Bundesverfassungsgericht, Beschwerdekammerbeschluss vom 22.03.2018, Az. 2 BvR 289/10 - Vz 10/16

Beschwerdekammer | REWIS RS 2018, 11746

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Zurückweisung einer Verzögerungsbeschwerde: Zurückstellung einer Verfassungsbeschwerde mit Blick auf vorrangige Behandlung von Pilotverfahren gerechtfertigt - Dauer der Pilotverfahren von ca sechs Jahren und vier Monaten mit Blick auf besondere Umstände im Berichterstatterdezernat (hohe Belastung mit umfangreichen und arbeitsaufwendigen steuerrechtlichen Verfahren) im Ergebnis nicht zu beanstanden


Tenor

Die [X.] wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die [X.] betrifft die Dauer eines Verfassungsbeschwerdeverfahrens, das die Beschränkung der Abzugsfähigkeit von Beiträgen zur Rentenversicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit Abs. 3 EStG zum Gegenstand hatte.

2

Der Beschwerdeführer erhob am 11. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen einen Bescheid des Finanzamts [X.] vom 19. Oktober 2007, ein Urteil des [X.] vom 1. August 2007 und ein Urteil des [X.] vom 18. November 2009 sowie mittelbar gegen § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit Satz 2, § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG in den seit den Jahren 2005 ([X.] [X.] 1427) und 2010 ([X.]) geltenden Fassungen.

3

Am 9. März 2014 rügte er die Dauer des Verfahrens beim [X.]. Das Gericht habe seine Verfassungsbeschwerde seit mehr als vier Jahren nicht bearbeitet. Eine derart lange Verfahrensdauer sei unangemessen. Es habe im zuständigen Dezernat seit dem Eingang seiner Beschwerde mehrere [X.] gegeben. Dies sei ein Umstand, den er nicht zu vertreten habe. Er habe aufgrund der mit der langen Verfahrensdauer verbundenen ungewissen Rechtslage jedes Jahr erneut Einspruch gegen seine Einkommensteuerbescheide einlegen müssen, was für ihn, da er in einer Steuerkanzlei arbeite, mit einer gewissen Rufschädigung verbunden gewesen sei.

4

Die [X.] des [X.] hat die Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 13. Juli 2016 nicht zur Entscheidung angenommen.

5

Der Beschwerdeführer erhob am 20. Oktober 2016 [X.]. Er wiederholte seine Ausführungen aus der [X.] und verwies ergänzend darauf, dass seine Verfassungsbeschwerde erst sechs Jahre und fünf Monate nach ihrer Erhebung nicht zur Entscheidung angenommen worden sei. Sie habe grundsätzliche Bedeutung gehabt und sei in der Literatur häufig als Musterverfahren angeführt worden. Es sei nicht hinnehmbar, dass wichtige Entscheidungen des [X.]s derart lange auf sich warten ließen. Den Fachgerichten würden auch nicht solche großen [X.]räume zur Verfügung stehen, um wichtige Entscheidungen zu fällen. Er habe das lange Warten auf eine Entscheidung des Gerichts als äußerst unangenehm empfunden.

6

Die Berichterstatterin hat am 16. Februar 2017 eine Stellungnahme gemäß § 97d Abs. 1 [X.] abgegeben, in der sie ausführt, bei ihrer Übernahme der Zuständigkeit als Berichterstatterin für Verfahren aus dem Bereich des Einkommensteuerrechts im Dezember 2011 seien aus den Jahren 2010 und 2011 sowohl mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die neue Besteuerung von Renten und anderen [X.] als auch mehrere Verfassungsbeschwerden anhängig gewesen, mit denen - wie vom Beschwerdeführer - eine unzureichende steuerliche Entlastung der Vorsorgeaufwendungen nach der Übergangsregelung und auch nach der endgültigen Rechtslage gerügt worden sei. Nach dem vorrangigen Abschluss älterer übernommener Senatsverfahren zum Ehegattensplitting habe sie entschieden, zunächst die Verfahren zur Besteuerung der Alterseinkünfte zum Abschluss zu bringen, da die Beschwerdeführer in diesen Verfahren teilweise bereits vor 2005 das Rentenalter erreicht hätten und deshalb ersichtlich auf eine schnellere Entscheidung angewiesen gewesen seien. Die [X.] 2 BvR 1066/10, 2 BvR 1961/10 und 2 BvR 2683/11 seien durch Beschlüsse vom 29. und 30. September 2015 mit umfangreicher Begründung entschieden worden. Von den Verfahren betreffend die Besteuerung der Vorsorgeaufwendungen habe sie als [X.] die Verfahren 2 BvR 290/10 und 2 BvR 323/10 unter anderem deshalb ausgewählt, weil darin über die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen hinaus weitere Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Alterseinkünftegesetz zu entscheiden gewesen seien. Eine Entscheidung in diesen beiden Verfahren sei durch Beschlüsse vom 14. Juni 2016 wiederum mit umfangreicher Begründung getroffen worden. Anschließend sei das Verfahren des Beschwerdeführers durch Beschluss vom 13. Juli 2016 unter Hinweis auf die Begründung im Verfahren 2 BvR 290/10 abgeschlossen worden.

7

Die zulässige [X.] ist unbegründet.

8

1. Nach § 97a Abs. 1 Satz 1 [X.] wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Verfahrens vor dem [X.] als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Aufgaben und der Stellung des [X.]s (§ 97a Abs. 1 Satz 2 [X.]).

9

a) Nach der Rechtsprechung des [X.]s ist der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz nur dann im Sinne von Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wirksam, wenn er innerhalb angemessener [X.] gewährt wird (vgl. [X.] 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>; [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 17). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen [X.]vorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die effektive Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. [X.] 55, 349 <369>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/05 -, NJW 2008, [X.] 503; Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, juris, Rn. 11; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 18). Bei dieser Abwägung müssen insbesondere die Natur des Verfahrens, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere von ihnen zu verantwortende Verfahrensverzögerungen, sowie die gerichtlich nur begrenzt zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, berücksichtigt werden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, NJW 2015, [X.] 3361 <3362 Rn. 29>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 18). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, [X.] 334 <335>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, [X.] 2010, [X.] 381 <382>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, juris, Rn. 11; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 18). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, [X.] 214 <215>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, [X.] 2010, [X.] 381 <382>; Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 -, NVwZ-RR 2011, [X.] 625 <626>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 18).

In vergleichbarer Weise verpflichtet Art. 6 Abs. 1 [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] die Konventionsstaaten dazu, ihr Gerichtswesen so einzurichten, dass die Rechtssachen innerhalb angemessener Frist entschieden werden können ([X.], Urteil vom 27. Juli 2000, Nr. 33379/96, [X.], [X.] 42, NJW 2001, [X.] 213; [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 19). Darüber, ob die Dauer eines Verfahrens angemessen ist, muss unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer entschieden werden ([X.], Urteil vom 2. September 2010, Nr. 46344/06, [X.] ./. [X.], [X.] 41, NJW 2010, [X.] 3355 <3356>; Urteil vom 21. Oktober 2010, Nr. 43155/08, [X.] ./. [X.], [X.] 26, NJW 2011, [X.] 1055 <1056>; [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 19).

b) Diese für fachgerichtliche Verfahren entwickelten Regeln gelten dem Grundsatz nach auch für das [X.], das nach Art. 92 GG Teil der rechtsprechenden Gewalt ist (vgl. [X.]K 20, 65 <71, 72 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, NJW 2015, [X.] 3361 <3363 Rn. 31>; Beschluss der [X.] vom 8. Dezember 2015 - 1 BvR 99/11 - [X.] -, DVBl 2016, [X.] 244 <245>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 20). Allerdings werden sie gemäß § 97a Abs. 1 Satz 2 [X.] durch die Aufgaben und die Stellung des [X.]s mit den daraus folgenden organisatorischen und verfahrensmäßigen Besonderheiten modifiziert ([X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 20; vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 26).

aa) In organisatorischer Hinsicht ist beim [X.], anders als bei den Fachgerichten, eine Kapazitätsausweitung zur Verkürzung der Verfahrensdauer als Reaktion auf gesteigerte [X.] grundsätzlich nicht möglich, da die Struktur des Gerichts durch seine Funktion bedingt und durch die Verfassung und das [X.]sgesetz vorgegeben ist ([X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 21; vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 26).

bb) Verfahrensmäßige Besonderheiten ergeben sich weiter aus der Aufgabe der verbindlichen Auslegung der Verfassung (vgl. § 31 [X.]), die grundsätzlich in jedem verfassungsgerichtlichen Verfahren eine besonders tiefgehende und abwägende Prüfung erfordert. Diese setzt einer Verfahrensbeschleunigung ebenfalls Grenzen ([X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 22; vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 26).

cc) Schließlich kann die Rolle des [X.]s es gebieten, bei der Bearbeitung der Verfahren in stärkerem Maße als in der [X.] andere Umstände zu berücksichtigen als nur die chronologische Reihenfolge der Eintragung in das Gerichtsregister, wenn Verfahren für das Gemeinwesen von besonderer Bedeutung sind oder ihre Entscheidung von dem Ergebnis eines sogenannten [X.] abhängig ist (vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 26; siehe auch [X.]K 19, 110 <121>; 20, 65 <73>; [X.], Beschluss der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, NJW 2015, [X.] 3361 <3363 Rn. 31>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 23; [X.], Urteil vom 25. Februar 2000, Nr. 29357/95, Gast und [X.] ./. [X.], [X.] 75, NJW 2001, [X.] 211 <212>; Urteil vom 8. Januar 2004, Nr. 47169/99, [X.] [X.], [X.] 49, NJW 2005, [X.] 41 <43>; Urteil vom 6. November 2008, Nr. 58911/00, Leela Förderkreis e.V. u.a. ./. [X.], [X.] 63, NVwZ 2010, [X.] 177 <178>; Urteil vom 4. September 2014, Nr. 68919/10, Peter ./. [X.], [X.] 40, NJW 2015, [X.] 3359 <3360>).

dd) Den organisatorischen und verfahrensmäßigen Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens trägt die Vorschrift des § 97b Abs. 1 Satz 4 [X.] Rechnung, nach der die [X.] frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim [X.] erhoben werden kann. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass beim [X.] jedenfalls eine Verfahrensdauer von einem Jahr keinesfalls als unangemessen anzusehen ist ([X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 24; vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 27).

ee) Auch eine längere Verfahrensdauer ist für sich gesehen nicht ohne Weiteres unangemessen; hierfür bedarf es jedoch in der Regel besonderer Gründe (vgl. [X.], Beschluss der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, NJW 2015, [X.] 3361 <3363 Rn. 35>; Beschluss der [X.] vom 8. Dezember 2015 - 1 BvR 99/11 - [X.] -, DVBl 2016, [X.] 244 <245>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 25). Denn der Gesetzgeber hat bei der Ausarbeitung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I [X.] 2302) auf eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren vor dem [X.] unangemessen lang im Sinne von § 97a Abs. 1 Satz 1 [X.] ist, verzichtet, und stattdessen maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der sich aus den Aufgaben und der Stellung des [X.]s ergebenden Besonderheiten abgestellt ([X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 25; vgl. BTDrucks 17/3802, [X.] 26). Auf die Frage, ob eine frühere Erledigung des Verfahrens möglich gewesen wäre, kommt es nicht an. Bei der Entscheidung darüber, welches Verfahren aufgrund welcher Maßstäbe als vordringlich einzuschätzen ist, besteht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Verfassungsrechtsprechung ein erheblicher Spielraum. Eine Überschreitung dieses Spielraums ist nur anzunehmen, soweit sich nach den maßgeblichen Kriterien aufdrängt, dass dem Verfahren hätte Vorrang eingeräumt werden müssen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, NJW 2015, [X.] 3361 <3365>; Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 26). Bestimmt das Gericht ein vorrangig zu betreibendes [X.], in dem es Stellungnahmen einholt und gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung durchführt, muss es sich nicht notwendig um das als erstes eingegangene aus der Menge der ähnlich gelagerten Verfahren handeln, sondern um das für eine umfassende Entscheidung am geeignetsten erscheinende (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. Oktober 2011 - 2 BvR 1010/10 und 2 BvR 1219/10 -, juris, Rn. 32; Beschluss der [X.] vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - [X.] -, juris, Rn. 33). Dabei ist die Angemessenheit dieser Bestimmung aus der [X.] insbesondere danach zu beurteilen, ob vernünftigerweise erwartet werden konnte, dass die Auswahl des zu betreibenden [X.] und die Zurückstellung anderer Verfahren der effektiven Erfüllung der Aufgaben des [X.]s unter Berücksichtigung der wohlverstandenen Interessen der jeweils Beteiligten dient ([X.], Beschluss der [X.] vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - [X.] -, juris, Rn. 33; vgl. auch Beschlüsse der [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvR 2781/13 - [X.] -, juris, Rn. 31 und vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 23).

c) Auch der [X.] erkennt in seiner Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 [X.] an, dass die Verpflichtung, Gerichte so einzurichten, dass sie Rechtssachen innerhalb angemessener Fristen entscheiden können, für ein Verfassungsgericht nicht in derselben Weise wie für ein Fachgericht ausgelegt werden kann. Zwar kann nach dieser Rechtsprechung ein ständiger Rückstand infolge chronischer Überlastung auch beim [X.] eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen ([X.], Urteil vom 25. Februar 2000, Nr. 29357/95, Gast und [X.] ./. [X.], [X.] 78, NJW 2001, [X.] 211 <212>; Urteil vom 27. Juli 2000, Nr. 33379/96, [X.], [X.] 29 und 43, NJW 2001, [X.] 213 <213, 214>; [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 27 f.). Indes erfordert es die Rolle eines [X.], auch andere Überlegungen zu berücksichtigen als die [X.]folge, in der Fälle registriert werden, zum Beispiel die Art der Sache und ihre politische und [X.] Bedeutung ([X.], Urteil vom 25. Februar 2000, Nr. 29357/95, Gast und [X.] ./. [X.], [X.] 75, NJW 2001, [X.] 211 <212>; Urteil vom 8. Januar 2004, Nr. 47169/99, [X.] [X.], [X.] 49 und 52, NJW 2005, [X.] 41 <43>; Urteil vom 6. November 2008, Nr. 58911/00, Leela Förderkreis e.V. u.a. ./. [X.], [X.] 63, NVwZ 2010, [X.] 177 <178>; Urteil vom 22. Januar 2009, Nr. 45749/06 und 51115/06, [X.] und [X.] ./. [X.], [X.] 64, [X.], [X.] 561 <562>; Urteil vom 4. September 2014, Nr. 68919/10, Peter ./. [X.], [X.] 43, NJW 2015, [X.] 3359 <3360>; [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 28).

2. Nach diesen Maßstäben ist die Dauer des Verfahrens des Beschwerdeführers von sechs Jahren und fünf Monaten unter Beachtung der Besonderheiten des konkreten Falls nicht als unangemessen lang zu beanstanden.

a) Es begegnet keinen Bedenken, dass die Berichterstatterin entschieden hat, die Bearbeitung der in Rede stehenden Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die von ihr ausgewählten [X.] 2 BvR 290/10 und 2 BvR 323/10 zurückzustellen. Diese [X.] wiesen über die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Rechtsfragen noch weitere Probleme im Zusammenhang mit dem Alterseinkünftegesetz auf. Das Verfahren des Beschwerdeführers wurde innerhalb eines Monats nach Beendigung der [X.] abgeschlossen. Angesichts der rechtlichen Zusammenhänge zwischen den Verfahren sowie der zeitnahen Erledigung nach Beendigung der [X.] kann allein wegen der Zurückstellung der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht von einer unangemessenen Dauer des Verfahrens im Sinne des § 97a Abs. 1 [X.] ausgegangen werden.

b) Auch die Verfahrensdauer der [X.] von sechs Jahren und vier Monaten erscheint im Ergebnis nicht unangemessen. Besondere Gründe, die nach den dargelegten Maßstäben zur Unangemessenheit einer längeren Verfahrensdauer führen können, bestehen vorliegend nicht. Zwar können die bei der Bearbeitung und Erledigung der im zuständigen Dezernat anhängigen Verfahren durch [X.] verursachten zeitlichen Verzögerungen die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer allein nicht rechtfertigen. Diese liegen im Verantwortungsbereich des Staates und können daher im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung - wie ausgeführt - nicht zur Begründung der Angemessenheit der Verfahrensdauer herangezogen werden. Jedoch sprechen die besonderen Umstände im Dezernat der Berichterstatterin gegen eine Unangemessenheit der Dauer des in Rede stehenden Verfahrens. Dort waren im Dezember 2011 mehrere das Einkommensteuerrecht betreffende Verfassungsbeschwerden anhängig, die sich in einem hohen Maß als arbeitsintensiv erwiesen haben. Die zeitliche Abfolge ihrer Bearbeitung ist nicht zu beanstanden.

aa) Die [X.] des [X.], der die Berichterstatterin zu diesem [X.]punkt angehörte, hat mit Beschlüssen vom 29. September 2015 (2 BvR 2683/11, juris) und 30. September 2015 (2 BvR 1066/10, juris; 2 BvR 1961/10, juris) drei Fälle entschieden, die die Besteuerung von Renteneinkünften betrafen.

(1) Zur Entscheidung des Verfahrens 2 BvR 2683/11 hatte die Kammer insbesondere zu klären, ob die Vorschriften des [X.] zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte von Selbständigen im Verhältnis zu [X.] Tätigen führen. Die Kammer hatte ferner darüber zu entscheiden, ob die angegriffene gesetzliche Regelung eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung zur Folge hatte und ob der mit dem Gesetz vollzogene Übergang zur nachgelagerten Besteuerung von Renteneinkünften gegen das Rückwirkungsverbot verstieß.

(2) Zur Entscheidung des Verfahrens 2 BvR 1066/10 hatte sich die Kammer damit auseinanderzusetzen, ob die betroffenen Regelungen des [X.] zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte des dortigen Beschwerdeführers im Verhältnis zu Pflichtversicherten oder den Beziehern einer privaten Rente oder zu einer Verletzung der Eigentumsgarantie führen würden. Sie ging zudem den Rechtsfragen nach, ob in der diesem Verfahren zugrundeliegenden Konstellation der mit dem Alterseinkünftegesetz vollzogene Übergang zur nachgelagerten Besteuerung unter den Gesichtspunkten des Verbots der doppelten Besteuerung, des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes und des [X.] zu beanstanden sei.

(3) Im Verfahren 2 BvR 1961/10 hatte die Kammer zu klären, ob die Nichteinbeziehung fiktiver Beiträge eines Beamten zu seiner Altersversorgung in die Höchstbeitragsberechnung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb Satz 2 EStG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und die Ungleichbehandlung der Rente des Beschwerdeführers aus der Ärzteversorgung mit solchen privater Rentenversicherungen sachlich gerechtfertigt ist. Zudem setzte sich die Kammer - wie in den vorstehend geschilderten Fällen - mit dem Verbot der Doppelbesteuerung auseinander.

bb) Mit Beschlüssen vom 14. Juni 2016 (2 BvR 290/10, juris; 2 BvR 323/10, juris) hat die [X.] des [X.] über zwei Verfassungsbeschwerden entschieden, die die steuermindernde Geltendmachung des Arbeitnehmeranteils zur gesetzlichen Rentenversicherung zum Gegenstand hatten.

(1) Im Verfahren 2 BvR 290/10 hatte sich die Kammer mit der Frage zu befassen, ob die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit Abs. 3 EStG mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Dabei prüfte sie zunächst, ob der Gesetzgeber Altersvorsorgeaufwendungen überhaupt als Sonderausgaben qualifizieren darf oder ob er diese nicht als vorweggenommene Werbungskosten behandeln muss. Zudem stand zur Überprüfung, ob die vorgesehene höhenmäßige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Altersvorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Weiterhin musste die Kammer klären, ob nach Maßgabe des Verbots der Doppelbesteuerung die höhenmäßige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Altersvorsorgeaufwendungen schon in der Vorsorgephase verfassungsrechtlich gerügt werden kann, wenn der Gesetzgeber in der endgültigen Ausgestaltung des [X.] zugleich den Besteuerungsanteil für Renten im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG auf 100 % festgesetzt hat. Ferner galt es die Rechtsfrage zu entscheiden, ob die beschränkte Abziehbarkeit der Altersvorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG gegen das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG abzuleitende subjektive Nettoprinzip (Gebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums) verstößt. Im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Übergangsregelung des § 10 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 EStG befasste sich die Kammer damit, ob Ungleichbehandlungen, die mit der unvollständigen Abstimmung des Umfangs der abziehbaren Altersvorsorgeaufwendungen mit dem voraussichtlichen Besteuerungsanteil der künftigen [X.] entstehen, für die Übergangszeit - bis zur Grenze einer verbotenen Doppelbesteuerung - verfassungsrechtlich hinnehmbar sind. Weiterhin überprüfte das [X.], ob die gesetzliche Neuregelung zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Beamten oder Selbständigen führt.

(2) Auch zur Entscheidung des Verfahrens 2 BvR 323/10 hatte sich die Kammer mit der Verfassungsmäßigkeit der Qualifizierung von Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben anstatt als vorweggenommene Werbungskosten, der höhenmäßigen Beschränkung des Sonderausgabenabzugs für Altersvorsorgeaufwendungen und der Übergangsregelung des § 10 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 EStG zu befassen. Darüber hinaus unterzog es die Regelung des § 39a Abs. 1 EStG einer verfassungsrechtlichen Überprüfung, wonach für Altersvorsorgeaufwendungen kein Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden kann.

cc) Aufgrund der besonderen persönlichen Betroffenheit der Beschwerdeführer in den die Besteuerung von Renteneinkünften betreffenden Verfahren 2 BvR 2683/11, 2 BvR 1066/10 und 2 BvR 1961/10 ist es nicht zu beanstanden, dass die Berichterstatterin zunächst diesen [X.] zum Abschluss gebracht hat. Denn diese Beschwerdeführer hatten bereits das Rentenalter erreicht. Sie waren daher - wie zahlreiche andere Rentenempfänger, die nicht selbst gegen die Besteuerung ihrer Alterseinkünfte vorgingen - viel stärker von der gesetzlichen Neuregelung betroffen als diejenigen, bei denen nur die Abzugsfähigkeit von Altersvorsorgeaufwendungen in Streit stand. Es sprachen daher gute Gründe dafür, zunächst die damit zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Fragen zu klären. Denn die Rolle des [X.]s als Hüter der Verfassung kann es gebieten, zunächst solche Verfahren zu bearbeiten, die für das Gemeinwesen von besonderer Bedeutung sind (vgl. [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 23 m.w.N.).

c) Der gesamte Komplex der Besteuerung von [X.] hatte zudem eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung, weil davon ein Großteil der in [X.] lebenden und Steuern zahlenden Menschen betroffen war oder betroffen sein wird. Daher erscheinen gerade für die in diesem Zusammenhang zu klärenden komplexen Rechtsfragen längere Bearbeitungszeiten unvermeidbar und im Hinblick auf die besondere Bedeutung von Entscheidungen des [X.]s auch grundsätzlich hinnehmbar. Dies gilt auch mit Blick auf die Aufgabe des [X.]s zur verbindlichen Auslegung des Grundgesetzes (vgl. § 31 [X.]), die in der Regel in jedem verfassungsgerichtlichen Verfahren eine besonders tiefgehende und abwägende Prüfung erfordert (vgl. [X.], Beschluss der [X.] vom 30. August 2016 - 2 BvC 26/14 - [X.] -, juris, Rn. 22).

d) Zu berücksichtigen ist ferner, dass - wie bereits dargelegt - beim [X.], anders als bei den Fachgerichten, eine Kapazitätsausweitung zur Verkürzung der Verfahrensdauer als Reaktion auf gesteigerte [X.] grundsätzlich nicht möglich ist. Der hohen Belastung des Dezernats der Berichterstatterin mit umfangreichen und arbeitsaufwendigen steuerrechtlichen Verfahren konnte daher auch nicht kurzfristig durch eine personelle Aufstockung des [X.]s mit weiteren Richtern begegnet werden. Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Umstands, dass sich die Bearbeitung der im zuständigen Dezernat anhängigen Verfahren als besonders zeitaufwändig erwiesen hat, erscheint die Dauer der Bearbeitung der [X.] noch angemessen.

Meta

2 BvR 289/10 - Vz 10/16

22.03.2018

Bundesverfassungsgericht Beschwerdekammer

Beschwerdekammerbeschluss

Sachgebiet: Vz

vorgehend BVerfG, 13. Juli 2016, Az: 2 BvR 289/10, Kammerbeschluss ohne Begründung

Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 97a Abs 1 S 1 BVerfGG, § 97a Abs 1 S 2 BVerfGG, § 97b Abs 1 S 1 BVerfGG, § 10 Abs 1 Nr 2 Buchst a EStG, § 10 Abs 3 S 5 EStG, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschwerdekammerbeschluss vom 22.03.2018, Az. 2 BvR 289/10 - Vz 10/16 (REWIS RS 2018, 11746)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11746

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