Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2017, Az. XI ZB 14/17

11. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 372

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax am Tag des Fristablaufs


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 21. April 2017 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 235.000 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich mit der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung aus drei notariellen Urkunden, die im Zusammenhang mit dem durch ein Darlehen der Beklagten finanzierten Erwerb einer Eigentumswohnung errichtet wurden.

2

Das [X.] hat die Klage mit Urteil vom 2. November 2016 abgewiesen. Das Urteil ist dem Klägervertreter am 21. November 2016 zugestellt worden. Der Kläger hat gegen das Urteil des [X.]s am 20. Dezember 2016 Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 3. Januar 2017 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Vorsitzende des [X.] hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 6. Februar 2017 verlängert.

3

Der Kläger hat die Berufungsbegründung per Telefax übersandt. Ausweislich des [X.]s des Empfangsgeräts des Berufungsgerichts hat der [X.] der auf der letzten Seite unterzeichneten Berufungsbegründung am 6. Februar 2017 um 23.58 Uhr begonnen und 12 Minuten und 56 Sekunden gedauert. Im [X.] daran ist die Berufungsbegründung erneut, diesmal auf allen Seiten unterzeichnet, übertragen worden.

4

Nach Hinweis des Berufungsgerichts auf die Fristversäumung hat der Kläger am 21. Februar 2017 beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er hat dies damit begründet, dass sein Prozessbevollmächtigter den [X.] der 22 Seiten umfassenden Berufungsbegründung am 6. Februar 2017 um ca. 23.37 Uhr eingeleitet habe. Erst ca. 18 Minuten nach Beginn des Wahlvorgangs sei eine Verbindung zustande gekommen. Mit einer Belegung des Telefaxgerätes bei dem [X.] von ca. 20 Minuten, die ungewöhnlich lang sei, habe der Prozessbevollmächtigte nicht rechnen müssen. Bei normalem Lauf der Dinge wäre allenfalls mit einer Belegung von wenigen Minuten zu rechnen gewesen und dann wäre die Berufungsbegründung trotz der ebenfalls ungewöhnlich langen [X.] für die Übertragung, die normalerweise nur 16 bis 26 Sekunden pro Seite dauere, noch rechtzeitig eingegangen.

5

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist versäumt und ihm sei gegen die Versäumung dieser Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er die Frist nicht ohne das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt habe. Diesem sei vorzuwerfen, dass er mit der Übermittlung der Berufungsbegründung nicht so rechtzeitig begonnen habe, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss am Tag des Fristablaufs bis 24.00 Uhr hätte gerechnet werden dürfen. Die Belegung des gerichtseigenen Telefaxanschlusses durch andere eingehende Sendungen sei eine an Werktagen kurz vor Mitternacht allgemein zu beobachtende Erscheinung, der ein Rechtsmittelführer durch einen zeitlichen Sicherheitszuschlag Rechnung zu tragen habe. Nicht ausreichend sei es daher, wenn mit der Übermittlung eines umfangreicheren Schriftsatzes - wie hier - erst eine halbe Stunde vor Mitternacht begonnen werde. Es komme nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] mit einer Übertragungsdauer von nur 16 bis 26 Sekunden pro Seite habe rechnen können, weil auch bei der dann anzunehmenden Übertragungszeit von bis zu 9 1/2 Minuten der sich ergebende Sicherheitszuschlag von lediglich ca. 14 Minuten zu gering gewesen sei.

6

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.

7

[X.] ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des [X.] ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des [X.] oder des [X.] vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. [X.] 77, 275, 284; [X.], NJW 2003, 281).

8

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Berufungsbegründungsfrist durch das Verschulden des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des [X.], das dieser sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, versäumt worden ist. Diese Beurteilung überspannt unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen nicht die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen.

9

Zwar durfte der Prozessbevollmächtigte des [X.] bei der Erstellung und Übermittlung der Berufungsbegründung die ihm dafür eingeräumte Frist bis zur äußersten Grenze ausschöpfen ([X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011 - [X.], juris Rn. 9 mwN und vom 16. Dezember 2015 - [X.], juris Rn. 13). Ein Rechtsanwalt, der einen fristgebundenen Schriftsatz - wie hier - am letzten [X.], muss aber sicherstellen, dass der Schriftsatz auf dem gewählten Übertragungsweg noch rechtzeitig vor Fristablauf bei Gericht eingeht ([X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO und vom 16. Dezember 2015, aaO). Das zur Fristwahrung Gebotene hat der Anwalt bei der Übermittlung des Schriftsatzes per Fax daher nur getan, wenn er mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen hat, dass unter gewöhnlichen Umständen mit ihrem Abschluss am Tage des Fristablaufs bis 24.00 Uhr hätte gerechnet werden können ([X.] 135, 126, 139 Rn. 33; [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO, vom 16. Dezember 2015, aaO und vom 26. Januar 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 629 Rn. 10).

Dabei muss eine Partei nach ständiger Rechtsprechung Verzögerungen einkalkulieren, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, wozu - insbesondere auch in den Abend- und Nachtstunden - die Belegung des [X.] bei Gericht durch andere eingehende Sendungen gehört ([X.] 135, 126, 139 f. Rn. 34; [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011 - [X.], juris Rn. 10, vom 16. Dezember 2015 - [X.], juris Rn. 14 und vom 26. Januar 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 629 Rn. 10; [X.], [X.]/NV 2010, 919 Rn. 5). Die Belegung des gerichtseigenen Telefaxanschlusses durch andere eingehende Sendungen ist eine kurz vor Fristablauf allgemein zu beobachtende Erscheinung, die verschiedentlich Gegenstand der Rechtsprechung war und der der Anwalt im Hinblick auf die ihm obliegende Sorgfaltspflicht durch einen zeitlichen Sicherheitszuschlag Rechnung tragen muss ([X.] 135, 126, 139 f. Rn. 34 mwN; [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO, vom 16. Dezember 2015, aaO und vom 26. Januar 2017, aaO). Dass das Empfangsgerät eines Gerichts in den Abend- und Nachtstunden für eine [X.] von zwanzig Minuten belegt ist, ist - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - kein ungewöhnliches Ereignis, mit dem der Absender des Telefax nicht rechnen muss (vgl. [X.] 135, 126, 140 Rn. 36; [X.], Beschlüsse vom 2. Juli 2014 - 1 BvR 862/13, juris Rn. 3, vom 23. Juni 2016 - 1 BvR 1806/14, juris Rn. 3 f. und vom 23. Dezember 2016 - 1 BvR 3511/13, juris Rn. 3; [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2011, aaO und vom 26. Januar 2017, aaO; BVerwG, Beschluss vom 25. Mai 2010 - 7 [X.]/10, juris Rn. 6; BVerwG, NVwZ-RR 2015, 392 Rn. 2; [X.], [X.]/NV 2004, 519, 520, [X.]/NV 2010, 919 Rn. 5 und [X.]/NV 2016, 214 Rn. 6).

Nach diesen Maßgaben hat hier der Prozessbevollmächtigte des [X.] zu spät mit der Übermittlung der Berufungsbegründung begonnen. Ausweislich der Schilderung im Wiedereinsetzungsgesuch hat er den [X.] gegen 23.37 Uhr eingeleitet. Auf der Grundlage der vom Kläger vorgetragenen Erfahrungswerte bezüglich der Dauer der Übermittlung eines Telefax von bis zu 26 Sekunden pro Seite ergibt sich aber für die 22 Seiten umfassende Berufungsbegründung eine Übermittlungsdauer von 9 Minuten und 32 Sekunden. Unter Berücksichtigung des nach der oben genannten Rechtsprechung einzuplanenden Sicherheitszuschlags von 20 Minuten hätte der Prozessbevollmächtigte des [X.] noch vor 23.31 Uhr mit der Übermittlung der Berufungsbegründung beginnen müssen. Um diese [X.] war das Faxgerät des Berufungsgerichts - auch nach dem [X.] dieses Gerätes, auf das die Rechtsbeschwerde Bezug nimmt - noch nicht belegt, so dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten sei nicht ursächlich für die Fristversäumung geworden.

[X.]     

      

Grüneberg     

      

Maihold

      

Menges     

      

Derstadt     

      

Meta

XI ZB 14/17

19.12.2017

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 21. April 2017, Az: 5 U 171/16

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.12.2017, Az. XI ZB 14/17 (REWIS RS 2017, 372)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 372

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI ZB 14/17 (Bundesgerichtshof)


III ZB 54/18 (Bundesgerichtshof)

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Sicherstellung der Fristwahrung bei Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax; …


III ZB 24/14 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax kurz vor Mitternacht am Abend …


III ZB 24/14 (Bundesgerichtshof)


VI ZB 60/19 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Sorgfaltsanforderungen bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.