Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.05.2010, Az. II ZB 12/09

2. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 6634

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Übertragung der Rechtsprechung über die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung für die mittellose Partei auf Anträge über die Wiedereinsetzung einer nicht mittellosen Partei


Leitsatz

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung für die mittellose Partei erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beginnt (BGH, 19. Juni 2007, XI ZR 40/06, BGHZ 173, 14 Tz. 9; 13; Sen.Beschl. v. 26. Mai 2008, II ZB 19/07, NJW-RR 2008, 1306 Tz. 16), stellt eine Ausnahme von den getroffenen gesetzlichen Regeln dar, weil sie allein auf der Besonderheit beruht, dass eine verfassungsrechtlich problematische Benachteiligung der mittellosen Partei bei der Bestimmung der im Wiedereinsetzungsrecht geltenden Rechtsmittelbegründungsfristen zu vermeiden ist; eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Anträge über die Wiedereinsetzung einer nicht mittellosen Partei kommt danach nicht in Betracht .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des [X.] gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 8. Mai 2009 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

[X.]: 50.000,00 €

Gründe

I.

1

Der [X.] ist als Aktionär der [X.] dieser als Nebenintervenient in einem Rechtsstreit beigetreten, in dem die Beklagte von zwei Aktionären im Wege der Anfechtungsklage wegen eines Hauptversammlungsbeschlusses in Anspruch genommen wird. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der [X.] dagegen, dass das Berufungsgericht seine Berufung sowie seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen hat.

2

Ein auf der Hauptversammlung der [X.] vom 28. August 2008 gefasster [X.]uss über eine Kapitalerhöhung wurde mit [X.] zweier Aktionäre, den Klägern, angegriffen. Mit [X.]uss vom 21. Oktober 2008 verband die [X.] die beiden Verfahren und bestimmte mit Verfügung vom gleichen Tag die Durchführung eines frühen ersten Termins für den 13. Januar 2009. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2008 trat die [X.] als Aktionärin dem Rechtsstreit auf Seiten der [X.] als Nebenintervenientin bei.

3

Die Beklagte erkannte sodann mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2008 den mit den Klagen geltend gemachten Anspruch an und verzichtete auf Rechtsmittel. Das [X.] erließ am 5. Dezember 2008 ein [X.] und hob den anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2009 auf. Das [X.] wurde der [X.] und der auf ihrer Seite als Nebenintervenientin beigetretenen [X.] jeweils am 10. Dezember 2008 zugestellt.

4

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2008 erklärte der [X.] seinen Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten der [X.]. Am9. Januar 2009 schrieb der Vorsitzende der [X.] des [X.]s an die Prozessbevollmächtigten des [X.]s:

"In pp werden Sie darauf hingewiesen, dass das Verfahren hier durch rechtskräftiges [X.] gegen die Beklagte vom 5.12.2008 beendet ist."

5

Dieses Schreiben wurde am 12. Januar 2009 abgesandt. Am Vormittag desselben Tages, einem Montag, wurde der Prozessbevollmächtigte des [X.]s von der Geschäftsstelle des [X.]s telefonisch darüber informiert, dass die Verfügung vom 9. Januar 2009 übersandt werde, der Verhandlungstermin am 13. Januar 2009 nicht stattfinde und bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Am 14. Januar 2009 ging das am 9. Januar 2009 richterlich verfügte Schreiben bei dem Prozessbevollmächtigten des [X.]s ein.

6

Am 10. Februar 2009 erhielt der Prozessbevollmächtigte des [X.]s die Gerichtsakten zur Einsicht. Am 13. Februar 2009 ging beim Berufungsgericht die Berufungsschrift vom selben Tage ein, mit der der [X.] gegen das [X.] Berufung einlegte und hilfsweise für den Fall einer etwaigen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte. Mit bei Gericht am 17. März 2009 eingegangenen Schriftsatz vom 16. März 2009 begründete der [X.] seine Berufung.

7

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.]s.

II.

8

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, [X.]. ZPO) nicht erforderlich, da das [X.] die Berufung des [X.]s im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.

9

2. Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass das Berufungsgericht den Antrag des [X.]s auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Unrecht verworfen hat.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Hindernis für eine fristgerechte Einlegung der Berufung, nämlich die Unkenntnis des Umstandes, dass ein am 5. Dezember 2008 erlassenes [X.] verkündet und am 10. Dezember 2008 der [X.] und ihrer bereits in erster Instanz beigetretenen Nebenintervenientin zugestellt worden war, nicht durch die Zustellung der richterlichen Verfügung vom 9. Januar 2009 vom 14. Januar 2009 - bzw. durch den entsprechenden telefonischen Hinweis vom 12. Januar 2009 durch die Geschäftsstelle des [X.]s - beseitigt worden. Der richterliche Hinweis, das Verfahren sei "durch rechtskräftiges [X.] gegen die Beklagte vom 5.12.2008 beendet", war - wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat - rechtlich unzutreffend, weil Anerkenntnis und Rechtsmittelverzicht der [X.] für ihre bereits in erster Instanz beigetretene [X.] keine Bindungswirkung entfalten konnten, eine formelle Rechtskraft mithin erst nach Ablauf der durch Zustellung des [X.]s in Lauf gesetzten, noch bis zum 12. Januar 2009 und damit über den Tag der richterlichen Hinweisverfügung vom 9. Januar 2009 hinaus reichenden Berufungsfrist eintreten konnte. Der richterliche Hinweis war deshalb nicht geeignet, dem [X.] die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, um ihn in die Lage zu versetzen, nunmehr binnen der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 ZPO Berufung einzulegen. Im Gegenteil musste der Prozessbevollmächtigte auf der Grundlage der richterlichen Informationen, das Verfahren sei rechtskräftig beendet, davon ausgehen, dass eine Berufungsfrist bereits abgelaufen, der Beitritt also zu spät erfolgt (§ 66 Abs. 2 ZPO) und eine Berufungseinlegung mithin unzulässig war. Der Prozessbevollmächtigte des [X.]s war auch nicht gehalten, auf Grund des Hinweises Akteneinsicht zu nehmen, um seine Richtigkeit zu überprüfen. Er konnte vielmehr dem Hinweis des Gerichts vertrauen, dass das [X.] rechtskräftig sei. Umstände, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der richterlichen Auskunft begründen könnten und deshalb eigene Nachforschungen erforderlich machten (dazu Musielak/[X.], ZPO 7. Aufl. § 233 Rdn. 51), waren für den [X.] nicht ersichtlich.

3. Die angefochtene Entscheidung wird von der Begründung des [X.]s nicht getragen, sie ist allerdings aus anderen Gründen richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn die Berufung musste wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen werden. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt, weil der [X.] die Berufungsbegründung entgegen § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der einmonatigen Frist zur Wiedereinsetzung (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nachgeholt hat.

a) Die Frist zur Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beginnt gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO an dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Im Streitfall begann diese Frist am 10. Februar 2009, dem Tag der Einsichtnahme in die Gerichtsakten durch den Prozessbevollmächtigten des [X.]s. Denn das Hindernis für eine fristgerechte Einlegung und Begründung der Berufung lag hier darin, dass dem [X.] bis zur Akteneinsicht unbekannt war, dass ein Urteil des [X.]s ergangen und am 10. Dezember 2008 der [X.] und ihrer bereits in erster Instanz beigetretenen Nebenintervenientin zugestellt worden war. Die Berufungsbegründung ging jedoch erst am 17. März 2009 und damit nach Ablauf der Monatsfrist gemäß §§ 234 Abs. 1 Satz 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ein.

b) Nicht einschlägig ist hier die Rechtsprechung des [X.], nach der die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung für die mittellose [X.] erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beginnt ([X.], 14 [X.]. 9, 13; [X.].[X.]. v. 26. Mai 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1306 [X.]. 16). Diese Rechtsprechung stellt eine Ausnahme von den getroffenen gesetzlichen Regeln dar, weil sie auf der Besonderheit beruht, dass eine verfassungsrechtlich problematische Benachteiligung der mittellosen [X.] bei der Bestimmung der im Wiedereinsetzungsrecht geltenden Rechtsmittelbegründungsfristen zu vermeiden ist (vgl. dazu [X.], 14 [X.]. 11 ff.; [X.]/[X.], ZPO 28. Aufl. § 234 Rdn. 7a; [X.]/[X.]. § 234 Rdn. 9; Musielak/[X.], ZPO 7. Aufl. § 234 Rdn. 4, § 236 Rdn. [X.]/[X.]/[X.], ZPO § 234 Rdn. 8 ff.). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Anträge über die Wiedereinsetzung einer nicht mittellosen [X.] kommt nicht in Betracht. Ihr steht das gerade bei der Auslegung gesetzlicher Vorschriften über Fristen besonders gewichtige Gebot der Rechtsmittelklarheit (dazu [X.], [X.]. v. 15. Januar 2008 - [X.], [X.], 1164 [X.]. 8; v. 11. Juni 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1313 [X.]. 22) ebenso entgegen, wie sie wegen der völlig anderen Lage einer nicht mittellosen [X.] sachlich nicht gerechtfertigt wäre.

[X.]                               Strohn                              Caliebe

                  Reichart                            [X.]

Meta

II ZB 12/09

17.05.2010

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 8. Mai 2009, Az: 5 U 25/09, Beschluss

§ 234 Abs 1 S 2 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO, § 236 Abs 2 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.05.2010, Az. II ZB 12/09 (REWIS RS 2010, 6634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6634


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II ZB 12/09

Bundesgerichtshof, II ZB 12/09, 16.07.2010.

Bundesgerichtshof, II ZB 12/09, 17.05.2010.


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Referenzen
Wird zitiert von

III ZB 86/13

III ZB 86/13

XII ZB 169/12

II ZB 12/09

6 U 215/16

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