Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2019, Az. VIII ZB 103/18, VIII ZB 104/18, VIII ZB 103/18 und 104/18

8. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 2123

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze


Leitsatz

Zur Frage der einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse sicherstellenden Organisation der Ausgangskontrolle in einer Rechtsanwaltskanzlei (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 - VI ZB 78/11, NJW-RR 2013, 506 Rn. 10; vom 16. Dezember 2013 - II ZB 23/12, juris Rn. 9; vom 11. März 2014 - VIII ZB 52/13, juris Rn. 5; vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; vom 9. Dezember 2014 - VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8 und vom 16. April 2019 - VI ZB 33/17, NJW-RR 2019, 950 Rn. 8).

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Beklagten gegen die Beschlüsse der 3. Zivilkammer des [X.] vom 22. Oktober 2018 und vom 11. Dezember 2018 werden als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.

Der Gegenstandswert für beide Beschwerdeverfahren beträgt insgesamt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte, bei der er ein Elektrofahrzeug erwarb, auf Zahlung des Umweltbonus in Höhe von 3.000 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 27. Februar 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt.

2

Mit einem am 18. Mai 2018 bei Gericht eingegangenen [X.] hat sie die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Diesen Antrag hat die Beklagte damit begründet, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründung bereits am 20. April 2018 - und nicht erst am Tag des Fristablaufs (27. April 2018) - unterzeichnet und seiner langjährigen Kanzleiangestellten übergeben habe. Im Kalender sei die Frist gestrichen worden. Statt den unterzeichneten [X.] zur fertigen Post zu legen und "einzutüten" habe die Mitarbeiterin diesen aufgrund eines Augenblicksversagens - Blackout - nebst sämtlichen Abschriften für Gegner und [X.] in die Akte geheftet. Dies habe man erst bemerkt, als die Beklagte am 17. Mai 2018 eine Abschrift der Berufungsbegründung erbeten habe.

3

Das [X.] hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

4

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumung auf einem anwaltlichen Organisationsmangel in der abendlichen [X.] der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruhe. Die im [X.] eingetragene Frist zur Berufungsbegründung habe nicht bereits nach erfolgter Unterzeichnung des [X.]es, sondern erst nach dessen Bereitlegung zwecks Verbringung zum Gericht gestrichen werden dürfen. Wäre in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten - wie erforderlich - eine abendliche Fristenkontrolle durchgeführt und somit sämtliche in der Ausgangspost befindlichen Schriftstücke mit den im [X.] enthaltenen Eintragungen abgeglichen worden, hätte man bemerkt, dass die vor der Erledigung gelöschte Frist tatsächlich noch nicht erledigt gewesen sei, da der [X.] nicht für den Rechtsanwalt zum Einwurf bei Gericht bereitgelegt, sondern in die Akte geheftet worden sei.

5

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2018 hat das [X.] unter Verweis auf die Zurückweisung der Wiedereinsetzung die Berufung als unzulässig verworfen, da diese nicht fristgerecht begründet worden sei.

6

Gegen beide Beschlüsse wendet sich die Beklagte mit ihren Rechtsbeschwerden.

II.

7

Die Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg.

8

Sie sind zwar statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), insbesondere waren die gesondert ergangenen Beschlüsse über die Ablehnung der Wiedereinsetzung einerseits und die Verwerfung der Berufung als unzulässig andererseits gesondert anzufechten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Januar 2016 - [X.]/15, NJW-RR 2016, 507 Rn. 14; vom 26. April 2016 - [X.], [X.], NJW-RR 2016, 952 Rn. 6). Sie sind aber unzulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung ablehnenden und die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.

9

1. Die Rechtssachen werfen weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordern sie eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzen die angefochtenen Beschlüsse nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Danach darf einer [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden beziehungsweise die den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (st. Rspr.; vgl. nur [X.] 74, 228, 234; [X.], NJW 2012, 2869 Rn. 8; [X.], 122 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2016 - [X.]/15, [X.], 632 Rn. 1; vom 9. Mai 2017 - [X.], [X.], 2041 Rn. 9; vom 4. September 2018 - [X.]/17, NJW-RR 2018, 1325 Rn. 9).

2. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltlichen Organisationspflichten bei der [X.] fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt, sondern unter Beachtung vorgenannter Grundsätze die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung rechtsfehlerfrei versagt und das Rechtsmittel der Beklagten folgerichtig als unzulässig verworfen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann nach dem Vorbringen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumung auf einem - ihr zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) - anwaltlichen Organisationsmangel (§ 233 ZPO) bei der abendlichen [X.] in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten beruht.

a) Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener [X.] rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von [X.] auszuschließen ([X.], Beschlüsse vom 2. Februar 2010 - [X.], [X.], NJW 2010, 1363 Rn. 11; vom 4. November 2014 - [X.], NJW 2015, 253 Rn. 8).

Zu diesem Zweck hat er seine [X.] so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Zum einen dürfen die im [X.] vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der [X.] also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Januar 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 506 Rn. 10; vom 9. Dezember 2014 - [X.]/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8).

Zum anderen gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden [X.] anhand des [X.]s durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige, selbständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im [X.] vermerkten Sachen übereinstimmen. Die allabendliche [X.] fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem [X.] dient dabei nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene [X.]n ergeben. Ihr Sinn und Zweck liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten [X.] die fristwahrende Handlung noch aussteht. Daher ist ein [X.] so zu führen, dass auch eine gestrichene Frist noch erkennbar und bei der Endkontrolle überprüfbar ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. März 2000 - [X.], [X.], 1957 unter II; vom 16. Dezember 2013 - [X.], juris Rn. 9; vom 11. März 2014 - [X.], juris Rn. 5; vom 4. November 2014 - [X.], aaO Rn. 10; vom 9. Dezember 2014 - [X.]/13, aaO; vom 15. Dezember 2015 - [X.], NJW 2016, 873 Rn. 8; vom 16. April 2019 - [X.], NJW-RR 2019, 950 Rn. 8). Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, da selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle [X.] auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (vgl. [X.], Beschluss vom 4. November 2014 - [X.], aaO Rn. 8).

b) Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine den vorstehenden Maßstäben gerecht werdende [X.] besteht, ist nicht dargetan. Der darin liegende Organisationsmangel ist für die Fristversäumung auch ursächlich geworden.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt ein individueller [X.] der langjährigen Kanzleiangestellten [X.]       nicht allein darin, dass der unterzeichnete [X.] nicht korrekt kuvertiert, mithin nicht zur Ausgangspost gelegt, sondern versehentlich in die Akte abgeheftet wurde. Die Rechtsbeschwerde weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das Einlegen dieser Sendung in die korrekte Versandtasche nicht durch den Rechtsanwalt zu kontrollieren ist und ein Fehler hierbei ein schlichtes Büroversehen darstellt (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juli 2011 - [X.] 139/11, NJW-RR 2011, 1686 Rn. 7).

Der maßgebliche Fehler lag vielmehr in einer zu frühen Streichung der Rechtsmittelbegründungsfrist im [X.]. Diese wurde bereits nach Unterzeichnung des [X.]es und damit, was auch die Rechtsbeschwerde in der Sache nicht in Frage stellt, zu früh gelöscht. Ein Austrag im [X.] hätte erst erfolgen dürfen, nachdem der [X.] zum Transport zu Gericht bereit gelegt worden ist und man sich zuvor anhand der Akte vergewissert hat, dass nichts mehr zu veranlassen ist.

Einen derartigen Fehler zu erkennen und zu beheben, ist Sinn und Zweck der abendlichen [X.]. Dass diese integraler Bestandteil der organisatorischen Abläufe in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Dagegen wendet sich auch die Rechtsbeschwerde nicht, sondern beruft sich der Sache nach darauf, die Ursächlichkeit dieses anwaltlichen Organisationsverschuldens für das Fristversäumnis in Abrede zu stellen.

c) Das Fehlen der abendlichen Fristenkontrolle war vorliegend jedoch für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ursächlich.

aa) Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine Anordnung zur Durchführung der beschriebenen abendlichen [X.] bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter (vgl. [X.], Beschluss vom 4. November 2014 - [X.], aaO Rn. 14) zu erwarten gewesen, dass die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden wäre. Denn dann wäre aufgefallen, dass der [X.] mit der Berufungsbegründung noch nicht auf den Postweg gebracht worden war.

bb) Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob - was die Rechtsbeschwerde in Abrede stellt - eine [X.] bereits am Abend der Erledigung (20. April 2018) geboten war, jedoch valide Feststellungen nicht ermöglicht hätte, da im Kalendereintrag für diesen Tag kein Fristablauf notiert war, oder ob ein [X.] vielmehr so geführt werden muss, dass eine nicht erst am Tag des Fristablaufs erfolgte Erledigung schon am [X.] zu vermerken und an diesem Abend zu überprüfen ist, weil nur so eine zuverlässige, etwaige [X.] rechtzeitig behebende allabendliche [X.] durchgeführt werden könnte.

cc) Jedenfalls wäre bei der [X.] am Tag des Fristablaufs (27. April 2018) anhand der in der Ausgangspost befindlichen Schriftstücke und durch Hinzuziehung der Handakten (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 4. November 2014 - [X.], aaO Rn. 13; vom 11. Juli 2017 - [X.]/17, juris Rn. 7), in welcher sich der [X.] noch befand, offenbar geworden, dass die Frist zu früh gelöscht wurde und nicht sämtliche zur Fristwahrung erforderlichen Maßnahmen ausgeführt worden waren. Die Berufungsbegründungsfrist hätte somit durch Übersendung des [X.]es per Telefax oder Einwurf in den Gerichtsbriefkasten noch gewahrt werden können.

Dr. Milger     

      

[X.]     

      

[X.]

      

Kosziol     

      

Dr. Schmidt     

      

Meta

VIII ZB 103/18, VIII ZB 104/18, VIII ZB 103/18 und 104/18

29.10.2019

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: und

vorgehend LG Chemnitz, 11. Dezember 2018, Az: 3 S 60/18

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2019, Az. VIII ZB 103/18, VIII ZB 104/18, VIII ZB 103/18 und 104/18 (REWIS RS 2019, 2123)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2123

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZB 104/18 (Bundesgerichtshof)


XI ZB 31/17 (Bundesgerichtshof)

Organisationsverschulden bei der Fristenkontrolle in der Anwaltskanzlei


VI ZB 99/19 (Bundesgerichtshof)

(Wiedereinsetzungsantrag: Wirksame Ausgangskontrolle bei Übesendung ber Post oder Telefax; aussagekräftiger Dateiname für Übersendung mittels beA)


VIII ZB 38/14 (Bundesgerichtshof)

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsfrist: Anforderungen an die allabendliche Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze bei Führung …


VIII ZB 38/14 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.