Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.03.2018, Az. 3 StR 559/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 12838

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BEFANGENHEIT STRAFRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) STRAFTATEN REVISION (STRAFRECHT) RECHTSEXTREMISMUS SCHÖFFEN BRANDSTIFTUNG

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Gegenstand

Besorgnis der Befangenheit im Strafverfahren: Zeitpunkt des Einbringens des Gesuchs; spontane Unmutsäußerung eines Schöffen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) insgesamt, soweit es den Angeklagten S.     betrifft;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, soweit es den Angeklagten [X.]betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten [X.]wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten S.     wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sowie wegen Nötigung unter Einbeziehung zweier Strafen aus vorangegangenen Aburteilungen zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten [X.]hat es wegen Brandstiftung in zwei Fällen und wegen Sachbeschädigung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und mehrere Verfahrensrügen gestützten Revisionen.

2

I. Die Revision des Angeklagten S.

3

Das Rechtsmittel des Angeklagten S.     hat mit der Rüge Erfolg, bei dem Urteil habe ein Schöffe mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO). Auf die übrigen Verfahrensbeanstandungen sowie die Sachrüge kommt es deshalb nicht an.

4

1. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

5

Am ersten Hauptverhandlungstag ließ sich der Angeklagte zur Sache ein. Während der Verlesung seiner schriftlichen Erklärung fragte der Schöffe [X.]     den Angeklagten, ob er tatsächlich den "Quatsch" glaube, den er "hier erzähle". Danach setzte der Angeklagte seine Einlassung bis zur Unterbrechung der Hauptverhandlung um 17.40 Uhr fort. Nachdem die Verfahrensbeteiligten die Frage, ob noch Erklärungen abzugeben seien, verneint hatten, schloss der Vorsitzende die Sitzung. Mit am selben Abend um 20.30 Uhr per Fax beim [X.] eingegangenem Schreiben lehnte der Angeklagte wegen des beschriebenen Vorfalls den [X.] [X.]     wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Dieser gab in der Folge eine dienstliche Erklärung ab, in der er sich für seine möglicherweise als beleidigend verstandene Bemerkung entschuldigte. Er stehe dem Angeklagten nach wie vor unvoreingenommen gegenüber. Dessen Auftreten vor Gericht habe er allerdings als provozierend empfunden. Auf eine Passage der Einlassung sei ihm schließlich die zitierte Frage "herausgerutscht". Er habe in diesem Augenblick einfach wissen wollen, ob der Angeklagte mit seinen Äußerungen ernst genommen werden wolle oder ob es sich dabei "für alle erkennbar um provozierenden Unsinn handele".

6

[X.] wies durch ihre richterlichen Mitglieder (§ 31 Abs. 2 Satz 2 StPO) das Ablehnungsgesuch zurück. Dieses sei schon gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO unzulässig, weil das Ablehnungsgesuch verspätet vorgebracht worden sei. Bereits nach der Äußerung des [X.] wäre der Angeklagte gehalten gewesen, eine Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Prüfung eines derartigen Gesuchs zu beantragen. Spätestens aber auf die Frage des Vorsitzenden am Ende der Sitzung, ob noch Erklärungen abgegeben würden, hätte er entsprechend reagieren müssen. Darüber hinaus sei der Ablehnungsantrag in der Sache nicht begründet. Bei der zitierten Frage habe es sich der Sachlage nach um eine verständliche Unmutsäußerung des [X.] gehandelt. Möglicherweise habe die Frage des [X.] bei dem Angeklagten zwar ein Befremden ausgelöst. Doch habe der Schöffe in seiner dienstlichen Erklärung nachvollziehbar dargestellt, wie es zu der spontanen Äußerung gekommen sei. Zudem habe er sich entschuldigt und seine fortbestehende Objektivität versichert. Damit habe er mögliche Zweifel an seiner Unparteilichkeit wieder ausgeräumt.

7

2. Die in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobene Rüge ist begründet.

8

a) Das Ablehnungsgesuch war nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO unzulässig.

9

Nach § 25 Abs. 2 Satz 1, § 31 Abs. 1 StPO ist die Ablehnung eines [X.] nach der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person nur noch zulässig, wenn die Umstände, auf die die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekannt geworden sind und die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird. An die Auslegung des Begriffs "unverzüglich" ist im Interesse einer zügigen Durchführung des Verfahrens ein strenger Maßstab anzulegen. Die Ablehnung muss zwar nicht "sofort", aber "ohne schuldhaftes Zögern", d.h. ohne unnötige, nicht durch die Sachlage begründete Verzögerungen geltend gemacht werden. Durch die Sachlage begründet ist indes eine Verzögerung, die dadurch entsteht, dass der Antragsteller, nachdem er Kenntnis vom Ablehnungsgrund erlangt hat, eine gewisse [X.] zum Überlegen und zum Abfassen des Gesuchs benötigt. Welche [X.]spanne dafür zuzubilligen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab ([X.], Beschlüsse vom 27. August 2008 - 2 StR 261/08, [X.], 223, 224; vom 8. Juni 2016 - 5 StR 48/16, juris Rn. 8).

Danach war das Ablehnungsgesuch vorliegend unverzüglich angebracht. Es war dem Angeklagten unbenommen, nach dem "spontanen" Einwurf des [X.] zunächst seine Einlassung zu Ende zu führen. Auch auf die vor Unterbrechung der Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden, ob noch Erklärungen abgegeben werden sollen, musste der Angeklagte nicht sofort reagieren. Vielmehr war ihm insoweit eine Überlegungsfrist einschließlich einer Beratung mit seinem Verteidiger zuzubilligen, der seinerseits eine gewisse [X.] zur Abfassung des Antrags und dessen Versendung an das Gericht benötigte. Nachdem die Sitzung gegen 17.40 Uhr geschlossen worden war, wurde das Ablehnungsgesuch, das nicht einmal drei Stunden später per Fax beim [X.] einging, rechtzeitig angebracht.

b) Das Ablehnungsgesuch ist zu Unrecht verworfen worden. Das in dem Antrag dargelegte Misstrauen in die Unparteilichkeit des [X.] war gerechtfertigt.

Die Ablehnung eines [X.]s ist nach § 24 Abs. 2 StPO, der nach § 31 Abs. 1 StPO auch für einen [X.] gilt, gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der [X.] nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, [X.]R StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 21; Beschlüsse vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, [X.]R StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 23; vom 12. Januar 2016 - 3 [X.], [X.], 218, 219).

Danach sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Ablehnung des [X.] erfüllt. Der Schöffe hat mit seiner Bemerkung deutlich gemacht, dass er der Einlassung des Angeklagten nicht nur nicht folgen werde, sondern sie für vollkommen unsinnig halte ("Quatsch"). Zwar mag es unter Umständen aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten hinnehmbar sein, wenn ein [X.] ihm in nachdrücklicher Form Vorhalte macht, sich in nach Sachlage noch verständlichen Unmutsäußerungen ergeht ("Unmutsaufwallungen") oder auf das nach dem gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis hinweist (vgl. [X.], Urteil vom 2. März 2004 - 1 StR 574/03, [X.], 208, 209). Indes sind solchen Unmutsäußerungen von Mitgliedern des erkennenden Gerichts als Reaktion auf das Verhalten anderer Verfahrensbeteiligter Grenzen gesetzt, die - je nach den Umständen des Einzelfalls - dann überschritten sind, wenn sie in der Form überzogen sind oder in der Sache auch bei einem vernünftigen Angeklagten die Befürchtung von Voreingenommenheit aufkommen lassen können (st. Rspr.; etwa [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2011 - 4 [X.], [X.], 570 f. mwN). Danach kann von einer bloßen "Unmutsaufwallung" nicht mehr die Rede sein, wenn ein Schöffe wie hier in grob unsachlicher Weise die Einlassung des Angeklagten als unsinnig bewertet. Dass es dem [X.] auch nicht etwa darum ging, den Angeklagten auf gewisse Bedenken gegen die Einlassung hinzuweisen, um diesem die Chance zu eröffnen, diese auszuräumen, zeigt dabei nicht nur die Wortwahl, sondern auch der Umstand, dass er das Ende der Einlassung nicht einmal abgewartet hat. Auch aus der Sicht eines verständigen Angeklagten musste damit der Eindruck entstehen, dass der Schöffe seine Angaben nicht unparteiisch prüfen werde.

Die dienstliche Äußerung des abgelehnten [X.] war nicht geeignet, das durch seine Bemerkung bedingte berechtigte Misstrauen des Beschwerdeführers in dessen Unparteilichkeit auszuräumen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. September 2008 - 1 [X.], [X.], 159, 160; vom 4. März 2009 - 1 StR 27/09, [X.], 701; vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 287/10, [X.], 72). Diese war vielmehr geeignet, die Berechtigung des durch den Einwurf des [X.] genährten Misstrauens des [X.] zu vertiefen (vgl. [X.], Urteil vom 18. Oktober 2012 - 3 [X.], [X.], 155, 156). Indem der Schöffe seine spontane Frage dahingehend zu erklären versuchte, dass er lediglich habe wissen wollen, ob der Angeklagte mit seinen Äußerungen ernst genommen werden wolle oder ob es sich dabei für alle erkennbar um provozierenden Unsinn handele, machte er deutlich, auch aus einer gewissen Distanz heraus die Einlassung des Angeklagten weiterhin als entweder nicht ernst gemeint oder als "Unsinn" zu bewerten. Seine nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck der Hauptverhandlung abgegebene Stellungnahme verdeutlicht somit, dass es sich bei seiner Frage gerade nicht um eine durch das Prozessgeschehen provozierte bloße "Unmutsaufwallung" handelte. Darauf, ob der Schöffe selbst sich als "weiterhin unvoreingenommen" ansieht, kommt es dabei nicht an.

Das Urteil war somit auf die Verfahrensrüge des Angeklagten S.     hin, soweit es ihn betrifft, aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Für die neu zu treffende Entscheidung weist der [X.] darauf hin, dass das [X.] es vorliegend versäumt hat, hinsichtlich der einbezogenen Strafen das Datum einer etwaigen Rechtskraft der Vorverurteilungen sowie den [X.] bezüglich der darin verhängten Strafen zum [X.]punkt der Hauptverhandlung festzustellen. Deshalb hätte der [X.] nicht zu überprüfen vermocht, ob das [X.] die beiden von ihm ausgesprochenen Gesamtstrafen gegen den Angeklagten rechtlich zutreffend gebildet hat. Dies wird die nunmehr zuständige Strafkammer bei einer gegebenenfalls neu auszusprechenden Gesamtstrafe zu beachten haben. Dabei werden etwaige neue Gesamtstrafenbildungen nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum [X.]punkt des ersten tatrichterlichen Urteils vorzunehmen sein ([X.], Beschluss vom 2. März 2010 - 3 [X.], [X.], 202, 203 mwN).

II. Die Revision des Angeklagten W.

Die Revision des Angeklagten [X.]hat lediglich den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, wie der [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat.

Der [X.] hat keinen Bestand. Das [X.] hat in die vorliegend verhängte Gesamtstrafe die Strafe aus einem Urteil des [X.] vom 3. November 2015 einbezogen. Die dieser Verurteilung zugrundeliegende Tat wurde jedoch bereits am 23. Dezember 2013 und damit vor einem Urteil des [X.] vom 15. April 2014 begangen, so dass dieses Zäsurwirkung entfalten könnte. Da das [X.] zum [X.] hinsichtlich der Strafe aus dem Urteil vom 15. April 2014 - wie auch zu allen späteren Vorverurteilungen zu Geldstrafen - keine Feststellungen getroffen hat, ist dem [X.] eine dahingehende Prüfung verwehrt. Der [X.] unterliegt deshalb der Aufhebung. Über ihn muss insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.

Für die neu zu treffende Entscheidung weist der [X.] auf Folgendes hin:

Sollte wegen einer möglichen Zäsurwirkung des Urteils des [X.] vom 15. April 2014 oder einer der späteren Verurteilungen des Angeklagten eine Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 3. November 2015 nicht in Betracht kommen, so wird über eine mögliche Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 19. April 2016 zu entscheiden sein.

[X.]     

        

Gericke     

        

Spaniol

        

Berg      

        

Leplow      

        

Meta

3 StR 559/17

06.03.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 9. Februar 2017, Az: 21 KLs 10/16

§ 26a Abs 1 Nr 1 StPO, § 31 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.03.2018, Az. 3 StR 559/17 (REWIS RS 2018, 12838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12838

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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