Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2014, Az. 8 AZR 662/13

8. Senat | REWIS RS 2014, 5340

MIETSACHEN RÜCKWIRKUNG DER ZUSTELLUNG § 167 ZPO

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Gegenstand

(Frist des § 15 Abs. 4 AGG - Anwendbarkeit des § 167 ZPO - Behinderung - angemessene Vorkehrungen des Arbeitgebers)


Leitsatz

Die nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG erforderliche Schriftform zur Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) kann auch durch eine Klage gewahrt werden. Dabei findet § 167 ZPO Anwendung. Es genügt der rechtzeitige Eingang der Klage bei Gericht, wenn die Klage "demnächst" zugestellt wird.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 30. Mai 2013 - 4 [X.]/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche.

2

Die Klägerin, die wegen einer Erkrankung an multipler Sklerose ([X.]) mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 schwerbehindert ist, bewarb sich gegen Ende ihrer dreijährigen Ausbildung zur Fachangestellten für Bäderbetriebe bei der [X.], die Hallen- und Freibäder betreibt. Die ausgeschriebene, der Ausbildung der Klägerin entsprechende Stelle sollte ua. die Beaufsichtigung und die Kontrolle des [X.] einschließlich des Rettungsdienstes, die Betreuung der Badegäste, die Erteilung von Schwimmunterricht und die Durchführung von Aquafitnesskursen beinhalten. Die Beklagte stellte der Klägerin einen befristeten Arbeitsvertrag als Elternzeitvertretung in Aussicht, ein [X.] wurde übersandt. Anlässlich einer Besichtigung des zukünftigen Arbeitsplatzes teilte die Klägerin ihre Behinderung mit. Die Beklagte zog daraufhin das Vertragsangebot zurück. Die Klägerin erhob ohne gesonderte außergerichtliche Geltendmachung Klage auf Schadensersatz und Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG, die der [X.] einen Tag nach Ablauf der Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG zugestellt wurde.

3

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Fahrtkosten nach § 15 Abs. 1 AGG und eine angemessene Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu, weil sie wegen ihrer Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Sie sei objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet. Sie habe sämtliche für die Einstellung erforderlichen Abschlüsse und Bescheinigungen vorgelegt. Körperliche Einschränkungen bestünden im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen bei der [X.] nicht. Das zeige auch das vom Arbeitsgericht eingeholte neurologische Sachverständigengutachten vom 17. September 2012. Ihre Krankheit sei frühzeitig erkannt und ihr sei dementsprechend früh durch medikamentöse Einstellung begegnet worden. Die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG sei eingehalten worden, § 167 ZPO sei hier anwendbar.

4

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Entschädigung in Höhe von 4.500,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der [X.] seit dem 29. Februar 2012 zu zahlen;

        

2.    

die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 90,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der [X.] seit dem 29. Februar 2012 zu zahlen.

5

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Klägerin habe ihre Ansprüche nicht rechtzeitig geltend gemacht. Gesucht worden sei für den Aufgabenbereich einschließlich einer Rettung von in Not geratenen Badegästen, darunter viele Kinder, eine Person mit vollständiger Gesundheit und darüber hinaus überdurchschnittlicher gesundheitlicher Konstitution. Darüber verfüge die Klägerin wegen ihrer Erkrankung an [X.] nicht. Sie sei, so habe es auch die Abstimmung mit dem Betriebsarzt ergeben, nicht in der Lage, die Tätigkeit auszuüben. Das ergebe sich auch aus dem Sachverständigengutachten vom 17. September 2012. Nach § 8 Abs. 1 AGG sei eine unterschiedliche Behandlung wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung zulässig.

6

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und der Klägerin Schadensersatz und eine Entschädigung in der zuletzt beantragten Höhe zugesprochen. Das [X.] hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

8

A. Das [X.] hat die Klage wegen Nichteinhaltung der Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] abgewiesen. Wie auch aus der Entscheidung des [X.]s vom 21. Juni 2012 (- 8 [X.] - [X.], 143) hervorgehe, finde - entgegen der Auffassung der Klägerin - § 167 ZPO auf diese Frist keine Anwendung.

9

B. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Die Klägerin hat ihre Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 [X.] rechtzeitig geltend gemacht. Auf § 15 Abs. 4 [X.] findet § 167 ZPO Anwendung. Damit kommt es für den Zugang auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift bei Gericht an. Der [X.] hält an seiner früher als obiter dictum geäußerten gegenteiligen Auffassung ([X.] 21. Juni 2012 - 8 [X.] - Rn. 27, [X.]E 142, 143) nicht fest.

I. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] sind Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]), soweit tarifvertraglich nicht anderes vereinbart ist, innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend zu machen. Die erforderliche Schriftform kann auch durch eine Klage gewahrt werden ([X.] 21. Juni 2012 - 8 [X.] - Rn. 27, [X.]E 142, 143). Bei dieser Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist ([X.] 21. Juni 2012 - 8 [X.] - Rn. 19, aaO).

II. Die Klägerin, die mit dem Zugang des auf die Behinderung als Ablehnungsgrund Bezug nehmenden Ablehnungsschreibens der [X.]n am 28. Dezember 2011 Kenntnis von der behaupteten Benachteiligung erlangt hatte, hat ihren Anspruch mit ihrer am 20. Februar 2012 bei Gericht eingegangenen Klageschrift rechtzeitig geltend gemacht. Die Zustellung der Klage an die [X.] am 29. Februar 2012 ist „demnächst“ iSd. § 167 ZPO - also ohne der Klägerin zuzurechnende Verzögerungen im Zustellungsverfahren (vgl. ua. [X.] 23. August 2012 - 8 [X.] - Rn. 30 ff., [X.]E 143, 50) - vorgenommen worden. Gleichzeitig wurde die im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch maßgebende dreimonatige Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG eingehalten.

1. § 167 ZPO ist grundsätzlich in den Fällen anwendbar, in denen durch die Zustellung einer Klage eine Frist gewahrt werden soll, die auch durch außergerichtliche Geltendmachung eingehalten werden kann. In Sonderfällen kommt die Rückwirkungsregelung nicht zur Anwendung.

a) In der älteren Rechtsprechung des [X.] und in der Literatur wurde die Ansicht vertreten, die Regelung des § 167 ZPO über die Rückwirkung der Zustellung auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage gelte nur für Fälle, in denen eine Frist lediglich durch Inanspruchnahme der Gerichte gewahrt werden könne. Dies wurde insbesondere mit dem aus der Entstehungsgeschichte zu erschließenden Sinn und Zweck der Vorschrift begründet. Deshalb wurde § 167 ZPO in Fällen nicht für anwendbar gehalten, in denen durch die Zustellung die - auch durch außergerichtliche Geltendmachung zu wahrenden - Fristen zur Erklärung einer Mieterhöhung, zur Anfechtung wegen Irrtums und zur Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft eingehalten werden sollten. Nur in Sonderfällen - wenn die gesetzliche oder vertragliche Regelung, aus der sich die zu wahrende Frist ergibt, einer eingeschränkten Anwendung der Rückwirkungsregelung entgegensteht - sollte anderes gelten (im Einzelnen dazu: [X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - Rn. 21 f. [X.], [X.]Z 177, 319). Das [X.] hat für tarifvertragliche Ausschlussfristen entschieden, dass dann, wenn der Gläubiger die Möglichkeit hat, die Ausschlussfrist auch in anderer Form - zB durch einfaches Schreiben - einzuhalten, aber dennoch die Form der Klage wählt, es zu seinen Lasten geht, wenn die Klageschrift nicht innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist dem Schuldner zugestellt wird ([X.] 25. September 1996 - 10 [X.] - zu II 3 und II 4 der Gründe [X.]).

b) Der [X.] schließt sich für den Anspruch aus § 15 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] der geänderten Rechtsprechung des [X.] ([X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - [X.]Z 177, 319) zum Regel-/Ausnahmeverhältnis der Anwendung des § 167 ZPO bei der außergerichtlichen fristgebundenen Geltendmachung an.

aa) Unter den verschiedenen Möglichkeiten für den Zugang einer Willenserklärung lässt § 132 Abs. 1 Satz 1 BGB - anstelle des Zugangs - die Zustellung einer Willenserklärung durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers zu. Sie entfaltet Rückwirkung. Es ist nicht gerechtfertigt, einer Zustellung durch Vermittlung des Gerichts in gleichartigen Fällen die Rückwirkung zu versagen.

(1) Mit einer Zustellung nach § 132 Abs. 1 Satz 1 BGB können Fristen eingehalten werden, die nicht gerichtlicher Geltendmachung bedürfen. Soll durch eine solche Zustellung eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung nach § 132 Abs. 1 Satz 2 BGB iVm. §§ 191, 192 Abs. 2 Satz 1, § 167 ZPO bereits mit Übergabe des die Willenserklärung enthaltenden Schriftstücks an den Gerichtsvollzieher ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt ([X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - Rn. 24 [X.], [X.]Z 177, 319).

Das gilt auch für rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen (ohne Weiteres vorausgesetzt auch durch [X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - Rn. 24 f., [X.]Z 177, 319). Sie stehen Willenserklärungen regelmäßig so nahe, dass viele Bestimmungen über Willenserklärungen - etwa betreffend den hier interessierenden Zugang - grundsätzlich entsprechend anzuwenden sind ([X.] 9. Dezember 2008 - 1 [X.] - Rn. 36 [X.], [X.]E 128, 364; [X.] 17. Oktober 2000 - [X.] - zu II 1 b der Gründe [X.], [X.]Z 145, 343; vgl. im Übrigen [X.] 19. August 2010 - 8 [X.] - Rn. 43 [X.]; 26. April 2006 - 5 [X.] - Rn. 19 [X.], [X.]E 118, 60). § 132 Abs. 1 Satz 1 BGB findet auch im Arbeitsrecht Anwendung (so setzen die Anwendbarkeit des § 132 BGB im Arbeitsrecht voraus ua.: [X.] 7. November 2002 - 2 [X.] - zu [X.] 3 a der Gründe, [X.]E 103, 277; 12. Juli 1984 - 2 [X.] -; 30. Juni 1983 - 2 [X.] - zu [X.] [X.] der Gründe, [X.]E 43, 148; 25. Februar 1983 - 2 [X.] - zu [X.] [X.] der Gründe; vgl. auch [X.] 10. Aufl. § 4 [X.] Rn. 115 f.).

(2) Für eine Zustellung durch Vermittlung des Gerichts gilt in gleichartigen Fällen nichts anderes. Bei der Geltendmachung einer Forderung handelt es sich um einen gleichartigen Fall.

(a) Der Wortlaut des § 167 ZPO gibt dazu keinen Aufschluss; Gegenteiliges ist nicht enthalten.

(b) Die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sprechen für eine Anwendung des § 167 ZPO bei einer Zustellung durch Vermittlung des Gerichts im Hinblick auf die Wahrung einer Frist, die auch durch außergerichtliche Geltendmachung eingehalten werden kann. Wer mit der Klage die stärkste Form der Geltendmachung von Ansprüchen wählt, muss sich deshalb darauf verlassen können, dass die Einreichung der Klageschrift die Frist wahrt ([X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - Rn. 25 [X.], [X.]Z 177, 319). Dies gilt umso mehr, wenn - wie im Fall des § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] - die Schriftform auch durch eine Klage gewahrt werden kann.

(c) Die Geltendmachung eines Anspruchs iSv. § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist zwar keine - in § 132 Abs. 1 Satz 1 BGB ausdrücklich genannte - Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung ([X.] 19. August 2010 - 8 [X.] - Rn. 44). Ebenso wie der [X.] für die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach § 26 Abs. 3 [X.] aF, bei dem es sich ebenfalls nicht um eine Willenserklärung handelt, einen gleichartigen Fall angenommen hat, gilt das auch für § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.].

bb) In Sonderfällen, die dies nach dem besonderen Sinn und Zweck der Fristbestimmung erfordern, kommt die Rückwirkungsregelung ausnahmsweise nicht zur Anwendung (vgl. [X.] 17. Juli 2008 - I [X.]/05 - Rn. 21, 26, [X.]Z 177, 319, mit [X.] früherer und aktueller Rechtsprechung).

2. § 15 Abs. 4 [X.] ist kein Sonderfall im Hinblick auf die Anwendung des § 167 ZPO. Für eine Ausnahmekonstellation gibt es bei dieser Geltendmachungsfrist keinen Anhaltspunkt, Sinn und Zweck der Regelung gebieten solches nicht.

Über eine Anwendung des § 167 ZPO in anderen Bereichen des Arbeitsrechts hatte der [X.] nicht zu entscheiden.

a) Zwar soll sich der Arbeitgeber nach der Gesetzesbegründung ([X.]. 16/1780 S. 38) angesichts der in § 22 [X.] getroffenen Beweislastverteilung - der in der Regel nur dann genügt werden kann, wenn die Kriterien und Grundlagen der Einstellungsentscheidung dokumentiert worden sind - darauf verlassen können, dass nach Fristablauf Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] nicht mehr gegen ihn erhoben werden und Dokumentationen über Einstellungsverfahren nicht bis zum Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren aufbewahrt zu werden brauchen ([X.] 15. März 2012 - 8 [X.] - Rn. 50 [X.]).

b) Jedoch tritt mit dem Ablauf von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung kein umfassendes Ende von Geltendmachungsmöglichkeiten ein.

aa) Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 2 [X.] grundsätzlich mit dem „Zugang der Ablehnung“, jedoch nicht vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt. Hierüber gibt die bloße Ablehnung der Bewerbung durch den Arbeitgeber nicht in jedem Fall zwingend Auskunft (vgl. [X.] 21. Juni 2012 - 8 [X.] - Rn. 24 [X.], [X.]E 142, 143; 15. März 2012 - 8 [X.] - Rn. 54 ff. [X.], [X.]E 141, 48). Erfährt der Betroffene den benachteiligungsbezogenen Ablehnungsgrund erst Monate nach dem Zugang der Ablehnung (Kenntnis), beginnt der Fristlauf erst dann.

bb) Zudem sind nach § 15 Abs. 5 [X.] Ansprüche, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt. Auch dies erfordert im Hinblick auf die Beweislastverteilung eine länger aufbewahrte Dokumentation als nur zwei Monate nach Zugang der Ablehnung.

cc) [X.] ist, dass eine absolute Zeitgrenze nicht besteht und bei [X.] auch eine Zustellung nach mehreren Monaten noch „demnächst“ sein kann (ua. [X.] 23. August 2012 - 8 [X.] - Rn. 31, [X.]E 143, 50). Eine solche Sondersituation kann nicht ausschlaggebend sein.

C. Das Urteil des [X.]s ist nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache nach § 563 Abs. 1 ZPO an das [X.] zurückzuverweisen. Der [X.] kann nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO abschließend entscheiden.

I. Ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin die geltend gemachten Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche zustehen, kann noch nicht festgestellt werden. Das [X.] hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - die erforderlichen Tatsachenbewertungen unterlassen. Hängt zudem die Höhe des [X.] - wie hier - von einem Beurteilungsspielraum ab, ist die Bemessung des [X.] grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (vgl. [X.] 24. Januar 2013 - 8 [X.] - Rn. 49; 13. Oktober 2011 - 8 [X.] - Rn. 58; 17. August 2010 - 9 [X.] - Rn. 64).

II. Bei der weiteren Behandlung der Sache ist zu berücksichtigen:

1. Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] liegt vor; die [X.] hat sich für ihre Ablehnung auf die Behinderung der Klägerin und damit auf einen in § 1 [X.] genannten Grund bezogen. Ob diese Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 [X.] zulässig ist - wie die [X.] meint, das Arbeitsgericht aber verneint hat -, hat das [X.] zu prüfen.

a) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 [X.] genannten Grundes ist nach § 8 Abs. 1 [X.] zulässig, wenn „dieser Grund“ wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist (vgl. auch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf [Richtlinie 2000/78/[X.]]). Allerdings muss - wenn dies auch in § 8 Abs. 1 [X.] nicht wortwörtlich zum Ausdruck kommt - nach der bei der Auslegung heranzuziehenden Bestimmung des Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/[X.] nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen (vgl. [X.] 13. September 2011 - [X.]/09 [[X.]] - Rn. 66, Slg. 2011, [X.]; 12. Januar 2010 - [X.]/08 [Wolf] - Rn. 35, Slg. 2010, [X.]). Das Merkmal, das im Zusammenhang mit einem der in § 1 [X.] genannten Benachteiligungsgründe steht, - oder sein Fehlen - kann nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 [X.] sein, wenn davon die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit abhängt ([X.] 18. März 2010 - 8 [X.] - Rn. 26).

b) Dazu sind vorliegend ua. folgende Gesichtspunkte einzubeziehen:

aa) Besondere körperliche Fähigkeiten sind eine wesentliche berufliche Anforderung im Hinblick auf die Kontrolle des [X.] einschließlich des Rettungsdienstes, da die Sicherheit der Badegäste betroffen ist und körperliche Schwächen beträchtliche Konsequenzen haben können (insoweit übertragbar [X.] 13. September 2011 - [X.]/09 [[X.]] - Rn. 67, Slg. 2011, [X.]).

Weiterhin gilt das für die Erteilung von Schwimmunterricht jedenfalls teilweise, ist aber auch nicht streitig zwischen den Parteien. Ebenso wenig ist im Streit zwischen den Parteien, dass für die Durchführung von Aquafitnesskursen grundsätzlich körperliche Fitnessanforderungen bestehen. Über die Angemessenheit der einzelnen [X.] herrscht ersichtlich kein Streit zwischen den Parteien.

bb) Ausweislich der für die Einstellung erforderlichen Abschlüsse und Bescheinigungen, darunter das der im [X.] abgeschlossenen einschlägigen Ausbildung besteht grundsätzlich die Eignung der Klägerin für die bei der [X.]n zu besetzende Stelle. Das bestreitet die [X.] auch nicht; im Gegenteil wollte sie die Klägerin auf dieser Grundlage für die zu vergebende Elternzeitvertretung einsetzen.

cc) Ob es sich bei dem Ausschluss der Klägerin wegen der [X.] um einen rechtmäßigen Zweck handelt, wird vor dem Hintergrund der [X.] zu prüfen sein. Wesentlich wird für die vom [X.] vorzunehmende Bewertung das neurologische Sachverständigengutachten vom 17. September 2012 sein. Dieses ist für den damaligen Zeitpunkt - um den allein es sich bei der hier betroffenen Einstellung, noch dazu für eine zeitlich befristete Vertretungstätigkeit handeln kann - von uneingeschränkter Arbeitsfähigkeit, auch bei körperlich anstrengender Tätigkeit ausgegangen. Mit einem plötzlichen Auftreten neurologischer Ausfallsymptome innerhalb weniger Stunden - wie beispielsweise bei einem Schlaganfall - sei nicht zu rechnen. Damit spricht viel dafür, dass der Einsatz der Klägerin - jedenfalls für das hier entscheidende, zum damaligen Zeitpunkt bestehende Erkrankungsbild - auch im Hinblick auf eine plötzlich eintretende Rettungssituation nicht negativ zu beurteilen ist.

Zu beachten ist in jedem Fall, dass nur unter sehr begrenzten Bedingungen eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein kann und § 8 Abs. 1 [X.] iVm. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.], soweit überhaupt eine Abweichung vom Diskriminierungsverbot ermöglicht ist, eng auszulegen ist (vgl. entsprechend in Bezug auf die Diskriminierung wegen des Alters: [X.] 13. September 2011 - [X.]/09 [[X.]] - Rn. 71 f., Slg. 2011, [X.], dort auch [X.] in Bezug auf die Diskriminierung wegen des Geschlechts).

Soweit die [X.] sich auf Passagen des Sachverständigengutachtens zu verschiedenen Faktoren einer langfristigen Prognose bezieht, ist nicht erkennbar, dass diese im Hinblick auf eine befristete Einstellung zur Vertretung von Bedeutung sein können.

dd) Zudem wird entscheidend zu berücksichtigen sein, dass ein Arbeitgeber, der eine Nichteinstellung darauf stützt, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht eingesetzt werden könne, sich nur dann auf § 8 Abs. 1 [X.] berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/[X.] iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des [X.] vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ergriffen werden. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/[X.], der im [X.] keine wortwörtliche Umsetzung erfahren hat, ist einerseits bei der Auslegung des Begriffs der „angemessenen“ Anforderung in § 8 Abs. 1 [X.] einzubeziehen (soweit es um Menschen mit Behinderung geht) und ist zudem im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen (für Letzteres [X.] 19. Dezember 2013 - 6 [X.]/12 - Rn. 53). Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2000/78/[X.] ist der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ dahin gehend zu verstehen, dass er die Beseitigung der verschiedenen Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern. Unterlässt der Arbeitgeber notwendige Vorkehrungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen, ist das in die gerichtliche Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. [X.] 11. April 2013 - [X.]/11 ua. [[X.], [X.]] - Rn. 49 ff., 66, 68; 11. Juli 2006 - [X.]/05 [[X.]] - Rn. 50, Slg. 2006, [X.]; [X.] 19. Dezember 2013 - 6 [X.]/12 - Rn. 50 ff.).

ee) Keinerlei Rolle spielt, wann die Klägerin über die Tatsache der Behinderung informiert hat.

2. Bei der Höhe einer festzusetzenden Entschädigung ist zu berücksichtigen, dass sie nach § 15 Abs. 2 [X.] angemessen sein muss. Sie muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte gewährleisten (vgl. [X.] 25. April 2013 - C-81/12 [[X.]] - Rn. 63; 22. April 1997 - [X.]/95 [[X.]] - Rn. 24, 39 f., Slg. 1997, [X.]). Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen - indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gewährleistet -, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren ([X.] 25. April 2013 - C-81/12 [[X.]] - Rn. 63 [X.]). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (vgl. ua. [X.] 23. August 2012 - 8 [X.] - Rn. 38; 17. Dezember 2009 - 8 [X.] - Rn. 38; 22. Januar 2009 - 8 [X.] - Rn. 82 [X.], [X.]E 129, 181).

        

    Hauck    

        

    Winter    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

    Umfug    

        

    [X.]    

                 

Meta

8 AZR 662/13

22.05.2014

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kiel, 8. Januar 2013, Az: 5 Ca 316 c/12, Urteil

§ 1 AGG, § 3 Abs 1 S 1 AGG, § 8 Abs 1 AGG, § 15 Abs 1 AGG, § 15 Abs 2 AGG, § 15 Abs 4 AGG, § 15 Abs 5 AGG, § 22 AGG, § 167 ZPO, § 61b ArbGG, § 132 Abs 1 S 1 BGB, § 132 Abs 1 S 2 BGB, § 241 Abs 2 BGB, Art 5 EGRL 78/2000, Art 2 UAbs 4 UNBehRÜbk, Art 27 Abs 1 S 2 Buchst i UNBehRÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2014, Az. 8 AZR 662/13 (REWIS RS 2014, 5340)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5340

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Referenzen
Wird zitiert von

8 AZR 384/14

AN 1 K 17.02368

IX ZR 156/19

10 Sa 1329/13

13 Ca 4560/20

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