Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.09.2012, Az. IV R 60/11

4. Senat | REWIS RS 2012, 2983

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 20.09.2012 IV R 36/10 - Sachliche Gewerbesteuerpflicht von Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften - Mindestbesteuerung nicht verfassungswidrig)


Leitsatz

1. NV: Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (Bestätigung der Rechtsprechung) .

2. NV: Die werbende Tätigkeit einer GbR, deren Gegenstand die Herstellung und Verwertung eines Films ist, ist nicht beendet, solange sie die Filmrechte verwertet .

3. NV: Der durch die Mindestbesteuerung eintretende Effekt einer definitiven Besteuerung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers wird von der Möglichkeit flankiert, im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, soweit die typisierende Regelung einzelne Steuerpflichtige unverhältnismäßig und unzumutbar benachteiligt .

4. NV: Ein Steuerpflichtiger kann sich nicht auf eine konkrete Verletzung des objektiven Nettoprinzips durch die Mindestbesteuerung berufen, solange er seine Geschäftstätigkeit noch nicht beendet hat und nicht feststeht, ob die Begrenzung des Verlustabzugs im Streitjahr überhaupt zu einer Definitivbesteuerung führen wird .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GbR, deren Gegenstand die Herstellung und Verwertung eines Films ist. Sie wurde mit [X.] vom … 2004 von einer Produktions-GmbH und einer [X.] & Co. [X.] ([X.]) gegründet. Nach dem allgemeinen [X.] war der Gewinn allein der [X.] zuzurechnen.

2

Der Klägerin entstanden für die Produktion des Films Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro. Der Film kam … 2007 erstmalig in die Kinos. Seit dem [X.] wird er in Videotheken verliehen.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) stellte mit Bescheid vom 23. September 2008 für die Klägerin einen vortragsfähigen [X.] auf den 31. Dezember 2006 in Höhe von [X.] € fest.

4

Im Streitjahr (2007) erzielte die Klägerin einen Gewerbeertrag vor Verlustabzug in Höhe von … €, der nach dem [X.] der [X.] zugerechnet wurde.

5

Das [X.] kürzte den Gewerbeertrag nach § 10a Sätze 1 und 2 des [X.] ([X.]) um 1 Mio. € sowie den übersteigenden Gewerbeertrag zu 60 % (= … €) und setzte einen [X.] in Höhe von … € fest. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, den das [X.] zurückwies.

6

Mit ihrer dagegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, sie könne die vorgetragenen Verluste wegen ihrer sowohl zeitlich als auch auf einen Film begrenzten Tätigkeit niemals nutzen. Es sei verfassungswidrig, wenn dennoch ein [X.] festgesetzt werde.

7

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das [X.] habe den maßgebenden Gewerbeertrag in rechnerisch richtiger Höhe gemäß den Regelungen in § 10a Sätze 1 und 2 [X.] gekürzt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 10a [X.] teile der Senat nicht. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 434 veröffentlicht.

8

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie trägt vor, vorliegend sei die Frage zu klären, ob die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 [X.] auf sog. Objektgesellschaften mit sehr kurzer Ertragsphase überhaupt Anwendung finde. Die Klägerin sei eine Gesellschaft zur Produktion und Vermarktung eines Spielfilms, der aus wirtschaftlicher Sicht ein Misserfolg gewesen sei. Die hohen Produktionskosten hätten nicht annähernd eingespielt werden können, so dass letztlich ein Totalverlust von ca. … Mio. € verbleiben werde. Dennoch müsse die Klägerin im Streitjahr, dem [X.], aufgrund der Mindestbesteuerung Gewerbesteuer in Höhe von … € zahlen. Der vorliegende Fall sei für die Filmbranche typisch. Sehr viele Spielfilme würden von Koproduktionsgesellschaften produziert, weil ein Produzent alleine die Kosten und das Risiko des Films nicht tragen könne. Die Mindestbesteuerung sei wegen eines Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip generell verfassungswidrig. Jedenfalls sei aber die Regelung im Streitfall verfassungskonform so auszulegen, dass die Mindestbesteuerung nicht zur Anwendung komme.

9

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den [X.] vom 21. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2010 dahingehend zu ändern, dass der [X.] auf 0 € festgesetzt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gegen die Mindestbesteuerung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelungen des § 10a [X.] seien angemessen und führten nicht zu einer Verletzung der Besteuerungsgleichheit oder des objektiven Nettoprinzips in [X.].

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid rechtmäßig und nicht wegen der Anwendung der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 [X.] zu beanstanden ist.

1. Die Klägerin unterlag im Streitjahr der sachlichen Gewerbesteuerpflicht.

a) Die Klägerin betrieb mit der Filmproduktion ein gewerbliches Unternehmen. Das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

b) Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sind sachlich gewerbesteuerpflichtig nur, wenn und solange sie einen Gewerbebetrieb im Sinne des [X.] unterhalten. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht endet deshalb mit der dauerhaften Einstellung der werbenden Tätigkeit (ständige Rechtsprechung, u.a. Urteile des [X.] vom 24. April 1980 IV R 68/77, [X.], 70, [X.] 1980, 658, unter 1. der Gründe; vom 20. März 1990 VIII R 47/86, [X.] 1990, 799, unter 1.a der Gründe; vom 26. Juni 2007 IV R 49/04, [X.], 150, [X.] 2009, 289, unter II.2.a der Gründe).

c) Die Klägerin hat ihre werbende Tätigkeit noch nicht beendet. Denn sie verwertet nach eigenem Vortrag weiterhin die Filmrechte. Unerheblich ist, ob das --wie sie geltend macht-- auch die Aufgabe des Liquidators im Falle einer Liquidation wäre. Ihrem Vorbringen, sie werde nicht mehr "betrieben" und befinde sich faktisch in Liquidation, kann der Senat daher nicht folgen.

2. Das [X.] hat den Gewerbeertrag unter Berücksichtigung des § 10a Sätze 1 und 2 [X.] zutreffend ermittelt, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

3. Die Ermittlung des [X.] im angefochtenen Bescheid ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 20. September 2012 in der [X.] entschieden hat, verstößt die Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 [X.] nicht gegen Verfassungsrecht. Dies gilt auch für den Fall, dass sie im Ergebnis zu einer Definitivbesteuerung im Jahr der beschränkten Verrechnung vortragsfähiger Fehlbeträge führt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das Urteil IV R 36/10, [X.], 542 Bezug.

b) Die Besonderheiten eines Unternehmens der Filmbranche, zu denen die Klägerin gehört, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Der durch die Mindestbesteuerung eintretende Effekt einer definitiven Besteuerung ist grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 20. September 2012 IV R 36/10, [X.], 542 unter Hinweis auf die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers ausgeführt hat. Die Typisierungsbefugnis wird aber von der Möglichkeit flankiert, im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen zu treffen, soweit die typisierende Regelung einzelne Steuerpflichtige unverhältnismäßig und unzumutbar benachteiligt.

c) Die Klägerin kann sich schon deshalb nicht auf eine konkrete Verletzung des objektiven Nettoprinzips berufen, weil bisher noch nicht feststeht, ob die Begrenzung des [X.] im Streitjahr überhaupt zu einer Definitivbesteuerung führen wird. Sie hat ihre Geschäftstätigkeit noch nicht beendet und kann aus den ihr zustehenden Verwertungsrechten noch weitere Einnahmen erzielen. Auch wenn sie Einnahmen in der Höhe der nicht ausgenutzten Verlustvorträge für unwahrscheinlich hält, kann eine solche Prognose nicht an die Stelle einer bereits eingetretenen Definitivbesteuerung treten.  

4. Das angefochtene Urteil entspricht den genannten Grundsätzen und ist deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision der Klägerin hat mithin keinen Erfolg.

Meta

IV R 60/11

20.09.2012

Bundesfinanzhof 4. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 2. November 2011, Az: 1 K 208/10, Urteil

§ 2 Abs 1 S 1 GewStG 2002, § 10a S 1 GewStG 2002 vom 23.12.2003, § 10a S 2 GewStG 2002 vom 23.12.2003, Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 4 GewStGuaÄndG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 14 Abs 1 S 2 GG, GewStG VZ 2007, EStG VZ 2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.09.2012, Az. IV R 60/11 (REWIS RS 2012, 2983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2983

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV R 36/10 (Bundesfinanzhof)

Gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung verfassungsgemäß - Zuordnung des Gewinns aus der Veräußerung eines zum Anlagevermögen zählenden Flugzeugs …


IV R 29/10 (Bundesfinanzhof)

Keine Unbilligkeit der Mindestbesteuerung, wenn Gewerbesteuermessbetrag auf vom Steuerpflichtigen veranlasstem Forderungsverzicht beruht - Billigkeitsmaßnahme als …


I R 9/11 (Bundesfinanzhof)

Sog. Mindestbesteuerung nicht verfassungswidrig - Abschnittsbesteuerung - Verhältnis zwischen Periodizitätsprinzip und objektivem Nettoprinzip - Prognose …


I R 59/12 (Bundesfinanzhof)

(Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten - Objektives Nettoprinzip - Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Aufhebung …


IV R 34/10 (Bundesfinanzhof)

Nutzung des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags bei Beteiligung eines Kommanditisten als atypisch stiller Gesellschafter der KG - …


Referenzen
Wird zitiert von

9 C 10/14

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.