Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.06.2015, Az. 1 BvR 1360/15

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2015, 9198

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) MIETWOHNUNG MIETRECHTSREFORM VERFASSUNGSBESCHWERDE MIETERHÖHUNG MIETVERTRAG

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mietpreisbremse in Berlin - normunmittelbare Verfassungsbeschwerde wegen Subsidiarität unzulässig


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die "Mietpreisbremse", die durch das am 1. Juni 2015 in [X.] getretene Gesetz zur Dämpfung des [X.] auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechtsnovellierungsgesetz - [X.]) vom 21. April 2015 ([X.]) in § 556d des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) eingeführt worden ist, und zudem gegen die Verordnung des [X.] zur zulässigen Miethöhe bei Mietbeginn gemäß § 556d Abs. 2 BGB (Mietenbegrenzungsverordnung - MietBegrV) vom 28. April 2015 (GVBl S. 101). Die Verfassungsbeschwerde ist mit einem Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des Gesetzes nach § 32 Abs. 1 [X.] verbunden.

2

1. Die "Mietpreisbremse" ist durch Art. 1 Nr. 3 [X.] in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt worden. Die maßgebliche Bestimmung lautet:

§ 556d

Zulässige Miethöhe bei Mietbeginn; Verordnungsermächtigung

(1) Wird ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen, der in einem durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt, so darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Absatz 2) höchstens um 10 Prozent übersteigen.

(2)

1. die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,

2. die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt,

3. die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder

4. geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.

3

Nach Art. 4 Satz 1 [X.] ist die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Rechtsverordnungen gemäß § 556d Abs. 2 BGB vorab am 28. April 2015 in [X.] getreten. Die übrigen Vorschriften sind seit dem 1. Juni 2015 in [X.] (Art. 4 Satz 2 [X.]).

4

Aufgrund der Ermächtigung in § 556d Abs. 2 BGB hat der [X.] am 28. April 2015 die Mietenbegrenzungsverordnung mit folgenden Bestimmungen erlassen:

§ 1

Gebietsbestimmung

Berlin ist eine Gemeinde im Sinne des § 556d Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit einem angespannten Wohnungsmarkt, in der die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist.

§ 2

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt am 1. Juni 2015 in [X.]. Mit Ablauf des 31. Mai 2020 tritt diese Verordnung außer [X.].

5

2. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer einer Wohnung in einem [X.] [X.]teil, deren Neuvermietung er zum 1. August 2015 beabsichtigt. Er sieht sich durch das Inkrafttreten von § 556d BGB und den Erlass der Mietenbegrenzungsverordnung daran gehindert, die Wohnung zu angemessenen Konditionen weiterzuvermieten.

6

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.

7

Er ist der Ansicht, dass die Mietenbegrenzungsverordnung offensichtlich nicht den Anforderungen der gesetzlichen Verordnungsermächtigung entspreche. Insbesondere sei die Rechtsverordnung entgegen § 556d Abs. 2 Satz 5 BGB nicht ausreichend begründet worden und enthalte keinen Hinweis darauf, welche flankierenden Maßnahmen der [X.] ergreifen wolle, um der Wohnungsnot in der [X.] Herr zu werden. Daher könne nicht nachvollzogen werden, ob wirklich in allen zwölf [X.]bezirken ein angespannter Wohnungsmarkt im Sinne von § 556d Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BGB vorliege. Gegen eine flächendeckende, sich über das gesamte [X.]gebiet erstreckende Notsituation sprächen statistische Daten wie der Rückgang der Zahl der Haushalte und Mietwohnungen im Jahr 2013 und die Tatsache, dass die Mieten weniger stark gestiegen seien als ein durchschnittliches Arbeitseinkommen.

8

Auch die Ermächtigungsgrundlage des § 556d Abs. 2 BGB sei wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungswidrig. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung seien nicht hinreichend bestimmt; der Rahmen dessen, was durch Verwaltungshandeln ausgefüllt werden müsse, sei nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie "angespannter" Wohnungsmarkt, "ausreichende" Versorgung der Bevölkerung oder "angemessenen" Bedingungen beschrieben. Diese Voraussetzungen mit objektivem Inhalt zu füllen, sei geradezu unmöglich.

II.

9

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]), weil die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 108, 129 <136>; stRspr). Ungeachtet der Tatsache, dass der Beschwerdeführer schon mit Blick auf den nur eingeschränkten Anwendungsbereich der "Mietpreisbremse" seine gegenwärtige Betroffenheit im Sinne von § 90 Abs. 1 [X.] nicht ausreichend deutlich gemacht hat (vgl. [X.] 1, 97 <102>; 60, 360 <371>; 97, 157 <164>; 102, 197 <207>; 114, 258 <277>; stRspr), steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

1. Bei einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde - wie sie hier vorliegt - ist der Subsidiaritätsgrundsatz zur Wahrung des Vorrangs der sachnäheren [X.] in besonderer Weise zu beachten, weil das Gebot der Rechtswegerschöpfung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht gilt. Es ist daher besonders sorgfältig zu prüfen, ob der Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen hat, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. [X.] 84, 90 <116>; 90, 128 <136 f.>; 97, 157 <165 f.>; 102, 197 <207>; stRspr). Damit soll vor allem gewährleistet werden, dass dem [X.] infolge der fachgerichtlichen Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial vorliegt und ihm auch die Fallanschauung und die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die sachnäheren Fachgerichte vermittelt werden ([X.] 79, 1 <20>; 86, 382 <386 f.>; 114, 258 <279>).

2. Demnach ist der Beschwerdeführer auf die Beschreitung des [X.] zu verweisen. Sollte er bei der Neuvermietung der Wohnung gegen die "Mietpreisbremse" verstoßen, ändert dies nichts an der Wirksamkeit des Mietvertrags. [X.] ist lediglich die Abrede über die Höhe der Miete und auch dies nur insoweit, als die zulässige Höchstgrenze überschritten wird (vgl. § 556g Abs. 1 Satz 2 BGB). Hält der Beschwerdeführer die Begrenzung der zulässigen Miethöhe für nichtig, so ist er mithin nicht gehindert, die gesamte vertraglich vorgesehene Miete vor den Zivilgerichten einzuklagen. Diese haben dann zu prüfen, ob die [X.] teilweise unwirksam ist. Zu diesem Prüfungsprogramm könnte auch die Frage gehören, ob die Rechtsverordnung nach § 556d Abs. 2 Satz 1 BGB den Anforderungen der gesetzlichen Ermächtigung genügt und auch im Übrigen mit höherrangigem Recht in Einklang steht (vgl. [X.], Urteil vom 3. Juli 2014 - 67 S 121/14 -, [X.], S. 554 <555 ff.> - für die [X.] Kappungsgrenzenverordnung nach § 558 Abs. 3 Satz 3 BGB).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1360/15

24.06.2015

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

§ 90 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 BVerfGG, § 556d Abs 1 BGB, § 556d Abs 2 S 1 BGB, § 556d Abs 2 S 2 BGB, MietBegrV BE, Art 1 Nr 3 MietNovG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 24.06.2015, Az. 1 BvR 1360/15 (REWIS RS 2015, 9198)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3024 REWIS RS 2015, 9198

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18

414 C 26570/16

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