Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27.07.2010, Az. 2 BvR 2122/09

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2010, 4437

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT SOZIALRECHT KINDERGELD

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Auch wenn Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag gem § 32 Abs 4 S 2 EStG lediglich geringfügig überschreiten, gebietet weder Art 6 Abs 1 GG noch Art 3 Abs 1 GG die Gewährung von Kindergeld - mehrfache Freistellung des Existenzminimums nicht geboten - Ausgestaltung des Jahresgrenzbetrags als Freigrenze zulässig


Gründe

1

Der Beschwerdeführer bezog für seinen [X.], der sich in den Jahren 2002 bis 2006 in Berufsausbildung befand, Kindergeld. Die Familienkasse bewilligte für den [X.] des Beschwerdeführers für das [X.] kein Kindergeld, da die Einkünfte und Bezüge des [X.]es den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 Euro um 4,34 Euro überschritten. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb ebenso wie die nachfolgende Nichtzulassungsbeschwerde zum [X.] ohne Erfolg.

2

Mit seiner [X.]beschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG, [ref=c277eb0b-5da0-4e46-8f3d-afbf9eb3d9e6]Art. 3 Abs. 1 [X.]], Art. 6 Abs. 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG und führt zur Begründung im Wesentlichen aus, die durch die Versagung der Kindergeldbewilligung begründete finanzielle Belastung stehe in keinem Verhältnis zur geringfügigen Überschreitung der Einkünfte und Bezüge des weiterhin zu unterhaltenden Kindes. Das Fehlen einer Härteregelung sei von einem etwaigen Vereinfachungszweck nicht gedeckt. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete eine Härtefallregelung. Ihr Fehlen begründe auch einen Verstoß gegen [ref=b667778b-e9ee-44ed-9047-473fdedddc8f]Art. 3 Abs. 1 [X.]]. Zudem verstoße es gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der sich aus dem Sozialstaatsprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip ergebe, wenn bei der Förderung der Familien von einer Härtefallregelung abgesehen und die Begrenzung des Familienleistungsausgleichs so niedrig angesetzt werde, dass die Unterhaltsverpflichtung der Eltern weitgehend bestehen bleibe. [X.]rechtlich fragwürdig sei zudem, ob der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG festgelegte Grenzbetrag der Höhe nach verfassungsmäßig sei. Dem hier maßgeblichen Grenzbetrag liege ein sozialrechtlicher [X.] zugrunde, der seinerseits zu niedrig bemessen und damit verfassungswidrig sei.

3

Die [X.]beschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegt. Der [X.]beschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]) noch ist die Annahme der [X.]beschwerde zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die [X.]beschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <25 ff.>; 96, 245 <250>). Sie ist unbegründet.

4

Die angefochtene Entscheidung sowie die gesetzliche Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verletzen nicht Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG.

5

1. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muss (vgl. [X.] 82, 198 <207>; 99, 246 <259 f.>). Die von [X.] wegen zu berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen müssen nach dem tatsächlichen Bedarf - realitätsgerecht - bemessen werden (vgl. [X.] 66, 214 <223>; 68, 143 <153>; 82, 60 <88>). Dessen Untergrenze ist durch die Sozialhilfeleistungen konkretisiert, die das im Sozialstaat anerkannte Existenzminimum gewährleisten sollen, verbrauchsbezogen ermittelt und auch regelmäßig den veränderten Lebensverhältnissen angepasst werden. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt, muss er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen (vgl. [X.] 87, 153 <171>; 91, 93 <111>; 99, 246 <260>).

6

Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die Gewährung des Kinderfreibetrags beziehungsweise des Kindergelds davon abhängig macht, dass das Existenzminimum des Kindes nicht durch eigene Einkünfte und Bezüge gedeckt ist. [X.] darf der Gesetzgeber hierbei von dem für erwachsene Steuerpflichtige geltenden Grundfreibetrag ([ref=94ce171c-46c3-44a2-acf3-fbd63642fde4]§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 [X.]]) ausgehen. Zweck des Grundfreibetrags ist es, dem Steuerpflichtigen das existenznotwendige Einkommen zu belassen ([X.] 87, 153 <179>). Der Grundfreibetrag liegt im Streitjahr über den Leistungen in Form des Kinderfreibetrags beziehungsweise des Kindergelds und über den vom [X.] als nicht evident unzureichend angesehenen staatlichen Sozialhilfeleistungen (vgl. Urteil des [X.] des [X.]s vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09, 1 [X.], 1 [X.] -, [X.]), so dass das [X.] in jedem Fall vor dem steuerlichen Zugriff verschont wird. Mehr gebietet das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht (vgl. [X.] 99, 246 <259>). Insbesondere ist es nicht geboten, das Existenzminimum mehrfach freizustellen. Es genügt, wenn der Gesetzgeber bei den betroffenen Steuerpflichtigen das Existenzminimum jeweils einmal von der Besteuerung ausnimmt. Der Beschwerdeführer hingegen erstrebt eine mehrfache Entlastung dadurch, dass neben dem Existenzminimum seines Kindes durch den Grundfreibetrag zusätzlich noch der Kinderfreibetrag beziehungsweise Kindergeld gewährt werden, obwohl das Kind mit seinen Einkünften selbst in Höhe des Grundfreibetrags verschont bleibt.

7

2. Dagegen, dass der Gesetzgeber die Grenzbetragsregelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gesetzestechnisch als Freigrenze und nicht als Freibetragsregelung ausgestaltet hat, bestehen keine Bedenken. Dies folgt aus der Typisierungs- und [X.]des Gesetzgebers, denn diese Regelung vereinfacht den Vollzug der betroffenen Norm durch die Finanzverwaltung erheblich (vgl. insoweit auch [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. August 1990 - 1 BvR 1431/86 -, juris). Bei einer gleitenden Übergangsregelung durch einen Freibetrag ergäbe sich nämlich ein erheblicher Verwaltungsmehraufwand, da bei Einkünften und Bezügen des Kindes über dem Grenzbetrag jeweils deren genaue Höhe festgestellt und bei der Berechnung des verbleibenden [X.]der Eltern mit deren individuellen Steuersatz umgerechnet werden müsste (so zutreffend [X.], Urteil vom 21. Juli 2000 - [X.]/99 -, [X.], S. 566 = [X.]E 192, 316, und nunmehr stRspr; siehe aus jüngster [X.] [X.], Beschluss vom 31. Juli 2009 - [X.]/07 -, [X.]/NV 2009, S. 1809).

8

Maßgeblich kann in verfassungsrechtlicher Hinsicht allein sein, dass beim Ausschluss der Gewährung von Kindergeld beziehungsweise eines Kinderfreibetrags das Existenzminimum des Kindes hinreichend berücksichtigt wurde (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 2. August 1990 - 1 BvR 1431/86 -, juris). Dies ist durch die Regelung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gewährleistet. Da der Gesetzgeber diese von [X.] wegen gebotene Vorgabe beachtet hat, liegt die Entscheidung für eine Freigrenze oder einen Freibetrag zur Vermeidung von Mehrfachbegünstigungen in seinem Ermessen.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2122/09

27.07.2010

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BFH, 14. Juli 2009, Az: III B 82/08, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 GG, §§ 62ff EStG, § 32 Abs 4 S 2 EStG vom 29.12.2003, § 62 EStG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27.07.2010, Az. 2 BvR 2122/09 (REWIS RS 2010, 4437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4437

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