Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.09.2012, Az. IV R 29/10

4. Senat | REWIS RS 2012, 3021

VERFASSUNG STEUERRECHT BUNDESFINANZHOF (BFH) GEWERBESTEUER

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Gegenstand

Keine Unbilligkeit der Mindestbesteuerung, wenn Gewerbesteuermessbetrag auf vom Steuerpflichtigen veranlasstem Forderungsverzicht beruht - Billigkeitsmaßnahme als flankierende Maßnahme zur Typisierung


Leitsatz

1. Hält der Steuerpflichtige eine ihn nachteilig treffende Norm im Hinblick auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers für verfassungsgemäß, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig betroffen wird, kann er ohne vorherige Anfechtung der Steuerfestsetzung eine Billigkeitsmaßnahme beantragen .

2. Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags kann ungeachtet der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht unbillig sein, wenn der Gewerbeertrag allein daraus resultiert, dass der Steuerpflichtige zur Vermeidung der Insolvenz einen Gläubiger zum Erlass seiner Forderung gedrängt hat .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die mit notariellem Vertrag vom 16. September 1999 errichtet wurde und ein bestimmtes Grundstück in [X.] entwickeln sollte. Nachdem sich dieses Projekt nicht durchführen ließ, wurde "der Erwerb, die Entwicklung, die Vermietung, die Verwaltung und die Veräußerung von Immobilien jeder Art" zum Zweck der Klägerin erklärt; der Gesellschaftsvertrag wurde mit Vereinbarung vom 13. Februar 2002 entsprechend neu gefasst. In diesem Zusammenhang kam es auch zum Wechsel von Gesellschaftern. Komplementärin war von Anfang an eine nicht an Kapital, Vermögen und Ergebnis beteiligte GmbH. Neben der C-AG trat am 13. Februar 2002 die [X.] der Klägerin als Kommanditistin bei. Diese wandelte ihre Kapitaleinlage mit Vereinbarung vom 23. Dezember 2002 in ein Mezzanine-Darlehen um und verkaufte gleichzeitig ihren Gesellschaftsanteil an die C-AG. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 wurde die Klägerin aufgelöst; Liquidatorin ist die C-AG.

2

Mit Kaufvertrag vom 26. Oktober 2001 erwarb die Klägerin das Grundstück X. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen.

3

Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin am 17. Februar 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 die [X.] als Gläubigerin um einen Forderungsverzicht. Am 2. Juli 2004 verzichtete die [X.] (mit [X.]) auf sämtliche Forderungen gegen die Klägerin. Außerdem verzichteten weitere Gläubiger, darunter die C-AG, auf ihre Forderungen. Die Klägerin buchte die Verbindlichkeiten im Erhebungszeitraum 2004 gewinnerhöhend aus. Hierdurch ergab sich für 2004 ein Jahresüberschuss von 1.862.924 €.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) stellte zum 31. Dezember 2003 einen vortragsfähigen [X.] in Höhe von 2.656.561 € fest. Für das Streitjahr 2004 ging das [X.] von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.862.924 € aus. Davon zog es einen [X.] in Höhe von 1.517.754 € ab. Diesen Betrag ermittelte das [X.] nach § 10a Sätze 1 und 2 des [X.] ([X.]) in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 ([X.], 2922, [X.], 20) in der Weise, dass es den festgestellten vortragsfähigen [X.] bis zur Höhe von 1 Mio. € in voller Höhe sowie von dem übersteigenden Betrag (862.924 €) 60 % (= 517.754 €) berücksichtigte. Danach verblieb ein gerundeter Gewerbeertrag von 345.100 €, woraus sich ein [X.] von 14.830 € und eine festgesetzte Gewerbesteuer für 2004 in Höhe von 60.803 € ergaben. Außerdem stellte das [X.] den vortragsfähigen [X.] zum 31. Dezember 2004 mit 1.138.807 € fest.

5

Gegen die Bescheide über den [X.] 2004 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen [X.]es zum 31. Dezember 2004 legte die Klägerin Einspruch ein und rügte einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot. Gleichzeitig beantragte sie sinngemäß, die Gewerbesteuer für 2004 gemäß § 163 der Abgabenordnung ([X.]) auf 0 € festzusetzen bzw. nach § 227 [X.] zu erlassen.

6

Das [X.] lehnte eine Billigkeitsmaßnahme ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein.

7

Das [X.] wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Festsetzung des [X.]s und der Gewerbesteuer stehe im Einklang mit der Regelung des § 10a [X.]. Eine [X.] nach § 163 [X.] komme nicht in Betracht. Nach dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 31. März 2004 [X.] ([X.]/NV 2004, 1212), das die Nichtberücksichtigung von Verlusten nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) betreffe, sei die Erhebung einer Steuer unbillig, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht zu rechtfertigen sei und dessen Wertungen zuwiderlaufe. Der Gesetzgeber habe die mit der Beschränkung des [X.] verbundenen Härten ersichtlich in Kauf genommen, so dass eine Billigkeitsmaßnahme die generelle Geltungsanordnung des Steuergesetzes unterlaufen würde. Die Grundsätze des [X.]-Urteils in [X.]/NV 2004, 1212 ließen sich auf die Neuregelung des § 10a [X.] zum 1. Januar 2004 und die damit verbundene Einführung der Mindestbesteuerung übertragen.

8

Mit der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den [X.] bzw. die Gewerbesteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 [X.] auf 0 € festzusetzen oder die Gewerbesteuer nach § 227 [X.] zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das [X.], den Antrag der Klägerin auf [X.] nach § 163 Satz 1 [X.] bzw. [X.] nach § 227 [X.] bezüglich des [X.]s 2004 und der Gewerbesteuer 2004 neu zu bescheiden. Das [X.] habe bei seiner Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Streitfall bereits am Ende des [X.] und damit auch bei der Wirksamkeit des [X.] 2004 erkennbar gewesen sei, dass der Verlustausgleich von gerundet 345.100 € aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen sein werde. Die Beteiligten seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht mehr aufnehmen werde und eine Entstehung von künftigen Gewinnen ausgeschlossen sei. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2010, 1576 veröffentlicht.

9

Dagegen richtet sich die Revision des [X.]. Der Umstand, dass die Klägerin die wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und der [X.] endgültig [X.], könne zwar im Rahmen der Billigkeitsentscheidung in Betracht gezogen werden. Aufgrund der Gesetzesfassung des § 10a [X.] sei davon auszugehen, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass ein vortragsfähiger [X.] bei Beendigung eines Unternehmens nicht mehr genutzt werden könne und dass es ggf. im Jahr der Beendigung der gewerblichen Tätigkeit aufgrund der Mindestbesteuerung zur Festsetzung eines [X.]s und von Gewerbesteuer kommen könne. Der Gesetzgeber habe von seiner weitgehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung Gebrauch gemacht und keine Sonderregelung für den Fall eines endgültigen Untergangs des bei Anwendung der Mindestbesteuerung verbleibenden Verlustvortrags vorgesehen. Zwar treffe es zu, dass im vorliegenden Fall bei Aufgabe des Gewerbebetriebs im Ergebnis ein wirtschaftlich nicht entstandener Totalgewinn versteuert werden müsse. Der Gesetzgeber sei jedoch nicht verpflichtet, einseitig zu Gunsten des [X.]s den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der [X.] und dem Grundsatz des [X.]s zu lösen (Beschluss des [X.] vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, [X.] --HFR-- 1992, 423). Der Grundsatz der Rechtssicherheit müsse der Forderung nach Gerechtigkeit im Einzelfall allenfalls dann weichen, wenn ihm angesichts der Besonderheiten des vom Gesetzgeber geregelten Sachverhalts jede Tauglichkeit abzusprechen wäre. Das sei vorliegend nicht der Fall.

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Im Streitfall führe die Mindestbesteuerung endgültig zum Ausschluss des Verlustausgleichs. Dies habe bereits im [X.]jahr festgestanden, denn der Gewinn erhöhende Forderungsverzicht seitens der Gläubiger sei gerade zu dem Zweck erfolgt, der Klägerin die geordnete Liquidation zu ermöglichen. Mindestbesteuerung und Ausschluss des [X.] stünden damit im ursächlichen Zusammenhang. Der [X.] habe an der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG verfassungsrechtliche Zweifel geäußert, wenn die spätere Verlustverrechnung endgültig ausgeschlossen sei ([X.]-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, [X.]E 230, 445, [X.], 826). Solche Bedenken äußere auch das [X.] im Hinblick auf § 10a Satz 2 [X.], wenn dessen Anwendung gegen das objektive [X.] verstoße (Beschluss vom 26. Juli 2010  8 V 938/10, [X.] 2010, 1811). Diese Erwägungen müssten auch im Billigkeitsverfahren gelten. Vorliegend komme verschärfend hinzu, dass der steuerbelastete Ertrag nicht auf einem erwirtschafteten Gewinn, sondern auf einem reinen Buchgewinn beruhe.

Das [X.] ist dem Verfahren beigetreten.

Es führt aus, § 227 [X.] stelle keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer [X.] setzen würde. Ein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit sei nur insoweit durch die Vorschrift gedeckt, wie angenommen werden könne, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --hätte er sie geregelt-- im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (vgl. [X.]-Urteil vom 23. März 1998 II R 41/96, [X.]E 185, 270, [X.] 1998, 396).

Der Umstand, dass im Streitfall eine volle Verrechnung der festgestellten Fehlbeträge [X.], sei unmittelbare Folge der Änderung des § 10a [X.]. Es sei nicht Sache der Finanzverwaltung, diese gesetzgeberische Folge mittels Billigkeitsregelungen zu unterlaufen. Die Besteuerung widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser sei sich bei der Abfassung des Gesetzes bewusst gewesen, dass es im Einzelfall zur nicht vollständigen Verrechnung festgestellter Fehlbeträge kommen könne (BTDrucks 15/481, S. 5, rechte Spalte, zweiter Absatz). Die Anhebung des Sockelbetrags in der endgültig Gesetz gewordenen Fassung und die Diskussion um den Prozentsatz einer möglichen Verlustverrechnung zeigten, dass dem Gesetzgeber die Wirkung der Einschränkungen bewusst gewesen sei; eine Regelungslücke liege deshalb nicht vor.

Eine Billigkeitsmaßnahme sei nicht von Verfassungs wegen geboten. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, den Wertungswiderspruch zwischen dem Grundsatz der [X.] und dem [X.] einseitig zu Gunsten des [X.]s zu lösen (BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). In Fällen, in denen ein Fehlbetrag nicht vollständig verrechenbar sei, könne ein Verfassungsverstoß nicht einseitig auf das Gebot des objektiven [X.]s gestützt werden.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das [X.] die Voraussetzungen der §§ 163 Satz 1, 227 AO ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige [X.] endgültig untergehe.

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § [X.] können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

a) Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen ([X.]-Urteile vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, [X.], 482, [X.] 1994, 833, unter 1. der Gründe; vom 4. Juli 1972 VII R 103/69, [X.], 268, [X.] 1972, 806).

b) Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 [X.]O i.V.m. § 121 [X.]O grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 [X.] 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen ([X.]-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, [X.], 269, unter [X.] der Gründe, m.w.[X.]; vom 26. Oktober 1994 [X.], [X.], 3, [X.] 1995, 297, unter II.2. der Gründe, m.w.[X.]).

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten [X.] entschieden hätte (ständige [X.]-Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.], 482, [X.] 1994, 833, unter 2. der Gründe, m.w.[X.]; [X.] vom 12. September 2007 X B 18/03, [X.], 102, unter [X.] der Gründe, m.w.[X.]). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine [X.] ([X.]-Urteile vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, [X.], 865, unter II.2. der Gründe; vom 4. Februar 2010 II R 25/08, [X.], 130, [X.] 2010, 663, jeweils m.w.[X.]). Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt allerdings die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, [X.] 48, 102; [X.]-Urteile vom 6. Februar 1976 III R 24/71, [X.], 151; in [X.], 270, [X.] 1998, 396; vom 27. Mai 2004 IV R 55/02, [X.], 1555). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch [X.]n beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die [X.] erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. [X.]-Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, [X.], 542).

d) Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind ([X.]-Urteil in [X.], 3, [X.] 1995, 297, unter [X.] der Gründe, m.w.[X.]). In eine solche Würdigung müssen nicht nur die Vorschriften einbezogen werden, aus denen der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach hergeleitet wird, sondern auch die Regelungen, die im zu entscheidenden Fall für die Konkretisierung des materiellen Rechts und seine verfahrensrechtliche Durchsetzung sorgen. Nur auf diese Weise lassen sich [X.] aufdecken und im Billigkeitswege beseitigen, die bei isolierter Betrachtungsweise als typischer Nebeneffekt der Anwendung einzelner steuerrechtlicher Normen hinnehmbar erscheinen, insgesamt aber in ihrem Zusammenwirken in einem atypischen Einzelfall eine Rechtslage herbeiführen, welche die Durchsetzung des Steueranspruchs als sachlich unbillig erscheinen lässt ([X.]-Urteil in [X.], 3, [X.] 1995, 297, unter [X.] der Gründe).

e) Grundsätzlich kann im Rahmen der Prüfung, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliegt, die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids nicht mehr untersucht werden. Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung für die Einwendungen zugelassen, die sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis aus den Grundsätzen von Treu und Glauben ergeben ([X.]-Urteile vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, [X.], 478, [X.] 1991, 610, unter [X.] der Gründe; vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, [X.], 103, [X.] 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann jedoch nur in Betracht kommen, wenn das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maß schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten ([X.]-Urteile in [X.], 478, [X.] 1991, 610, unter [X.]a der Gründe; vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, [X.], 90, unter 2. der Gründe).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem [X.] nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der [X.] vorzunehmen. Selbst wenn das [X.] die Bedeutung der endgültigen Nichtverwertbarkeit der Verluste und der dadurch eintretenden Verletzung des objektiven Nettoprinzips nicht ausreichend bei seinen Ermessenserwägungen berücksichtigt haben sollte, wie das [X.] meint, konnte doch keine andere Entscheidung als die vom [X.] getroffene ergehen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.

a) Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer [X.] ist allerdings nicht bereits deshalb zurückzuweisen, weil sie davon abgesehen hat, Klage auch gegen die Festsetzungsverwaltungsakte zu erheben. Sie durfte sich darauf beschränken, nur die Entscheidung des [X.] über die beantragten [X.]n mit der Klage anzugreifen.

Zwar kann sich ein Steuerpflichtiger grundsätzlich nicht auf die sachliche Unbilligkeit einer Steuerfestsetzung berufen, wenn er zuvor nicht alle Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung ausgeschöpft hat. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] können bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren u.a. nur dann sachlich überprüft werden, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung rechtzeitig zu wehren (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, [X.]E 133, 255, [X.] 1981, 611; vom 11. August 1987 VII R 121/84, [X.]E 150, 502, [X.] 1988, 512; vom 29. Mai 2008 V R 45/06, [X.], 1889).

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige sich darauf beruft, von einer von ihm grundsätzlich als verfassungskonform angesehenen typisierenden Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen zu sein. Hält der Steuerpflichtige die [X.] des Gesetzgebers in Bezug auf die in Frage stehende Norm für gegeben, sieht er die Besteuerung aber in seinem Einzelfall als unbillig an, weil er von der Typisierung unverhältnismäßig nachteilig betroffen wird, ist ihm die Anfechtung der Steuerfestsetzung nicht zuzumuten. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, lediglich eine [X.] zu beantragen.

b) Im Streitfall kann offenbleiben, in welchen Fällen allgemein die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags trotz vortragsfähiger Verluste mindestens in Höhe des [X.] zu einer auch durch die allgemeine [X.] nicht mehr gedeckten unverhältnismäßigen Belastung eines einzelnen Steuerpflichtigen durch § 10a Sätze 1 und 2 [X.] führen kann und inwieweit die fehlende Möglichkeit zur künftigen Verrechnung gestreckter vortragsfähiger Verluste wegen der Einstellung der werbenden Tätigkeit auf Besonderheiten des Gewerbesteuerrechts beruht, die eine unverhältnismäßige Belastung des Steuerpflichtigen ausgeschlossen erscheinen lassen. Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind nämlich bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a Sätze 1 und 2 [X.] nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte.

Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach [X.] festzusetzen gewesen.

Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

3. Die Ablehnung einer [X.] durch das [X.] ist danach im Streitfall nicht zu beanstanden. Das [X.] ist von anderen Maßstäben ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

Meta

IV R 29/10

20.09.2012

Bundesfinanzhof 4. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 15. Juni 2010, Az: 6 K 6216/06 B, Urteil

§ 163 S 1 AO, § 227 AO, § 10a S 1 GewStG 2002 vom 23.12.2003, § 10a S 2 GewStG 2002 vom 23.12.2003, Art 3 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.09.2012, Az. IV R 29/10 (REWIS RS 2012, 3021)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3021

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Wird zitiert von

9 C 10/14

1 BvR 741/14

1 BvR 1103/15

W 2 K 14.652

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