Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.01.2018, Az. XII ZB 565/16

12. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 14708

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Gegenstand

Wiedereinsetzung nach Versäumung der Berufungsbegründungsfrist im mietrechtlichen Räumungsprozess: Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots in einer Räumungssache bei der Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist; Vertrauensschutz für den Berufungsanwalt in die Gewährung einer Fristverlängerung


Leitsatz

Bei einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist in einer Räumungssache ist dem Beschleunigungsgebot im Rahmen des richterlichen Ermessens auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des [X.] vom 15. November 2016 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung seiner Berufung gegen das Urteil des [X.] vom 1. August 2016 gewährt.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Wert: 16.873 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Räumung und Herausgabe gemieteter Praxisräume.

2

Das klageabweisende Urteil ist den erstinstanzlichen Bevollmächtigten des [X.] am 4. August 2016 zugestellt worden. Nach einem [X.] haben seine zweitinstanzlichen Bevollmächtigten am 1. September 2016 Berufung eingelegt und mit Telefax vom 30. September 2016 "aufgrund erhöhten Termin- und Fristendrucks des Unterzeichners" um Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat, das heißt bis zum Ablauf des 4. November 2016, nachgesucht.

3

Nachdem die Beklagte der beantragten Fristverlängerung widersprochen hatte, hat der Vorsitzende des [X.] den Antrag auf Fristverlängerung mit Verfügung vom 7. Oktober 2016 abgelehnt. Zugleich hat er auf die Absicht des Berufungsgerichts hingewiesen, die Berufung zu verwerfen. Eine entsprechende Entscheidung werde jedoch nicht vor dem 25. Oktober 2016 ergehen.

4

Mit Telefax vom 20. Oktober 2016 hat der Kläger seine Berufung begründet und wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.], mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist sowie die Zurückverweisung der Sache an das [X.] begehrt.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

6

1. Sie ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 2016 - [X.] 134/15 - FamRZ 2017, 368 Rn. 4 mwN und vom 23. Januar 2013 - [X.] 167/11 - FamRZ 2013, 1117 Rn. 4 mwN).

7

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

8

a) Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Der Kläger sei nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen. Sein Bevollmächtigter habe damit rechnen müssen, dass sein Antrag auf Fristverlängerung zurückgewiesen werde. Eine Einwilligung des Gegners gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO sei nicht erteilt worden. Die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung ohne Einwilligung des Gegners nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO hätten nicht vorgelegen.

9

Einerseits hätte bereits eine Fristverlängerung um wenige Tage zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt. Denn in [X.] berate das Berufungsgericht mit Rücksicht auf das Beschleunigungsgebot (§ 272 Abs. 4 ZPO) sofort nach Eingang der Berufungsbegründung und bestimme entweder einen nächst möglichen Termin zur mündlichen Verhandlung oder kündige im Wege eines Hinweises die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) an. Dies gelte umso mehr, als es sich hier um einen rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fall handele. Die Ankündigung des Vorsitzenden, das Berufungsgericht werde nicht vor dem 25. Oktober 2016 über die Verwerfung der Berufung entscheiden, habe allein der Gewährung rechtlichen Gehörs gedient. Eine Verzögerung im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO sei hiermit nicht verbunden gewesen.

Andererseits habe der Kläger einen erheblichen Grund für eine Verlängerung der Begründungsfrist nicht dargelegt. Denn in [X.] reiche hierfür der schlichte Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung seines Prozessbevollmächtigten nicht aus. Das Beschleunigungsgebot (§ 272 Abs. 4 ZPO) binde nicht nur das Gericht, sondern beanspruche auch für das Prozessverhalten der [X.]en Geltung. Daher sei insbesondere bei Fristverlängerungen in [X.] ein strenger Maßstab an die Erheblichkeit der vorgebrachten Gründe anzulegen. Dies gelte für Verlängerungsgesuche sowohl des Mieters als auch des Vermieters.

In [X.] könne daher eine Fristverlängerung wegen "erhöhten Termin- und Fristendrucks" nur gewährt werden, wenn es sich bei den anderen Terminssachen ebenfalls um [X.] oder andere vorrangig zu bearbeitende Verfahren handele. Hiervon habe auch der Prozessbevollmächtigte des [X.] als Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumssachen ausgehen müssen. Dieser habe aber weder in seinem Verlängerungsantrag vom 30. September 2016 aufgezeigt, noch sei es im Übrigen ersichtlich, dass sich seine Arbeitsplanung am gesetzlichen Vorrang von [X.] ausgerichtet habe. Insbesondere habe er nicht dargelegt, warum er trotz ablaufender Berufungsbegründungsfrist in einer beschleunigt zu behandelnden [X.] weitere Mandate angenommen und bearbeitet habe.

Das Gericht habe den Bevollmächtigten des [X.] auch nicht vorab darauf hinweisen müssen, dass der Bewilligung der Fristverlängerung möglicherweise Hinderungsgründe entgegenstehen. Vielmehr habe es dem Bevollmächtigten oblegen, sich rechtzeitig danach zu erkundigen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt worden sei. Angesichts des Beschleunigungsgebots habe gerade kein Vertrauenstatbestand zu seinen Gunsten bestanden. Eine Erkundigung durch den Bevollmächtigten sei vor allem auch deshalb geboten gewesen, weil sein Verlängerungsgesuch erst am Freitag, dem 30. September 2016, um 12:10 Uhr eingegangen sei, sodass es dem Gericht aufgrund des Feiertags erst am 4. Oktober 2016 habe vorgelegt werden können.

b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Zwar geht das [X.] zutreffend von einem verspäteten Eingang der Berufungsbegründung am 20. Oktober 2016 aus. Denn die diesbezügliche Frist hatte angesichts der Zurückweisung des Verlängerungsantrags durch die Verfügung des Vorsitzenden vom 7. Oktober 2016 bereits mit Ablauf des 4. Oktober 2016 geendet (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

bb) Das [X.] hat dem Kläger aber zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

(1) Gemäß § 233 Satz 1 ZPO ist einer [X.] auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert gewesen ist, die Frist zur Begründung einer Berufung einzuhalten. Dies ist vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

(2) Die Frage, ob einen Prozessbevollmächtigten ein der [X.] nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden trifft, richtet sich nach einem objektiv-typisierenden Maßstab, wobei auf die Person des Bevollmächtigten abzustellen ist. [X.] ist dabei die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfen. Ihre Beachtung muss im Einzelfall auch zumutbar sein, da andernfalls das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf einen zumutbaren Zugang zu den Gerichten verletzt würde ([X.] Beschluss vom 17. August 2011 - [X.] - NJW-RR 2012, 122 Rn. 12 mwN).

Die Sorgfaltspflicht in [X.] verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von [X.] zu gewährleisten ([X.] Beschluss vom 29. Juni 2017 - [X.]/16 - juris Rn. 7). Erkennt der Rechtsanwalt, dass er eine Frist zur Rechtsmittelbegründung nicht einhalten kann, muss er durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch gar nicht erst notwendig wird ([X.] Beschluss vom 1. Juli 2013 - [X.] - NJW 2013, 3181 Rn. 9 mwN). Das Verlängerungsgesuch ist rechtzeitig, wenn es spätestens am letzten Tag der zu verlängernden Frist beim zuständigen Gericht eingereicht worden ist (vgl. [X.] Beschluss vom 16. März 2010 - [X.]/09 - NJW 2010, 1610 Rn. 10 mwN).

(3) Allerdings ist der Rechtsmittelführer generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO handelt der Rechtsanwalt daher nur dann, wenn er auf die Fristverlängerung vertrauen durfte, das heißt wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dies ist bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dann der Fall, wenn entweder der Antragsgegner bereits seine Einwilligung erklärt hat (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO) oder vom Antragsteller erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO geltend gemacht werden ([X.] Beschluss vom 9. Juli 2009 - [X.]/08 - FamRZ 2009, 1745 Rn. 8 f. mwN). Dabei ist zumindest beim ersten Verlängerungsantrag eine ins Einzelne gehende Darlegung eines erheblichen Grundes nicht erforderlich. Es reicht etwa der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedürfte ([X.] Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - [X.]/16 - NJW 2017, 2041 Rn. 13 mwN und vom 16. März 2010 - [X.]/09 - NJW 2010, 1610 Rn. 9; [X.] NJW 2007, 3342 mwN).

(4) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Anforderungen an die Darlegung eines erheblichen Grundes auch nicht im Hinblick auf das in § 272 Abs. 4 ZPO enthaltene Beschleunigungsgebot für [X.] zu modifizieren.

Diese Regelung, nach der [X.] vorrangig und beschleunigt durchzuführen sind, ist durch das Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von [X.] vom 11. März 2013 (Mietrechtsänderungsgesetz; BGBl. I S. 434) eingeführt worden. Sie bezweckt den Schutz des Vermieters, welcher auch bei wirksamer Kündigung des Vertrags seine Leistung - nämlich die Besitzüberlassung - nicht eigenmächtig zurückerhalten kann. Durch eine besonders schnelle Durchführung des Verfahrens soll vermieden werden, dass sich die Forderung des Vermieters monatlich um das auflaufende Nutzungsentgelt erhöht, falls der Mieter nicht zahlt (BT-Drucks. 17/11894 S. 24).

(a) Systematisch ist § 272 Abs. 4 ZPO in die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug vor den Landgerichten eingebettet. Das Beschleunigungsgebot richtet sich daher vornehmlich an die Angehörigen der Justiz, das heißt an [X.], Geschäftsstellenmitarbeiter und Vollstreckungsorgane ([X.], 417, 418; [X.] [X.] 2014, 225, 226). Die [X.]en und ihre Rechtsanwälte sind demgegenüber keine unmittelbaren Normadressaten. Sie werden jedoch von dem [X.] und Beschleunigungsgebot mittelbar betroffen, da die Gerichte auf eine Beschleunigung hinwirken müssen, die auch den Bereich der [X.]en und ihrer Rechtsanwälte betrifft ([X.], 417, 418).

(b) Zwar orientiert sich § 272 Abs. 4 ZPO an anderen [X.] wie etwa § 155 Abs. 1 FamFG für Kindschaftssachen oder § 61 a Abs. 1 ArbGG für den Kündigungsschutz. Anders als diese Vorschriften enthält § 272 Abs. 4 ZPO jedoch keine konkreten Handlungsgebote für das Gericht. Dadurch sollen insbesondere die richterliche Prozessleitung sowie die Entscheidung nach § 272 Abs. 2 ZPO zwischen einem frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) und einem schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO) offen gehalten werden (BT-Drucks. 17/11894 S. 24).

(c) Allerdings sind [X.] nach dem Willen des Gesetzgebers schneller als andere Zivilprozesse durchzuführen, um auf diese Weise das Uneinbringlichkeitsrisiko für den Gläubiger auf ein vertretbares Maß zu begrenzen. Sie sind vorrangig zu terminieren, und die Fristen zur Stellungnahme für die [X.]en sind auf das unbedingt Notwendige zu reduzieren (BT-Drucks. 17/11894 S. 24).

(aa) In der Literatur wird deshalb teilweise vertreten, dass in [X.] insbesondere bei Anträgen auf Fristverlängerung ein besonders strenger Maßstab an die Erheblichkeit der [X.] im Sinne der §§ 224 Abs. 2, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO anzulegen sei. Das gelte vor allem für Berufungsbegründungsfristen. [X.] müssten ihre Arbeit ebenfalls auf die normierte Priorität von [X.] ausrichten. Eine Fristverlängerung wegen Überlastung eines Prozessbevollmächtigten mit anderen [X.] könne demzufolge nur gewährt werden, wenn es sich hierbei ebenfalls um [X.] oder um andere vorrangig zu behandelnde Verfahren etwa nach §§ 155 FamFG, 61 a ArbGG handele. Andernfalls müsse in den anderen Sachen um Fristverlängerung nachgesucht werden. Hierzu müsse das Fristverlängerungsgesuch Angaben enthalten. [X.] Begründungen seien insoweit nicht ausreichend ([X.], 417, 418; Musielak/Voit/[X.] ZPO 14. Aufl. § 272 Rn. 9). Im Ergebnis solle Anträgen auf Fristverlängerung daher grundsätzlich nicht stattgegeben werden (vgl. [X.]. § 272 Rn. 9; [X.] in[X.]/[X.] ZPO § 272 Rn. 16).

(bb) Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht. Denn der Gesetzgeber hat das Beschleunigungsgebot gemäß § 272 Abs. 4 ZPO in Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den erheblichen Gründen im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO normiert, ohne zugleich die Verlängerungsmöglichkeiten für die Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf [X.] zu modifizieren. Insbesondere hat er davon abgesehen, die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des Berufungsklägers in einem Räumungsverfahren zu beschränken. Eine "Überbeschleunigung" wird vom Gericht nicht verlangt ([X.], 21; vgl. auch [X.]/[X.] ZPO 76. Aufl. § 272 Rn. 19).

Wäre es dem Gesetzgeber darauf angekommen, über § 272 Abs. 4 ZPO die [X.] an einen erheblichen Grund nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO für [X.] zu verschärfen, wäre es bereits aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geboten gewesen, eine derartige Modifizierung in Abgrenzung zu den übrigen, hiervon nicht betroffenen Berufungsverfahren in den Gesetzestext aufzunehmen. [X.] ist allerdings nicht geschehen und erscheint auch nicht erforderlich, um dem Beschleunigungsgebot in [X.] im Hinblick auf die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist hinreichende Wirkung zu verleihen. Denn dem Vorsitzenden des Berufungsgerichts wird bei der Entscheidung über [X.] nach § 520 Abs. 2 ZPO ein weitreichendes Ermessen eingeräumt. Er kann vom Antrag des Berufungsklägers abweichen und innerhalb der gesetzlichen Grenzen eine kürzere Frist gewähren. Selbst eine Fristverlängerung von nur wenigen Tagen und/oder Stunden kann vom richterlichen Ermessen umfasst sein (vgl. [X.]/Schütze/[X.] ZPO 4. Aufl. § 520 Rn. 43 mwN).

Auf diese Weise ermöglicht § 520 Abs. 2 ZPO bereits in seiner bisherigen Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eine angemessene Handhabung der Verlängerungsbefugnis für Berufungsbegründungsfristen im Hinblick auf eine vorrangige und beschleunigte Durchführung von [X.]. Entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers, Fristen auf das unbedingt Notwendige zu reduzieren (BT-Drucks. 17/11894 S. 24), ist es auch im Rahmen von § 520 Abs. 2 ZPO ausreichend, mit entsprechend kurzen Fristverlängerungen zu reagieren (vgl. [X.]/[X.]. § 272 Rn. 33; [X.] ZPO/[X.] [Stand: 15. September 2017] § 272 Rn. 12; Hk-ZPO/[X.] 7. Aufl. § 272 Rn. 11; [X.]/[X.]/[X.] ZPO 38. Aufl. § 272 Rn. 9; vgl. auch [X.] Beschluss vom 9. Mai 2017 - [X.]/16 - NJW 2017, 2041 Rn. 11 ff.).

c) Gemessen hieran lag ein dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nicht vor.

Unter Bezugnahme auf einen erhöhten Termin- und Fristendruck hat der Kläger eine Arbeitsüberlastung seines Bevollmächtigten geltend gemacht, welche nach ständiger Rechtsprechung als erheblicher Grund im Rahmen von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO Berücksichtigung findet ([X.] Beschluss vom 9. Mai 2017 - [X.]/16 - NJW 2017, 2041 Rn. 12 mwN). Der Bevollmächtigte durfte darauf vertrauen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts ihm mit der Verfügung vom 7. Oktober 2016 eine zumindest kurze Verlängerungsfrist gewähren würde, um die Berufungsbegründung bei der gebotenen beschleunigten Bearbeitung von [X.] trotz erhöhten Termin- und Fristendrucks erstellen zu können. Unter diesen Umständen bestand für ihn auch keine Notwendigkeit, sich am letzten [X.] telefonisch nach der Entscheidung über seinen Verlängerungsantrag zu erkundigen (vgl. [X.] Beschluss vom 9. Mai 2017 - [X.]/16 - NJW 2017, 2041 Rn. 19 mwN).

3. Die weiteren Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor. Der die Berufung verwerfende Beschluss wird mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - [X.] 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt insoweit daher lediglich klarstellend.

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Nedden-Boeger     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 565/16

31.01.2018

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Celle, 15. November 2016, Az: 2 U 93/16

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 Abs 1 ZPO, § 272 Abs 4 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO, § 546 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.01.2018, Az. XII ZB 565/16 (REWIS RS 2018, 14708)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 484-485 REWIS RS 2018, 14708

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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