Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2010, Az. IV ZB 18/08

4. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 6667

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftstücke per Telefax und Berücksichtigung des Vortrags einer Gegenvorstellung im Rechtsbeschwerdeverfahren


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 1. April 2008 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Klägerin an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des [X.] vorbehalten bleibt.

[X.]: bis 45.000 €.

Gründe

1

I. Die Klägerin erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung. Sie hat gegen das klageabweisende Urteil des [X.] fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am Montag, den 3. März 2008 ab. Die Berufungsbegründung vom 29. Februar 2008 ging am selben Tag per Telefax bei dem [X.] und nach Weiterleitung am 4. März 2008 sowie im Original am 6. März 2008 bei dem [X.] ein. Ein entsprechender Hinweis des Gerichts ging der Klägerin nach Angaben ihres Prozessbevollmächtigten am 12. März 2098 zu. Am 19. März 2008 hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

2

Zur Begründung ihres [X.] hat sie ausgeführt und glaubhaft gemacht: Der zuverlässig arbeitende Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfe ihres Prozessbevollmächtigten habe bei Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax versehentlich nicht die Telefaxnummer des [X.]s, sondern die des [X.] verwendet. Diesen Irrtum hätten weder er noch der sachbearbeitende Rechtsanwalt bei der nachfolgenden Kontrolle bemerkt.

3

Das [X.] hat durch Beschluss vom 1. April 2008 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es hat ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle bei [X.] angenommen. Erforderlich für eine wirksame Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze sei das Vorliegen einer allgemeinen Anweisung, wonach anhand des [X.] durch den Vergleich mit einem Verzeichnis zu überprüfen sei, ob die richtige [X.] eingegeben worden sei. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich nicht, dass eine entsprechende Anweisung erteilt worden sei. Allein die vorgetragene Nachfrage des Rechtsanwalts, ob die Frist eingehalten sei, reiche zur wirksamen Ausgangskontrolle nicht aus.

4

Mit Gegendarstellung vom 9. April 2008 hat die Klägerin angegeben und glaubhaft gemacht, im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten habe allgemein die ausdrückliche Anweisung bestanden, dass bei Versendung eines fristwahrenden Telefaxes die auf der Sendebestätigung aufgeführte Nummer auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sei. Konkret habe der mit der Übermittlung der Schriftsätze beauftragte Mitarbeiter die Faxnummer des betreffenden Gerichts unmittelbar der Website dieses Gerichts, einem elektronischen Gerichtsverzeichnis oder der Handakte zu entnehmen; werde die Telefaxnummer anhand eines gerichtlichen Schreibens aus der Handakte entnommen, müsse darauf geachtet werden, dass es sich um ein Schreiben des richtigen Gerichts handele, was stets zu überprüfen sei. Nach Erhalt der schriftlichen Sendebestätigung mit dem [X.] und der Überprüfung der vollständigen Übermittlung durch Abgleich der Seitenzahl müsse die auf dem Sendebericht angegebene Telefaxnummer überprüft werden, und zwar durch unmittelbaren Vergleich dieser Nummer mit derjenigen Nummer des Schreibens des Gerichts aus der Handakte oder des anderen Verzeichnisses, aus dem die Telefaxnummer ermittelt worden sei. Diese Anweisung sei von dem fraglichen Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten seit Erteilung im Jahre 2004 sorgfältig beachtet worden; im konkreten Fall habe er jedoch durch ein Versehen das Schreiben des [X.] Berlin vom 21. Dezember 2007 aufgeschlagen und sich dessen Telefaxnummer notiert. Bei der Nachkontrolle der Nummer sei ihm dieser Fehler nicht aufgefallen.

5

Durch Beschluss vom 7. Mai 2008 hat das [X.] die Gegenvorstellung der Klägerin als unzulässig zurückgewiesen. Noch vor Erlass dieses Beschlusses hat die Klägerin gegen die angefochtene Entscheidung am 30. April 2008 Rechtsbeschwerde eingelegt.

6

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7

1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des [X.] ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, [X.]. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

8

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

9

a) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte die Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax seinem Büroangestellten überlassen. Ein Rechtsanwalt darf die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen und braucht die Ausführung eines solchen Auftrags nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2009 - [X.]/09- [X.]. 9 m.w.[X.]). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte sich darauf verlassen, dass der Mitarbeiter, dessen Arbeitsweise bislang bei Kontrollen keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben hatte, die Versendung des Schriftsatzes per Telefax korrekt vornehmen werde.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin kein Organisationsverschulden hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle anzulasten.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des [X.] zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im [X.] gestrichen werden (Senat aaO [X.]. 11 m.w.[X.]). Dabei darf sich die Kontrolle des [X.] nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor aufgeschriebenen, z.B. bereits in den Schriftsatz eingefügten, Faxnummer zu vergleichen, sondern der Abgleich hat anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um auch Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer aufdecken zu können (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. Februar 2010 - [X.]/09- juris [X.]. 14; vom 19. März 2008 - [X.]/07 - NJW-RR 2008, 1379 [X.]. 5; vom 17. April 2007 - X[X.]9/06 - FamRZ 2007, 1095 [X.]. 5; vom 26. September 2006 - [X.]/05 - NJW 2007, 996 [X.]. 8).

bb) Dazu hat die Klägerin in der Begründung ihres [X.] nicht hinreichend konkret vorgetragen. Sie hat aber mit ihrer Gegendarstellung vom 9. April 2008 dargetan und glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigten den Mitarbeitern die klare und unmissverständliche generelle Weisung erteilt hätten, nach Versendung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax nochmals die ordnungsgemäße Kontrolle der [X.], der Seitenzahlen und des [X.]s auf dem Sendebericht vorzunehmen, und dass erst danach die Frist gelöscht werde. Dabei habe die Kontrolle der [X.] wiederum durch unmittelbaren Vergleich der aus dem Sendebericht ersichtlichen Nummer mit derjenigen Quelle, aus der zuvor die Faxnummer ermittelt worden sei (gerichtliches Schreiben, Website des Gerichts oder elektronisches Gerichtsverzeichnis), zu erfolgen. Dieser nach Erlass des angefochtenen Beschlusses nachgeholte Vortrag der Klägerin war im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Der Vortrag ist noch innerhalb der Antragsfrist gemäß §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 234 Abs. 1 ZPO erfolgt, innerhalb der grundsätzlich alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, vorgetragen werden müssen (Senat aaO [X.]. 13 m.w.[X.]). Die Berücksichtigung des Vortrags im Rechtsbeschwerdeverfahren hat deshalb unabhängig davon zu erfolgen, ob die Antragsbegründung erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben enthielt, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, und die deshalb sogar noch nach Fristablauf und auch noch mit der Rechtsbeschwerde erläutert oder vervollständigt werden dürfen (vgl. hierzu Senat aaO m.w.[X.]). Wenn schon in jenem Falle der nachgeholte Vortrag zu berücksichtigen ist, gilt das erst recht, wenn der Vortrag rechtzeitig erfolgt, bei der angegriffenen Entscheidung aber nicht mehr berücksichtigt worden ist.

c) Danach ist der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin begründet, weil ihre Prozessbevollmächtigten für eine den anerkannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax Sorge getragen haben. Die Anweisung, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten Faxnummer zu vergleichen, die ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist, ist ausreichend; es ist nicht erforderlich, diese Nummer nach Absenden des Schriftsatzes noch [X.] anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen ([X.], Beschluss vom 4. Februar 2010 aaO [X.]. 18). Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, wenn die Nummer aus dem Sendebericht mit der aus einem gerichtlichen Schreiben entnommenen Nummer verglichen wird, sofern nur die generelle Anweisung besteht, diese erste Ermittlung der richtigen Nummer ordnungsgemäß zu überprüfen. Das ist hier der Fall gewesen. Dies kann der Senat nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr in der Sache mit der Berufung der Klägerin zu befassen haben.

[X.]                                             Dr. [X.]

                  [X.][X.]

Meta

IV ZB 18/08

12.05.2010

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 1. April 2008, Az: 6 U 18/08, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 ZPO, § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 238 ZPO, § 522 ZPO, § 574 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.05.2010, Az. IV ZB 18/08 (REWIS RS 2010, 6667)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6667

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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