Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.08.2010, Az. 1 BvR 2585/06

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2010, 4019

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT BEHÖRDEN BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) STAATSRECHT UND STAATSORGANISATIONSRECHT PERSÖNLICHKEITSRECHT NEUTRALITÄTSGEBOT

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Zu den Anforderungen an Stellungnahmen der Bundeszentrale für politische Bildung bzgl dritter Personen - hier: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Autors eines Zeitschriftenbeitrags durch herabsetzende Distanzierung vom Inhalt dieses Artikels


Tenor

Der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 13. September 2006 - 3 A 809/06 - und das Urteil des [X.] vom 13. Januar 2006 - 27 K 8944/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, mit denen eine auf Beseitigung der Folgen einer Äußerung der [X.] (im Folgenden: [X.]) gerichtete Klage abgewiesen wurde.

2

1. Der Beschwerdeführer ist emeritierter Professor der Politikwissenschaft. [X.] erschien ein von ihm verfasster Aufsatz mit dem Titel "[X.] Identität in Verfassung und Geschichte" in der Zeitschrift "[X.] Archiv", die ein privater Verlag im Auftrag der [X.] herausgibt. Der Aufsatz befasst sich unter anderem mit der Verbreitung des Antisemitismus in der [X.] Bevölkerung während der [X.]. Er vertritt unter Berufung auf Zeitzeugen die These, dass die Mehrheit der [X.]n seinerzeit nicht antisemitisch eingestellt gewesen sei, sondern mit den verfolgten [X.] sympathisiert habe. In diesem Zusammenhang spricht er unter anderem von einer "deutsch-jüdischen Symbiose unter dem [X.]".

3

Die den Aufsatz des Beschwerdeführers enthaltende Ausgabe des [X.] Archivs wurde am 1. April 2004 an die mehreren tausend Abonnenten der Zeitschrift ausgeliefert. Erst danach erlangte die Leitungsebene der [X.] Kenntnis von dem Inhalt des Aufsatzes. Sie entschied, dass dieser mit ihrem Selbstverständnis unvereinbar sei, und richtete am folgenden Tag ein Schreiben mit folgendem Wortlaut an die Abonnenten:

4

"Sehr geehrte Abonnentinnen und Abonnenten des '[X.] Archivs',

5

die [X.] für politische Bildung/bpb und der [X.] distanzieren sich aufs Schärfste von dem im soeben erschienenen [X.] des '[X.] Archivs' veröffentlichten Text '[X.] Identität in Verfassung und Geschichte' von L...

6

Der Verfasser vertritt Ansichten zum Antisemitismus im 20. Jahrhundert in [X.], die weder mit dem Selbstverständnis der [X.] für politische Bildung noch mit dem des [X.]es vereinbar sind. Die [X.] setzt sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus, einer seiner Grundlagen, auseinander und sieht durch eine derartige [X.] ihre Arbeit desavouiert.

7

Wir bedauern diesen Vorgang außerordentlich. Weder die [X.] für politische Bildung, in deren Auftrag der [X.] die Zeitschrift herausgibt, noch der Beirat der Zeitschrift hatten von der geplanten [X.] Kenntnis.

8

Im nächstmöglichen Heft wird ein Beitrag von Prof. Dr. B…, erscheinen, der Entwicklung und Bedeutung des Antisemitismus in [X.] untersucht.

9

Der Rest der Auflage von [X.] wird makuliert.

Dieser in der langen Geschichte beider Häuser und des '[X.] Archivs' einmalige Vorgang wird sich nicht wiederholen. Wir bitten alle Leserinnen und Leser der Zeitschrift sowie diejenigen, welche sich durch den Beitrag von L… verunglimpft fühlen, um Entschuldigung."

Der Vorgang fand einen Widerhall in den Feuilletons mehrerer überregionaler Zeitungen; auf Artikel in der Süd[X.] Zeitung und der Welt reagierte der Beschwerdeführer mit Leserbriefen, die abgedruckt wurden.

2. a) Mit seiner Klage beim [X.] begehrte der Beschwerdeführer die Verurteilung der Bundesrepublik [X.] als Rechtsträger der [X.], sich bei ihm zu entschuldigen und den Urteilsinhalt den Empfängern des Schreibens vom 2. April 2004 bekannt zu geben. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit seinem hier angegriffenen Urteil vom 13. Januar 2006 ab. Zur Begründung führte es aus, dass dem Beschwerdeführer ein Folgenbeseitigungsanspruch nicht zustehe, weil er durch das Schreiben der [X.] nicht in seinen Grundrechten verletzt sei. Insbesondere verletze das streitgegenständliche Schreiben nicht die als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundrechtlich geschützte Ehre des Beschwerdeführers. Es enthalte weder herabwürdigende wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen noch Werturteile, die als Schmähkritik oder Formalbeleidigung oder aus anderen Gründen den [X.] Geltungsanspruch des Beschwerdeführers in rechtswidriger Weise beeinträchtigten. Auf den Umstand, dass sich die Beklagte als Hoheitsträger nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen könne, komme es hierbei nicht an. Auch einem Hoheitsträger sei es nicht verwehrt, sich am "Kampf der Meinungen" zu beteiligen. Zwar müsse er dabei das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Sachlichkeitsgebot einhalten, diese seien hier aber nicht verletzt.

Auch in das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG greife das Schreiben der [X.] nicht ein. Denn der Beschwerdeführer werde durch es weder in dem Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung noch in der Verbreitung der gewonnenen Erkenntnisse beeinträchtigt. Ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit ergebe sich auch nicht daraus, dass das Ansehen des [X.] als Wissenschaftler infolge des Schreibens Schaden genommen habe, denn das Grundrecht schütze nicht die fachliche Reputation eines Wissenschaftlers.

b) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht für das Land [X.] mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 13. September 2006 ab. Keiner der in dem Antrag geltend gemachten Gründe rechtfertige die Zulassung der Berufung. Insbesondere zeige das Vorbringen des Beschwerdeführers ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des [X.] nicht auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und [ref=d4495b90-f6be-4ae5-b5ac-91fb639f9bb9]Art. 5 Abs. 3 [X.]]. Er meint, die Ausführungen im Schreiben vom 2. April 2004 seien für ihn sowohl als Mensch als auch als Wissenschaftler in mehrfacher Weise rufschädigend und herabsetzend. Das Schreiben müsse so verstanden werden, dass ihm von Seiten der [X.] antisemitische Einstellungen unterstellt würden. Insbesondere die mehrfache Nennung seines Namens sowie die Ankündigung einer "Makulierung" der Restauflage führten zu einer besonderen Stigmatisierung. Dieses Verhalten der [X.] könne allenfalls im Fall einer extremen wissenschaftlichen Entgleisung gerechtfertigt sein. Eine solche liege jedoch mit seinem Aufsatz nicht vor. Die [X.] wolle eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den von ihm vertretenen Auffassungen unterdrücken. Aufgrund des Schreibens und des Echos, das dieses in der Presse gefunden habe, sei es ihm seither wesentlich erschwert, an der wissenschaftlichen Diskussion teilzunehmen. Auch der verantwortliche Redakteur des [X.] Archivs habe angekündigt, weitere Beiträge von ihm in der Zeitschrift nicht mehr zu veröffentlichen. Ferner sei er von mehreren Vortragsveranstaltungen ausgeladen worden.

4. a) Gelegenheit zur Äußerung hatten die Bundesregierung, das [X.] des Landes [X.] und das [X.]. Die Präsidentin des [X.]s hat eine Äußerung des 7. Senats des [X.]s übersandt, in der dieser auf sein Urteil vom 15. Dezember 2005 (7 [X.] 20.04) sowie auf die weitere Rechtsprechung des [X.]s zu Widerruf und Folgenbeseitigungsanspruch nach ehrverletzenden Äußerungen von Hoheitsträgern hinweist. Weitere Stellungnahmen sind nicht erfolgt.

b) Dem [X.] haben die Akten des verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahrens vorgelegen.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]).

1. Das [X.] hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Das gilt insbesondere für den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber ehrverletzenden oder rufschädigenden Äußerungen (vgl. [X.] 99, 185 <193>; 114, 339 <346>) sowie für die Zulässigkeit derartiger Äußerung von staatlicher Seite (vgl. [X.] 105, 252 <268 ff.>; 279 <301 ff.>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 [X.] offensichtlich begründet.

a) Die angegriffenen Entscheidungen berühren den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dieses Grundrecht schützt, ohne seinem Träger einen Anspruch darauf zu vermitteln, nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist (vgl. [X.] 82, 236 <269>), nicht nur die Ehre, sondern auch weitere Aspekte des [X.] Geltungsanspruchs. Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die - ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein - geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken (vgl. [X.] 99, 185 <193 f.>; 114, 339 <346>). Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht darüber hinaus aber auch, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren.

b) Eine solche herabsetzende Wirkung geht von dem beanstandeten Schreiben der [X.] aus. Unabhängig von der durch die Gerichte verneinten Frage, ob es eine Schmähkritik gegen den Beschwerdeführer enthält, muss sein Inhalt jedenfalls dahingehend verstanden werden, dass der Beschwerdeführer mit seinem Aufsatz nach Auffassung der [X.] eine Position vertreten habe, die außerhalb des hinnehmbaren [X.] liege. Weiter wird die [X.] des Aufsatzes als Desavouierung der eigenen Position bezeichnet und zugleich als naheliegend hingestellt, dass sich ein erheblicher Teil des Publikums durch diesen "einmaligen Vorgang" "verunglimpft" gefühlt haben könnte, so dass man sich von seinen Thesen nicht nur distanzieren, sondern für deren Abdruck sogar entschuldigen müsse. Aus Sicht des durchschnittlichen Lesers des [X.] Archivs - der davon ausgehen darf, dass die [X.] politische Neutralität zu wahren hat und daher ein gewisses Maß an [X.]zulassen muss (vgl. § 6 des Erlasses des [X.] über die [X.] für politische Bildung) - wird der Beschwerdeführer hierdurch als Autor eines Aufsatzes dargestellt, der nicht mehr diskursiv erörtert, sondern nur noch makuliert werden kann. Namentlich im Zusammenhang mit Fragen des angesichts der [X.] Geschichte besonders sensiblen Themas Antisemitismus kann dies eine erhebliche Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen, die im Falle des Beschwerdeführers, der unwidersprochen die Ausladung von Vortragsveranstaltungen geltend macht offenbar bereits praktische Folgen gezeitigt hat. Darauf, ob die Deutung des [X.], wonach das Schreiben dem Beschwerdeführer nicht vorwerfe, selbst [X.] oder antisemitische Auffassungen zu vertreten, zutrifft, kommt es angesichts dessen nicht an.

Die somit gegebene Grundrechtsbeeinträchtigung erfüllt zwar nicht die Voraussetzungen eines Eingriffs im klassischen Sinn, weil sie insbesondere nicht auf einer unmittelbaren Regelungswirkung beruht. Gleichwohl bedarf sie der Rechtfertigung in dem Sinne, dass die Äußerung der [X.], um vor Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG Bestand haben zu können, ein legitimes Ziel verfolgen und sich gemessen daran als verhältnismäßig erweisen muss (vgl. [X.] 105, 279 <299 ff.>). Entgegen der mindestens missverständlichen Ausdrucksweise der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, die insoweit von einem "freien Kommunikations- und Interaktionszusammenhang" zwischen Bürger und Staat spricht und staatlichen Stellen ein gewisses Recht zur Teilhabe am "Meinungskampf" zubilligen will, kann eine solche Rechtfertigung mangels Grundrechtsberechtigung der [X.] nicht wie in einem Rechtsstreit zwischen Privaten in der Meinungsfreiheit gefunden werden. Vielmehr kommt hier allein die kompetenzielle Rechtsgrundlage in Betracht, auf der die Tätigkeit der [X.] überhaupt fußt. Hierbei handelt es sich um die der Bundesregierung zukommende Aufgabe der Staatsleitung, die, ohne dass es darüber hinaus einer besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedürfte, staatliches Informationshandeln legitimieren kann. Namentlich gestattet sie es der Bundesregierung, die Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der [X.] Willensbildung bedürfen (vgl. [X.] 105, 279 <302>). Angesichts dessen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bundesregierung eine [X.] für politische Bildung unterhält, die ihrerseits publizistische Foren für politische Debatten betreibt. Eingebunden in einen Bildungsauftrag ist diese auch nicht von vornherein darauf verwiesen, alle im Rahmen von [X.]-6ed8-4bb7-8894-1830cb08f40e]Art. 5 Abs. 1 [X.]] geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, hat dabei aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Hierbei können insbesondere Kriterien wie Qualität und Repräsentativität eine maßgebliche Rolle spielen; insofern ist es der [X.] für politische Bildung nicht grundsätzlich verwehrt, [X.] am Rande des politischen Spektrums und solche, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, nicht zu berücksichtigen, sie als solche zu bezeichnen und sich demgegenüber auf die Präsentation von Hauptströmungen zu konzentrieren.

Vorliegend steht jedoch nicht eine durch Rechtsstaatlichkeit, Ausgewogenheit und Distanz getragene bloße Übergehung der Position des Beschwerdeführers in Frage, sondern die explizite Distanzierung von dieser durch ein engagiertes Schreiben an die Abonnenten. Zwar kann mit der legitimen Aufgabenwahrnehmung durch die [X.] im Einzelfall auch die Befugnis verbunden sein, das der Öffentlichkeitsarbeit zugrunde gelegte Konzept der Behörde durch Äußerungen, die auch Dritte betreffen, zu bestätigen oder zu verteidigen. Dazu kann auch das Recht gehören, zu der Meinung eines Bürgers urteilend Stellung zu beziehen. Im Hinblick auf den allein zulässigen Zweck einer rechtsstaatlichen distanzierten Aufgabenwahrnehmung kommt dies aber nur in Grenzen in Betracht. Von vornherein ausgeschlossen sind Äußerungen gegenüber Einzelnen, die allein dem Bestreben dienen, eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der [X.] für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen. Vielmehr kann es insoweit nur um die Erhaltung des zur Funktionsfähigkeit der Behörde notwendigen Mindestmaßes an öffentlichem Vertrauen in die eigene Glaubwürdigkeit und Integrität gehen (vgl. [X.] 93, 266 <291>; [X.], Urteil vom 22. April 2008 - [X.]/07 -, NJW 2008, S. 2262 <2265>). Gerade bei einer Einrichtung wie der [X.], die keine Eingriffsverwaltung betreibt und auch nicht über die rechtlichen Mittel hierzu verfügt, sondern deren Aufgabe die Information der Bürger ist, gehört zu den Grundlagen der eigenen Tätigkeit auch das öffentliche Ansehen als zuverlässig und ausgewogen. Daher kann es ein legitimes Interesse darstellen, sich von ihr zuzurechnenden Beiträgen, die von dem Anspruch einer ausgewogenen Informationstätigkeit auffällig abweichen, weil sie etwa extreme oder extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren, um so die eigene Reputation wiederherzustellen. Bei der Frage, ob und welche Maßnahmen als öffentliche Reaktion auf einen drohenden [X.] zu ergreifen sind, steht der [X.] ein Einschätzungs- und Handlungsspielraum zu. Etwaige von ihr ergriffene Maßnahmen müssen allerdings die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips beachten.

Dessen Grenzen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gewahrt. Das hier beanstandete Schreiben geht über das der [X.] zuzubilligende Anliegen, den Anschein zu beseitigen, sie biete unter Missachtung ihrer Pflicht zur politisch ausgewogenen Haltung extremistischen Positionen ein publizistisches Forum, deutlich hinaus. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass die vom Beschwerdeführer vertretenen Thesen, auch wenn sie als Bewertungen historischer Ereignisse die Grenze zur Strafbarkeit oder Verfassungsfeindlichkeit nicht überschreiten, aus sachlichen Gründen von der [X.] im Rahmen eines von rechtsstaatlicher Neutralität getragenen [X.]skonzepts als für einen Abdruck ungeeignet bewertet werden durften und auch nach der - später als Fehlentscheidung angesehenen - [X.] editorische Konsequenzen wie das den Abdruck einer kritischen Gegenmeinung erlaubt hätten. Ob dabei im Einzelfall zur [X.] auch eine aktive Distanzierung der [X.] von einem zuvor veröffentlichtem Beitrag, der die Grenze zur Strafbarkeit oder Verfassungsfeindlichkeit nicht überschreitet, zulässig sein kann, kann dabei offen bleiben. Denn jedenfalls ist vorliegend nicht ersichtlich, dass das Schreiben der [X.] den ihr einzuräumenden Einschätzungs- und Handlungsspielraum wahrt und als erforderliche und angemessene Reaktion auf den Artikel des Beschwerdeführers angesehen werden kann. Weder hinsichtlich der Ankündigung der Makulierung noch hinsichtlich der Entschuldigung für eine etwaige Verunglimpfung ist erkennbar, dass diese von dem legitimen Zweck gedeckt sein können.

c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf dieser Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte, hätten sie einen Eingriff in das Grundrecht bejaht, anders entschieden, nämlich der Klage stattgegeben hätten. Der hier geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch ist einfachrechtlich anerkannt. Er ist begründet, wenn eine Grundrechtsverletzung vorliegt, wobei der konkrete Anspruchsinhalt nicht allgemein zu umschreiben ist, vielmehr im Einzelfall ermittelt werden muss (vgl. allgemein zum Folgenbeseitigungsanspruch BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1984 - 3 [X.] 81/82 -, NJW 1985, S. 817).

d) Ob der Beschwerdeführer darüber hinaus auch in weiteren Grundrechten, insbesondere in seiner Wissenschaftsfreiheit verletzt ist, kann offen bleiben.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

1 BvR 2585/06

17.08.2010

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 13. September 2006, Az: 3 A 809/06, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17.08.2010, Az. 1 BvR 2585/06 (REWIS RS 2010, 4019)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4019

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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