Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2019, Az. AK 58/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 11369

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Gegenstand

Haftprüfung bei Untersuchungshaft gegen Mittäter einer gewaltsamen Entführung: Tatbeteiligung eines ortsabwesenden Mittäters an gemeinschaftlicher Körperverletzung; Zusammentreffen von Tatbestandsvarianten; Ausnutzen einer Bemächtigungs- oder Entführungslage; Konkurrenzverhältnis der im Zusammenhang mit der Entführung begangenen Straftaten


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

[X.] ist aufgrund [X.]ftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 12. Juni 2018 (6 [X.]) am 21. Juni 2018 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand des [X.]ftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zwischen August 2014 und November 2015 unter dem Decknamen "[X.]  " oder "        H.  " in Kenntnis der Ziele, Programmatik und Methoden der Gesamtorganisation eine Führungsfunktion in der "Partiya [X.]" ("[X.]", im Folgenden: [X.]) ausgeübt, indem er als [X.] zunächst das [X.]-Gebiet [X.].   , seit Juni 2015 dann das [X.]    geleitet habe. Schließlich habe er sich seit Juli 2017 als Leiter des [X.]-Gebiets S.     und der gebietsübergreifenden Region "[X.]" betätigt. In letztgenannter Funktion habe er sich am 13. April 2018 an der Entführung des     Ö.     beteiligt, der von vier Männern gewaltsam in ein Auto gezerrt, geschlagen und dann in eine Gaststätte verbracht worden sei, wo er vom Angeschuldigten über mehrere Stunden hinweg in Anwesenheit dreier maskierter und mit Pistolen bewaffneter Männer befragt worden sei. Hierbei habe der Angeschuldigte den Geschädigten aufgefordert, weiter für die [X.] zu arbeiten, Unterlagen und Spendengelder, die der [X.] zustünden, herauszugeben und ihm schließlich 280 € abgenommen. Dadurch habe er sich in zwei Fällen als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, sowie in einem Fall tateinheitlich hierzu mit anderen Personen gemeinschaftlich eine andere Person körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt, einen Menschen der Freiheit beraubt, versucht, einen Menschen mit Gewalt und durch Drohungen mit einem empfindlichen Übel zu [X.]dlungen zu nötigen, die durch eine Entführung geschaffene Lage eines Menschen zu einer Erpressung ausgenutzt und mit Gewalt einem anderen eine fremde bewegliche Sache in der Absicht weggenommen, sie sich rechtswidrig zuzueignen, wobei er Werkzeuge bei sich geführt habe, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern, strafbar gemäß § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, § 239 Abs. 1, § 239a Abs. 1, § 240 Abs. 1, 3, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b, §§ 22, 23, 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

3

Wegen dieser Tatvorwürfe hat der [X.] gegen den Angeschuldigten unter dem 17. Dezember 2018 Anklage vor dem [X.] erhoben. In der rechtlichen Würdigung hat er sie nunmehr als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und versuchter Nötigung sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub und Freiheitsberaubung gewertet.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. [X.] ist der ihm im [X.]ftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 12. Juni 2018 vorgeworfenen Straftaten dringend verdächtig.

6

a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:

7

aa) Die [X.] wurde 1978 u.a. von [X.] in der [X.] als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die [X.] verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civakên [X.]" ("Vereinigte Gemeinschaften [X.]", im Folgenden: [X.]), die auf einen staatsähnlichen "konföderalen" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der [X.], [X.], [X.] und [X.] abzielt und dabei umfangreiche staatliche Attribute beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und Staatsbürgerschaft.

8

Die [X.] ist, ebenso wie die [X.], auf die Person von [X.] ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der Organisation etwa über den "Kongra Gele [X.]" ([X.], "Volkskongress [X.]s") und den [X.]-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern [X.] regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

9

Fester Bestandteil der Strukturen der [X.]/[X.] sind auch die "[X.]" ("[X.]", im Folgenden: [X.]), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen "Selbstverteidigung" einen [X.] als legitimes Mittel. Die [X.] verübten vor allem im Südosten der [X.] mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen [X.] Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich seit der Aufkündigung eines "Waffenstillstands" zum 1. Juni 2004 zu über 100 Anschlägen.

Das Präsidium des Exekutivrats der [X.] erklärte, nachdem [X.] aus der [X.]ft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer gewaltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die [X.] zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der Organisation auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; vielmehr enthielt die Erklärung bereits den Vorbehalt, dass man im Fall von Angriffen von dem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch machen und Vergeltung üben werde.

Nachdem der "Friedensprozess" im Juli 2015 endgültig zum Erliegen gekommen war, kam es in der Folge zu Gefechten mit den [X.]n Streitkräften, die ihrerseits mit massiver militärischer Gewalt vorgingen. In diesen Auseinandersetzungen spielte die "[X.] revolutionäre Jugendbewegung" ([X.] - Yurtsever [X.]), die sich mit den [X.] der [X.] zusammenschloss, eine bedeutsame Rolle. Parallel dazu nahmen die Anschläge der [X.], bei der Angehörige der [X.]n Sicherheitskräfte, aber auch Zivilisten getötet oder verletzt wurden, wieder erheblich zu.

Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der [X.] liegen in den von [X.] bevölkerten Gebieten in der [X.], in [X.], im [X.] und im [X.]. Zahlreiche - auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem [X.]n Staat ausgerichtete - Aktivitäten betreibt die [X.] jedoch auch in [X.] und anderen Gebieten [X.]. Dazu bediente sie sich bis Juli 2013 der "[X.] [X.]" ("[X.]", im Folgenden: [X.]), die die Direktiven der [X.]-Führung umzusetzen hatte und namentlich dazu diente, die in [X.] lebenden [X.] zu organisieren. Entsprechend den Vorgaben des 10. [X.]-Kongresses vom Mai 2013 zur Neustrukturierung der [X.] in [X.] benannte sich der [X.] Dachverband [X.]-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in [X.]" ([X.]) im Juli 2013 in "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in [X.]" ([X.]) um. Unter der Bezeichnung [X.] werden nicht nur die Strukturen des [X.], sondern auch diejenigen der [X.] fortgeführt.

Unterhalb der Führungsebene war und ist [X.] in Sektoren, Gebiete, Räume und Stadtteile eingeteilt. In [X.] gab es seit 2002 drei Sektoren ("Süd", "Mitte" und "Nord"), seit 2012 ist der Sektor "Süd" in die Sektoren "Süd 1" und "Süd 2" aufgeteilt. Für jede Organisationseinheit wird von der Führung mindestens ein Verantwortlicher eingesetzt; Sektoren und Gebiete werden in der Regel von einem durch die Partei alimentierten, professionellen Führungskader geleitet. Die Organisationseinheiten stellen der [X.] Finanzmittel bereit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda. Dabei haben sie die Vorgaben der [X.]führung umzusetzen und dieser über die Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig Bericht zu erstatten.

bb) [X.] war in der [X.] von August 2014 bis Juni 2015 als Leiter des [X.]-[X.].    und danach bis November 2015 als Leiter des [X.]mit den typischen Führungsaufgaben eines [X.]-Gebietsleiters befasst. Er koordinierte die organisatorischen, finanziellen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs. Dabei agierte er unter dem parteiinternen Decknamen "[X.]  " oder "        H.  ". Er hielt einerseits Kontakt zu dem ihm hierarchisch direkt übergeordneten Leiter des [X.]-Sektors "Nord", der ihm Anweisungen erteilte und dem er regelmäßig über die Parteiarbeit in dem von ihm geleiteten Gebiet berichtete. Andererseits nahm er bestimmenden Einfluss auf die Arbeit der ihm in der Hierarchie der Vereinigung unterstellten [X.]-Kader, indem er ihre Arbeit koordinierte, ihnen Anweisungen gab und sich über die Entwicklungen in den von ihnen geleiteten Räumen unterrichten ließ. So beteiligte er sich als Leiter des [X.].   an der Organisation einer Reihe von Veranstaltungen wie einer Demonstration am 16. August 2014 in [X.].   , einem "[X.]" in [X.]      am 13. September 2014 und dem [X.] im März 2015, nahm an Kadertreffen in [X.].    - u.a. am 27./28. September, 2. November und am 2. Dezember 2014 - teil, organisierte die Spendensammlung im November 2014 und unterstützte Wahlkampfveranstaltungen, die die [X.] [X.] vor der Wahl zum [X.]n Parlament auch in [X.] abhielt. Als Leiter des [X.]-[X.]beteiligte er sich ebenfalls an der [X.] wie einer Gedenkfeier am 27. September 2015 und einer Demonstration am 10. Oktober 2015 in [X.]. Im Oktober 2015 nahm er an einem Treffen der [X.]führung der [X.] in Belgien teil.

cc) Im Juli 2017 übernahm der Angeschuldigte die Leitung des [X.]-Gebiets S.     und der gebietsübergreifenden Region "[X.]". Auch hier übte er die typischen Aufgaben eines übergeordneten Kaders aus, indem er Berichte nachgeordneter Gebietsleiter anforderte - so etwa am 10. Juli, 14. Juli und 18. August 2017 -, sich an der [X.] beteiligte - so von Aufzügen und öffentlichen Versammlungen in S.     am 19. Oktober 2017, 2. Dezember 2017, 24. Februar 2018 und 21. April 2018 - sowie an regionalen (etwa am 28. Januar und 13. März 2018) und überregionalen (etwa am 22. Januar 2018 und 15. Mai 2018) Kadertreffen teilnahm.

dd) Im Rahmen der Tätigkeit des Angeschuldigten als Leiter des [X.]-Gebiets S.     und der gebietsübergreifenden Region "[X.]" beteiligte er sich auch an der Entführung des     Ö.    , bei der er eine maßgebliche Rolle einnahm und die möglicherweise sogar durch ihn initiiert wurde. Der Geschädigte Ö.     war vor der Tat als Leiter des [X.]-Raums Br.     insbesondere mit der Sammlung und Erfassung von Spendengeldern befasst. In einem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren kooperierte er mit der Polizei, weil er sich von der [X.] lösen wollte. Unter anderem übergab er der Polizei Aufstellungen der eingesammelten Spenden. Die Listen wurden kopiert und die Originale dem Geschädigten zurückgegeben.

Am 13. April 2018 gingen der Angeschuldigte sowie seine nur teilweise identifizierten Mittäter aufgrund eines gemeinsamen [X.]s wie folgt gegen     Ö.     vor: Die [X.], die mit dem Geschädigten zuvor eine - auch sexuelle - Beziehung unterhalten hatte, lockte diesen unter einem Vorwand nach [X.].     , wo sie zu der abseits von der Stadt gelegenen Burgruine fuhren. Dort erschienen vier Männer, unter anderem die [X.] [X.].  , [X.]und [X.], die den Geschädigten aufforderten, in ihr Fahrzeug einzusteigen. Als dieser sich weigerte, zerrten die [X.] [X.]und [X.]sowie ein nicht identifizierter Mittäter ihn in den PKW. Seiner Aufforderung, die Polizei anzurufen, folgte die [X.] nicht. Auf dem Rücksitz des Wagens wurde der Geschädigte von den [X.] [X.].   und [X.]niedergedrückt, die sich ihm dann auf Brust und Beine setzten und ihn - ebenso wie der Mitangeschuldigte [X.]- schlugen. Hierdurch erlitt der Geschädigte Schmerzen. Die [X.], die zunächst auch in das Fahrzeug eingestiegen war, verließ das Fahrzeug nach kurzer Fahrtstrecke wieder. Die übrigen Täter brachten den Geschädigten nunmehr in dem vom [X.] [X.]geführten Fahrzeug zur Gaststätte des [X.] [X.].   in E.             , der diese nach Eintritt der Beteiligten von innen abschloss. Auf Weisung des [X.] [X.]forderte der Mitangeschuldigte [X.].   das Mobiltelefon des Geschädigten heraus und zerstörte dieses sodann mitsamt der SIM-Karte. [X.].   führte den Geschädigten in [X.], wo ihn drei maskierte Männer, die Pistolen am Gürtel trugen, anschließend erwarteten. Kurz darauf erschien der Angeschuldigte, der den Geschädigten ca. vier Stunden lang befragte. Unter anderem fragte er, ob der Geschädigte mit der Polizei zusammenarbeite, weshalb er sich von der [X.] losgesagt habe, sowie zu der Übergabe von Unterlagen an die Polizei. Außerdem forderte der Angeschuldigte den Geschädigten auf, innerhalb einer Woche die Unterlagen über die Spendensammlungen herauszugeben und sich bis Ende des Monats zu entscheiden, ob er weiter für die [X.] arbeiten wolle. Sollte er dies nicht tun, werde er getötet; ebenso, wenn er zur Polizei gehe. Danach wurde der Geschädigte in einen Nebenraum der Gaststätte verbracht. Dort tastete der Mitangeschuldigte [X.]ihn in Gegenwart des Angeschuldigten und der [X.] [X.].   und [X.]ab und nahm den Geldbeutel des Geschädigten an sich. Diesen reichte er an den [X.] [X.]weiter, der daraus das mitgeführte Bargeld in Höhe von 380 € entnahm und an den [X.] [X.]weiterreichte. Nachdem dem Geschädigten, der darauf hingewiesen hatte, dass er Geld für die Rückfahrt nach [X.].     benötige, 100 € zurückgegeben worden waren, während der Mitangeschuldigte [X.]den Rest als "Steuer" zurückbehielt, fuhren der Mitangeschuldigte [X.]und [X.] den Geschädigten nach P.     , wo sie ihn absetzten.

b) [X.], der sich zu den Vorwürfen bislang nicht geäußert hat, ist der vorstehenden Taten dringend verdächtig.

aa) Hinsichtlich der ausländischen terroristischen Vereinigung [X.] ergibt sich der dringende Tatverdacht aus Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere des [X.], die sich in zahlreichen Auswertungsberichten finden und auf deren Grundlage es bereits vielfach zu Verurteilungen von Kadern der [X.] durch verschiedene Oberlandesgerichte gekommen ist, sowie aus öffentlichen Verlautbarungen der Organisation.

bb) Der dringende Tatverdacht bezüglich der Tätigkeit des Angeschuldigten als Gebietsleiter der [X.] in [X.].    folgt insbesondere aus den Erkenntnissen der Telekommunikationsüberwachung, die gegen den Leiter des Sektors "Nord" angeordnet worden war und die eine Vielzahl von organisatorischen Anweisungen an den Angeschuldigten sowie Verabredungen zu Kadertreffen ergeben. Hinsichtlich der Leitung des [X.]folgt der Verdacht ebenfalls aus dem Ergebnis von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, die gegen [X.] - etwa den Gebietsleiter von [X.]     -, aber auch gegen den Angeschuldigten selbst angeordnet worden waren, sowie aus Standortdaten und Observationen. Schließlich stützt sich der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte zuletzt als Leiter des [X.]-Gebietes S.     und der Region "[X.]" tätig war, auf die Ergebnisse der bei ihm und verschiedenen anderen Gebietsleitern, insbesondere dem für das [X.]     zuständigen, durchgeführten Telekommunikationsüberwachung sowie auf die Angaben des     Ö.    .

cc) Der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte sich an dem Tatgeschehen im Zusammenhang mit der Entführung des     Ö.     maßgeblich beteiligte, folgt aus den Angaben des Geschädigten bei der polizeilichen Vernehmung. Soweit der Zeuge Ö.     in seiner staatsanwaltlichen Vernehmung am 7. Juli 2018 abweichend von früheren Angaben, die dem [X.]ftbefehl zugrunde gelegt worden waren, angegeben hat, von den maskierten Männern im [X.] nicht geschlagen und auch nicht von einem dieser Männer durchsucht worden zu sein, folgt der Senat diesen Angaben. Dies gilt auch, soweit der Geschädigte in der staatsanwaltlichen Vernehmung angegeben hat, dass die Angeschuldigten ihm das Bargeld nicht im [X.], sondern in einem Nebenraum der Gaststätte in der oben dargelegten Weise entwendet hätten. Seine Angaben werden zum [X.] durch objektive Beweismittel bestätigt. Auch die Auswertung der zwischen den [X.] am Tattag und danach geführten Telekommunikation weist auf die Richtigkeit der Angaben des Geschädigten hin. Schließlich hat der Mitangeschuldigte [X.].   Angaben zum Tatgeschehen und der Anwesenheit des Angeschuldigten im Restaurant gemacht.

Wegen der Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten begründenden Beweismittel und Indizien wird ergänzend auf die ausführlichen Darlegungen im [X.]ftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] und in der Anklageschrift des [X.]s, insbesondere im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, Bezug genommen.

c) [X.] hat sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit wie folgt strafbar gemacht:

aa) Hinsichtlich seiner Tätigkeit als Leiter in den [X.]-Gebieten [X.].   , [X.] und S.     hat sich der Angeschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht (§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand stellt die [X.] aufgrund ihrer Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der Einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln unter den [X.] unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen - indes nicht gegebenen - "Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre Unterorganisation [X.] verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Für die Anschläge besteht auch kein Rechtfertigungsgrund nach Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht ([X.], Beschlüsse vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, [X.], 274 f.; vom 8. Februar 2018 - AK 3/18, NStZ-RR 2018, 106). An dieser Vereinigung beteiligte sich der Angeschuldigte durch seine Tätigkeit als Gebietsleiter als Mitglied.

Das [X.] hat am 6. September 2011 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der jeweiligen Verantwortlichen für die in [X.] bestehenden Sektoren und Gebiete der [X.] erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

bb) Mit seiner Beteiligung an der Entführung des     Ö.     hat sich der Angeschuldigte zudem in einem Fall tateinheitlich mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland wegen erpresserischen [X.] in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung sowie Freiheitsberaubung strafbar gemacht (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4, § 239 Abs. 1, § 239a Abs. 1 Alternative 2, § 240 Abs. 1, 3, §§ 22, 23 Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 52 StGB).

(1) Die [X.] der [X.], die diese im Zuge des gewaltsamen Verbringens des Geschädigten ins Lokal begingen, sind dem Angeschuldigten im Sinne eines dringenden Verdachts als mittäterschaftlich begangene gemeinschaftliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zuzurechnen.

Wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich strafbar, wer die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Für eine gemeinschaftliche Körperverletzung ist es nicht erforderlich, dass jeder der Beteiligten eigenhändig an der Körperverletzungshandlung teilnimmt; auch kann ein Beteiligter (orts-)abwesend sein, vorausgesetzt, dass mindestens zwei weitere Tatgenossen dem Opfer gegenüberstehen ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 1999 - 4 [X.], [X.], 194, 195). Ob ein in diesem Sinne [X.] der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung anderer ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Mittäterschaft, der Anstiftung oder der Beihilfe ([X.], Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - 3 StR 68/12, juris Rn. 4; vom 26. Juli 2017 - 3 [X.], juris Rn. 4).

Vorliegend schlugen vor Ort die [X.] K.  , [X.].   und [X.]gemeinschaftlich auf den Geschädigten ein. An dieser Tatbegehung beteiligte sich auch der ortsabwesende Angeschuldigte mittäterschaftlich. Die [X.] entsprachen dem gemeinsamen [X.]. Sie dienten in Absprache mit den Mittätern dazu, den Geschädigten in die Gewalt des Angeschuldigten zu bringen, der ihn befragen und sein künftiges Verhalten beeinflussen wollte. Hieraus ist nicht nur auf ein Tatinteresse des Angeschuldigten, sondern auch auf seine Tatherrschaft zu schließen.

(2) Abweichend von der rechtlichen Wertung der Anklage stehen sämtliche anlässlich der Entführung und der darauf folgenden [X.]slage begangenen Taten im Verhältnis der Tateinheit zueinander. Insoweit gilt:

Die [X.] entführten den Geschädigten in Ausführung des gemeinsam mit dem Angeschuldigten gefassten [X.]s, indem sie ihn in ihr Fahrzeug zerrten und unter Schlägen zur Gaststätte verbrachten, so dass er bereits während dieser Fahrt dem ungehemmten Einfluss der Angeschuldigten ausgesetzt war (vgl. [X.], Beschluss vom 22. November 1994 - [X.], [X.]St 40, 350, 359). Zugleich bemächtigten sich die Angeschuldigten des Geschädigten. Indem dieser das Fahrzeug nicht verlassen konnte, hatten sie die physische [X.]rrschaft über ihn erlangt, die ihn an einer freien Bestimmung über sich selbst hinderte (vgl. [X.], Urteil vom 5. März 2003 - 2 [X.], [X.], 604 mwN). Somit fiel die zur Entführung notwendige Ortsveränderung mit dem [X.] bereits zeitlich zusammen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Oktober 1993 - 1 [X.], [X.]St 39, 330, 332 f.; zum Verhältnis von Entführen und [X.] vgl. LK/Schluckebier, StGB, 12. Aufl., § 239a Rn. 15), so dass sich beide Begehungsweisen - das Entführen und das [X.] - überschneiden.

In der Folge stabilisierte sich die [X.]slage, indem der Geschädigte über Stunden unter steter Bedrohung durch die Anwesenheit der bewaffneten und maskierten Männer gegen seinen Willen festgehalten wurde. Sie endete erst mit der Freilassung des Zeugen. Dass der Angeschuldigte die [X.]slage zunächst nicht nutzte, dem Geschädigten ein noch während der [X.] zu erbringendes Verhalten abzunötigen, sondern "nur" ein nach der Beendigung der [X.] zu vollziehendes Verhalten forderte, so dass er sich insoweit nicht wegen Geiselnahme nach § 239b StGB, vielmehr lediglich wegen versuchter Nötigung nach § 240 Abs. 1, 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 239b Rn. 6b mwN), ändert nichts daran, dass seit der Entführung eine ununterbrochene [X.]slage bestand, die der Angeschuldigte und seine Mittäter, einem späteren Entschluss folgend, schließlich auch zu einer Erpressung ausnutzten. Da die Ausnutzungsvariante des § 239a Abs. 1 Alternative 2 StGB gerade voraussetzt, dass der Täter eine - aus welcher Motivlage auch immer - zuvor geschaffene [X.]s- oder Entführungslage erst später zu einem Angriff auf das Vermögen des [X.] nutzt, die Ausnutzungsabsicht also erst später hinzutritt (LK/Schluckebier, StGB, 12. Aufl., § 239a Rn. 34), stellt sich das Gesamtgeschehen beginnend mit der Entführung bis zur Freilassung des Opfers als eine tatbestandliche [X.]dlungseinheit dar. Somit stehen alle Straftaten, die der Schaffung und Aufrechterhaltung der [X.]slage dienten und in deren Ausnutzung zunächst zu einem Nötigungsversuch und schließlich zu einer Erpressung bzw. Wegnahme (vgl. [X.], Urteil vom 5. März 2003 - 2 [X.], [X.], 604 f.) begangen wurden, in Tateinheit zueinander, auch wenn sie zu verschiedenen [X.]punkten ausgeführt wurden und auf unterschiedliche Tatentschlüsse zurückgehen. Folglich ist entgegen der Anklageschrift auch nur von einer mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen auszugehen.

2. Es ist der [X.]ftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) gegeben. [X.] hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. [X.] ist familiär nicht gebunden. Einer regelmäßigen Arbeit geht er nicht nach. Vielmehr bezieht er aufgrund psychischer Probleme - einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung - eine Rente wegen Erwerbsminderung und ergänzend Sozialhilfe. Aufgrund seiner Tätigkeit für die [X.] verfügt er zudem über zahlreiche Beziehungen im [X.]n Ausland. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.

Die genannten Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) darüber hinaus auf den [X.]ftgrund der [X.] gemäß § 112 Abs. 3 [X.] gestützt werden kann.

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 [X.]) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme des Angeschuldigten sind die [X.] des von ihm benutzten Mobiltelefons - unter Hinzuziehung von Dolmetschern - ausgewertet worden. Auch sind die [X.] vernommen worden, von denen sich der Mitangeschuldigte [X.].   - zuletzt am 28. Oktober 2018 - eingehend eingelassen hat. Zudem sind mehrfach Vernehmungen des Geschädigten sowie bis zum 27. September 2018 weiterer Zeugen durchgeführt worden. Der [X.] hat das umfangreiche Ermittlungsverfahren, das 96 Stehordner Sachakten und mehr als 19.000 Seiten [X.] umfasst, mittlerweile abgeschlossen und unter dem 17. Dezember 2018 Anklage zum [X.] erhoben. Über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung der [X.]uptverhandlung ist noch nicht entschieden worden.

In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in [X.]ftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Schäfer                    [X.]

Meta

AK 58/18

17.01.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 22 StGB, § 23 Abs 1 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 52 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 4 StGB, § 239a Abs 1 Alt 2 StGB, § 239b StGB, § 240 Abs 1 StGB, § 240 Abs 3 StGB, § 121 StPO, § 122 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.01.2019, Az. AK 58/18 (REWIS RS 2019, 11369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11369

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