Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2022, Az. 5 StR 460/21

5. Strafsenat | REWIS RS 2022, 3995

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Gegenstand

Revisionsbegründung in Strafsachen: Notwendige Ausführungen zur Befangenheit eines Schöffen wegen Vorbefassung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. April 2021 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

Die Rüge der Mitwirkung eines wegen [X.] abgelehnten [X.]s erweist sich als unzulässig.

1. So teilt die Revision schon die Tatsachen nicht mit, die für die Prüfung von Bedeutung sind, ob der Befangenheitsantrag unverzüglich im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO gestellt wurde (vgl. [X.], Beschluss vom 17. November 2015 - 4 StR 276/15, [X.], 627; Urteil vom 7. Februar 2022 - 5 [X.] Rn. 54). Nach dem [X.] habe der Angeklagte nach Unterbrechung der Sitzung am 7. Mai 2020 um 10.47 Uhr ein einstündiges Beratungsgespräch mit seiner Verteidigerin geführt, bevor diese in einen etwa eineinhalbstündigen „[X.]“ mit den [X.] eingetreten sei. Nach dessen Ende habe der Angeklagte im Rahmen eines erneuten Beratungsgesprächs am Nachmittag seine Verteidigerin beauftragt, das Ablehnungsgesuch anzubringen. Die Verteidigerin sei um 18 Uhr an ihrem Kanzleisitz eingetroffen und habe das Ablehnungsgesuch noch an diesem Tag formuliert und am darauffolgenden Tag dem Gericht [X.]. Bleibt danach schon offen, warum das Ablehnungsgesuch nicht bereits nach dem ersten Beratungsgespräch eingelegt worden ist, so schweigt die Revision zudem dazu, wann das Gesuch am 8. Mai 2020 übersandt worden ist. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang, denn bei dem zum Gegenstand der Revisionsbegründung gemachten Ablehnungsgesuch handelt es sich um das per Post übersandte, welches den Eingangsstempel vom 11. Mai 2020 trägt.

2. Die Revision trägt zudem entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO keine Tatsachen vor, bei deren Vorliegen die Besorgnis der Befangenheit gegen den abgelehnten [X.] begründet wäre.

a) Der Befangenheitsantrag wird darauf gestützt, dass die [X.] auch eines [X.] zwar keine Befangenheit begründe, vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten müssten, wobei das Vorliegen solcher Umstände aber behauptet wird. Außer dem Verweis auf eine [X.], die sich daraus ergebe, dass der Angeklagte des früheren Verfahrens wegen der Taten verurteilt worden sei, die auch dem Angeklagten zur Last gelegt werden, und dem darauf beruhenden „weitergehenden Kenntnisstand“ des [X.] werden aber keine Tatsachen geltend gemacht, die solche Umstände belegen. Vor allem fehlt es am Vortrag des früheren Urteils.

b) Dessen hätte es aber bedurft ([X.], Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 [X.], [X.], 550; vgl. zur Unzulässigkeit schon des Antrags gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO [X.], Beschlüsse vom 18. November 2008 - 1 [X.], [X.], 85; vom 19. April 2018 - 3 StR 23/18, NStZ-RR 2018, 252; Urteil vom 23. Januar 2019 - 5 [X.], NStZ-RR 2019, 120). Denn hierzu gilt:

Eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden [X.]s, soweit sie nicht gesetzliche Ausschlussgründe erfüllt, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des [X.]s im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Januar 2012 - 3 [X.], [X.], 519, 520; vom 10. Januar 2018 - 1 [X.], [X.], 550; vgl. auch [X.], Urteil vom 10. August 2006 - Nr. 75737/01, [X.], 406). Dies gilt auch für die Verurteilung eines Mittäters, selbst wenn die Schilderung des Tatgeschehens auch Handlungen des [X.] einschließt. Dabei gelten bei [X.] grundsätzlich keine anderen Maßgaben für die Unvoreingenommenheit als bei Berufsrichtern ([X.], Urteil vom 17. Juli 1996 - 5 [X.], [X.]St 42, 191,193 f.). Etwas anderes gilt nach innerstaatlicher Rechtsprechung nur dann, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Besorgnis rechtfertigen, der [X.] sei nicht bereit, sich von seiner bei der Vorentscheidung gefassten Meinung zu lösen, etwa wenn er unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den Angeklagten geäußert hat ([X.], Beschlüsse vom 27. April 1972 - 4 StR 149/72, [X.]St 24, 336, 338; vom 10. Januar 2012 - 3 [X.], [X.], 519, 520 f.; vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13; vom 10. Januar 2018 - 1 [X.], [X.], 550; vgl. auch [X.] aaO).

c) Auch die aktuelle Rechtsprechung des [X.] zur Befangenheit bei [X.] (Urteil vom 16. Februar 2021 - Nr. 1128/17, NJW 2021, 2947) führt nicht zu demgegenüber herabgesetzten Vortragserfordernissen. Denn auch der Gerichtshof betont, dass es für Zweifel an der Unparteilichkeit - die er unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 [X.] prüft - nach wie vor nicht ausreiche, dass der [X.] frühere Entscheidungen wegen derselben Strafsache erlassen oder in einem gesonderten Strafverfahren gegen Mitbeschuldigte verhandelt habe. Die objektiv gerechtfertigte Besorgnis der Befangenheit (vgl. zur Prüfung nach einem subjektiven und objektiven Ansatz [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 - Nr. 10211/12, 27505/14; vom 16. Februar 2021 - Nr. 1128/17, NJW 2021, 2947) könne aber darin begründet liegen, dass der [X.] in einem früheren Urteil umfangreiche Tatsachenfeststellungen getroffen habe, die die Schuld des jetzigen Angeklagten vorwegnehmen, und er mithin eine vorgefasste Meinung über seine Schuld habe. Dies könne zum Beispiel in Formulierungen zum Ausdruck kommen, die über die zur rechtlichen Einstufung der Tat des Mittäters erforderlichen Feststellungen hinausgingen.

Selbst wenn bei der danach erforderlichen Abwägung einzustellen sein sollte, dass [X.] sich nicht so gut von früheren Eindrücken freimachen könnten wie Berufsrichter (vgl. hierzu [X.] aaO Rn. 51), kann in Ermangelung des Vortrags des früheren Urteils eine Prüfung nach diesen Maßgaben nicht erfolgen. Auf der Grundlage des derart mangelhaften Vortrags ergibt sich schon kein Anhalt dafür, dass sich der Schöffe in dem früheren Verfahren überhaupt mit einer Einbindung des hiesigen Angeklagten befasst hat. Die dort verurteilten Taten werden als Handel mit Betäubungsmitteln beschrieben, die Feststellungen werden nur dahin wiedergegeben, dass Lieferant der gehandelten Betäubungsmittel ein „Verkäufer aus [X.] mit dem Spitznamen [X.] - bei dem es sich möglicherweise um einen              [X.].      handele - “ sei, was eine Bewertung von [X.] des Angeklagten nicht nahelegt. Eine Prüfung, ob das frühere Urteil die Schuld des Angeklagten vorwegnehmende Feststellungen enthielt, ist damit nicht möglich.

3. Die erhobene Verfahrensrüge hätte auf der Grundlage des Revisionsvorbringens auch in der Sache keinen Erfolg, da keine Umstände vorgetragen sind, aus denen die Besorgnis der Befangenheit des [X.] hätte resultieren können. Allein die [X.] mit dem Verfahrensgegenstand reicht dabei angesichts des vorstehend [X.] nicht aus.

[X.]     

      

      

      

Ri[X.] Gericke und
Ri[X.] Prof. Dr. Mosbacher
sind im Urlaub und können
nicht unterschreiben.

      

      

      

      

[X.]

      

Köhler     

      

Resch     

      

Meta

5 StR 460/21

07.06.2022

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bremen, 30. April 2021, Az: 4 KLs 14/20

§ 24 Abs 2 StPO, § 338 Nr 1 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2022, Az. 5 StR 460/21 (REWIS RS 2022, 3995)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3995

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 195/23

3 StR 434/22

2 BvR 1122/22

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