Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2011, Az. IV ZB 2/11

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6836

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[X.] BESCHLUSS IV ZB 2/11vom 11. Mai 2011 in dem Rechtsstreit - 2 -

[X.] hat durch die [X.], [X.], [X.], die Richterin [X.] und [X.] Karczewski am 11. Mai 2011 beschlossen: Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivil-senats des [X.] vom 27. Dezem-ber 2010 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen. Gegenstandswert: 65.000 •

Gründe: [X.] Der Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbe-gründungsfrist - nach rechtzeitiger Einlegung der Berufung - wurde nicht an das Berufungsgericht, sondern an das erstinstanzliche [X.] adressiert. Dort ging er am Tag des Fristablaufs, dem 23. August 2010, bei der gemeinsamen Annahmestelle des [X.] ein und lag am Folgetag der Geschäftsstelle des [X.] vor. 1 Zur Begründung ihres mit der Berufungsbegründung am 24. Sep-tember 2010 beim Berufungsgericht eingegangenen Antrages auf [X.] - 3 -

dereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beru-fungsbegründungsfrist hat die Beklagte vorgetragen:
Die Fristversäumung beruhe auf dem Versehen eines Rechtsan-waltsfachangestellten im Büro ihres Prozessbevollmächtigten. Letzterer habe wegen einer kurzfristig angesetzten, umfangreichen Besprechung im Lauf des 23. August 2010 die Berufungsbegründung nicht verfassen können. In seinem Auftrag habe sein langjähriger Mitarbeiter einen Frist-verlängerungsantrag gefertigt, der allerdings wegen fehlerhafter Bedie-nung der Kanzleisoftware an das falsche Gericht adressiert worden sei. Diesen Antrag habe er während der Besprechung ohne Akten unter-schrieben, den Mitarbeiter aber angewiesen, ihn vor Absendung zusam-men mit den Handakten einem anderen Anwalt der Sozietät zur Prüfung vorzulegen. Hiervon habe der Mitarbeiter, nachdem auch der Sozius [X.] noch in einem [X.] gewesen sei, schließlich mit Blick auf das Ergebnis seiner eigenen Prüfung eigenmächtig abgesehen und den Verlängerungsantrag an das unzuständige [X.] gefaxt. 3 Mit Beschluss vom 27. Dezember 2010 hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgemäß [X.] und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten. 4 I[X.] Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig. Es fehlt an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Insbesondere [X.] die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entschei-dung des [X.] nicht. 5 - 4 -

6 1. Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Daher gebieten es die Verfahrens-grundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den [X.] eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren ([X.], Beschlüsse vom 18. Juli 2007 - [X.], [X.], 1722 Rn. 4; vom 9. Februar 2005 - [X.]/04, [X.], 791 unter [X.]; vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 227 f.). Demgemäß dürfen bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinset-zung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden.
2. Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht nicht ver-stoßen. Zu Recht hat es der Beklagten die Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand versagt. Nach §§ 233, 85 Abs. 2 ZPO darf ihr Wiedereinset-zung nur gewährt werden, wenn ihrem Prozessbevollmächtigten kein auch nur mitursächliches Verschulden an der Fristversäumung trifft. Das ist hier nicht der Fall. 7 a) Der Prozessbevollmächtigte trägt die Verantwortung, dass eine fristwahrende Prozesshandlung vor dem zuständigen Gericht vorgenom-men wird (so bereits [X.], Beschluss vom 8. Juli 1981 - [X.], [X.], 1126 f.; Senatsbeschluss vom 15. November 1978 - [X.], [X.], 229 f. und ständig). Das umfasst die Pflicht, einen Antrag auf Verlängerung der entsprechenden Frist auf die richtige [X.] - 5 -

nennung des Gerichts zu überprüfen und eventuell fehlerhafte Angaben zu berichtigen. Insbesondere muss ihm dabei auffallen, wenn ein für ihn vorbereiteter Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Gericht gerichtet ist, dessen Entscheidung angefochten werden soll (st. Rspr., [X.], Beschluss vom 18. April 2000 - [X.], [X.], 390 unter 2 a und Urteil vom 12. Oktober 1995 - [X.], NJW-RR 1996, 443 unter [X.] a). Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat diese Pflichten schuldhaft verletzt, als er den Verlängerungsantrag ungeprüft unter-schrieben in den weiteren Geschäftsgang gegeben hat. Das nimmt auch die Rechtsbeschwerde hin. 9 b) Ohne Erfolg zieht sie allerdings in Zweifel, dass diese schuld-hafte Pflichtverletzung für die Fristversäumung kausal geworden ist, weil der Prozessbevollmächtigte seinem Mitarbeiter die unmissverständliche Weisung erteilt habe, vor Abgang den Verlängerungsantrag mit Akten seinem Sozius zur Prüfung vorzulegen. Durch diese Anweisung ist sein Verschuldensbeitrag für die Versäumung der Frist durch - einer Blan-kounterschrift vergleichbaren - Unterschriftsleistung ohne inhaltliche Prü-fung nicht vollständig entfallen. Die letztlich eigenmächtige Absendung des Antrags durch den Rechtsanwaltsfachangestellten konnte weder die Pflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten noch deren ursächlichen Beitrag für die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nach den Grundsätzen der sogenannten "überholenden Kausalität" beseitigen. 10 aa) Die Anfertigung von zur Fristwahrung geeigneten Schriftsätzen gehört einschließlich der Angabe des zuständigen Gerichts zu den [X.], die ein Rechtsanwalt nicht seinem Büropersonal überlassen 11 - 6 -

darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Die Angabe des Berufungsgerichts ist mithin ein nicht de-legierbarer Kernbestandteil des [X.] und muss vom unterzeichnenden Rechtsanwalt grundsätzlich selbst kontrolliert werden (vgl. zur Berufungsbegründungsschrift [X.], Beschlüsse vom 5. März 2009 - [X.], [X.], 132 Rn. 8 f.; vom 23. Juni 2005 - [X.], [X.], 1427 f. und vom 14. Mai 2003 - [X.] 154/01, [X.], 1176 unter 2; jeweils m.w.[X.]). Auch das erkennt die Rechtsbeschwerde an.
[X.]) Entgegen ihrer Ansicht ändert daran indes nichts, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten über eine Anweisung an seinen Mitarbeiter die inhaltliche Prüfung des Antrages an seinen Sozietätskol-legen zu delegieren versuchte. 12 In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass gerade auch in Fällen arbeitsteiliger Erstellung von Schriftsätzen in [X.] vor der Absendung verantwortlich geprüft werden muss, ob die Koordination gelungen ist. Das kann sinnvoll nur durch den Rechtsanwalt erfolgen, der den Schriftsatz unterzeichnet und damit für die Sozietät insgesamt die Verantwortung für die Richtigkeit übernimmt ([X.], Beschluss vom 5. März 2009 aaO Rn. 10). 13 Die Verantwortung eines Prozessbevollmächtigten für den verspä-teten Eingang eines infolge mangelnder Überprüfung falsch adressierten Schriftsatzes wird hingegen nicht dadurch beseitigt, dass sein Mitarbeiter nachfolgend durch [X.] Verhalten gegen Pflichten verstößt und so mit zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels beiträgt. [X.] kann nicht gewährt werden, wenn neben den vom Prozessbe-14 - 7 -

vollmächtigten verschuldeten Umständen andere von ihm nicht verschul-dete mitgewirkt haben ([X.], Beschlüsse vom 14. Mai 2003 aaO; vom 12. Dezember 1984 - [X.], [X.], 285, 287). Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt mit-hin Mitursächlichkeit ([X.], Beschlüsse vom 18. April 2000 aaO unter 2 b und vom 8. Juli 1981 aaO; [X.]/[X.]/[X.], ZPO 31. Aufl. § 233 Rn. 14; jeweils m.w.[X.]).
cc) Danach konnte die schuldhafte ungeprüfte Unterzeichnung und Weitergabe des [X.] durch den [X.] der Beklagten ihre rechtliche Erheblichkeit nicht durch die Anweisung verlieren, die Sache noch dem Sozius vorzulegen. Das [X.] Fehlverhalten seines Mitarbeiters vermochte den Anwalt nicht zu entlasten. Er hat durch sein eigenes Verhalten mit der Übergabe ei-nes absendefähigen Schriftsatzes eine "Gefahrensituation" geschaffen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 1984 aaO 286). Die Realisie-rung dieser Gefahr durch Versendung eines fehlerhaft adressierten Schriftsatzes war durch die genannte Vorlageanweisung an den [X.] nicht mit Sicherheit auszuschließen. Die einem Anwalt obliegenden Sorgfaltspflichten und seine daraus sich ergebende Verantwortlichkeit bleiben selbst im Fall einer weisungsgemäßen Verwendung von Blan-kounterschriften unberührt; allein in Bezug auf die Einhaltung von Form-15 - 8 -

vorschriften - etwa bei weitgehend formalisierten Texten - kann ein [X.] Vorgehen unbedenklich sein ([X.], Beschluss vom 23. Juni 2005 aaO 1428).
Dr. [X.][X.]

[X.]

[X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 16.06.2010 - 2 O 257/09 - [X.], Entscheidung vom 27.12.2010 - 1 U 109/10 -

Meta

IV ZB 2/11

11.05.2011

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.05.2011, Az. IV ZB 2/11 (REWIS RS 2011, 6836)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6836

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IV ZB 2/11

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