Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.06.2019, Az. XI ZB 28/18

11. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 6269

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Umfang der anwaltlichen Fristenkontrolle bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 6. September 2018 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis 25.000 €.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten nach Aufrechnung über die Erstattung einer Restzahlung, die der Kläger auf einen angeblich widerrufenen [X.] geleistet hat.

2

Die Klage ist vom [X.] mit Urteil vom 21. Februar 2018 abgewiesen worden, das dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 9. März 2018 zugestellt worden ist. Dagegen hat der Kläger mit einem am 27. März 2018 bei dem [X.] eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. In einem Schriftsatz vom 9. Mai 2018, der bei dem [X.] per Telefax am 11. Mai 2018, einem Freitag, eingegangen ist, hat der Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 8. Juni 2018 beantragt. Auf einen Hinweis des Berufungsgerichts vom 15. Mai 2018 hin, die Berufung könne mangels fristgerechter Einreichung der Berufungsbegründung unzulässig sein, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30. Mai 2018, bei Gericht eingegangen am 1. Juni 2018, Fristverlängerung für die Berufungsbegründung bis zum 8. Juni 2018 sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die Berufung begründet.

3

Zur Begründung des [X.] hat der Kläger vorgetragen, die stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte [X.]  habe den von seinem Prozessbevollmächtigten fristgerecht am 9. Mai 2018 unterzeichneten Schriftsatz, in dem die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt worden sei, versehentlich weder an das Berufungsgericht gefaxt noch den Schriftsatz in den Postausgang gelegt. Dennoch habe sie die Berufungsbegründungsfrist vom 9. Mai 2018 im Fristenbuch gestrichen und auf den 8. Juni 2018 umgetragen. Eine solche Vorgehensweise sei ihr ausnahmsweise bei der ersten Fristverlängerung einer Berufungsbegründung erlaubt gewesen.

4

Nach den Regeln der Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des [X.] habe vor dem Streichen der Frist das Faxprotokoll auf den richtigen Adressaten sowie auf Vollständigkeit kontrolliert und die Speicherung des Schriftsatzes und des [X.] in der elektronisch geführten Akte überprüft werden müssen. Beides sei unterblieben. Bevor die Rechtsanwaltsfachangestellte [X.] am 9. Mai 2018 das Büro verlassen habe, sei der Prozessbevollmächtigte des [X.] mit ihr die Fristen des [X.] durchgegangen. Dabei habe Frau [X.] im festen Glauben an den vermeintlich ausgeführten Auftrag mündlich bestätigt, den [X.] gefaxt und in den Postausgang gelegt zu haben. Der Prozessbevollmächtigte habe sich beim Verlassen des Büros vergewissert, dass die Frist tatsächlich im Fristenbuch gestrichen worden sei. Dies hat der Kläger durch Vorlage einer E-Mail seines Prozessbevollmächtigten vom 9. Mai 2018, durch eidesstattliche Versicherungen der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.]und [X.]     sowie durch eine anwaltliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht.

5

Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Anträge des [X.] auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sowie auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei bei Eingang des [X.] bereits verstrichen, sodass der Antrag zurückzuweisen sei. Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist sei dem Kläger nicht zu gewähren, da nicht habe festgestellt werden können, dass er ohne sein Verschulden die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten habe. Ihm sei das Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen. Eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle müsse gewährleisten, dass die Erledigung einer fristgebundenen Sache am Ende jedes Arbeitstags anhand des [X.]s von einer damit beauftragten Bürokraft nochmals eigenständig überprüft wird. Eine solche Anordnung lasse sich nicht feststellen. Die geschilderte Vorgehensweise, am Ende eines [X.] die Fristen mit der Kanzleikraft durchzugehen und sich deren Erledigung mündlich bestätigen zu lassen, ersetze diese Anordnung nicht. Insbesondere ergebe sich daraus nicht, dass am Ende des [X.] - von wem auch immer - überprüft werde, ob überhaupt ein Sendebericht zur Übermittlung eines Telefax vorliege.

6

Das schuldhafte Unterlassen einer solchen Anordnung zur Ausgangskontrolle am Ende eines jeden [X.] lasse sich als Ursache für die Fristversäumung nicht ausschließen. Denn nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des [X.] sei am Abend nur kontrolliert worden, ob die Fristen im Fristenbuch gestrichen, nicht jedoch, ob die als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich versandt worden seien. Wäre am Ende des [X.] das Vorliegen eines Sendeberichts kontrolliert worden, wäre erkannt worden, dass der [X.] nicht abgesandt worden sei.

7

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.

8

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - [X.], [X.], 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt.

9

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des [X.] weder zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 ZPO) noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) erforderlich. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht vielmehr in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt weder den Anspruch des [X.] auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zuzurechnen ist, an der Einhaltung der Frist zur Begründung seiner Berufung gehindert war.

1. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, die Kontrolle ausgehender Schriftsätze mangelhaft organisiert.

a) Allerdings darf ein Rechtsanwalt - worauf die Beschwerdebegründung zutreffend Bezug nimmt - regelmäßig anfallende Büroarbeiten auf zuverlässige Mitarbeiter delegieren. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Erledigung der ausgehenden Post. Der Rechtsanwalt hat aber in diesen Fällen durch allgemeine, unmissverständliche Anordnungen dafür zu sorgen, dass Fehler nach Möglichkeit vermieden werden.

Deswegen muss der Rechtsanwalt eine allgemeine [X.]ung erteilen, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden [X.] von einer dazu beauftragten Bürokraft ausgehend von den Eintragungen im [X.] - nochmals - selbstständig überprüft wird ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2014 - [X.], [X.], 2388 Rn. 8 f., vom 9. Dezember 2014 - [X.]/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8, vom 26. Februar 2015 - [X.]/14, [X.], 782 Rn. 8, vom 25. April 2017 - [X.], juris Rn. 10 und vom 20. November 2018 - [X.], juris Rn. 13). Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze dient nicht nur der Überprüfung, ob sich schon aus den Eintragungen im [X.] noch unerledigt gebliebene [X.]n ergeben, sondern soll darüber hinaus klären, ob in einer im [X.] als erledigt vermerkten [X.] die fristwahrende Handlung tatsächlich noch aussteht ([X.], Beschlüsse vom 2. März 2000 - [X.], [X.], 1957, vom 4. November 2014, aaO Rn. 10, vom 25. April 2017, aaO und vom 20. November 2018, aaO). Das erfordert die Anweisung an das Büropersonal, anhand der Ausgangspost und gegebenenfalls der Akten zu überprüfen, ob die im [X.] als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind ([X.], Beschlüsse vom 4. November 2014, aaO Rn. 13, vom 15. Dezember 2015 - [X.], [X.], 1558 Rn. 8, vom 25. Februar 2016 - [X.]/15, [X.], 563 Rn. 10, vom 10. August 2016 - [X.], NJW-RR 2016, 1403 Rn. 17, vom 25. April 2017 - [X.], juris Rn. 10, vom 25. April 2017, aaO und vom 20. November 2018, aaO).

Soweit sich der Kläger darauf beruft, nach Rechtsprechung des [X.]. Zivilsenats könne sich der Rechtsanwalt, anstatt eine abendliche Fristenkontrolle anzuordnen, damit begnügen, seine Angestellten nach der Absendung fristgebundener Schriftsätze zu fragen, und müsse Unstimmigkeiten nur dann nachgehen, wenn er mit den Angaben der Angestellten nicht zufrieden sei, lässt sich dies den dafür in Anspruch genommenen Entscheidungen (Beschlüsse vom 8. Dezember 1993 - [X.] ZB 155/93, juris Rn. 10, vom 12. April 1995 - [X.] ZB 38/95, juris Rn. 18 und vom 18. Oktober 1995 - [X.] ZB 123/95, juris Rn. 11) nicht entnehmen. Soweit diese Entscheidungen die abendliche Ausgangskontrolle betreffen, wird vielmehr betont, dass allgemeine Nachfragen des Rechtsanwalts an zuverlässige Angestellte zur Erledigung fristgebundener Schriftsätze nicht davon entlasten, die gebotene abendliche Ausgangskontrolle entweder durch die allgemeine Kanzleiorganisation (vgl. Beschluss vom 8. Dezember 1993, aaO Rn. 11) oder durch eine ausdrückliche [X.] sicherzustellen (Beschluss vom 18. Oktober 1995, aaO Rn. 10 f.).

b) Diese von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestellten Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte des [X.] schuldhaft nicht erfüllt.

Aus dem Vortrag des [X.] ergibt sich nicht, dass zur Durchführung der abendlichen Ausgangskontrolle den Kanzleiangestellten eine ordnungsgemäße [X.]ung erteilt worden ist, wonach die damit konkret betrauten Büroangestellten die tatsächliche Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes in allen Fällen anhand der Ausgangspost, hier dem Sendebericht des Telefax, und gegebenenfalls anhand der Akten nochmals überprüfen mussten.

Die konkrete Nachfrage des Prozessbevollmächtigten des [X.] bei der Rechtsanwaltsfachangestellten [X.]  war nicht geeignet, diesen Organisationsmangel auszugleichen, da sie sich nicht auf die gebotene erneute abendliche Kontrolle der Erledigung fristgebundener Schriftsätze, sondern auf die Erinnerung der Angestellten an die ursprüngliche Bearbeitung des Postausgangs im Laufe des [X.] bezog.

2. Dieser Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten des [X.] war für die Fristversäumnis ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des [X.] die gebotene Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2015 - [X.], [X.], 1558 Rn. 11 mwN) die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer ggf. anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im [X.] als erledigt gekennzeichnete [X.] tatsächlich abgesandt worden war, wäre vor Ablauf der nach dem Vortrag des [X.] im [X.] ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsbegründungsfrist aufgefallen, dass ein Sendeprotokoll des Telefaxgeräts zur Absendung des Schriftsatzes nicht vorliegt und folglich dieser auch nicht per Telefax an das zuständige Gericht abgesandt worden war.

Die Ursächlichkeit des Organisationsverschuldens des Prozessbevollmächtigten für die Fristversäumnis des [X.] wird nicht dadurch aufgehoben, dass zusätzlich eine seiner Mitarbeiterinnen auf Nachfrage irrtümlich die Absendung des fristgebundenen Schriftsatzes während des [X.] bestätigt hat. Denn die Verantwortung eines Rechtsanwalts für den verspäteten Eingang eines Schriftsatzes wird nicht dadurch beseitigt, dass auch seine Mitarbeiter gegen ihre Pflichten verstoßen und so zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels mit beitragen. Für die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Fristversäumung, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, genügt Mitursächlichkeit (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2017 - [X.], [X.], 610 Rn. 10 mwN).

Ellenberger     

        

Grüneberg     

        

Maihold

        

Menges     

        

Derstadt     

        

Meta

XI ZB 28/18

18.06.2019

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Stuttgart, 6. September 2018, Az: 6 U 67/18

§ 85 Abs 2 ZPO, § 236 ZPO, § 522 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.06.2019, Az. XI ZB 28/18 (REWIS RS 2019, 6269)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6269

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