Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2018, Az. X ZR 79/17

10. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 9225

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BUNDESGERICHTSHOF (BGH) VERTRAGSVERLETZUNG REISERECHT REISE FLUGVERKEHR VISUM

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Gegenstand

Luftbeförderungsvertrag: Vertragliche Nebenpflicht des Fluggastes zur Mitführung der erforderlichen Einreisedokumente bei einem Auslandsflug; Mitverschulden des Luftverkehrsunternehmens bei fehlenden Dokumenten


Leitsatz

1. Den Fluggast trifft gegenüber dem Luftverkehrsunternehmen die vertragliche Nebenpflicht, einen Auslandsflug nicht ohne die für die Einreise in den Zielstaat nach dessen Recht notwendigen Dokumente einschließlich eines etwa erforderlichen Visums anzutreten. Bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung ist der Fluggast dem Luftverkehrsunternehmen zum Ersatz eines diesem dadurch entstehenden Schadens verpflichtet.

2. Das Luftverkehrsunternehmen kann allerdings ein Mitverschulden treffen, das seinen Ersatzanspruch mindert oder ausschließt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Schaden in einer dem Luftverkehrsunternehmen wegen der fehlenden Einreisedokumente des Fluggastes auferlegten Geldbuße besteht und das Luftverkehrsunternehmen vor dem Abflug keine geeignete Dokumentenkontrolle durchgeführt hat.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des [X.] vom 20. Juli 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Das klagende Luftverkehrsunternehmen nimmt den beklagten Fluggast auf Erstattung eines von den [X.] Behörden verhängten [X.] in Anspruch.

2

Der Beklagte buchte im Frühjahr 2015 über die Internetseite der Klägerin einen Flug von [X.] nach [X.]. Da er bei seiner Ankunft in [X.] nicht über das für die Einreise erforderliche Visum verfügte, verweigerten ihm die [X.] Behörden die Einreise und legten der Klägerin wegen Verstoßes gegen den Immigration ([X.]) Act 2000 ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Rupien (zum Zahlungszeitpunkt umgerechnet 1.415,35 €) auf. Hierfür verlangt die Klägerin vom Beklagten Ersatz.

3

Das Amtsgericht hat den Beklagten insoweit antragsgemäß verurteilt und die Klage wegen eines zusätzlich begehrten [X.] von 50 € nebst Zinsen abgewiesen. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt dieser das Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Revision des [X.]n führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erstattung des [X.] zu, weil der [X.] gegen seine vertragliche Nebenpflicht verstoßen habe, den Flug nur mit den erforderlichen persönlichen [X.]n anzutreten. Die Klägerin habe auch kein Mitverschulden getroffen; sie sei dem [X.]n nicht zur Kontrolle seiner [X.] verpflichtet gewesen.

6

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

7

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass der [X.] der Klägerin gemäß § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich zum Ersatz eines Schadens verpflichtet ist, der dieser dadurch entstanden ist, dass der [X.] den gebuchten Flug angetreten hat, ohne über das für die Einreise nach [X.] erforderliche Visum zu verfügen. Den [X.]n traf gegenüber der Klägerin die allgemeine vertragliche Nebenpflicht, den Flug nicht ohne die erforderlichen [X.], insbesondere nicht ohne Visum, anzutreten (§ 241 Abs. 2 BGB). Ob sich diese Pflicht auch aus den Beförderungsbedingungen der Klägerin für Fluggäste und Gepäck ([X.]) ergab, kann dahinstehen.

8

a) Ein entgeltlicher Vertrag über die (Luft-)Beförderung von Personen ist grundsätzlich als Werkvertrag zu qualifizieren ([X.], Urteil vom 20. März 2018 - [X.], juris Rn. 18; Urteil vom 16. Februar 2016 - [X.], [X.], 186, 188 Rn. 15 mwN). Ob eine Mitwirkungshandlung eines Bestellers eine bloße Obliegenheit oder eine rechtsverbindlich geschuldete Vertragspflicht ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. z.B. [X.][X.], 7. Aufl. 2018, § 642 Rn. 22).

9

b) Bei interessengerechter Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen [X.]s am Maßstab von [X.] (§§ 133, 157, 242 BGB) ist das Mitsichführen des für eine Einreise nach [X.] notwendigen Visums nicht nur eine Obliegenheit des Fluggastes, sondern eine vertragliche Nebenpflicht. Zwar sind Beschaffung und Mitsichführen eines für die Einreise in ein fremdes Land notwendigen Visums in erster Linie eine Obliegenheit des Fluggastes, der damit sein eigenes Interesse verfolgt, dem Luftverkehrsunternehmen seine Beförderung zum Flugziel und typischerweise von diesem Flugziel wieder zurück zu den vereinbarten Zeitpunkten und mit den gebuchten Flügen möglich zu machen. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Recht eine vertragliche Nebenpflicht des Fluggastes bejaht, den Flug nicht ohne das notwendige Visum anzutreten. Luftverkehrsunternehmen haben grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse daran, keine Passagiere ohne die für die Einreise in den Ziel- bzw. Transitstaat gültigen Papiere zu befördern. Ihnen ist es häufig - wie auch im Streitfall - durch gegebenenfalls bußgeld- oder strafbewehrte Rechtsvorschriften ausländischer [X.] untersagt, Passagiere in das [X.] zu befördern, die nicht über die zur Einreise erforderlichen Dokumente verfügen. Im Fall einer Zuwiderhandlung sind die Luftverkehrsunternehmen regelmäßig verpflichtet, den Fluggast zurückzubefördern. Daneben kann sie im Einzelfall eine gesamtschuldnerische Mithaftung neben dem Fluggast treffen, sofern der ausländische Staat diesem (ebenfalls) ein Bußgeld oder eine Strafe auferlegt. Für daraus resultierende Aufwendungen hat der Fluggast keine Vorleistung erbracht. Verstöße von Fluggästen gegen ausländische Einreisebestimmungen können für ein Luftverkehrsunternehmen daher nicht nur mit einem Mehraufwand, sondern insbesondere auch mit einem finanziellen Risiko verbunden sein.

c) Das Interesse des [X.] an der Vermeidung entsprechender Konsequenzen ist für den Fluggast auch erkennbar. Er muss hierzu - anders als die Revision meint - nicht wissen, dass dem Luftverkehrsunternehmen nach dem Recht des ausländischen Staates eine Sanktion droht, sofern ein Passagier den Flug ohne notwendiges Visum antritt. Es genügt vielmehr, dass der Fluggast damit rechnen muss, dass die Nichtbeachtung von Vorschriften über von ausländischen Staatsbürgern verlangte [X.] auch für das Luftverkehrsunternehmen nachteilige Folgen haben kann.

d) Die Annahme einer vertraglichen Nebenpflicht setzt auch nicht voraus, dass das Luftverkehrsunternehmen den Fluggast zuvor über eine bestehende Visumspflicht informiert hat. Ein Fluggast ist schon im eigenen Interesse gehalten, sich vor dem Abflug die für die Einreise in einen Transit- oder Zielstaat von diesem verlangten Papiere einschließlich eines etwa notwendigen Visums zu verschaffen und diese Dokumente während des Fluges mitzuführen. Es bedarf daher in diesem Zusammenhang keiner Erörterung, ob und in welchem Umfang das Luftverkehrsunternehmen zu einer Information seiner Fluggäste über Einreisevoraussetzungen verpflichtet ist.

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, ein Mitverschulden der Klägerin bei der Entstehung des Schadens komme nicht in Betracht.

a) Die Klägerin dürfe, so hat das Berufungsgericht gemeint, grundsätzlich davon ausgehen, dass die Fluggäste die erforderlichen [X.] mit sich führen. Eine sich aus dem [X.] mit dem Fluggast ergebene Nebenpflicht zur eingehenden Kontrolle der [X.] bestehe nicht. Unabhängig davon, dass die Klägerin in Art. 13.1.1 [X.] ausdrücklich darauf hingewiesen habe, keine Verantwortung zu übernehmen und insbesondere nicht verpflichtet zu sein, die Gültigkeit der Reisedokumente zu überprüfen, ergebe sich eine derartige Pflicht auch nicht aus dem Gesetz.

b) Mit dieser Begründung kann ein Mitverschulden der Klägerin nicht verneint werden.

aa) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes nach § 254 Abs. 1 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. § 254 BGB ist eine Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von [X.] (§ 242 BGB). Die Anwendung der Vorschrift erfordert keine Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht. Vielmehr genügt ein Verstoß gegen das Gebot der eigenen Interessenwahrnehmung, die Verletzung einer eigenen Obliegenheit ([X.], Urteil vom 14. Oktober 1971 - [X.], [X.]Z 57, 137, 145; Urteil vom 18. April 1997 - [X.], [X.]Z 135, 235, 240; Urteil vom 2. Juli 2004 - [X.], [X.]Z 160, 18, 24). § 254 BGB beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer [X.] lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, für einen erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz zu beanspruchen ([X.]Z 135, 235, 240; 160, 18, 24).

bb) Die Klägerin traf zumindest eine Obliegenheit zur Visakontrolle.

(1) Ihr ist das Bußgeld wegen eines Verstoßes gegen ihre eigene rechtliche Verpflichtung auferlegt worden, keine Fluggäste nach [X.] zu befördern, die nicht über die zur Einreise erforderlichen Dokumente verfügen. Vor diesem Hintergrund war die Klägerin in ihrem eigenen Interesse gehalten, vor dem Abflug in geeigneter Weise zu überprüfen, ob sich die Passagiere des Fluges nach [X.] im Besitz des nach dem Immigration ([X.]) Act 2000 und den dazu ergangenen weiteren Vorschriften erforderlichen Visums befanden.

(2) Insoweit kann sich die Klägerin nicht damit entlasten, ihr Personal könne nicht sämtliche ausländischen Einreisevorschriften kennen und sie könne keine lückenlose Kontrolle durchführen, da die Einhaltung ausländischer Einreisebestimmungen zum Teil von der Mitwirkung der Fluggäste bzw. deren persönlichen Verhältnissen abhänge. Maßstab für die im eigenen Interesse der Klägerin gebotene Prüfung und ihren Umfang ist das konkret verletzte ausländische Recht. Eine allgemeine Kontrolle der Einhaltung von Pass- und Visavorgaben, wie sie der [X.] Immigration ([X.]) Act 2000 zur Vermeidung einer Zuwiderhandlung erfordert, ist nicht derart komplex, dass sie einem Luftverkehrsunternehmen wie der Klägerin, das regelmäßig Flüge nach [X.] durchführt, nicht zugemutet werden könnte. Von den nach diesem Gesetz bestehenden Vorgaben musste die Klägerin schon deshalb Kenntnis besitzen, weil ihr im Fall eines Verstoßes Sanktionen drohten.

cc) Da die Klägerin selbst dem [X.]n Verbot einer Beförderung von Personen ohne erforderliches Visum zuwider gehandelt hat, unterscheidet sich der Streitfall in einem entscheidenden Punkt von Fallgestaltungen, in denen der Anspruchsteller nicht einmal eine Obliegenheit verletzt hat (vgl. z.B. [X.], Versäumnisurteil vom 22. September 2016 - [X.], [X.]Z 211, 375, 384 Rn. 31 zum fehlenden Mitverschulden eines Sportvereins gegenüber einem Zuschauer, der durch das Zünden und Werfen eines Sprengkörpers eine Verbandsstrafe auslöst). Im Übrigen steht - anders als in diesem von der [X.] herangezogenen Fall - auch keine Verantwortlichkeit des [X.]n für eine (vorsätzliche) Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht in Rede.

dd) Art. 13.1.1 [X.] und Art. 13.4 [X.] stehen der Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin nicht entgegen. Sollten diese Beförderungsbedingungen im Sinne eines Ausschlusses des Mitverschuldenseinwands durch die Klägerin zu verstehen sein, stellte eine solche Regelung eine gegen [X.] verstoßende, unangemessene Benachteiligung des Fluggastes dar, aufgrund deren die betreffende Klausel gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam wäre. Jedenfalls soweit Schäden der in Rede stehenden Art auch auf der Verletzung einer eigenen Rechtspflicht der Klägerin beruhen, kann diese den Einwand ihres Mitverschuldens nicht wirksam in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausschließen. Ein Risikohinweis in den [X.] ändert daran nichts.

3. Feststellungen zu Art und Schwere der wechselseitigen Ursachenbeiträge hat das Berufungsgericht bislang nicht getroffen. Das Amtsgericht hat allerdings ausgeführt, es möge zutreffen, dass die Klägerin die [X.] der Fluggäste vor Reiseantritt regelmäßig überprüfe und ihr im Streitfall ein Fehler unterlaufen sei, der mindestens so schwer wiege wie das Versäumnis des [X.]n. Ein Mitverschulden kann hiernach weder ausgeschlossen werden, noch kann der Senat es mangels hinreichender Feststellungen zu Art und Schwere des Fehlers gegenüber dem [X.] des [X.]n gewichten.

III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), und die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[X.]     

      

Grabinski     

      

[X.]

      

Kober-Dehm     

      

Marx     

      

Meta

X ZR 79/17

15.05.2018

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Hannover, 20. Juli 2017, Az: 8 S 71/16

§ 241 Abs 2 BGB, § 254 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 631 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2018, Az. X ZR 79/17 (REWIS RS 2018, 9225)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 790-792 REWIS RS 2018, 9225

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