Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2014, Az. XII ZB 20/14

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1800

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FAMILIENRECHT KINDER PERSÖNLICHKEITSRECHT VATERSCHAFT KÜNSTLICHE BEFRUCHTUNG SAMENSPENDE

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Gegenstand

Vaterschaftsfeststellungsverfahren eines volljährigen Kindes: Exhumierung eines potenziellen Vaters zur Gewebeprobenentnahme zwecks DNA-Gutachten


Leitsatz

Das postmortale Persönlichkeitsrecht tritt im Falle einer für die Feststellung der Vaterschaft erforderlichen Untersuchung und damit einhergehenden Exhumierung des Verstorbenen regelmäßig hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Zwischenbeschluss des 20. Familiensenats des [X.] vom 17. Dezember 2013 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Verfahrenswert: 2.000 €

Gründe

A.

1

Die im Jahr 1944 geborene Antragstellerin begehrt die [X.]stellung, dass der 2011 verstorbene [X.] ihr Vater sei.

2

Das Amtsgericht hat ihre Anträge, die Leiche von [X.] zu exhumieren, eine Gewebeprobe zu entnehmen und die [X.]chaft festzustellen, zurückgewiesen. Auf ihre Beschwerde hat das [X.] im Rahmen eines [X.] zur Einholung eines [X.] die Exhumierung der Leiche zum Zwecke der Erstellung eines [X.] angeordnet.

3

Der Beteiligte, der eheliche [X.] von [X.], hat die Einwilligung in die Exhumierung und Gewebeprobenentnahme verweigert. Mit einem Zwischenbeschluss hat das [X.] diese Weigerung für unberechtigt erklärt. Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

B.

4

Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

I.

5

Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

6

Dem Beteiligten stehe als nächstem Angehörigen das Recht der [X.] zu. Seine Weigerung sei jedoch nicht rechtmäßig. Die Antragstellerin habe die Voraussetzungen für eine gerichtliche [X.]chaftsfeststellung gemäß § 1600 d BGB dargelegt. Sie habe behauptet, dass [X.] in der gesetzlichen [X.] Geschlechtsverkehr mit ihrer Mutter gehabt habe. Diese Behauptung habe sie nicht ins Blaue hinein aufgestellt. Sie habe glaubhaft berichtet, dass ihre Mutter ihr am 18. Geburtstag offenbart habe, dass der Ehemann der Mutter nicht ihr leiblicher Vater sei, sondern dass sie von [X.] abstamme. Ferner habe die Antragstellerin berichtet, dass ihre Mutter sie in den [X.] zu der Familie [X.] in [X.], das heißt zu der Mutter und der Schwester des potentiellen leiblichen [X.] habe reisen lassen. Sie habe anschaulich geschildert, wie sie bei diesen Besuchen von ihrer "[X.]-Oma" sehr verwöhnt worden sei. Entscheidend für eine Wahrscheinlichkeit der [X.]chaft spreche ein erstes Treffen mit [X.] in einem Hotel, bei welchem dieser selbstverständlich davon ausgegangen sei, ihr Vater zu sein. Ihre Schilderung hiervon habe eine ganze Reihe atmosphärisch stimmiger Einzelheiten enthalten, bei denen es als fernliegend anzusehen sei, sie als in Gänze erfunden zu erachten. Dies belege, dass die Antragstellerin bei dem Treffen sicher von dieser [X.]chaft ausgegangen und von [X.] darin bestärkt worden sei. Das reiche aus, um hinreichende Anhaltspunkte für eine gutachterliche [X.]chaftsfeststellung anzunehmen.

7

Die [X.] sei notwendig, weil die sonstigen zur Verfügung stehenden Beweismittel zur [X.]stellung der [X.]chaft nicht ausreichten. Vorrangig vor der Exhumierung sei nur die Untersuchung von dem Verstorbenen zu Lebzeiten entnommenen und asservierten Gewebeproben. Solches Material stünde nach Angaben des Beteiligten aber nicht zur Verfügung. Der Beteiligte sei als [X.] auch nicht bereit, eigenes DNA-Material für eine Untersuchung bereit zu stellen. Daher sei die Exhumierung zur [X.]stellung der [X.]chaft erforderlich.

8

Im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägung habe das Interesse des Einzelnen an der Kenntnis seiner Abstammung im Grundsatz Vorrang vor der Achtung der Totenruhe. Es mache die Untersuchung nicht unzumutbar, dass die Antragstellerin erst nach dessen Tod das [X.]chaftsfeststellungsverfahren eingeleitet habe. Eine Verwirkung wegen Zeitablaufs komme nicht in Betracht. Außerdem habe die Antragstellerin nachvollziehbare Gründe für das Zuwarten mit der Antragstellung vorgetragen. Eine Unzumutbarkeit lasse sich auch nicht daraus herleiten, dass die Antragstellerin wiederholt zum Ausdruck gebracht habe, keine Zweifel an der [X.]chaft zu haben. Für die grundsätzlich als übergeordnet zu bewertende Klärung der Abstammung komme es nicht auf subjektive Vorstellungen, sondern auf die objektive [X.]stellung der [X.]chaft an. Dass es der Antragstellerin vorwiegend um vermögensrechtliche Interessen gehe, nämlich die Durchsetzung ihrer Erbansprüche, mache die Exhumierung ebenfalls nicht unzumutbar. Die Teilhabe am väterlichen Erbe sei ein legitimes Interesse, das hinter der Totenruhe nicht grundsätzlich zurückzutreten habe. Der von dem Beteiligten eingewandten Störung der Totenruhe seiner Mutter, die gemeinsam mit seinem Vater in einer Grabstätte bestattet sei, komme im Verhältnis zum [X.]stellungsinteresse der Antragstellerin keine eigenständige Bedeutung zu, weil diese Störung nur geringfügig sei.

II.

9

Die Entscheidung des [X.] hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensrügen hinsichtlich der Anhörung der Antragstellerin erachtet der [X.] nicht für durchgreifend.

a) [X.], die seitens des [X.] vorgenommene Anhörung der Antragstellerin und die nachfolgende Protokollierung genüge den Anforderungen einer förmlichen Beweisaufnahme nicht, verfängt nicht. Zwar verweist die Rechtsbeschwerde zutreffend auf § 177 Abs. 2 Satz 1 FamFG, wonach über die Abstammung in einem [X.]chaftsfeststellungsverfahren eine förmliche Beweisaufnahme stattzufinden hat. Zu beachten ist aber, dass die Anhörung der Antragstellerin nicht dem Beweis ihrer Abstammung, sondern allein der Beantwortung der Frage diente, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche [X.]chaftsfeststellung vorliegen, die wiederum erst den Eintritt in die Beweisaufnahme rechtfertigen können.

Gemäß § 171 Abs. 2 Satz 1 FamFG sollen in dem Antrag das [X.] und die betroffenen Personen bezeichnet werden. Während [X.] und Satz 3 für den Fall der [X.]chaftsanfechtung weitere Anforderungen an den Antrag stellen, ist dies für den Fall der [X.]chaftsfeststellung nicht der Fall. Das bedeutet indes nicht, dass im [X.]chaftsfeststellungsverfahren ohne Weiteres in die Beweisaufnahme einzutreten ist. Es müssen Anhaltspunkte dargetan sein, die eine [X.]chaft als möglich erscheinen lassen (vgl. [X.] FamRZ 1993, 76, 77). Enthält der Antrag keine entsprechenden Angaben, ist er unzulässig (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.] FamFG 4. Aufl. § 178 Rn. 5). Das Gericht soll gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 FamFG allerdings vor einer Beweisaufnahme über die Abstammung die Angelegenheit in einem Termin erörtern. Auf diese Weise kann insbesondere geklärt werden, ob es auf die mit einem Grundrechtseingriff verbundene Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten überhaupt ankommt ([X.] 2014, 117, 118). Entsprechende [X.]stellungen unterliegen indes nicht dem § 177 Abs. 2 Satz 1 FamFG. Vielmehr entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, auf welche Art und Weise es die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellt (Haußleiter/[X.] FamFG § 177 Rn. 12).

b) Ebenso wenig ist die Dokumentation der Anhörung zu beanstanden.

Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG hat das Gericht über einen Termin einen Vermerk zu fertigen und hierin die wesentlichen Vorgänge des Termins und einer persönlichen Anhörung festzuhalten. Weitere Regelungen über den notwendigen Inhalt des Vermerks enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber hat bewusst hiervon abgesehen und die Dokumentation in das Ermessen des Gerichts gestellt, damit dieses flexibel nach den Anforderungen des Einzelfalls den Vermerk ausgestalten kann (BT-Drucks. 16/6308 [X.] 187). Eine umfassende Protokollierung der Anhörung ist nicht erforderlich, nur das wesentliche Ergebnis muss festgehalten werden ([X.], [X.], 413, 414 zur Kindesanhörung).

Diesen Anforderungen wird die vom [X.] durchgeführte Dokumentation gerecht. Es hat im Vermerk über den Termin vom 7. Mai 2013 festgehalten, dass die Antragstellerin angehört wurde und zu welchen Themen sie sich erklärt hat. Die Aufnahme der im Einzelnen berichteten Tatsachen war schon deshalb nicht erforderlich, weil die Antragstellerin in Bezug auf die entscheidungsrelevanten Vorgänge nur ihren bereits schriftsätzlich ausführlich vorgebrachten Vortrag wiederholt und diesbezüglich keine neuen Tatsachen vorgebracht hat. Hinzu kommt, dass der Beteiligte im Termin ebenfalls anwesend war und zu deren Inhalt im Termin bzw. danach Stellung nehmen und sich ein eigenes Bild machen konnte.

2. Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht aufgrund der von ihm in verfahrensfehlerfreier Weise getroffenen [X.]stellungen von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für die [X.]chaft und damit von der Zulässigkeit des Antrages gemäß § 171 FamFG ausgegangen ist. Folgerichtig hat das [X.] die Voraussetzungen für den Eintritt in die Beweisaufnahme bejaht.

Die Rechtsbeschwerde dringt nicht mit der Rüge durch, der Vortrag der Antragstellerin beschränke sich auf reine "Sekundärtatsachen", es fehle aber Vortrag, wonach zwischen [X.] und der Mutter in der [X.] ein Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Es genügt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die vorgetragene Beiwohnung in der [X.] spricht (vgl. [X.] FamRZ 1993, 76, 77 ["geringe Anhaltspunkte"]). Ein Beweis über die Abstammung ist lediglich dann nicht einzuholen, wenn die Angabe, dass die betreffende Person der leibliche Vater sei bzw. mit der Mutter in der [X.] geschlechtlich verkehrt habe, eine ohne Anhaltspunkte ausgesprochene Vermutung ist bzw. diese ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt ([X.], Justiz 1972, 357), so dass die Beweiserhebung auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe ([X.]/[X.] ZPO 5. Aufl. § 372 a Rn. 5). Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.

3. Schließlich ist nichts dagegen zu erinnern, dass das Beschwerdegericht die Weigerung des Beteiligten, die Beweisaufnahme als [X.]berechtigter zu ermöglichen, am Maßstab des § 178 FamFG als unrechtmäßig erachtet hat.

Gemäß § 178 Abs. 1 FamFG hat jede Person, soweit es zur [X.]stellung der Abstammung erforderlich ist, Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn, dass ihr die Untersuchung nicht zugemutet werden kann.

Die Voraussetzungen für die Untersuchung eines Verstorbenen und seine damit einhergehende Exhumierung zur [X.]stellung seiner [X.]chaft sind gesetzlich allerdings nicht ausdrücklich geregelt. Insoweit ist § 178 Abs. 1 FamFG jedoch entsprechend anzuwenden. Der Gesetzgeber hat mit dieser Norm den Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Integrität zum Zwecke der [X.]stellung der Abstammung unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zugelassen, was zeigt, welche große Bedeutung er der Klärung des [X.] beimisst. Da nach dieser Vorschrift jede (lebende) Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben zu dem genannten Zweck zu dulden hat, kann kein Zweifel daran bestehen, dass erst recht die Entnahme als solche von Gewebeproben aus den sterblichen Überresten einer Person zu diesem Zweck grundsätzlich hingenommen werden muss ([X.] FamRZ 2001, 126, 127; [X.] FPR 2002, 570, 571 - jeweils zu § 372 a ZPO; [X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 178 Rn. 11; [X.] FamFG/Nickel [Stand: 1. Mai 2014] § 178 Rn. 4; [X.]/[X.] BGB [2011] Vorbem. zu §§ 1591 ff. Rn. 78). Demgemäß hat der totenfürsorgeberechtigte Angehörige die Exhumierung und Probenentnahme zu dulden, wenn die Abstammungsuntersuchung erforderlich und zumutbar ist.

a) Das [X.] ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die [X.] und die damit einhergehende Exhumierung von [X.] für die [X.]stellung der [X.]chaft erforderlich sind. Dieser Schluss ist frei von [X.].

Die Erforderlichkeit fehlt im [X.]chaftsfeststellungsverfahren, wenn die Sache unabhängig von der Abstammungsuntersuchung entscheidungsreif ist oder wenn andere Beweismittel zur Verfügung stehen, die eine Beantwortung der Beweisfrage mit einer vergleichbaren Sicherheit versprechen und eine geringere Rechtsbeeinträchtigung bedeuten.

Nach den insoweit nicht angegriffenen [X.]stellungen des [X.] stehen weder Gewebeproben des Verstorbenen zur Verfügung, noch ist der Beteiligte als [X.] bereit, eigenes DNA-Material für eine Untersuchung bereit zu stellen. Auch die Rechtsbeschwerde räumt die Erforderlichkeit der Untersuchung des Verstorbenen ein.

b) Ebenso wenig ist etwas dagegen zu erinnern, dass das Beschwerdegericht die Begutachtung und die damit einhergehende Exhumierung iSd § 178 Abs. 1 FamFG für zumutbar erachtet hat. Vor allem ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht vorliegend dem Recht der Antragstellerin auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber dem Recht auf Totenruhe des Verstorbenen den Vorrang eingeräumt hat.

aa) Allerdings ist streitig, nach welchen Maßstäben die Zumutbarkeitsprüfung nach § 178 Abs. 1 FamFG in Fällen einer notwendigen Exhumierung zu erfolgen hat.

(1) Die überwiegende Auffassung räumt grundsätzlich dem Recht des Kindes an der Kenntnis seiner Abstammung den Vorrang vor der Achtung der Totenruhe ein ([X.] FamRZ 2001, 126, 127; [X.] FPR 2002, 570, 571; [X.]/[X.] FamFG 18. Aufl. § 178 Rn. 11; [X.] in: [X.]/[X.]/Rittner Abstammungsrecht in der Praxis Rn. 256; [X.] FamFG/Nickel [Stand: 1. Mai 2014] § 178 Rn. 4; [X.], 370, 375).

(2) Nach anderer Ansicht ist stets eine umfassende Abwägung aller Interessen im Einzelfall erforderlich ([X.]/[X.] BGB [2011] Vorbem. zu §§ 1591 ff. Rn. 78; [X.] [X.], 454, 460).

(3) Der [X.] hält die erstgenannte Auffassung für zutreffend.

Das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen tritt regelmäßig hinter das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurück. Dieser Grundsatz folgt daraus, dass der Schutzbereich des durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten postmortalen Persönlichkeitsrechts in Fällen der vorliegenden Art im Regelfall nicht betroffen ist. Dem steht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde die [X.] - in der Auslegung durch den [X.] - nicht entgegen.

(a) Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung folgt unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil die Kenntnis und Zuordnung des [X.] von wesentlicher Bedeutung für die Entfaltung der Persönlichkeit ist ([X.] 90, 263 = FamRZ 1994, 881, 882; [X.] 79, 256 = FamRZ 1989, 255, 258). Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sichert dem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Zu den Elementen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von entscheidender Bedeutung sein können, gehört die Kenntnis der eigenen Abstammung. Der Bezug zu den Vorfahren kann im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für sein Selbstverständnis und seine Stellung in der [X.] einnehmen. Die Kenntnis der Herkunft kann wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geben. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern ([X.] 90, 263 = FamRZ 1994, 881, 882; [X.] 79, 256 = FamRZ 1989, 255, 258).

(b) Demgegenüber ist das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen in den Blick zu nehmen. Es folgt aus dem Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG. Hingegen besteht kein Schutz des Verstorbenen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, weil Träger dieses Grundrechts nur die lebende Person ist. Der aus Art. 1 Abs. 1 GG resultierende Schutz des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist demgemäß nicht identisch mit den Schutzwirkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ([X.] NJW 2001, 2957, 2958 f. mwN). [X.] ist bei Verstorbenen zum einen der allgemeine Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines [X.] zusteht. Dieser Schutz bewahrt den Verstorbenen insbesondere davor, herabgewürdigt oder erniedrigt zu werden. Schutz genießt aber auch der sittliche, personale und [X.] Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Lebensleistung erworben hat. Steht fest, dass eine Maßnahme in den Schutzbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts eingreift, ist zugleich ihre Rechtswidrigkeit geklärt. Der Schutz kann nicht etwa im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden. Beeinträchtigungen können dementsprechend nicht durch die grundrechtliche Gewährleistung kollidierender Freiheitsrechte gerechtfertigt werden. Da aber nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, hat das [X.] festgestellt, dass es stets einer sorgfältigen Begründung bedarf, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt. Dafür genügt ein Berühren der Menschenwürde nicht. Vorausgesetzt ist eine sie treffende Verletzung. Bei Angriffen auf den durch die Lebensstellung erworbenen Geltungsanspruch genügt beispielsweise nicht dessen Infragestellung, wohl aber deren grobe Entstellung ([X.] NJW 2001, 2957, 2959).

(c) Der Rechtsposition des [X.], der - wie hier der Beteiligte - die Rechte des Verstorbenen gleichsam als Treuhänder wahrnimmt, kommt im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 178 Abs. 1 FamFG regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu. Zwar kann er etwa ein eigenes Recht auf ein ungestörtes Andenken des Verstorbenen haben, was regelmäßig bei dessen Verunglimpfung zum Tragen kommt. Im Rahmen einer [X.]chaftsfeststellung bzw. -anfechtung ist dieses Recht indes regelmäßig nicht berührt ([X.] [X.], 454, 457). Denn das Recht der Angehörigen auf [X.] findet eine Grenze in den zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörenden Vorschriften, wozu auch § 178 FamFG gehört (vgl. [X.] NJW 1994, 783, 784).

(d) Unter Beachtung der besonderen Bedeutung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung führt eine im legitimen Interesse des Kindes entsprechend § 178 FamFG durchgeführte Untersuchung des Verstorbenen und dessen damit einhergehende Exhumierung nicht zu einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG und damit auch nicht zu einer hierdurch indizierten Verletzung der auch postmortal geschützten Menschenwürde. Deshalb gebührt dem Recht des Kindes grundsätzlich der Vorrang.

Sofern im Einzelfall durch die Untersuchung eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen droht und damit das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung zurückzutreten hat, kann dem im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung des § 178 Abs. 1 FamFG hinreichend Rechnung getragen werden.

(e) Diesem Ergebnis steht die [X.] - in der Auslegung durch den [X.] - nicht entgegen.

Die Gewährleistungen der [X.] und ihrer Zusatzprotokolle stehen in der [X.] Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes und sind damit in der Normenhierarchie kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab. Allerdings dienen der Konventionstext und die Rechtsprechung des [X.] auf [X.] des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten ([X.] 111, 307 = FamRZ 2004, 1857, 1859).

Der [X.] hat entschieden, dass die widerstreitenden Interessen des Kindes und des Verstorbenen im Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen seien ([X.] Urteil vom 13. Juli 2006 - [X.] ./. Schweiz - Individualbeschwerde Nr. 58757/00 - Rn. 39 = [X.], 1354). Dabei hat er jedoch betont, dass das - von Art. 8 Abs. 1 [X.] geschützte - Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung für ein Kind von besonderer Bedeutung ist ([X.] Urteil vom 13. Juli 2006 - [X.] ./. Schweiz - Individualbeschwerde Nr. 58757/00 - Rn. 39 = [X.], 1354; Urteil vom 7. Februar 2002 - [X.] gg. [X.] - [X.]. 53176/99 - Rn. 64 "vital interest"). Hinzu kommt, dass der [X.] in einer anderen Entscheidung ausgeführt hat, dass eine Exhumierung des Verstorbenen zum Zwecke der Probenentnahme keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art. 8 Abs. 1 [X.] darstellt ([X.] Entscheidung vom 15. Mai 2006 - Nachlass des Kresten [X.] ./. [X.] Individualbeschwerde Nr. 1338/03 Umdruck [X.] 9).

Dieser Rechtsprechung steht der nach den oben stehenden Ausführungen anzuwendende Prüfungsmaßstab - jedenfalls im Ergebnis - nicht entgegen. Denn sowohl nach der [X.] als auch nach dem Grundgesetz kommt dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung besondere Bedeutung zu. Andererseits wird auch bei dem von der Verfassung vorgegebenen Ansatz der Rechtssphäre des Verstorbenen hinreichend Rechnung getragen, indem bei erheblichen Beeinträchtigungen der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG eröffnet ist.

bb) Gemessen an den oben stehenden Anforderungen ist die Entscheidung des [X.]s von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Das [X.] ist frei von [X.] zu dem Ergebnis gelangt, dass das Interesse der Antragstellerin auf Kenntnis ihrer Abstammung Vorrang vor der Achtung der Totenruhe des [X.] hat. Die vom [X.] getroffenen [X.]stellungen lassen einen Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht des [X.] durch die Beweisanordnung nicht erkennen. Da sich der Schutz Verstorbener auf Art. 1 Abs. 1 GG beschränkt, kann sich der Beteiligte für den Verstorbenen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht auf eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG berufen.

Zutreffend hat das [X.] darauf verwiesen, das Interesse der Antragstellerin an der [X.]stellung der [X.]chaft werde nicht dadurch geschmälert, dass die Antragstellerin bereits seit langer Zeit über die mögliche [X.]chaft des [X.] informiert gewesen sei bzw. sie keine Zweifel mehr an seiner [X.]chaft habe. Der Gesetzgeber hat von einer Frist für die [X.]chaftsfeststellung abgesehen. Im Lichte der Bedeutung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung scheidet zudem eine Verwirkung des Anspruchs aus ([X.] FamRZ 2001, 126, 128). Nicht zu beanstanden ist in diesem Zusammenhang schließlich der Verweis des [X.]s darauf, dass die Antragstellerin nachvollziehbare Gründe für ihr spätes Tätigwerden genannt hat.

Es ist auch nichts gegen die Erwägungen des [X.]s zu erinnern, wonach es die Exhumierung nicht unzumutbar macht, dass es der Antragstellerin vorwiegend um eine Erbschaft und damit um vermögensrechtliche Interessen geht. Mit dem [X.] (Zweites Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12. April 2011 BGBl. I [X.] 615) wurde es der 1944 geborenen Antragstellerin erstmals ermöglicht, im Falle der [X.]stellung der [X.]chaft in die Erbenstellung einzurücken, da [X.] erst im Jahr 2011 verstorben war. Das Interesse der Antragstellerin an der [X.]stellung der [X.]chaft ist jedoch nicht deswegen geringer zu bewerten, weil sie damit vor allem die Geltendmachung eines Erbrechts verfolgt. Das Wissen um die eigene Herkunft ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis und die Entfaltung der eigenen Individualität. Daran ändert nichts, dass im Einzelfall bei der Klärung der Abstammungsfrage vermögensrechtliche Interessen im Vordergrund stehen können ([X.] FamRZ 2001, 126, 127). Zudem hat das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt, dass auch die Teilhabe an dem väterlichen Erbe ein legitimes Interesse darstellt.

Dose                  [X.]                                  Schilling

           [X.]

Meta

XII ZB 20/14

29.10.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Dresden, 17. Dezember 2013, Az: 20 UF 1351/12

§ 178 Abs 1 FamFG, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2014, Az. XII ZB 20/14 (REWIS RS 2014, 1800)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1800

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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