Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.2013, Az. 5 AZR 242/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 7420

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) TARIFVERTRÄGE ZEITARBEIT GEHALT

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Gegenstand

Arbeitnehmerüberlassung - Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ("equal pay")


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 8. Dezember 2011 - 11 Sa 852/11 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

2

Der 1977 geborene Kläger ist seit 2004 bei der [X.], die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und seither einem Unternehmen des [X.] als Ableser im Außendienst überlassen. Der Kläger erhielt bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit von 35 Wochenstunden ein Bruttoentgelt von [X.] im Jahre 2007, 20.955,17 Euro im Jahre 2008, 20.706,56 Euro im Jahre 2009, 20.701,12 Euro im Jahre 2010 und 3.181,60 Euro für die Monate Januar und Februar 2011. Zusätzlich zahlte die Beklagte einen monatlichen Zuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen iHv. 13,50 Euro brutto.

3

Dem Arbeitsverhältnis lag zuletzt ein Formulararbeitsvertrag vom 18. Februar 2005 zugrunde, in dem es ua. heißt:

        

„1. Gegenstand und Bezugnahme auf Tarifvertrag

        

…       

        

Der Mitarbeiter ist eingestellt als

        

Außendienstmitarbeiter.

        

Der Mitarbeiter wird aufgrund der notwendigen Qualifikation für die im [X.] ausgeübte Tätigkeit entsprechend des nachfolgend genannten [X.] wie folgt eingruppiert:

        

Entgeltgruppe: [X.]+.

        

Die Rechte und Pflichten der Parteien dieses Arbeitsvertrages bestimmen sich nach den nachstehenden Regelungen sowie nach den zwischen der Interessengemeinschaft Nordbayerischer Zeitarbeitsunternehmen e. V. ([X.]) und der [X.] und [X.] ([X.]) geschlossenen Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag ([X.]), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag ([X.]) und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV).

        

Der Arbeitgeber ist berechtigt, durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Mitarbeiter die vorgenannten Tarifverträge jeweils für die Zukunft durch solche zu ersetzen, die von einem anderen für den Arbeitgeber zuständigen Arbeitgeberverband geschlossen wurden (Tarifwechsel kraft Inbezugnahme). Dies gilt insbesondere bei einer Fusion der [X.] ([X.]). In diesem Fall treten die von diesem anderen Arbeitgeberverband geschlossenen Tarifverträge hinsichtlich sämtlicher Regelungen dieses Arbeitsvertrages an die Stelle der vorgenannten Tarifverträge.

        

…       

        

14. Ausschluss von Ansprüchen

        

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, sind ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten Tarifverträge eine abweichende Regelung enthalten.

        

Unberührt hiervon bleiben Ansprüche aus unerlaubter Handlung.

        

Lehnt die Gegenpartei die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von einem Monat nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten Tarifverträge eine abweichende Regelung enthalten.“

4

Am 26. April 2010 schlossen die Parteien rückwirkend zum 1. Januar 2010 eine von der [X.] vorformulierte „Zusatzvereinbarung“, die lautet:

        

„Zwischen den Vertragsparteien besteht Einigkeit, dass ab dem 01.01.2010 (bei späterem Eintritt ab Beginn des Arbeitsverhältnisses) auf das bestehende Arbeitsverhältnis die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister ([X.]) und den Einzelgewerkschaften des [X.] ([X.]) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Diese bestehen derzeit aus Manteltarifvertrag ([X.]), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag ([X.]) und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV). Der Tarifvertragspartner [X.] tritt somit an die Stelle der unter Ziffer 1. des geschlossenen Arbeitsvertrages genannten Tarifvertragspartei [X.] und [X.] ([X.]).

        

Alle übrigen getroffenen Regelungen des Arbeitsvertrages gelten fort, und bleiben von dieser Zusatzvereinbarung unberührt.“

5

Mit der am 27. Dezember 2010 eingereichten und mehrfach erweiterten Klage hat der Kläger zuletzt für die Jahre 2007 bis 2010 sowie den Monat Januar 2011 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 [X.] die Differenz zwischen der von der [X.] erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im Streitzeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt und geltend gemacht, eine Ausschlussfrist habe er nicht einhalten müssen. Zur Höhe des Anspruchs hat sich der Kläger darauf berufen, bei der Entleiherin unmittelbar beschäftigte Ableser im Außendienst würden nach tariflichen Bestimmungen vergütet werden. Sie erhielten zudem ein 13. Monatsgehalt und eine jährliche Einmalzahlung.

6

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 43.620,87 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die fehlende Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung führe nur zur Unwirksamkeit vollzogener Tarifverträge ex nunc, zumindest habe sie auf die Wirksamkeit der von der [X.] geschlossenen Tarifverträge vertrauen dürfen. Ab dem 1. Januar 2010 habe sie aufgrund der Inbezugnahme des mehrgliedrigen Tarifvertrags zwischen dem [X.] e.V. ([X.]) und Einzelgewerkschaften des [X.] vom 15. März 2010 von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichen dürfen. Zudem seien Ansprüche des [X.] wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen. Schließlich habe der Kläger nicht dargelegt, dass es bei der Entleiherin überhaupt vergleichbare Stammarbeitnehmer gebe.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des [X.] ist begründet. Die Beklagte war nach § 10 Abs. 4 [X.] verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des [X.] das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt ([X.]). Der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen (I[X.]). In welcher Höhe dem Kläger [X.] zusteht, kann der [X.] aufgrund fehlender Feststellungen des [X.] nicht entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.], § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO (II[X.]).

[X.] Das [X.] verpflichtet den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt („equal pay“). Von diesem Gebot der Gleichbehandlung erlaubt das [X.] ein Abweichen durch Tarifvertrag, wobei im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbaren können (§ 9 Nr. 2 [X.]) mit der Folge, dass der Entleiher grundsätzlich nur das tariflich vorgesehene Arbeitsentgelt gewähren muss (§ 10 Abs. 4 Satz 2 [X.]). Eine solche zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1 des ursprünglichen Arbeitsvertrags (fortan: Arbeitsvertrag) verweist auf unwirksame Tarifverträge, mit Nr. 1 des Arbeitsvertrags idF der [X.] vom 26. April 2010 (fortan: Arbeitsvertrag 2010) werden die dort genannten Tarifverträge nicht wirksam in Bezug genommen.

1. Das Gebot der Gleichbehandlung nach § 10 Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 [X.] wird nicht gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 [X.] durch Bezugnahme auf von der [X.] abgeschlossene Tarifverträge (Nr. 1 Arbeitsvertrag) ausgeschlossen. Die [X.] konnte keine wirksamen Tarifverträge schließen.

a) Nach den Entscheidungen des [X.] des [X.] vom 14. Dezember 2010 (- 1 [X.] - [X.] 136, 302), dem Beschluss des [X.] Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (- 24 [X.] 1285/11 ua. -) sowie der Zurückweisung der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde ([X.] 22. Mai 2012 - 1 ABN 27/12 -) ist rechtskräftig und mit bindender Wirkung gegenüber jedermann festgestellt, dass die [X.] seit ihrer Gründung und jedenfalls bis zum 14. Dezember 2010 nicht tariffähig war (vgl. [X.] 23. Mai 2012 - 1 [X.] - Rn. 12; 23. Mai 2012 - 1 [X.] - Rn. 7).

b) Fehlt einer Tarifvertragspartei die Tariffähigkeit, kann sie allenfalls eine Kollektivvereinbarung ohne normative Wirkung, aber keinen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 [X.] abschließen (zur fehlenden Tarifzuständigkeit: [X.] 17. April 2012 - 1 [X.] - Rn. 69). Trotz fehlender Tariffähigkeit abgeschlossene „Tarifverträge“ sind deshalb von Anfang an unwirksam ([X.] 15. November 2006 - 10 [X.] - Rn. 21 [X.], [X.] 120, 182; 27. November 1964 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.] 16, 329; [X.]/[X.] 13. Aufl. § 2 [X.] Rn. 5; [X.]/[X.] 14. Aufl. § 198 Rn. 4). Davon geht auch § 97 Abs. 5 ArbGG aus. Die gesetzliche Anordnung, einen Rechtsstreit, der davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder deren Tarifzuständigkeit gegeben ist, bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wäre sinnlos, wenn die fehlende Tariffähigkeit oder die fehlende Tarifzuständigkeit lediglich zu einer Unwirksamkeit des Tarifvertrags ex nunc führen würde. Dementsprechend wird in dem als besonderes Beschlussverfahren ausgestalteten Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG nicht eine ursprünglich bestehende Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit „abgesprochen“, sondern lediglich das Fehlen der Fähigkeit oder der Zuständigkeit zum Abschluss eines Tarifvertrags festgestellt.

c) Die These vom fehlerhaften Tarifvertrag ([X.]/Henssler 5. Aufl. § 1 [X.] Rn. 21a), die in Anlehnung an die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit vollzogener Tarifverträge ex nunc annimmt, ist bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen gemäß § 9 Nr. 2 [X.] ungeeignet. Denn es geht in diesem Falle nicht um die Rückabwicklung vollzogener Tarifverträge, sondern um die Rechtsfolge des Scheiterns einer vom Gesetz nach § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 [X.] eröffneten Gestaltungsmöglichkeit. Dabei muss nichts rückabgewickelt werden. Der Arbeitnehmer behält die bezogene Vergütung aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung und erwirbt darüber hinaus nach § 10 Abs. 4 [X.] einen Anspruch auf die Differenz zu dem Entgelt, das er erhalten hätte, wenn das Gebot der Gleichbehandlung von Anfang an beachtet worden wäre. Dazu räumt § 13 [X.] dem Leiharbeitnehmer einen [X.]sanspruch gegenüber dem Entleiher ein.

d) Ein etwaiges Vertrauen der Verleiher in die Tariffähigkeit der [X.] ist nicht geschützt.

Der aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen ([X.] 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 - Rn. 85, [X.]E 122, 248; vgl. dazu auch [X.] 19. Juni 2012 - 9 [X.] - Rn. 27 [X.]). Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der [X.] waren nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das [X.] noch Instanzgerichte haben in dem dafür nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren jemals die Tariffähigkeit der [X.] festgestellt. Die bloße Erwartung, das [X.] werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen (Koch SR 2012, 159, 161 [X.]).

Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der [X.] oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der [X.] ist nicht geschützt. Die Tariffähigkeit der [X.] wurde bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert (vgl. [X.] in [X.]/[X.] [X.] 4. Aufl. § 9 Rn. 107 ff. [X.]; [X.] NZA 2008, 438; [X.]/[X.] 2010, 1180; [X.]/[X.] 2011, 375). Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der [X.] abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbart hat, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ist er ein Risiko eingegangen, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der [X.] realisiert hat.

2. Nr. 1 Arbeitsvertrag 2010 hat die Beklagte nicht von dem Gebot der Gleichbehandlung entbunden. Die Bezugnahmeklausel, mit der die Geltung der vom [X.] ([X.]) und - neben der [X.] - einer Reihe von (nicht, wie die Klausel suggeriert, allen) [X.] Arbeitnehmervereinigungen geschlossenen Tarifverträge vom 15. März 2010 (im Folgenden: [X.]-TV 2010) vereinbart werden soll, ist intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.

a) Bei den in Nr. 1 Arbeitsvertrag 2010 genannten Tarifverträgen handelt es sich nicht um ein einheitliches Tarifwerk (Einheitstarifvertrag), sondern, wie auch die Präambel zum [X.]-TV 2010 festhält, um einen mehrgliedrigen Tarifvertrag im engeren Sinne (zur Terminologie: [X.] 8. November 2006 - 4 [X.] - Rn. 22, [X.] 120, 84). Bei diesem sind mehrere selbständige Tarifverträge in einer Urkunde zusammengefasst. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme erstreckt sich damit - sieht man von dem „Tarifwerk“ der [X.] ab - auf fünf eigenständige Tarifwerke, jeweils bestehend aus Mantel-, Entgeltrahmen-, Entgelt- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag. Mangels anderweitiger Regelung in der Klausel, etwa einer einsatzbezogenen Differenzierung der anzuwendenden Tarifwerke nach der Branche des Entleihers, muss der durchschnittliche Leiharbeitnehmer davon ausgehen, dass gleichzeitig mindestens fünf eigenständige Tarifwerke auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden.

Ob § 9 Nr. 2 [X.] eine derartige Vertragsgestaltung, mit der gleichsam  mehrfach von der [X.] Gebrauch gemacht werden soll, zulässt, braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Nr. 1 Arbeitsvertrag 2010 ist jedenfalls intransparent.

b) Nr. 1 Arbeitsvertrag 2010 ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klausel ist unstreitig von der Beklagten für eine Vielzahl von [X.]en vorformuliert und den Arbeitnehmern einseitig gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, die Klausel sei zwischen den Parteien „ausgehandelt“ iSv. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB liegen nicht vor. Die Beklagte hat selbst nicht vorgebracht, dem Kläger die Möglichkeit der Einflussnahme auf die streitgegenständliche Klausel eingeräumt zu haben (vgl. [X.] 19. Mai 2010 - 5 [X.] - Rn. 25 f. [X.]).

c) Verweist eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Vorschriften eines anderen Regelwerks, führt dies für sich genommen nicht zur Intransparenz. Insbesondere arbeitsvertragliche Bezugnahmen auf tarifliche Regelwerke, auch wenn sie dynamisch ausgestaltet sind, entsprechen einer im Arbeitsrecht gebräuchlichen Regelungstechnik und dienen den Interessen beider Parteien eines auf die Zukunft gerichteten Arbeitsverhältnisses ([X.] 14. November 2012 - 5 [X.] - Rn. 22 [X.]). Dass bei Vertragsschluss noch nicht absehbar ist, welchen zukünftigen Inhalt die in Bezug genommenen Tarifregelungen haben werden, ist unerheblich. Die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden, in Bezug genommenen Regelungen sind bestimmbar. Das ist zur Wahrung des Transparenzgebots für Klauseln, die - wie im Regelfall - auf einen bestimmten bzw. bestimmbaren Tarifvertrag oder ein bestimmtes bzw. [X.] tarifliches Regelwerk im Sinne einer Einheit aus Mantel-, Entgelt- und sonstigen Einzeltarifverträgen verweisen, ausreichend (vgl. [X.] 21. November 2012 - 4 [X.]/11 - Rn. 35 [X.]). Doch bedarf eine Bezugnahmeklausel wie die streitgegenständliche, mit der mehrere eigenständige tarifliche Regelwerke gleichzeitig auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gebracht werden sollen, zur Gewährleistung ihrer hinreichenden Bestimmtheit einer Kollisionsregel, der sich entnehmen lässt, welches der mehreren in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben soll. Andernfalls lässt sich nicht für jeden Zeitpunkt bestimmen, welches der in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke sich jeweils durchsetzen und gelten soll. Fehlt in der Bezugnahmeklausel eine Kollisionsregel, besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer wegen dieser Unklarheit seine Rechte nicht wahrnimmt. Gerade dies will das Bestimmtheitsgebot verhindern ([X.] 17. August 2011 - 5 [X.] - Rn. 13, 16 [X.]).

d) Nach diesen Grundsätzen verstößt Nr. 1 Arbeitsvertrag 2010 gegen das Transparenzgebot. Die Klausel enthält keine Kollisionsregel. Der Leiharbeitnehmer kann aus ihr nicht ersehen, welches der mehreren in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke bei sich widersprechenden Regelungen den Vorrang haben und bei welcher - für das Gebot der Gleichbehandlung nach § 10 Abs. 4 [X.] maßgeblichen - Überlassung gelten soll. Er kann außerdem anhand der Klausel und der gemäß § 8 [X.] im Betrieb auszulegenden Tarifverträge nicht ermitteln, welches der in Bezug genommenen tariflichen Regelwerke bei einer bestimmten Überlassung eine Vereinbarung „im Geltungsbereich“ eines Tarifvertrags iSv. § 9 Nr. 2 [X.] ist. Denn die [X.]-TV 2010 enthalten neben dem räumlichen, fachlichen und persönlichen einen „organisatorischen“ Geltungsbereich, der sich nur aus den Satzungen der Arbeitnehmervereinigungen erschließen lässt.

Unerheblich ist, dass bei der Vereinbarung der Klausel die tariflichen Regelwerke noch inhaltsgleich waren ([X.] RdA 2012, 27, 34). Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsschluss für die Dauer des Arbeitsverhältnisses erkennen können, was gegebenenfalls „auf ihn zukommt“ (vgl. [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 21 [X.]). Er kann weder auf eine ständige Beobachtung der Tariflandschaft im [X.], noch zu Spekulationen darüber verpflichtet werden, welches von mehreren tariflichen Regelwerken zu einem bestimmten Zeitpunkt auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden soll.

I[X.] Der Anspruch des [X.] auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.

1. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der [X.] oder aus dem nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen [X.]-TV 2010 einzuhalten. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob Regelungen zu Ausschlussfristen in Tarifverträgen der [X.] überhaupt den Anspruch auf gleiches Entgelt erfassen (vgl. dazu [X.] 29. August 2012 - 12 Sa 576/12 - Rn. 132, rkr.).

Eine Ausschlussfristenregelung in einem unwirksamen [X.]-Tarifver-trag ist auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (aA Löwisch [X.] 2013, 11). Arbeitsvertragsparteien sind zwar grundsätzlich frei, ein kollektives Regelwerk in Bezug zu nehmen, ohne dass es auf dessen normative Wirksamkeit ankommt. Eine derartige Abrede scheidet jedoch aus, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, nur ein wirksamer Tarifvertrag habe vereinbart werden sollen ([X.] 14. Dezember 2011 - 4 [X.] - Rn. 43). Das ist vorliegend der Fall. Nur mit einer Bezugnahme auf einen wirksamen Tarifvertrag konnte die Beklagte als Klauselverwenderin den Zweck der Bezugnahme - das Abweichen vom Gebot der Gleichbehandlung nach § 9 Nr. 2 [X.] - erreichen.

2. Ob Nr. 14 Arbeitsvertrag eine eigenständige, bei Unwirksamkeit der in Bezug genommenen „Tarifverträge“ zum Tragen kommende vertragliche Ausschlussfristenregelung enthält, kann dahingestellt bleiben. Als solche würde sie einer [X.] nicht standhalten. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. dazu im Einzelnen: [X.] 28. September 2005 - 5 [X.] - [X.] 116, 66; 25. Mai 2005 - 5 [X.] - [X.] 115, 19).

II[X.] In welcher Höhe dem Kläger [X.] zusteht, kann der [X.] nicht entscheiden. Das [X.] ist - aus seiner Sicht konsequent - dem Sachvortrag der Parteien zur Höhe des vergleichbaren Stammarbeitnehmern von der Entleiherin gewährten Arbeitsentgelts nicht nachgegangen und hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Im erneuten Berufungsverfahren wird Folgendes zu beachten sein:

1. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 [X.] ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, der mit jeder Überlassung entsteht und jeweils für die Dauer der Überlassung besteht. Er richtet sich nach dem im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden Arbeitsentgelt. Der Anspruch setzt dabei nicht stets voraus, dass während der Überlassung auch tatsächlich vergleichbare Stammarbeitnehmer beschäftigt sind. Wendet der Entleiher in seinem Betrieb ein allgemeines [X.] an, kann auf die fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in dieses [X.] abgestellt werden. Maßstab ist in diesem Falle das Arbeitsentgelt, das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit unmittelbar beim Entleiher eingestellt worden wäre. Das gebietet schon die unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 [X.] im Lichte des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie des [X.] und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (fortan: [X.]). Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt, dass nach nationalem Recht der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt entfallen soll, wenn der Entleiher für eine bestimmte Tätigkeit nur noch Leih-, aber keine Stammarbeitnehmer mehr beschäftigt (im Ergebnis [X.], vgl. [X.]/[X.] 13. Aufl. § 3 [X.] Rn. 15 f. [X.]; [X.] in Thüsing [X.] 3. Aufl. § 3 Rn. 79 [X.]; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 4. Aufl. § 9 Rn. 121 ff. [X.]; J. [X.] in [X.] [X.] 4. Aufl. § 9 Rn. 66 ff. [X.]).

Deshalb kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf an, ob die Entleiherin im Streitzeitraum eigene Arbeitnehmer als Ableser einsetzte. Der Kläger hat dargelegt, dass die Entleiherin ein allgemeines [X.], nämlich die Tarifverträge der Tarifgruppe [X.], anwendet. Trifft diese Behauptung zu, ist damit maßgeblich das Entgelt, das der Kläger nach den einschlägigen tariflichen Bestimmungen erhalten hätte, wenn er als Ableser bei der Entleiherin angestellt gewesen wäre.

2. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 [X.] ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen ([X.] 23. März 2011 - 5 [X.] - Rn. 35 f., [X.] 137, 249). Dabei ist der Begriff des Arbeitsentgelts in § 10 Abs. 4 [X.] national zu bestimmen (Art. 3 Abs. 2 [X.]) und, wie die beispielhafte Aufzählung in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 15/25 S. 38) belegt, weit auszulegen. Zu ihm zählt nicht nur das laufende Arbeitsentgelt, sondern jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird bzw. aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss (im Ergebnis ganz [X.], vgl. etwa [X.]/[X.] 13. Aufl. § 10 [X.] Rn. 13 f. [X.]; [X.] in Thüsing [X.] 3. Aufl. § 3 Rn. 70 ff. [X.]; J. [X.] in [X.] [X.] 4. Aufl. § 9 Rn. 46 ff. [X.]). In den Gesamtvergleich werden deshalb Leistungen der Entleiherin wie ein 13. Monatsgehalt und eine tarifliche Sonderzahlung, aber auch der von der Beklagten gewährte Zuschuss zu vermögenswirksamen Leistungen einzubeziehen sein.

3. Sollte der Kläger die zwischenzeitlich eingeholte, in der Revisionsinstanz als neuer Sachvortrag nicht berücksichtigungsfähige [X.] der Entleiherin in das erneute Berufungsverfahren einführen, kann dies Auswirkung auf die Darlegungslast haben. Denn der Leiharbeitnehmer kann der Darlegungslast für die Höhe des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt auch dadurch genügen, dass er sich auf eine ihm nach § 13 [X.] erteilte [X.] beruft und diese in den Prozess einführt. Die - ordnungsgemäße - [X.] des Entleihers über das einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer gewährte Arbeitsentgelt ist das gesetzlich vorgesehene Mittel, das dem Leiharbeitnehmer ermöglichen soll, die Einhaltung des Gebots der Gleichbehandlung zu überprüfen und die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 [X.] zu berechnen (vgl. BT-Drucks. 15/25 S. 39; [X.] in [X.]/[X.] [X.] 4. Aufl. § 13 Rn. 1 [X.]). Es obliegt sodann im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast dem Verleiher, die maßgeblichen Umstände der [X.] in erheblicher Art und im Einzelnen zu bestreiten. Trägt er nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt der Inhalt der vom Leiharbeitnehmer vorgetragenen [X.] als zugestanden. Soweit es dem Verleiher gelingt, die [X.] des Entleihers zu erschüttern, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Anspruchsteller die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss (vgl. [X.] 23. März 2011 - 5 [X.] - Rn. 36, [X.] 137, 249).

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    A. [X.]    

        

    Busch    

                 

Meta

5 AZR 242/12

13.03.2013

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 6. Juni 2011, Az: 4 Ca 8180/10, Urteil

§ 10 Abs 4 S 2 AÜG, § 9 Nr 2 AÜG, § 307 Abs 1 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.2013, Az. 5 AZR 242/12 (REWIS RS 2013, 7420)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7420


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 AZR 242/12

Bundesarbeitsgericht, 5 AZR 242/12, 13.03.2013.


Az. 4 Ca 8180/10

Arbeitsgericht Düsseldorf, 4 Ca 8180/10, 06.06.2011.


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