtsverfahrens sei.

Die Zuständigkeit [X.] Gerichte ergebe sich auch nicht aufgrund rügeloser Einlassung der [X.]n zu 2) gemäß Art. 24 [X.] aF. Die [X.] zu 2) habe die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zwar nicht in der Klageerwiderung, aber noch rechtzeitig im Nachgang hierzu vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung selbst gerügt.

Art. 5 und 6 [X.] aF begründeten keinen Gerichtsstand in [X.], weil sie hinter der abschließenden Regelung der Zuständigkeit für [X.]n in den Art. 15, 16 [X.] aF zurückträten.

Aus den Vorschriften des am 30. Oktober 2007 in [X.] geschlossenen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: [X.]) ergebe sich ebenfalls keine Zuständigkeit der [X.] Gerichte. Die Voraussetzungen des Art. 15 Nr. 1 Buchst. c [X.] lägen nicht vor, weil der Vertragsschluss zwischen den Parteien nicht die Folge einer Ausrichtung der Tätigkeit der [X.]n zu 2) auf die [X.] als jetzigen Wohnsitzstaat des Verbrauchers, sondern das Ergebnis ihres Tätigwerdens in [X.] sei. Zudem würde Art. 15 [X.] nur eine Zuständigkeit der Gerichte in der [X.] begründen, da dort der Wohnsitz des [X.] sei. Art. 5 Nr. 3, Art. 6 [X.] seien nicht anwendbar, da es sich um eine Art. 15, 16 [X.] aF unterfallende [X.] handele. Der Umzug des [X.] in die [X.] rechtfertige nicht die Anwendbarkeit der Art. 5 ff. [X.] aF/[X.], die hinter die Spezialregelungen der Art. 15 ff. [X.] aF zurückzutreten hätten. Dem Verbraucherschutz werde ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Verbraucher in seinem neuen, von ihm selbst gewählten Wohnsitzstaat klagen könne.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Gegen die von Amts wegen zu prüfende ([X.], Urteil vom 11. Mai 2011 - [X.], [X.]Z 189, 356 Rn. 19 ff.) Zulässigkeit des erstinstanzlichen Teilurteils bestehen allerdings keine Bedenken. Ein Streitgenosse, bezüglich dessen die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit unzulässig ist, kann durch Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden ([X.], Urteil vom 24. Februar 2015 - [X.], juris Rn. 6 ff.).

2. Ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte ergebe sich weder aus Art. 15, 16 [X.] aF noch aus Art. 6 Nr. 1 [X.] aF, rechtlicher Überprüfung standhält, bedarf keiner Entscheidung. Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte ist jedenfalls, anders als das Berufungsgericht meint, kraft rügeloser Einlassung der [X.]n zu 2) vor dem [X.] München I begründet.

a) Die Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung ist, da die [X.] zu 2) ihren Sitz in [X.] und damit in einem Mitgliedstaat der [X.] hat, nach Art. 24 Satz 1 [X.] aF, nicht nach Art. 24 Satz 1 [X.] zu beurteilen (Art. 64 Nr. 1 [X.]; vgl. [X.]/von [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., [X.], Einl. Rn. 101).

b) Nach Art. 24 Satz 1 [X.] aF wird ein Gericht eines Mitgliedstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften der Verordnung zuständig ist, zuständig, wenn sich der [X.] vor diesem Gericht auf das Verfahren einlässt, ohne den Mangel der Zuständigkeit zu [X.], und keine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. Von einer Einlassung auf das Verfahren ist auszugehen, wenn der [X.] die Zuständigkeitsrüge nicht spätestens in der Stellungnahme erhebt, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in [X.] am 16. September 1988 [[X.]] [X.], Urteil vom 31. Mai 2011 - [X.], [X.]Z 190, 28 Rn. 35 mwN; vgl. zu der inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 18 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 [im Folgenden: EuGVÜ]: [X.], [X.]. 1981, [X.] Rn. 15 f., [X.] 2014, 64 Rn. 37, [X.], 1142 Rn. 36; [X.], Beschluss vom 18. September 2001 - [X.], [X.], 2121, 2123). Vor den [X.] Zivilgerichten ist danach im Gegensatz zu § 39 ZPO keine Einlassung zur Hauptsache erforderlich; zuständigkeitsbegründend ist bereits eine rügelose Einlassung in der Klageerwiderung ([X.], Urteil vom 31. Mai 2011 - [X.], [X.]Z 190, 28 Rn. 35). Nach diesen Grundsätzen sind die [X.] Gerichte mit Eingang der Klageerwiderung der [X.]n zu 2) zuständig geworden. In dieser hat die [X.] zu 2) umfassende und ausführliche Einwendungen in der Sache erhoben, ohne die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu beanstanden. Eine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 22 [X.] aF besteht nicht. Die erstmals im Schriftsatz vom 6. Dezember 2012 erhobene Rüge vermochte die bereits begründete Zuständigkeit nicht zu beseitigen.

c) Diesem Ergebnis steht das vom Berufungsgericht angeführte Urteil des [X.] vom 21. November 1996 ([X.], [X.]Z 134, 127 ff.) nicht entgegen. Dort wird zwar ausgeführt, dass eine rügelose Einlassung nicht vorliegt, wenn der [X.] bei seiner Einlassung in der mündlichen Verhandlung, zumindest gleichzeitig mit der Bezugnahme auf die vorbereitenden Schriftsätze, die internationale Unzuständigkeit rügt und zwar unabhängig davon, ob er diese Rüge bereits in der Klageerwiderung erhoben hat ([X.], aaO, [X.]). Diese Entscheidung betrifft jedoch ausdrücklich die Auslegung des § 39 ZPO bzw. dessen Verhältnis zu den § 282 Abs. 3, § 296 Abs. 3 ZPO und damit ausschließlich nationale Rechtsnormen. Die einschlägigen Vorschriften der [X.] aF bzw. des EuGVÜ fanden im damals zu entscheidenden Fall keine Anwendung, da der [X.] seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hatte ([X.], aaO, [X.]).

d) Auch die Rechtsprechung des [X.] ([X.], [X.] 2008, 726, 728), nach der erst ein rügeloses Einlassen im Kammertermin die internationale Zuständigkeit nach Art. 24 [X.] aF begründet, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das [X.] begründet seine Auffassung ausdrücklich mit den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, das im Vergleich zur Zivilprozessordnung wesentlich stärker vom Grundsatz der Mündlichkeit und vom [X.] geprägt sei. Das Gericht bezieht seine Auffassung ausschließlich auf arbeitsgerichtliche Verfahren und nicht auf Zivilverfahren im Allgemeinen.

III.

Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Ellenberger                    Joeres                       Matthias

                   Menges                    Dauber

Meta

XI ZR 27/14

19.05.2015

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 17. Dezember 2013, Az: 5 U 2301/13

Art 24 S 1 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.05.2015, Az. XI ZR 27/14 (REWIS RS 2015, 10951)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2667 REWIS RS 2015, 10951

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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