Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.01.2023, Az. III R 44/20

3. Senat | REWIS RS 2023, 2887

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Aufteilung der während des laufenden Insolvenzverfahrens anfallenden Einkommensteuer zwischen dem Insolvenzverwalter und dem nichtselbständig tätigen Insolvenzschuldner


Leitsatz

Während eines laufenden Insolvenzverfahrens sind die Einkommensteuer und der Solidaritätszuschlag für alle dem Insolvenzschuldner im Veranlagungszeitraum nach materiellem Steuerrecht zuzuordnenden Einkünfte einheitlich zu ermitteln und zwischen dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, und dem Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzmasse im Verhältnis der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG aufzuteilen.

Tenor

Auf die Revision des Finanzamts wird das Urteil des [X.] vom 05.02.2020 - 5 K 1387/19 aufgehoben.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

In der Sache ist die Aufteilung der [X.] während eines Insolvenzverfahrens zwischen dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), der als Insolvenzschuldner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, und dem gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung ([X.]) zum Insolvenzverwalter bestellten Beigeladenen (Insolvenzverwalter) als Vertreter der Insolvenzmasse streitig.

2

[X.] (vor den Streitjahren) wurde über das Vermögen des [X.], der damals gewerblich tätig war und seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte, das Insolvenzverfahren eröffnet (§§ 2 ff., 11 ff. [X.]). In den Streitjahren 2016 und 2017 erlangte die Insolvenzmasse infolge von Anfechtungen gemäß §§ 129 ff. [X.] Einnahmen aus Gewerbebetrieb. Die [X.] beliefen sich im [X.] auf 1.592 € und im [X.] (vor Verlustrücktrag) auf 119.807 €. Der Kläger erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 17.600 € im [X.] und 17.840 € im [X.].

3

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) ermittelte die Einkommensteuer für 2016 und für 2017 einheitlich für die Einkünfte des [X.] und der Insolvenzmasse. Hiernach ergab sich für 2016 eine [X.] in Höhe von 1.559 €, ein [X.] in Höhe von 85,74 € sowie Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 21 € und für 2017 eine [X.] in Höhe von 48.019 € sowie ein [X.] in Höhe von 2.641,04 €. Anschließend teilte das [X.] die [X.] einschließlich [X.] und Zinsen zur Einkommensteuer im Verhältnis der Einkünfte zwischen dem Kläger und der Insolvenzmasse auf und erließ am [X.] gegenüber dem Kläger und der Insolvenzmasse jeweils gesonderte Einkommensteuerbescheide.

4

Dabei wurde die Einkommensteuer im Verhältnis der Einkünfte gegenüber der Insolvenzmasse für 2016 in Höhe von 129,32 € zuzüglich 7,11 € [X.] und 1,74 € Zinsen zur Einkommensteuer festgesetzt und gegenüber dem Kläger in Höhe von 1.429,68 € zuzüglich 78,63 € [X.] und 19,26 € Zinsen zur Einkommensteuer. Für 2017 wurde die Einkommensteuer gegenüber der Insolvenzmasse in Höhe von 41.795,41 € sowie der [X.] in Höhe von 2.298,74 € festgesetzt und gegenüber dem Kläger in Höhe von 6.223,59 € zuzüglich 342,30 € [X.].

5

Der Kläger legte erfolglos Einsprüche ein und erhob dann Klage.

6

Während des Klageverfahrens erließ das [X.] am 11.10.2019 wegen eines den [X.]n zuzuordnenden Verlustrücktrags in Höhe von 20.916 €, durch den die [X.] 2017 auf 98.891 € und die [X.] 2017 auf 39.234 € sowie der [X.] auf 2.157,87 € sanken, für das [X.] geänderte Bescheide. Das [X.] setzte entsprechend dem geänderten Verhältnis der Einkünfte nun gegenüber der Masse 33.237,87 € Einkommensteuer sowie 1.828,08 € [X.] und gegenüber dem Kläger 5.996,13 € Einkommensteuer sowie 329,79 € [X.] fest. Dem Kläger verblieben hiernach von seinen im [X.] erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 17.840 € nach Abzug seiner abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 3.099 € und der Einkommensteuer und des [X.]s in Höhe von zusammen 6.325,92 € noch 8.415,08 €. Der Grundfreibetrag betrug 2017  8.820 €.

7

Außerdem legte das [X.] während des Klageverfahrens Probeberechnungen vor, wonach die Einkommensteuer auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 17.600 € im [X.] und 17.840 € im [X.] jeweils 1.165 € und der [X.] jeweils 38,60 €, zusammen also jeweils 1.203,60 € betragen hätte und damit fast genau dem Lohnsteuerabzug entsprochen hätte. Zinsen zur Einkommensteuer wären nicht festgesetzt worden.

8

Der Kläger beantragte, den Einkommensteuerbescheid für 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.09.2019 und den Einkommensteuerbescheid für 2017 in Gestalt des Bescheides vom 11.10.2019 dahingehend zu ändern, dass die Einnahmen der Masse nicht bei ihm berücksichtigt werden, d.h. entsprechend der Probeberechnungen die Einkommensteuer für die [X.] und 2017 auf jeweils 1.165 € zuzüglich 38,60 € [X.] herabzusetzen und keine Zinsen zur Einkommensteuer festzusetzen.

9

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage teilweise statt. Es hatte Bedenken gegen die Steuerfestsetzung, bei der der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG in der jeweils geltenden Fassung nicht steuerfrei bleibt, und entschied, dass dieser vorab von den Einkünften des [X.] abzuziehen sei. Erst dann sei die Steuer im Verhältnis der gekürzten Einkünfte des [X.] zu den vollen Einkünften der Masse aufzuteilen. In der Folge reduzierte es die gegenüber dem Kläger festzusetzende Einkommensteuer für das [X.] auf 1.323,59 € und für das [X.] auf 3.256,42 €. Im Übrigen wies das [X.] die Klage ab. Die beantragte Einkommensteuerfestsetzung entsprechend der bei einer Schattenveranlagung des [X.] ermittelten Höhe von jeweils 1.165 € zuzüglich 38,60 € [X.] zog das [X.] nicht in Betracht.

Das Urteil ist u.a. in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 729 veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision des [X.].

Das [X.] beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Vorentscheidung verstößt gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O). Das [X.] hätte die Steuerfestsetzung für die Streitjahre 2016 und 2017 nicht zu Gunsten des [X.] ändern dürfen. Das [X.] hat gegenüber dem Kläger zutreffend die Einkommensteuer für 2016 in Höhe von 1.429,68 € zuzüglich 78,63 € Solidaritätszuschlag und 19,26 € Zinsen zur Einkommensteuer und die Einkommensteuer für 2017 zutreffend in Höhe von 5.996,13 € zuzüglich 329,79 € Solidaritätszuschlag festgesetzt. Die gegenüber dem Kläger erlassenen Einkommensteuerbescheide 2016 (in Gestalt der Einspruchsentscheidung) und 2017 (in Gestalt des letzten Änderungsescheids) sind rechtmäßig.

1. Die Vorentscheidung verstößt schon deshalb gegen Bundesrecht, weil das [X.] den Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG zu Unrecht von den Einkünften des [X.] abgezogen hat. Der Grundfreibetrag ist Teil der [X.] und nicht zum Abzug von den Einkünften vorgesehen (Senatsurteil vom 27.07.2017 - III R 1/09, [X.], 279, [X.] 2018, 96, Rz 31).

2. Das Urteil ist auch nicht aus anderen Gründen i.S. des § 126 Abs. 4 [X.]O richtig. Das [X.] hat die Steuer zutreffend festgesetzt.

a) In einem ersten Schritt ist während des Insolvenzverfahrens die Jahreseinkommensteuer für alle im jeweiligen Veranlagungszeitraum (§ 25 Abs. 1 EStG) angefallenen Einkünfte, deren materiell-rechtlicher Rechtsträger der Insolvenzschuldner ist, nach steuerrechtlichen Vorschriften und Maßstäben einheitlich zu ermitteln. Dann ist dieser Betrag in einem zweiten Schritt aufzuteilen. Gegenüber dem Insolvenzschuldner --wegen seiner Einkünfte aus [X.]er Arbeit-- und gegenüber dem Insolvenzverwalter --wegen der Einkünfte der Insolvenzmasse (§ 55 Abs. 1 [X.])-- ist der jeweilige Teilbetrag in gesonderten Einkommensteuerbescheiden festzusetzen (vgl. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 27.10.2020 - VIII R 19/18, [X.], 15, [X.] 2021, 819, Rz 37, und vom 16.05.2013 - IV R 23/11, [X.], 233, [X.] 2013, 759, Rz 27 f.; vgl. auch Senatsurteile vom 16.07.2015 - III R 32/13, [X.], 102, [X.] 2016, 251, und vom 16.04.2015 - III R 21/11, [X.], 7, [X.] 2016, 29; sowie [X.], Sanierungs- und [X.], 2. Aufl. 2011, Rz 9.750 ff.). Insolvenzforderungen (§§ 38, 174 Abs. 1 Satz 1 [X.]), die gemäß §§ 174, 175 [X.] zur Tabelle anzumelden wären (vgl. etwa [X.]-Urteil vom 10.07.2019 - X R 31/16, [X.], 300, [X.] 2022, 488, Rz 34), sind nicht streitgegenständlich.

aa) Der Grund für die im ersten Schritt vorzunehmende Ermittlung einer [X.] für alle Einkünfte liegt darin, dass diese ununterscheidbar zur Einkommensteuer beitragen, unabhängig davon, ob sie vor der Insolvenzeröffnung, von der Masse (§ 55 [X.]), während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner oder (im letzten Jahr der Insolvenz) nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erzielt wurden (zur Zwangsverwaltung vgl. auch [X.]-Urteile vom 10.02.2015 - IX R 23/14, [X.], 202, [X.] 2017, 367, Rz 12 ff. und 35, und vom 09.12.2014 - X R 12/12, [X.], 482, [X.] 2016, 852, Rz 48 ff.; zur Zwangsversteigerung vgl. [X.]-Urteil vom 07.07.2020 - X R 13/19, [X.], 24, [X.] 2021, 174, Rz 25 ff.). Würde man die Einkommensteile jeweils gesondert veranlagen, würden derartige Einkünfte gegenüber Einkünften, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens erzielt wurden, durch den mehrfachen Ansatz des Grundfreibetrags sowie etwaiger Pausch- und Freibeträge und eine niedrigere Progression ohne sachlichen Grund privilegiert werden. Eine Rückkehr zur sog. Separationstheorie des [X.] ([X.]), die dieser 1938 aufgegeben hat ([X.]-Urteil vom 22.06.1938 - VI 687/37, [X.]E 44, 162, [X.] 1938, 669), kommt nicht in Betracht ([X.]-Urteile vom 11.11.1993 - XI R 73/92, [X.] 1994, 477, unter II.2., und vom 07.11.1963 - IV 210/62 S, [X.], 172, [X.]I 1964, 70).

bb) In den ersten Jahren nach Inkrafttreten der [X.] hat die Finanzverwaltung gegenüber einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Tätigkeit erzielt hat, nur die gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. § 850e Nr. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens nicht mitzurechnende und somit auch nach Inkrafttreten der [X.] weiterhin privilegierte Lohnsteuer erhoben und die [X.] im Übrigen gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt. Der Verzicht auf eine Einkommensteuerfestsetzung hatte zur Folge, dass gegenüber der Insolvenzmasse auch in den Fällen, in denen der Insolvenzschuldner heimlich "schwarz" gearbeitet hatte, die gesamte Steuer festgesetzt wurde, obwohl die Masse auf die Einkünfte des Insolvenzschuldners, auch soweit sie die Pfändungsfreibeträge überstiegen, keinen Zugriff hatte und obwohl gesetzwidrig keine Lohnsteuer abgeführt worden war. Deshalb hat der [X.] mit Urteil vom 24.02.2011 - VI R 21/10 ([X.]E 232, 318, [X.] 2011, 520, Leitsatz und Rz 15 ff.) entschieden, dass gegenüber dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt, ein Teil der Einkommensteuer festzusetzen ist (so auch [X.]-Urteil vom 27.07.2011 - VI R 9/11, [X.] 2011, 2111, Rz 13 und 15; Senatsurteil in [X.], 102, [X.] 2016, 251, Rz 19 f.).

cc) Die seit Ergehen des [X.]-Urteils in [X.]E 232, 318, [X.] 2011, 520 im Hinblick auf den Erlass gesonderter Einkommensteuerbescheide erforderliche Aufteilung der [X.] zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Tätigkeit erzielt, ist nach Auffassung des erkennenden Senats entsprechend der unter Geltung der Konkursordnung entwickelten Rechtsprechung, die der [X.] bereits in zwei jüngeren Entscheidungen für die [X.] bestätigt hat (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 300, [X.] 2022, 488, Rz 63, und in [X.], 15, [X.] 2021, 819, Rz 46), ausschließlich entsprechend dem Verhältnis der jeweiligen Einkünfte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 EStG) vorzunehmen.

(1) Dies beruht darauf, dass der Insolvenzschuldner materiell-rechtlich auch hinsichtlich des Teils der Einkommensteuerschuld Steuerschuldner ist, der gegenüber dem Insolvenzverwalter als Vertreter der Insolvenzmasse festzusetzen ist. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG sind dem Insolvenzschuldner nicht nur die Einkünfte zuzurechnen, die er während des Insolvenzverfahrens durch eigene Arbeit unmittelbar selbst erzielt, sondern auch alle Einkünfte aus der Insolvenzmasse, auch wenn sie aus Handlungen oder Maßnahmen des Insolvenzverwalters resultieren oder in sonstiger Weise durch die Masse begründet sind und unabhängig davon, ob der Insolvenzschuldner hierauf Zugriff hat (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 172, [X.]I 1964, 70 zur Konkursordnung). Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners gemäß § 80 Abs. 1 [X.] auf den Insolvenzverwalter hat seine Ursache ausschließlich im Insolvenzrecht und keinen Einfluss auf das materielle Einkommensteuerrecht. Nach materiellem Steuerrecht bleibt es bei der Einkommensteuerpflicht und -schuldnerschaft des Insolvenzschuldners nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. §§ 33, 43 der Abgabenordnung ([X.]). Wenn dem Insolvenzschuldner danach alle Einkünfte weiterhin steuerlich zuzurechnen sind und der Insolvenzverwalter insoweit lediglich als Partei kraft Amtes mit Wirkung für den Insolvenzschuldner handelt sowie das zu versteuernde Einkommen die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Einkommensteuer ist (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2, § 32a Abs. 1 Satz 1 EStG), ist es nach Auffassung des Senats folgerichtig, die [X.] zwischen Insolvenzmasse und Insolvenzschuldner im Verhältnis der Einkünfte (§ 2 Abs. 2 Satz 1 EStG) aufzuteilen. Jede andere Aufteilung --z.B. eine Aufteilung im Verhältnis des Einkommens i.S. des § 2 Abs. 4 EStG unter Berücksichtigung getragener Sonderausgaben oder außergewöhnlicher Belastungen, des zu versteuernden Einkommens i.S. des § 2 Abs. 5 EStG oder im Verhältnis der durch fiktive Einzelveranlagungen (Schattenveranlagungen) errechneten Einkommensteuer analog § 270 Satz 1 [X.] (vgl. dazu etwa [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 251 Rz 79; [X.], Die Besteuerung in der Insolvenz, 1. Aufl. 2005, Rz 295 ff.; [X.], Besteuerung bei Insolvenz, 9. Aufl. 2021, S. 147 f.; [X.] in Tipke/[X.], § 251 [X.] Rz 72; [X.] in Gosch, [X.] § 251 Rz 72; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 13. Aufl. 2021, Rz 1461)-- widerspräche der gesetzlichen Grundsystematik und wäre auch nicht praktikabel (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 251 [X.] Rz 341 f.; [X.], [X.], 3. Aufl. 2020, Rz 4.197, s. aber auch Rz 4.193; vermittelnd [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2016, Band 5, Teil 1, Steuerrecht in der Insolvenz, Einkommensteuer, Rz 85). Der Senat hält deshalb an der diesbezüglichen [X.]-Rechtsprechung fest (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 300, [X.] 2022, 488, Rz 63, und in [X.], 15, [X.] 2021, 819, Rz 46).

(2) Auch in Ansehung der progressiven Einkommensteuerbelastung hält der [X.] an seiner Rechtsprechung zur Aufteilung der [X.] zwischen einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt hat, und dem Insolvenzverwalter nach dem Verhältnis der auf die jeweiligen [X.] entfallenden Einkünfte fest, weil zur [X.] ununterscheidbar alle Einkommensteile beitragen (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 300, [X.] 2022, 488, Rz 63; vgl. auch [X.] in [X.], § 251 [X.] Rz 341 f.). So kann im Falle von Einkünften, die insolvenzrechtlich zu unterschiedlichen [X.]n gehören, einkommensteuerlich nicht bestimmt werden, welche Teile in welchem Umfang zur Progression beigetragen haben. Denn nach Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Einkommensteuer in einer Summe (§ 36 Abs. 1 EStG), ohne Unterscheidung danach, in welchem Zeitabschnitt des Kalenderjahres und in welcher Höhe die jeweiligen in das zu versteuernde Einkommen eingegangenen Einkünfte erzielt wurden. Vor diesem Hintergrund beinhaltet der in Rede stehende Rechtsgrundsatz des [X.] eine beachtliche Begründung für die Sachangemessenheit der von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angewendeten Aufteilungsmethode.

(3) Die Aufteilung der Einkommensteuer sowie des Solidaritätszuschlags und der Zinsen zur Einkommensteuer zwischen einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt hat, und dem Insolvenzverwalter entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte ist nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich unbedenklich.

(a) Natürliche Personen dürfen nur hinsichtlich des ihr Existenzminimum übersteigenden Einkommens besteuert werden (vgl. etwa Beschlüsse des [X.] Grundfreibetrag, Einkommensteuerrecht vom [X.], 8/91, 14/91, [X.] 87, 153, [X.] 1993, 413 --Entscheidungsformel--, und Steuerpflicht bei Kindesunterhalt, [X.] vom 13.10.2009 - 2 BvL 3/05, [X.] 124, 282, [X.], 3785 --Entscheidungsformel--). Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG-- (i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG) verpflichtet den Staat, das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Ebenso wie der Staat nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen jedenfalls bis zu diesem Betrag nicht entziehen (vgl. BVerfG-Beschluss Erstausbildungskosten vom 19.11.2019 - 2 BvL 22-27/14, [X.] 152, 274, [X.] 1b und Rz 105, m.w.N.). Steuerlasten sind am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit, der Folgerichtigkeit und der steuerlichen Lastengleichheit des Steuerschuldners auszurichten (vgl. etwa BVerfG-Beschluss häusliches Arbeitszimmer vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09, [X.] 126, 268, [X.], 1157, [X.] 2011, 318, Rz 36; [X.]-Urteil vom 20.10.2010 - IX R 56/09, [X.]E 231, 173, [X.] 2011, 409, Rz 23). § 32a EStG setzt diese Grundsätze für die Einkommensbesteuerung um.

(b) Diesen Anforderungen genügt die materiell-rechtlich auf den Insolvenzschuldner entfallende [X.]. Da die Aufteilung des [X.] in zwei Vermögensmassen, welche die Aufteilung der Einkommensteuer notwendig macht, eine Folge der Insolvenz ist, ist der Schuldnerschutz im Streitfall vorrangig durch das Insolvenzrecht und die [X.] gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. § 850a ff. ZPO zu gewährleisten.

Ob es rechtspolitisch zweckmäßig wäre, gegenüber dem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt, die Einkommensteuer nur in etwa in Höhe der Lohnsteuer festzusetzen, kann der Senat offen lassen. Denn bloße Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine Durchbrechung der gesetzlichen Grundsystematik nicht.

(c) Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Aufteilung der [X.]schuld nach dem Verhältnis der auf die jeweiligen [X.] entfallenden Einkünfte zu einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung des Insolvenzschuldners führt, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt, gegenüber einem Insolvenzschuldner, der nach Freigabe durch den Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 und 3 [X.] Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit erzielt. Denn insoweit handelt es sich in insolvenzrechtlicher Hinsicht um im Wesentlichen ungleiche Sachverhalte, für die der Gesetzgeber in steuerrechtlicher Hinsicht entsprechend dieser Ungleichheit auch unterschiedliche Rechtsfolgen vorsehen durfte. Gelangt beim [X.] tätigen Insolvenzschuldner pfändbarer Arbeitslohn als Neuerwerb nach § 35 Abs. 1 [X.] automatisch zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ([X.]-Urteil in [X.]E 232, 318, [X.] 2011, 520, Rz 12 ff.). Folge ist die Notwendigkeit der Aufteilung der [X.]schuld auf zwei [X.]. Dagegen hat die Rechtsprechung im Fall des gewerblich oder selbständig tätigen Insolvenzschuldners unter bestimmten Voraussetzungen ein massebezogenes Verwaltungshandeln des Insolvenzverwalters i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] angenommen (vgl. z.B. [X.]-Urteile in [X.], 7, [X.] 2016, 29, Rz 13 ff., und in [X.], 102, [X.] 2016, 251, Rz 20 ff.). Folge ist, dass die Einkommensteuer auch hinsichtlich der gewerblichen oder selbständigen Einkünfte des Insolvenzschuldners gegenüber der Masse festgesetzt wird und schon keine Notwendigkeit der Aufteilung der [X.]schuld entsteht.

b) Nach diesen Grundsätzen war die angefochtene Steuerfestsetzung nach Auffassung des Senats im Streitfall rechtmäßig.

aa) Das [X.] hat zutreffend in einem ersten Schritt die [X.] festgesetzt und diese in einem zweiten Schritt entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte zwischen dem Kläger und dem beigeladenen Insolvenzverwalter aufgeteilt. Wie ausgeführt, lassen die gesetzliche Grundsystematik und Praktikabilitätserwägungen ausschließlich eine Aufteilung im Verhältnis der Einkünfte zu. Die vom Kläger beantragte Aufteilung, bei der ihm gegenüber die im Wege einer Schattenveranlagung (Probeberechnung) ermittelte Einkommensteuer festgesetzt wird und gegenüber der Masse die Differenz aus der [X.] und der auf den Kläger entfallenden Steuer, scheidet deshalb aus, ebenso der vom [X.] vorgenommene Abzug des Grundfreibetrags von den Einkünften des [X.]. Da nach Auffassung des Senats allein die Aufteilung der [X.] im Verhältnis der Einkünfte rechtmäßig ist, kommen auch alle anderen, in der Literatur diskutierten [X.] nicht in Betracht.

bb) Der Streitfall gibt nach Auffassung des Senats keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit der Aufteilung der [X.] im Verhältnis der Einkünfte und der Einkommensteuerfestsetzung gegenüber einem Insolvenzschuldner, der Einkünfte aus [X.]er Arbeit erzielt hat, zu zweifeln. So fehlt es schon an einer schlüssigen Berechnung des [X.], anhand derer im Einzelnen erkennbar wird, dass aufgrund des steuerlichen Zugriffs das Existenzminimum des [X.] tatsächlich nicht mehr gewährleistet ist. Denn es ist streng auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen. Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen lediglich den Schutz des Lebensstandards auf [X.], nicht aber auf dem Niveau, das durch die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung erreicht werden kann (BVerfG-Beschluss vom 13.02.2008 - 2 BvL 1/06, [X.] 120, 125, unter [X.]; vgl. auch [X.]-Urteil vom 16.11.2011 - [X.], [X.]E 236, 69, [X.] 2012, 325, Rz 28 ff.; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG-Beschluss vom 27.09.2017 - 2 BvR 598/12, nicht veröffentlicht). Den Feststellungen des [X.] kann nicht entnommen werden, dass die nach dem Einkommensteuergesetz abzugsfähigen Aufwendungen des [X.] in voller Höhe als verfassungsrechtlich zwingend zu berücksichtigender Aufwand anzusehen sind. Die Auffassung des [X.], dass sämtliche abzugsfähigen Sonderausgaben (Renten- und Krankenversicherungsbeiträge) auch nach Verfassungsrecht berücksichtigt werden müssen, trifft nicht zu. Einer Zurückverweisung zur Prüfung einer abweichenden Steuerfestsetzung nach § 163 [X.] bedarf es nicht, da es sich bei dem Steuerfestsetzungs- und dem Billigkeitsverfahren um zwei selbständige Verfahren handelt (z.B. [X.]-Urteile vom 23.02.2021 - II R 22/19, [X.]E 273, 190, [X.] 2021, 636, Rz 11, und vom [X.] - VIII R 24/08, [X.]E 228, 499, [X.] 2010, 903, Rz 21).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O. Etwaige außergerichtliche Kosten des Beigeladenen waren nicht aus Billigkeitsgründen zu erstatten (§ 139 Abs. 4 [X.]O), denn dieser hat weder [X.] gestellt noch anderweitig das Verfahren wesentlich gefördert.

Meta

III R 44/20

19.01.2023

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 5. Februar 2020, Az: 5 K 1387/19, Urteil

§ 2 Abs 2 S 1 EStG 2009, § 1 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 1 AO, § 43 AO, § 163 AO, § 251 AO, § 270 S 1 AO, § 32a Abs 1 S 2 Nr 1 EStG 2009, § 36 EStG 2009, § 35 InsO, § 36 InsO, § 55 InsO, § 80 InsO, §§ 850aff ZPO, § 850a ZPO, § 850e Nr 1 ZPO, Art 3 Abs 1 GG, EStG VZ 2016, EStG VZ 2017

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.01.2023, Az. III R 44/20 (REWIS RS 2023, 2887)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2887

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III R 21/11 (Bundesfinanzhof)

Einkommensteuer als Masseschuld


VIII R 19/18 (Bundesfinanzhof)

Zur Aufteilung der Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners bei vom Insolvenzverwalter beantragter Zusammenveranlagung und zur Berücksichtigung des …


X R 31/16 (Bundesfinanzhof)

Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit - Einkünfte des Insolvenzschuldners aus einer (treuhänderischen) Beteiligung an einer Personengesellschaft


VII R 1/16 (Bundesfinanzhof)

Aufrechnung mit als Masseverbindlichkeiten entstandenen Steuerschulden nach Abschluss des Insolvenzverfahrens


8 K 1118/19 (FG München)

Versorgungsbezüge aus der Notarkasse eines in Italien ansässigen vormaligen deutschen Notars


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.