Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.04.2021, Az. 9 B 30/20

9. Senat | REWIS RS 2021, 7154

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Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des [X.] vom 6. Mai 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 230 399,28 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Streitgegenstand ist ein Bescheid der Beklagten, mit dem diese die Klägerin, die als Erbbauberechtigte auf dem im Eigentum des [X.] stehenden veranlagten Grundstück ein Krankenhaus betreibt, zu einem Abwasserbeitrag herangezogen hat. Das [X.] hat den Bescheid mit Beschluss nach § 130a VwGO aufgehoben und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

II

2

Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen eines [X.] gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Beklagten aufgeworfene Frage,

"ob § 8 Abs. 7 S. 2 Bbg[X.] in der Fassung bis zum 31.01.2004 wg. Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, dem Vertrauensschutz und der Rechtssicherheit, so auszulegen ist, daß sich die erste wirksame Beitragssatzung als Voraussetzung ihrer Wirksamkeit Rückwirkung auf das Datum des formalen Inkrafttretens der ersten, unwirksamen Beitragssatzung bzw. des [X.] (oder den darin geregelten späteren Zeitpunkt für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht) beimessen muß",

nicht. Denn sie wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.

4

Hintergrund der Frage ist die unterschiedliche Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes des [X.] in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung ([X.]) durch das [X.] einerseits und dem [X.] (und ihm folgend das [X.]) andererseits. Gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] entstand die Beitragspflicht für [X.], sobald das Grundstück an die Anlage angeschlossen werden konnte, frühestens jedoch mit Inkrafttreten der Satzung, wobei die Satzung einen späteren Zeitpunkt bestimmen konnte. Diese Regelung wurde vom [X.] für das [X.] und ihm folgend vom [X.] in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, dass mit "Inkrafttreten der Satzung" das Inkrafttretensdatum der ersten mit formellem Geltungsanspruch erlassenen Satzung - unabhängig von deren Wirksamkeit - gemeint war. Bei einem unwirksamen ersten Satzungsversuch konnte eine nachfolgende wirksame Satzung die Beitragspflicht daher nur begründen, soweit sie mit Rückwirkung auf diesen Zeitpunkt erlassen wurde (vgl. nur [X.] (Oder), Urteil vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/[X.] - LKV 2001, 132; [X.], Urteil vom 11. Februar 2016 - 9 B 1.16 - LKV 2016, 229 <230>). Nach dieser Auffassung konnten im Falle der Nichtigkeit der ersten Beitragssatzung [X.] nur dann erhoben werden, wenn eine auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten Satzung zurückwirkende gültige Satzung erlassen wurde, bevor die Festsetzungsfrist verstrichen war; andernfalls trat die sogenannte hypothetische Festsetzungsverjährung ein (vgl. dazu auch [X.], [X.] vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 - NVwZ 2016, 300 Rn. 45). Demgegenüber hat der [X.] entschieden, dass entgegen der Ansicht des [X.]s § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] nicht anders auszulegen war als die später vom Gesetzgeber geschaffene Neufassung der Vorschrift und es danach für das Entstehen der Beitragspflicht auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten formell und materiell wirksamen Beitragssatzung ankam ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019 - [X.]/18 - NVwZ 2019, 1696 Rn. 18 ff.). Dieser Auffassung hat sich das [X.] angeschlossen (vgl. etwa OLG Brandenburg an [X.], Urteil vom 11. Februar 2020 - 2 U 67/17 - juris LS 1 und Rn. 7).

5

In dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] unter ausdrücklicher Ablehnung der Rechtsauffassung des [X.]s an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] festgehalten (so schon [X.], Beschluss vom 4. September 2019 - 9 S 18.18 - juris Rn. 17 ff. und Urteil vom 12. November 2019 - 9 B 40.18 - juris Rn. 18) und die Klageabweisung entscheidungstragend damit begründet, dass dem Beitragsbescheid wegen des Eintritts der hypothetischen Festsetzungsverjährung eine tragfähige satzungsmäßige Grundlage fehle.

6

Mit ihrer Grundsatzrüge möchte die Beklagte im Interesse der Rechtseinheit und Rechtssicherheit eine Klärung der zwischen dem [X.] und dem [X.] strittigen Auslegungsfrage herbeiführen. Dieses Ziel kann sie jedoch nicht erreichen, weil die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] durch das [X.] in einem Revisionsverfahren nicht zu überprüfen wäre, so dass es an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache fehlt.

7

Die unterschiedliche Rechtsauslegung durch ein [X.] einerseits und ein - nicht im Sinne der [X.] nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO divergenzfähiges - oberstes [X.] andererseits kann zwar Anlass zu einer Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geben; dies gilt jedoch nicht für Fragen der Auslegung von Landesrecht, die sich wegen Fehlens der Revisibilität einer Klärung durch das [X.] entziehen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 1984 - 8 B 121.83 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 225 S. 15 f.). So liegt der Fall hier.

8

Die Auslegung und Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] in Bezug auf den Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht ist eine Frage des Landesrechts, auf dessen Verletzung eine Revision nach § 137 Abs. 1 VwGO nicht gestützt werden kann. Das [X.] ist daher in einem Revisionsverfahren an die Auslegung dieser Vorschrift durch das [X.] nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO gebunden (vgl. zu § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] schon [X.], Urteil vom 23. Januar 2019 - 9 C 2.18 - [X.]E 164, 212 Rn. 22).

9

Soweit die Beklagte meint, die Wirkungen zum Entstehen und Erlöschen der Ansprüche aus dem Beitragsverhältnis richteten sich direkt nach den bundesrechtlichen Normen der Abgabenordnung, trifft dies nicht zu. Die durch die landesrechtliche Verweisungsregelung des § 12 [X.] für anwendbar erklärten Vorschriften der (an sich bundesrechtlichen) Abgabenordnung werden kraft des Rechtsanwendungsbefehls des [X.] in das Landesrecht inkorporiert und teilen dessen Rechtscharakter, sind also insoweit ebenfalls nicht revisibel (stRspr, vgl. etwa [X.], Beschluss vom 14. August 2019 - 9 B 13.19 - [X.] 346 LandesVerwVollstrR Nr. 6 Rn. 6 m.w.N.).

Unergiebig für die Revisibilität der aufgeworfenen Rechtsfrage ist auch der Hinweis der Beklagten auf [X.]rechtliche Vorgaben und Maßstäbe, auf die sich die Gerichte bei ihren divergierenden Auslegungen von § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] jeweils beriefen. Aus den Ausführungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass sich gerade im Hinblick auf die [X.]rechtlichen Normen und Grundsätze wie Vertrauensschutz, Rechtssicherheit und das Rechtsstaatsprinzip klärungsbedürftige Fragen stellen würden. Dass die Auslegung und Anwendung des Landesrechts mit [X.]- oder Verfassungsrecht in Übereinstimmung stehen muss, macht das Landesrecht selbst noch nicht revisibel. Mit der Rüge einer fehlenden oder unzureichenden Beachtung von [X.]([X.])recht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht lässt sich die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann begründen, wenn gerade die Auslegung der bundesrechtlichen Normen ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. etwa [X.], Beschluss vom 28. Juli 2015 - 9 B 17.15 - NVwZ-RR 2015, 906 Rn. 5 m.w.N.). Dazu trägt die Beschwerde nichts vor.

Auch das von der Beklagten angeführte Interesse an einer einheitlichen Rechtsprechung und das Gebot effektiven Rechtsschutzes können eine revisionsgerichtliche Überprüfung des nicht revisiblen Landesrechts nicht begründen. Das unterschiedliche Verständnis von § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] in der Rechtsprechung des [X.]s Berlin-Brandenburg einerseits und des [X.]s andererseits mag zwar die Rechtseinheit und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen und dazu führen, dass Primär- und Sekundärrechtsschutz bei Rechtsstreitigkeiten von Altanschließern in bestimmten Konstellationen zu abweichenden Ergebnissen kommen. Eine Verpflichtung, der Auslegung des Landesrechts durch die jeweils andere Gerichtsbarkeit zu folgen, besteht jedoch weder für die Zivilgerichte noch für die Verwaltungsgerichte; die Rechtspflege ist vielmehr aufgrund der in Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit [X.] konstitutionell uneinheitlich (vgl. gerade in Bezug auf die divergierenden Auslegungen zu § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] [X.], [X.] vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 - NVwZ 2020, 1744 Rn. 20). Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich kein subjektivrechtlich geschütztes Vertrauen auf Auslegungsübereinstimmung über einen Gerichtszweig hinweg. Nach Art. 95 Abs. 3 GG ist eine Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nur zwischen den obersten Gerichtshöfen vorgesehen. Dieser Weg ist vorliegend jedoch nicht eröffnet, weil dem [X.] als Revisionsgericht eine Prüfung des Kommunalabgabengesetzes des [X.] gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entzogen ist (vgl. [X.], [X.] vom 1. Juli 2020 - 1 BvR 2838/19 - NVwZ 2020, 1744 Rn. 22 und vom 10. Dezember 2020 - 1 BvR 908/20 u.a. - juris Rn. 3). Über diese gesetzgeberische Entscheidung kann sich das [X.] nicht hinwegsetzen.

2. Soweit die Beklagte die begehrte Zulassung der Revision auf die Verletzung ihres Rechts auf [X.] nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs sowie des Grundsatzes der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG stützt, weil das [X.] die Nichtzulassung der Revision nicht nachvollziehbar begründet und § 132 Abs. 2 VwGO willkürlich angewandt habe, kann dies der Beschwerde für sich genommen nicht zum Erfolg verhelfen. Maßgeblich für die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob die Nichtzulassungsentscheidung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft war, sondern ob die vom Beschwerdeführer den Anforderungen von § 133 Abs. 3 VwGO entsprechend geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen. Sollte die Beklagte einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend machen wollen, ist nicht ersichtlich, inwieweit die Sachentscheidung des [X.]s darauf beruhen könnte.

Es ist im Übrigen auch nicht zutreffend, dass eine Zulassung der Revision durch das [X.] nahegelegen hätte oder zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes sogar geboten gewesen wäre. Das von der Beklagten verfolgte Ziel, "die sich (schlichtweg) ausschließende Rechtsprechung der beiden Gerichtszweige wieder zu vereinen", kann durch eine Anrufung des [X.]s nicht erreicht werden, weil dieses - wie dargelegt - an die Auslegung des Landesrechts durch das [X.] gebunden ist und folglich auch eine Befassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] nicht möglich ist (vgl. [X.], [X.] vom 10. Dezember 2020 - 1 BvR 908/20 u.a. - juris Rn. 3; s. auch [X.], [X.], 1027 <1035 f.>). Darauf hat bereits das [X.] in seiner ausführlichen Begründung der Nichtzulassungsentscheidung zutreffend hingewiesen.

3. Die Zulassung der Revision ist auch nicht wegen des Vorliegens eines entscheidungserheblichen [X.] im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerechtfertigt. Die Beklagte macht insoweit geltend, das Gericht habe in dem nach § 130a VwGO ohne mündliche Verhandlung ergangenen Beschluss ihren entscheidungserheblichen Vortrag zur erstmaligen Kenntnis der Grundbuchlage nach dem 31. Dezember 1999 schlichtweg übergangen und den dazu angebotenen Beweis nicht erhoben. Diese Rüge greift nicht durch.

a) Der Vortrag der Beklagten bezieht sich auf den Aspekt der Verjährungshemmung. Das [X.] hat entscheidungstragend darauf abgestellt, dass bei Inkrafttreten der Neuregelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 [X.] am 1. Februar 2004 eine Beitragserhebung für das klägerische Grundstück wegen Ablaufs der vierjährigen Festsetzungsfrist nicht mehr möglich gewesen wäre. Der Berechnung dieser Frist nach § 12 [X.] i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 1 AO liegen die Feststellungen zugrunde, dass eine erste unwirksame Beitragssatzung des [X.] erlassen worden ist und eine Anschlussmöglichkeit für das Grundstück bereits 1998 bestanden hat. Das [X.] hat dabei auch die Frage einer Verjährungshemmung in den Blick genommen und verneint. Es hat hierzu ausgeführt, angesichts der 1998 erfolgten Grundbucheintragung des [X.] als Grundstückseigentümer wäre eine Verjährungshemmung in diesem Fall weder in Ansehung des § 8 Abs. 7 Satz 3 und 4 [X.] noch in Ansehung des § 12 Abs. 3 [X.] eingetreten. Wenn eine Grundbucheintragung habe erfolgen können, sei das Grundbuch auch erreichbar gewesen ([X.] 8).

Das [X.] nimmt damit Bezug auf die im Verfahren angeforderten [X.], aus denen sich ergibt, dass der [X.] am 2. Oktober 1998 als Eigentümer der veranlagten Flurstücke eingetragen worden ist. Nach den vom [X.] genannten Regelungen in § 8 Abs. 7 Satz 3 und 4 [X.], die vom 1. Juli 1995 bis zum 12. April 1999 galten, lief die Festsetzungsfrist nach § 169 AO nicht ab, solange der Beitragspflichtige nach Absatz 2 nicht feststellbar war; sie endete frühestens drei Monate, nachdem die Ungewissheit über den Beitragspflichtigen beseitigt war oder hätte beseitigt werden können. Mit Wirkung vom 13. April 1999 wurden diese Bestimmungen durch § 12 Abs. 3 [X.] abgelöst. Dieser lautete in der bis zum 31. Januar 2004 geltenden Fassung: "Ist der Beitragspflichtige nach § 8 Abs. 2 nicht feststellbar, so beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Beitragspflichtige bekannt geworden ist." Die Ausführungen des [X.]s beruhen auf dessen Rechtsprechung, wonach die beiden Hemmungsregelungen dahin auszulegen sind, dass der Beitragspflichtige "nicht feststellbar" war, wenn dem Grundbuch nicht zu entnehmen war, wem das Grundstück gehörte, und dass die Festsetzungsfrist jedenfalls nicht abgelaufen (§ 8 Abs. 7 Satz 3 und 4 [X.]) oder nicht angelaufen (§ 12 Abs. 3 [X.]) war, bevor der Eigentümer dem Grundbuch zu entnehmen war, es sei denn, der Beitragsgläubiger kannte den Eigentümer (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2018 - 9 N 47.17 - juris Rn. 24 und vom 4. Mai 2018 - 9 N 52.17 - juris Rn. 5). Der Anlauf der Festsetzungsfrist nach § 12 Abs. 3 [X.] war nicht mehr gehemmt gewesen, wenn erstens der Beitragspflichtige anhand des Grundbuchs feststellbar geworden ist und zweitens der Beitragsgläubiger nur deshalb keine positive Kenntnis über die Person des Beitragspflichtigen erlangt hat, weil er sich nicht um Kenntniserlangung bemüht hat und dies bei wertender Betrachtung keinerlei Zusammenhang mit den ursprünglichen Ermittlungsschwierigkeiten aufgewiesen hat (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 28. Juni 2017 - 9 S 14.16 - juris Rn. 10 und vom 16. Oktober 2018 - 9 N 152.17 - juris Rn. 8).

b) Die Beklagte macht geltend, das [X.] habe ihren Vortrag und das [X.] zum Vorliegen und Eingreifen der Hemmungstatbestände der §§ 8 Abs. 7 Satz 3 und 4, 12 Abs. 3 [X.] übergangen. Sie habe zuletzt nochmals mit [X.] vom 30. Oktober 2019 vorgetragen, sich schon vor und während der ersten (rechtswidrigen und später aufgehobenen) streitigen Beitragsveranlagung gegenüber dem damaligen bloßen "Rechtsträger" des Grundstücks im vermögensrechtlichen Verfahren, dem [X.]vermögensamt, um eine Klärung der Grundstückseigentumsverhältnisse bemüht zu haben. Unter Benennung des Zeugenbeweises der damals die Grundbuchrecherchen betreibenden Zeugin ... M., die zunächst als Beauftragte, später als Geschäftsführerin für die Beitragserhebungen der Behörde tätig gewesen sei, habe sie ausdrücklich vorgetragen, dass sie erstmals im Jahre 2000 die schon vor dem 1. September 1998 beantragte [X.] verbal erhalten habe und die zugleich angeforderten [X.] für den [X.] sogar erst im Jahre 2005. Das Grundbuch sei in tatsächlicher Hinsicht, trotz seiner offenbar physisch erstmals am 2. Oktober 1998 "ausreichenden Existenz", für die Beklagte nicht erreichbar gewesen. Ihren dezidierten Vortrag nebst [X.], dass sie sich schon vor dem Erlass des ersten [X.] am 1. September 1998 und seitdem ständig um eine Grundbucheinsicht bemüht und ständig die [X.] der vielen Grundbuchblätter begehrt, eine verbale Auskunft jedoch erstmals im Jahre 2000 erhalten habe, habe das [X.] nicht übergehen und dabei nicht pauschal unterstellen dürfen, dass das Grundbuch gleichwohl erreichbar gewesen sei.

c) Diesem Vorbringen lässt sich weder ein Verstoß gegen die Verpflichtung des Gerichts, den Sachverhalt unter Mitwirkung der Beteiligten von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), noch eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) entnehmen. Der von der Beschwerde behauptete "dezidierte Verfahrensvortrag" nebst [X.] ergibt sich in dieser Form auch nicht aus den Akten.

aa) Die Beklagte hat den Aspekt der Verjährungshemmung erstmals in ihrem [X.] vom 23. August 2016 angesprochen und pauschal darauf hingewiesen, dass aufgrund der historischen [X.] der Lauf einer hypothetischen bzw. faktischen Festsetzungsverjährungsfrist gehemmt gewesen sei. Nachdem das [X.] die einschlägigen [X.] angefordert hatte, hat es die Beteiligten mit Schreiben vom 28. August 2019 zur Möglichkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört und dabei unter anderem darauf hingewiesen, dass zugunsten der Beklagten bei Erlass einer auf das [X.] zurückwirkenden Satzung keine Verjährungshemmung gegriffen haben dürfte, weil der [X.] bereits im Jahr 1998 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden sein dürfte.

Auf diese Verfügung hat die Beklagte in dem von ihr benannten [X.] vom 30. Oktober 2019 (S. 2 f.) vorgetragen, die dem Senat vorgelegten Grundbuchunterlagen seien nicht frei verfügbar gewesen. Es sei ihr weder zum Zeitpunkt der ersten Bescheidung noch der zweiten oder der hier streitigen dritten Bescheidung möglich gewesen, darin Einsicht zu nehmen. Es habe sich um eine geschlossene Akte gehandelt, die für die Beklagte bis in das [X.] hinein gerade nicht einsehbar gewesen sei. Die ersten verfügbaren [X.] habe das Grundbuchamt der Beklagten bzw. dem damaligen Verbandsvorsteher, vertreten durch die Zeugin M., im Jahre 2000 erteilt. Die diesbezüglichen weiteren Recherchen hätten am 14. April 2004 geendet. Die Beklagte habe erstmals mit Bescheidung vom 1. September 1998 eine Beitragserhebung versucht, allerdings noch gegenüber dem [X.]vermögensamt. Diese Veranlagung sei ebenso wie die späteren Bescheide vom 2. Juli 2002 aufgrund der bekannten Gründungs- und Satzungsmängel des Zweckverbandes sowie der falschen Adressierung, die das [X.]vermögensamt in beiden Verfahren ausdrücklich eingewandt habe, gescheitert. Für sie sei tatsächlich erstmals im Jahre 2000 durch Einsichtnahme des Grundbuchs ersichtlich gewesen, wer für die veranlagten Grundstücke Eigentümerin und wer zwischenzeitlich Inhaber des bestellten Erbbaurechts gewesen sei.

Diese Ausführungen beinhalten zwar die Angabe, die Beklagte habe erstmals im [X.] Einsicht in das Grundbuch nehmen können; ihnen lässt sich jedoch nicht konkret entnehmen, dass, wann und auf welche Weise sich die Beklagte nach dem (noch vor der Grundbucheintragung erfolgten) Erlass des ersten [X.] im September 1998 bis zum [X.] "ständig" erfolglos um Grundbucheinsichten bzw. [X.] bemüht haben will, geschweige denn wird dafür konkret Beweis angeboten.

Soweit der [X.] an einer Stelle auf die "Zeugin M." verweist, lässt sich dies nicht als Beweisantrag verstehen. Einen förmlichen Beweisantrag, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung nach § 86 Abs. 2 VwGO bescheiden müsste, muss es zwar auch im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens nach § 130a VwGO beachten und sich mit ihm auseinandersetzen (vgl. dazu etwa [X.], Beschluss vom 22. Juni 2007 - 10 B 56.07 u.a. - juris Rn. 8 ff.). Ein solcher Beweisantrag setzt jedoch voraus, dass für bestimmte Tatsachen ein bestimmtes Beweismittel benannt wird (vgl. nur [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 26. Aufl. 2020, § 86 Rn. 18a m.w.N.). Der [X.] der Beklagten enthält jedoch weder zur Person und Erreichbarkeit der "Zeugin M." noch zu den von ihr konkret zu bekundenden Umständen und Ereignissen substantiierte Angaben.

Soweit sich die Bezugnahme auf die Zeugin M. auf das Vorbringen bezog, die Beklagte habe die vor dem 1. September 1998 beantragte [X.] erst im [X.], die angeforderten [X.] sogar erst im [X.] erhalten, war eine Zeugeneinvernahme auch nicht von Amts wegen geboten. Denn dieses Vorbringen war auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Das [X.] hat den Eintritt einer Verjährungshemmung nach Art. 8 Abs. 7 Satz 3 oder § 12 Abs. 3 [X.] mit der Begründung verneint, das Grundbuch sei angesichts der Eintragung des [X.] als Grundstückseigentümer bereits im Jahr 1998 erreichbar gewesen. Da dies aus Sicht des Berufungsgerichts für den Nichteintritt einer Verjährungshemmung genügte, kam es nach seiner Rechtsauffassung nicht darauf an, ob der Beklagten die Eintragung bekannt war. Dass zur Klärung der Einsehbarkeit des Grundbuchs für die Beklagte sonstige Aufklärungsmaßnahmen erforderlich gewesen wären, macht die Beschwerdebegründung nicht geltend.

Im Übrigen hat das [X.] auf den [X.] vom 30. Oktober 2019 reagiert und in seinem weiteren [X.] vom 9. März 2020 konkrete Ausführungen zu der beabsichtigten Entscheidung und in diesem Zusammenhang auch zur Frage der Verjährungshemmung gemacht, die der diesbezüglichen Passage im Urteil entsprechen. Mit dem Hinweis, wenn eine Grundbucheintragung habe erfolgen können, sei das Grundbuch auch für eine Einsichtnahme erreichbar gewesen, hat das Gericht erkennbar auf den Vortrag der Beklagten zur fehlenden Grundbucheinsicht Bezug genommen und seine diesbezügliche Einschätzung offengelegt. Dem hätte die Beklagte entgegentreten und zu den im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Umständen einer vergeblichen Grundbuchrecherche vortragen sowie einen förmlichen Beweisantragantrag stellen können. Sie hat jedoch die im [X.] ausdrücklich eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme nicht genutzt. Vor diesem Hintergrund bestand für das [X.] keine Veranlassung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen.

bb) Aus diesem Grund greift auch die [X.] nicht durch. Denn Voraussetzung für deren Begründetheit ist die erfolglose vorherige Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Auf eine Gehörsverletzung kann sich deshalb nicht berufen, wer wie die Beklagte die im konkreten Fall gegebene Möglichkeit, sich durch einen Beweisantrag rechtliches Gehör zu schaffen, nicht genutzt hat (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 4. August 2008 - 1 B 3.08 - [X.] 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.).

Im Übrigen ist ein Gehörsverstoß auch nicht dargetan. Aus dem Umstand, dass das Berufungsgericht auf das Vorbringen der Beklagten in ihrem [X.] vom 30. Oktober 2019 nicht eingegangen ist, das Grundbuch sei bis ins [X.] nicht einsehbar gewesen, weil es sich bei Blatt 574 und Blatt 1752 des Grundbuchs um eine geschlossene Akte gehandelt habe, ließe sich eine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör allenfalls dann ableiten, wenn dieses Vorbringen nach der eigenen Einschätzung des Berufungsgerichts für den [X.] von zentraler Bedeutung gewesen wäre (stRspr, vgl. etwa [X.], Beschluss vom 5. April 2017 - 8 B 6.17 - juris Rn. 2). Dies war jedoch nicht der Fall. Denn maßgeblich für die Ansicht des [X.]s, das Grundbuch sei angesichts der Eintragung des [X.] als [X.] erreichbar gewesen, war nicht Blatt 574 oder Blatt 1572, sondern Blatt 3850 des Grundbuchs, in dem diese Eintragung am 2. Oktober 1998 vorgenommen worden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

9 B 30/20

08.04.2021

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 6. Mai 2020, Az: 9 B 4.16

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.04.2021, Az. 9 B 30/20 (REWIS RS 2021, 7154)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7154

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III ZR 93/18

1 BvR 2838/19

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