Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.11.2022, Az. III ZR 13/22

3. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7126

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Pflicht des Einzelrichters zur Vorlage der Rechtssache an den vollbesetzten Spruchkörper zur Übernahme; grundsätzliche Bedeutung der Sache; von Amts wegen zu berücksichtigende unterlassene Vorlage


Leitsatz

1. Hat das Berufungsgericht die Sache einem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen und ergibt sich danach aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, muss der Einzelrichter gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Sache dem vollbesetzten Spruchkörper zur Übernahme vorlegen und dieser sie nach § 526 Abs. 2 Satz 2 ZPO übernehmen.

2. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne haben auch die Fälle der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, einschließlich die Fälle einer sog. Innendivergenz.

3. Beruht eine unterlassene Vorlage auf Willkür, ist dieser Verstoß ungeachtet der Regelung des § 526 Abs. 3 ZPO sowie von Amts wegen zu berücksichtigen (Fortführung u.a. von BGH, Beschlüsse vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 202; vom 10. November 2003 - II ZB 14/02, NJW 2004, 448, 449 und vom 28. Januar 2022 - VI ZB 13/20, NJW-RR 2022, 570 Rn. 5).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats (Einzelrichterin) des [X.] vom 16. Dezember 2021 in der Fassung des [X.] vom 24. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen seiner Ansicht nach begangener Pflichtverletzungen im Rahmen der Begleitung des [X.] Börsengangs der [X.] Aktiengesellschaft "[X.]" (im Folgenden: [X.]). Die Beklagte betreibt eine Wertpapierhandelsbank und ist insbesondere im Bereich Aktienhandel und Emissionsbetreuung tätig.

2

Die [X.] verfügte über ein Grundkapital von 72.750 €, das auf rund 363 Millionen Stammaktien mit einem Nennwert von 0,0002 € aufgeteilt war. In den Jahren 2009 bis 2013 war das Unternehmen nicht kommerziell tätig. Ab 2014 war Gesellschaftszweck der Betrieb der [X.] "trig.com". In Ergänzung der Plattform sollte die [X.] einen "[X.]" für Rückvergütungen im Online-Shopping entwickeln und anbieten.

3

Am 17. Juli 2014 beantragte die Beklagte die Zulassung der [X.]-Aktien zum Handel im regulierten Markt der [X.] (im Folgenden: [X.]). Anfang August 2014 folgte ein überarbeiteter Antrag. Den von der [X.] Finanzaufsicht gebilligten Verkaufsprospekt notifizierte die [X.] (im Folgenden: [X.]) am 1. September 2014. Die Beklagte ist darin als "Listing Agent" und "Beraterin des Prospekts" aufgeführt. Am 9. September 2014 ließ die [X.] die [X.]-Aktien zum Handel zu. Der erste Handel fand am 18. September 2014 statt. Ein erster, mit der [X.] abgestimmter, Ausgabepreis ("indikativer Quote") lag zwischen 2,81 € und 3,15 €. Die erste Order erfolgte über 8.500 Aktien zum Preis von 3,00 €.

4

Der Kläger erwarb am 12. Januar 2015 3.000 Aktien für 9.491,82 € und am 7. April 2015 weitere 2.000 Aktien zum Preis von 6.214,26 €.

5

Am 15. Juni 2015 erstattete die [X.] Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation.

6

Der Kläger macht geltend, die Beklagte hafte als Prospektverantwortliche. Jedenfalls habe er einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 830 BGB, da die Beklagte durch den ersten indikativen Quote zur stark überhöhten Darstellung des Aktienwerts beigetragen und dadurch die Anleger zur Eingehung chancenloser Geschäfte verleitet habe. Zudem habe sich die Beklagte nach Börsenzulassung mehrfach an einer Kursmanipulation durch abgesprochene Geschäfte beteiligt. Er begehrt Erstattung der von ihm gezahlten Kaufpreise [X.] gegen Übertragung der Rechte aus den von ihm erworbenen Aktien.

7

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] der Klage vollumfänglich stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die [X.]evision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

9

Die Einzelrichterin des Berufungsgerichts hat angenommen, die Beklagte habe Beihilfe zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des [X.] durch den Vorstand der [X.] geleistet. Sie habe sich jedenfalls unter besonders leichtfertiger Verletzung ihrer Berufspflichten als Zulassungsantragstellerin und Spezialistin der Erkenntnis bewusst verschlossen, dass das Preisniveau der [X.]-Aktien manipulativ extrem überhöht gewesen sei und ein Kauf derselben für potentielle Anleger keine Gewinnchance beinhaltet habe. Die Beklagte habe die mangelnde Tragfähigkeit des Geschäftsmodells der [X.] gekannt.

Die Einzelrichterin hat die [X.]evision zur Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da am [X.] weitere Parallelverfahren anhängig beziehungsweise schon entschieden sein dürften. Eine grundsätzliche Bedeutung der [X.]echtssache gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestehe hingegen nicht, da die ständige [X.]echtsprechung des [X.] zur Beihilfe bei Vermittlung von chancenlosen Geschäften beachtet worden sei.

II.

Das angefochtene Urteil unterliegt schon deswegen der Aufhebung, weil es unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen [X.]ichters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen i[X.] Die Einzelrichterin hätte die Sache gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Berufungsgericht zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen und das Berufungsgericht hätte das Verfahren nach § 526 Abs. 2 Satz 2 übernehmen müssen, da sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage die grundsätzliche Bedeutung der [X.]echtssache ergeben hatte. Dieser Verstoß ist im vorliegenden Fall ungeachtet der [X.]egelung des § 526 Abs. 3 ZPO sowie von Amts wegen zu berücksichtigen.

1. a) Gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO legt der Einzelrichter, dem die Sache gemäß § 526 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung übertragen worden ist, den [X.]echtsstreit dem Berufungsgericht, das heißt dem vollbesetzten Spruchkörper, zur Entscheidung über eine Übernahme vor, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder die grundsätzliche Bedeutung der [X.]echtssache ergeben. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Einzelrichter zur Vorlage des [X.]echtsstreits verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 - [X.]/18, NJW-[X.][X.] 2019, 942 [X.]n. 10; [X.], Urteil vom 16. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 2900, 2901; vgl. auch die [X.] [X.]spr. zu § 568 ZPO; vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200, 202; vom 10. November 2003 - [X.], NJW 2004, 448, 449 und vom 28. Januar 2022 - [X.], NJW-[X.][X.] 2022, 570 [X.]n. 5 mwN; zu § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.] vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2005 - [X.], NJW-[X.][X.] 2006, 286 [X.]n. 3), und das Berufungsgericht hat ihn gemäß § 526 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu übernehmen (vgl. [X.][X.], 6. Aufl. 2020, § 526 [X.]n. 24; [X.], 23. Aufl. 2018, § 526 [X.]n. 12).

Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur in den Fällen des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 beziehungsweise § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO vor. Vielmehr umfasst der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung in § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ebenso wie in § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 526 Abs. 1 Nr. 3 und § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO neben der grundsätzlichen Bedeutung im engeren Sinn auch die in § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genannten Fälle der [X.]echtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung (vgl. BT-Drucks. 14/4722, [X.]; [X.], Beschlüsse vom 13. März 2003 aaO; vom 11. September 2003 - [X.], NJW 2003, 3712 und vom 18. September 2003 - [X.], NJW 2004, 223). Grundsätzliche Bedeutung haben auch die Fälle der sogenannten Innendivergenz, das heißt die Fälle, in denen innerhalb eines Spruchkörpers unterschiedliche Auffassungen über die Beurteilung der Sach- oder [X.]echtslage bestehen (vgl. BT-Drucks. aaO; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl., § 526 [X.]n. 8; [X.] aaO; [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 5. Aufl., § 526 [X.]n. 16). Das Ziel der [X.]echtseinheitlichkeit, dem die Zivilprozessordnung durch vielfältige [X.]egelungen [X.]echnung trägt, dient der [X.]echtssicherheit (vgl. BT-Drucks. [X.]) und schützt das Vertrauen der Bürger in den [X.]echtsstaat, indem schwer erträgliche Unterschiede in der [X.]echtsprechung vermieden werden sollen (vgl. BT-Drucks. aaO S. 104).

Weitere Voraussetzung für die Vorlage und [X.]ückübernahme gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 ZPO ist, dass die grundsätzliche Bedeutung sich aus einer wesentlichen Änderung der Sach- und [X.]echtslage seit der Übertragung auf den Einzelrichter ergeben hat. Hält das Kollegium die Sache nicht für rechtsgrundsätzlich und überträgt es sie deshalb an den Einzelrichter, kann dieser sie dem vollbesetzten Spruchkörper nicht schon deshalb wieder zu einer Übernahmeentscheidung vorlegen, weil er sie, anders als das Kollegium, für grundsätzlich hält. Eine wesentliche Änderung der Prozesslage muss hinzukommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 aaO; [X.], Urteile vom 16. Juli 2003 aaO; vom 25. Oktober 2012 - [X.], NJW-[X.][X.] 2013, 161 [X.]n. 32 und vom 18. November 2016 - [X.], NJW-[X.][X.] 2017, 260 [X.]n. 7; [X.], Beschluss vom 11. Februar 2004 - [X.] 158/02, [X.]Z 158, 74, 76). Fehlt ein solcher [X.]ückübertragungsgrund, ist der Einzelrichter weiterhin [X.] und daher auch befugt, die [X.]evision zuzulassen. Das Ziel einer zügigen Verfahrenserledigung geht in diesem Fall dem Bestreben des Gesetzgebers, die Zulassung der [X.]evision durch einen Einzelrichter grundsätzlich auszuschließen (vgl. BT-Drucks. aaO [X.]; [X.], Urteile vom 18. Januar 2013 - [X.], [X.], 131 [X.]n. 5 und vom 18. November 2016 aaO [X.]n. 6), vor.

b) § 526 Abs. 3 ZPO schließt allerdings grundsätzlich eine Überprüfung der Entscheidung über die Übertragung, Vorlage oder Übernahme der Sache aus. Dieses Nachprüfungsverbot schützt die Zulassung der [X.]evision durch das Kollegium, damit nicht trotz Bindung an die Zulassung geltend gemacht werden kann, die Sache sei nicht grundsätzlich und daher vom Berufungsgericht in falscher Besetzung entschieden worden. Es schützt ferner die sachliche Nachprüfbarkeit von Einzelrichterentscheidungen in den Fällen, in denen der Einzelrichter ohne Willkür von einer Vorlage der Sache an den Spruchkörper gemäß § 526 Abs. 2 ZPO abgesehen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO [X.] zu § 568 Satz 3 ZPO). § 526 Abs. 3 ZPO greift jedoch dann nicht ein, wenn die Entscheidung auf Willkür beruht, weil in einem solchen Fall eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegt (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 2016 aaO [X.]n. 7; [X.]/Schütze/[X.] aaO [X.]n. 20; vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. November 2015 - [X.] 105/13, [X.], 413 [X.]n. 9 zu § 68 FamFG; in diese [X.]ichtung auch bereits [X.], Urteil vom 12. Dezember 2006 - [X.], [X.]Z 170, 180 [X.]n. 5). Aus diesem Grund ist auch eine Heilung des Verstoßes gemäß § 295 ZPO nicht möglich (vgl. [X.], Urteile vom 16. Oktober 2008 - [X.], [X.], 1351 [X.]n. 13 und vom 15. Oktober 2013 - [X.], juris [X.]n. 7; [X.][X.], 6. Aufl. 2020, § 295 [X.]n. 22, [X.]. mwN).

2. Ein nach diesen Maßstäben im [X.]evisionsverfahren zu berücksichtigender Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt vor.

a) Die Einzelrichterin hätte das Verfahren gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Berufungssenat zur Übernahme vorlegen müssen, statt zur Sache zu entscheiden und die [X.]evision zwecks Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung zuzulassen.

Zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung am 16. Dezember 2021 bestand innerhalb des Senats eine Divergenz hinsichtlich der Beurteilung der Sach- und [X.]echtslage. Während die Einzelrichterin in dem vorliegenden [X.]echtsstreit das Vorgehen der Beklagten als eine vorsätzliche Beihilfe zu den Manipulationen des Vorstands der [X.] beurteilt hat, war der Berufungssenat in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2021 im Parallelverfahren 3 U 133/21 insoweit lediglich von Fahrlässigkeit der Beklagten ausgegangen (siehe Schriftsatz des [X.] vom 4. November 2021, S. 1 = [X.]; vgl. auch Schriftsatz der Beklagten vom 5. November 2021, S. 5 = [X.] S. 481).

Auch die weitere Voraussetzung für die [X.]ückgabe einer Sache an den vollbesetzten Spruchkörper, dass der nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO maßgebliche Umstand nach der Übertragung auf den Einzelrichter eingetreten ist, ist erfüllt. Von der Würdigung der Einzelrichterin abweichende Entscheidungen bereits zum Zeitpunkt der Übertragung der Sache auf sie am 25. Oktober 2021 sind nicht ersichtlich. Zwar war in dem genannten Parallelverfahren 3 U 133/21 bereits am 1. September 2021 ein Hinweisbeschluss ergangen, in dem das Berufungsgericht nicht von einem widerrechtlichen beziehungsweise vorsätzlichen Handeln der Beklagten ausging (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 5. November 2021, S. 5 = [X.] 481). Hierbei handelte es sich aber nur um eine vorläufige, unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnisse nach den Stellungnahmen der Parteien stehende Würdigung. Die Innendivergenz zwischen den Auffassungen des Berufungsgerichts und seiner im vorliegenden Fall erkennenden Einzelrichterin entstand erst, als sie sich aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2021 entschloss, von dem Beschluss vom 28. Oktober 2021 abzuweichen.

b) Die Sache gleichwohl nicht dem Berufungssenat vorzulegen, war objektiv willkürlich. Bei der Annahme von Willkür ist allerdings Zurückhaltung geboten. Nicht jede entgegen § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unterlassene Vorlage rechtfertigt diesen (objektiven) Vorwurf. Die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung zwingen indessen zu einer solchen Würdigung.

Die Einzelrichterin hat, wie ihre Begründung der Zulassung der [X.]evision zeigt, im Ausgangspunkt zwar erkannt, dass eine einheitliche Würdigung des Vorgehens der Beklagten im Zusammenhang mit der Börseneinführung der [X.]-Aktien nicht gewährleistet war. Sie hat jedoch verkannt, dass die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung (zunächst) im Wege der Vorlage gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und nicht durch die Zulassung der [X.]evision herbeizuführen war, weil eine Divergenz innerhalb des [X.] nach der Übertragung der Sache an sie entstanden war. Ungeachtet dessen, dass die Einzelrichterin auch den [X.] der Beklagten abweichend von dem übrigen Berufungssenat gesehen hat, beruht ihre Beurteilung, dass der gegen die Beklagte erhobene Vorwurf der Teilnahme (§ 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) an einem deliktischen Verhalten des Vorstands der [X.] zutreffend ist, vor allem auch auf einer Würdigung der Einzelfallumstände, die in erster Linie dem Tatrichter obliegt und vom [X.]evisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2004 - [X.], NJW 2004, 3423, 3425 mwN). Demzufolge bedeutete die unterbliebene Vorlage der Sache an das Kollegium des [X.] eine schwerwiegende, objektiv unhaltbare Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten der Beklagten - wie im Übrigen auch der Angriffsmittel des [X.]. Die Zulassung der [X.]evision gleicht dies wegen des hinsichtlich der tatrichterlichen Würdigung eingeschränkten [X.] nicht aus.

Sollte die Einzelrichterin von einem engeren Verständnis der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 ZPO ausgegangen sein, ist dies unerheblich, weil die Frage, ob Willkür vorliegt, anhand objektiver Kriterien festzustellen ist (vgl. [X.] 80, 48, 51; 89, 1, 13 f; 96, 189, 203; [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2004 - [X.], [X.], 153).

3. Den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen [X.]ichters hat der [X.] wegen zu berücksichtigen.

Zwar hat die [X.]echtsprechung in den Fällen des § 551 Nr. 1 ZPO a.F. (nunmehr § 547 Nr. 1 ZPO) eine Besetzungsrüge verlangt (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 1964 - [X.], [X.]Z 41, 249, 254 sowie Beschluss vom 26. März 1986 - [X.], NJW 1986, 2115; [X.], Urteil vom 20. Juni 1991 - [X.], [X.], 512). Daran ist auch grundsätzlich festzuhalten (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO [X.]). Die den vorzitierten Entscheidungen zugrunde liegenden Konstellationen betrafen die Verkündung des Urteils eines Spruchkörpers durch einen anderen und daher unzuständigen Spruchkörper (Senat, Urteil vom 16. März 1964 aaO), die [X.]üge, der planmäßige Senatsvorsitzende sei nicht gehindert gewesen, die zum Berufungsurteil führende mündliche Verhandlung zu leiten (Senat, Beschluss vom 26. März 1986 aaO), sowie die [X.]üge, der Senat eines [X.]s sei deshalb nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil ein [X.] mitgewirkt habe, der nur wegen einer allgemeinen Beförderungssperre noch nicht in eine Planstelle habe eingewiesen werden können ([X.], Urteil vom 20. Juni 1991 aaO). Diesen Fällen war gemein, dass die gerügten Besetzungsfehler auf den [X.]echtsmittelzug keinen Einfluss hatten (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO).

Der [X.] hat indes im Hinblick auf die § 526 Abs. 3 ZPO entsprechende [X.]egelung des § 568 Satz 3 ZPO bereits ausgeführt, dass diese Fälle mit der willkürlichen Zuständigkeitsüberschreitung des originären Einzelrichters im Beschwerdeverfahren bei [X.]echtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht vergleichbar sind und es dort der Erhebung einer Verfahrensrüge nicht bedarf (vgl. [X.] aaO sowie Beschluss vom 25. November 2015 aaO [X.]n. 9; aA [X.][X.], 6. Aufl. 2020, ZPO § 526 [X.]n. 32). Die vorgenannten Fallgestaltungen weichen grundlegend von der Entscheidung eines Einzelrichters ab, der von der [X.]echtsprechung seines Spruchkörpers abweichen will oder der eine uneinheitliche [X.]echtsprechung innerhalb dieses Spruchkörpers erkennt, gleichwohl von einer Vorlage der Sache an den Spruchkörper absieht und stattdessen die [X.]evision zuläs[X.] Zu entsprechendem Vorgehen eines Einzelrichters im Beschwerdeverfahren hat der [X.] ausgeführt, es bestehe ein öffentliches Interesse an der Wahrung der Funktionsfähigkeit des für die Klärung von [X.]echtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung eingeführten [X.]echtsbeschwerdeverfahrens. Wenn dieses Verfahren die ihm vom Gesetzgeber zugewiesene Aufgabe erfüllen solle, müsse das [X.]echtsbeschwerdegericht auch von Amts wegen darauf achten, dass in der Beschwerdeinstanz nicht unter Verletzung des [X.] auf [X.] die Zuständigkeitsverteilung zwischen Einzelrichter und Kollegium verschoben werde (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO unter Verweis auf [X.], [X.], 318). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise bei einer willkürlichen Verhinderung einer Entscheidung durch den vollbesetzten Spruchkörper im Berufungsverfahren.

Es kommt bei der vorliegenden Fallgestaltung hinzu, dass zuvörderst der Berufungssenat selbst berufen ist, die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung innerhalb seines Spruchkörpers zu wahren. § 21f [X.] stellt diesen unter die Leitung eines Vorsitzenden, dem es unter anderem obliegt, auch kraft seines richtungsweisenden Einflusses auf die [X.]echtsprechung (vgl. [X.], Beschlüsse des [X.] vom 19. Juni 1962 - [X.], [X.]Z 37, 210, 213 und vom 20. November 1967 - [X.], [X.]Z 49, 64, 65 f sowie Beschlüsse vom 22. April 1983 - [X.] ([X.]) 4/82, [X.]Z 88, 1, 6 und vom 14. Januar 1991 - [X.] ([X.]) 5/90, [X.], 46, 47) die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung seines Spruchkörpers zu gewährleisten (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 2015 - VII Z[X.] 173/13, NJW 2015, 1685 [X.]n. 34 und vom 5. Oktober 2016 - XII Z[X.] 50/14, NJW-[X.][X.] 2017, 635 [X.]n. 13; Beschluss vom 14. Januar 1991 aaO; BeckOK [X.]/[X.], [X.]. [X.], [X.] § 21f [X.]n. 1). Diese Aufgabe kann er nur dann erfüllen, wenn das Kollegium in voller Besetzung in solchen [X.]echtssachen entscheidet, bei denen intern unterschiedliche Auffassungen zur Beurteilung des Sachverhalts oder der [X.]echtslage zum Tragen kommen. Das Vorgehen der Einzelrichterin beschädigt damit nicht nur die Funktionalität des [X.]evisionsverfahrens, sondern zugleich in besonderer Weise auch jene des Spruchkörpers.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird sich auch mit den von der [X.]evision erhobenen Sachrügen befassen müssen, auf die einzugehen der Senat zum derzeitigen Verfahrensstand keine Veranlassung hat.

Wegen der durch die [X.]evision angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.

[X.]     

      

[X.]emmert     

      

Arend 

      

Böttcher     

      

Kessen     

      

Meta

III ZR 13/22

10.11.2022

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 16. Dezember 2021, Az: 3 U 90/20, Urteil

§ 526 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, § 526 Abs 2 S 2 ZPO, § 526 Abs 3 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.11.2022, Az. III ZR 13/22 (REWIS RS 2022, 7126)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7126 MDR 2023, 317-318 REWIS RS 2022, 7126 NJW 2023, 922 REWIS RS 2022, 7126

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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