Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2017, Az. XI ZB 13/14

11. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5145

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Gegenstand

Kapitalanleger-Musterverfahren: Wahrnehmung von Beteiligungsrechten durch Nebenintervenienten des ausgesetzten Rechtsstreits; Interventionsfähigkeit des Musterverfahrens; Nichtzustellung der Streitverkündungsschrift


Leitsatz

1. Ist ein Zivilprozess im Hinblick auf ein Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgesetzt, können Dritte, denen in dem ausgesetzten Rechtsstreit die Stellung eines Nebenintervenienten zukommt, ihre Beteiligungsrechte gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 67 Halbs. 2 ZPO auch im Musterverfahren wahrnehmen.

2. Das Musterverfahren nach dem KapMuG ist nicht interventionsfähig. Ein auf den Verfahrensabschnitt des Musterverfahrens bezogener Beitritt und eine auf den Verfahrensabschnitt des Musterverfahrens bezogene Streitverkündung sind nicht statthaft.

3. Eine Streitverkündungsschrift, die eine in dem betroffenen Verfahren generell unstatthafte Streitverkündung bewirken soll, ist vom Gericht nicht zuzustellen.

Tenor

Die Zustellung der Streitverkündungsschrift der [X.] zu 1 vom 4. Juli 2017 wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Die [X.]en streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem [X.] ([X.]) über die Verletzung von Informationspflichten des Kapitalmarkts nach § 15 WpHG in der bis zum 1. Juli 2016 geltenden Fassung. In den ausgesetzten Ausgangsverfahren nehmen institutionelle und private Anleger, die während des Jahres 2007 und bis zum 15. Januar 2008 (13.06 Uhr) Aktien der [X.] zu 1 erworben haben, die [X.] zu 1 und in einigen Fällen auch deren damaligen Vorstandsvorsitzenden ([X.]r zu 2) und deren damaligen Finanzvorstand ([X.]r zu 3) auf Schadensersatz in Anspruch.

2

In der ersten Instanz des [X.] hat die [X.] zu 1 ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern - u.a. den [X.] zu 2 und 3 - den Streit verkündet, weil sie sich im Falle eines ungünstigen Ausgangs des vorliegenden Rechtsstreits bei diesen schadlos halten könne. Das [X.] hat die [X.]sschrift zugestellt. Daraufhin sind einige [X.]sempfänger dem Musterverfahren auf Seiten der [X.] zu 1 beigetreten.

3

Das [X.] München hat mit [X.] vom 15. Dezember 2014 entschieden. Dagegen haben sowohl der [X.] und ein Beigeladener als auch die [X.] Rechtsbeschwerde eingelegt. 129 weitere Beteiligte sind dem Rechtsbeschwerdeverfahren auf Seiten des [X.]s beigetreten.

4

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Prozessbevollmächtigte der [X.] zu 1 unter dem 4. Juli 2017 eine [X.]sschrift eingereicht, mit der erstmals [X.]     der Streit verkündet werden soll und - im Hinblick auf einen zwischenzeitlich vollzogenen Formwechsel der [X.] zu 1 - "höchstvorsorglich" die bereits in erster Instanz gegenüber den ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern erklärte [X.] wiederholt werden soll. Er sucht nach, die [X.]sschrift dem [X.]sempfänger [X.]und den weiteren [X.]sempfängern förmlich zuzustellen.

II.

5

Die [X.]sschrift vom 4. Juli 2017 ist nicht zuzustellen. Das Musterverfahren nach dem [X.] ist nicht interventionsfähig. Ein auf den [X.] bezogener Beitritt und eine auf den [X.] bezogene [X.] sind nicht statthaft.

6

1. a) [X.] kann in den Ausgangsverfahren gemäß § 72 Abs. 1 ZPO der Streit verkündet werden und der [X.]sempfänger kann in dem Ausgangsverfahren gemäß § 74 Abs. 1 ZPO beitreten. Das gilt auch während das Ausgangsverfahren im Hinblick auf das Musterverfahren gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] ausgesetzt ist (Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 9 Rn. 11). Dem steht § 249 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] beschränkt sich die durch diese Vorschrift angeordnete Unwirksamkeit auf Prozesshandlungen, die gegenüber dem Gegner vorzunehmen sind ([X.], Urteil vom 16. Mai 2013 - [X.], [X.], 1472 Rn. 5 mwN). Prozesshandlungen, die - wie die [X.] - gegenüber einem [X.] oder - wie die Beitrittserklärung - gegenüber dem Gericht vorzunehmen sind, sind auch während der Aussetzung wirksam ([X.]/[X.], 5. Aufl., § 249 Rn. 17 f.; [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 249 Rn. 5 f.; vgl. [X.], Urteil vom 4. Oktober 1984 - [X.], [X.]Z 92, 251, 257).

7

b) Nach dem Beitritt hat der Dritte die Stellung eines Nebenintervenienten (§ 74 Abs. 1 ZPO). Während das Ausgangsverfahren gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] im Hinblick auf ein Musterverfahren ausgesetzt ist, kann er seine Beteiligungsrechte gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 67 Halbs. 2 ZPO auch im Musterverfahren wahrnehmen. Im Aussetzungsbeschluss ist er als Nebenintervenient aufzuführen, damit er seine Beteiligungsrechte im Musterverfahren nachweisen kann.

8

aa) Zwar hat der Dritte im Musterverfahren nicht die Stellung eines Beigeladenen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Das [X.] misst diese verfahrensrechtliche Position nur den Klägern der Ausgangsverfahren zu, die nicht zum [X.] ausgewählt wurden (§ 9 Abs. 3 [X.]). Auch eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 [X.] scheidet aus (KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 9 Rn. 47; aA Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 8 Rn. 43). Die Regelungen, die das [X.] für Beigeladene trifft, sind auf die Rechtsstellung eines Nebenintervenienten, der nur als Dritter beteiligt ist und nur fremde Rechte wahrnehmen kann, nicht zugeschnitten. Auch wenn die Beigeladenen in Bezug auf den [X.] ebenfalls eine unterstützende Rolle einnehmen und denselben Beschränkungen wie ein einfacher Nebenintervenient unterliegen (§ 14 [X.]), so räumt ihnen das [X.] aufgrund der Tatsache, dass sie [X.] der ausgesetzten [X.] sind, weitergehende Rechte ein. Beigeladene können einen Antrag zur Erweiterung des [X.] stellen (§ 15 Abs. 1 [X.]), sie müssen zustimmen, wenn das Verfahren ohne [X.] beendet werden soll (§ 13 Abs. 5 Satz 1 [X.]), und ein vom Gericht genehmigter Vergleich wird nicht wirksam, wenn mindestens 30% der Beigeladenen den Austritt erklären (§ 17 Abs. 1 Satz 4, § 19 [X.]). Zudem können die Beigeladenen aus eigenem Recht Rechtsbeschwerde gegen den [X.] einlegen (§ 20 Abs. 1 Satz 4 [X.]) oder der Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten beitreten (§ 20 Abs. 3 Satz 1 [X.]).

9

bb) [X.] der ausgesetzten Ausgangsverfahren können aber gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 67 Halbs. 2 ZPO auch im Kapitalanleger-Musterverfahren die Rechte der unterstützten [X.] wahrnehmen, soweit sie sich zu dieser nicht in Widerspruch setzen. Die Regelung des § 9 [X.] lässt nicht erkennen, dass eine weitere Unterstützung der [X.] durch Dritte oder eine Unterstützung der Beigeladenen durch Dritte ausgeschlossen sein soll. Die Anwendung des § 67 Halbs. 2 ZPO auf den [X.] ist auch geboten, um die [X.] des § 68 ZPO zwischen Nebenintervenient und unterstützter [X.] nicht leer laufen zu lassen. Ohne Beteiligungsmöglichkeit im Musterverfahren könnte der Nebenintervenient im Folgeprozess hinsichtlich der Umstände, die im Erstprozess aufgrund der Bindungswirkung des § 22 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 [X.] der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sind, einwenden, er habe insoweit keine Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen können (§ 74 Abs. 1, § 68 ZPO).

Die entsprechende Anwendung des § 67 Halbs. 2 ZPO auf das Musterverfahren nach dem [X.] führt dazu, dass der Nebenintervenient in diesem Verfahrensabschnitt grundsätzlich die Rechte wahrnehmen kann, die der im Ausgangsverfahren unterstützten [X.] dort als Beteiligter zukommen. Insbesondere kann der Nebenintervenient eines Beteiligten des [X.] für diesen gemäß § 20 Abs. 1 [X.] Rechtsbeschwerde einlegen oder der Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten gemäß § 20 Abs. 3 [X.] beitreten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass er sich zu den Erklärungen des unterstützten Beteiligten nicht in Widerspruch setzen darf. Das Recht zum Beitritt steht nur denjenigen Beteiligten zu, die keine Rechtsbeschwerde eingelegt haben (§ 20 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Hat der unterstützte Beteiligte selbst Rechtsbeschwerde eingelegt, stünde ihm selbst kein Recht zum Beitritt zu, so dass eine Beitrittserklärung des Nebenintervenienten für ihn ins Leere ginge. Ebenso verliert eine für den unterstützten Beteiligten eingelegte Rechtsbeschwerde des Nebenintervenienten ihre Wirkung, wenn der Beteiligte später dem Rechtsbeschwerdeverfahren eines anderen Beteiligten beitritt. Dann kann sich der Nebenintervenient nur noch dem Beitritt anschließen. Die von ihm eingelegte Rechtsbeschwerde wäre, falls gegenteilige Anhaltspunkte fehlen, entsprechend umzudeuten.

cc) Auch im Musterverfahren gilt die allgemein anerkannte Einschränkung, dass der Nebenintervenient den Streitgegenstand weder ändern noch über diesen materiell verfügen darf (vgl. [X.], ZPO, 23. Aufl., § 67 Rn. 5, 7; [X.]/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 67 Rn. [X.], 11). Für das Musterverfahren nach dem [X.] bedeutet dies, dass er weder einen [X.] gemäß § 15 [X.] stellen, noch einen Vergleich schließen (§ 17 [X.]) oder für den Beigeladenen den Austritt aus dem Vergleich (§ 19 [X.]) erklären kann.

dd) Aus den Besonderheiten des [X.] ist jedoch eine weitere Einschränkung abzuleiten. Denjenigen, die sich an dem Verfahren als Nebenintervenient beteiligen, kann keine stärkere verfahrensrechtliche Position als den Beigeladenen im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 3 [X.] zukommen, die ebenfalls den [X.] unterstützen, jedoch [X.] der [X.] sind (insoweit zutreffend Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 8 Rn. 43). Das hat eine entscheidende Konsequenz für das Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 20 [X.]. Dort ist der Nebenintervenient in Ausnahme vom sonst geltenden Grundsatz (vgl. [X.], ZPO, 23. Aufl., § 67 Rn. 21; [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 3. Aufl., § 67 Rn. 50, 71; [X.]/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 71 Rn. 9) nicht ohne weiteres ebenfalls zuzuziehen.

(1) Während die Kläger der ausgesetzten Ausgangsverfahren, die nicht zum [X.] ausgewählt wurden, am erstinstanzlichen Musterverfahren kraft Gesetzes als Beigeladene teilnehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 [X.]), ändert sich ihre verfahrensrechtliche Position im Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 20 [X.]. In der [X.] ist ein Beigeladener nur dann zu beteiligen, wenn er entweder selbst innerhalb der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch einen beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde eingelegt hat oder innerhalb der Frist des § 20 Abs. 3 Satz 1 [X.] der Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten beigetreten ist. Anderenfalls wird das Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Rücksicht auf ihn fortgesetzt (§ 20 Abs. 4 Satz 1 [X.]). Ihm werden dann weder Schriftsätze noch gerichtliche Zwischenentscheidungen übermittelt. Dadurch soll erreicht werden, dass das Rechtsbeschwerdeverfahren nur mit denjenigen Beigeladenen fortgesetzt wird, die sich - unter Übernahme von anteiligem Kostenrisiko (§ 26 Abs. 1 [X.]) - fristgemäß für eine aktive Teilnahme erklärt haben (vgl. BT-Drucks. 15/5091, [X.]. [X.]. zu § 15 Abs. 2 [X.] aF). Das Erfordernis eines fristgemäßen Beitritts bezweckt die Verschlankung des Rechtsbeschwerdeverfahrens und dient damit der Verfahrenskonzentration und -beschleunigung (KK-[X.]/Rimmelspacher, 2. Aufl., § 20 Rn. 53, 73).

(2) Diese Erwägungen treffen erst recht auf die Nebenintervenienten zu, die an den ausgesetzten Ausgangsverfahren nur als Dritte beteiligt sind und denen daher keine stärkere verfahrensrechtliche Position als den Beigeladenen zukommen kann. Um auch zum Rechtsbeschwerdeverfahren als Nebenintervenient zugezogen zu werden, müssen sie daher entweder innerhalb der Frist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO für den unterstützten Beteiligten durch einen beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt Rechtsbeschwerde einlegen oder innerhalb der Frist des § 20 Abs. 3 Satz 1 [X.] für diesen der Rechtsbeschwerde eines anderen Beteiligten beitreten. Hat die unterstützte [X.] selbst Rechtsbeschwerde eingelegt, muss sich der Nebenintervenient dieser durch einen beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 3 Satz 1 [X.] innerhalb der für einen Beitritt laufenden Frist anschließen. Dasselbe gilt, wenn die unterstützte [X.] ihr Recht zum Beitritt ausgeübt hat. Dann muss sich der Nebenintervenient diesem Beitritt ebenfalls innerhalb der Frist des § 20 Abs. 3 Satz 1 [X.] anschließen. Anderenfalls wird das Verfahren ohne Rücksicht auf ihn fortgesetzt (§ 20 Abs. 4 Satz 1 [X.] analog).

2. Darüber hinaus sind die Vorschriften der §§ 66 ff. ZPO nicht analog anwendbar. Das Musterverfahren nach dem [X.] ist nicht interventionsfähig. Ein auf den [X.] bezogener Beitritt und eine auf den [X.] bezogene [X.] sind nicht statthaft (Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 8 Rn. 43; Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 9 Rn. 11; aA KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 9 Rn. 48; KK-[X.]/Vollkommer, 2. Aufl., § 11 Rn. 77 ff.; Vollkommer, [X.], 3094, 3098; wohl auch [X.], BB 2005, 2249, 2254).

a) Mit dem Musterverfahren nach dem [X.] wird kein bestimmter Rechtsstreit geführt, sondern es wird lediglich über ein Muster von Rechtsfragen und Tatsachen mit Bindungswirkung für alle ausgesetzten Verfahren entschieden (KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 9 Rn. 42). Wie § 24 Abs. 2 [X.] zeigt, bildet es daher einen Abschnitt aller ausgesetzten Ausgangsverfahren (Senatsbeschluss vom 22. November 2016 - [X.], [X.], 327 Rn. 52; KK-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 9 Rn. 2; Vorwerk/Wolf/[X.], [X.], § 8 Rn. 6, Rn. 43). [X.] und [X.] nach §§ 66 ff. ZPO können aber nicht auf einen bestimmten zeitlichen Verfahrensabschnitt beschränkt werden ([X.]/Schütze/[X.], ZPO, 3. Aufl., § 66 Rn. 87). Rechtsstreit im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO und § 72 Abs. 1 ZPO ist daher allein der im Hinblick auf das Musterverfahren ausgesetzte Ausgangsrechtsstreit.

Anders als im selbständigen Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO (vgl. [X.], Urteil vom 5. Dezember 1996 - [X.], [X.]Z 134, 190, 192 ff.; [X.], Beschluss vom 12. Juli 2012 - [X.], [X.]Z 194, 68 Rn. 6 mwN) ist eine analoge Anwendung der Vorschriften über die [X.] und [X.] hier auch nicht erforderlich, um die hiermit intendierten Zielsetzungen zu erreichen. Die konkreten [X.] sind bereits rechtshängig. Der Dritte kann dort einer [X.] beitreten und dann - wie oben unter 1. b) dargelegt - gemäß § 11 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 67 Halbs. 2 ZPO deren Rechte im Musterverfahren wahrnehmen. Dem rechtskräftigen Urteil des Ausgangsrechtsstreits kommt auch hinsichtlich der tragenden Feststellungen, die auf Feststellungen des [X.]s beruhen, nach Maßgabe des § 68 ZPO [X.] für den Folgeprozess zu. Umgekehrt können die Beteiligten des [X.] in ihrem ausgesetzten Ausgangsrechtsstreit dem [X.] den Streit verkünden, damit das dortige Urteil Bindungswirkung gemäß § 74 Abs. 3, § 68 ZPO entfaltet.

b) Es ist auch nicht geboten, die Feststellungen des [X.]s unabhängig vom Ausgang der ausgesetzten Ausgangsverfahren auf den Folgeprozess zwischen der Musterpartei und dem [X.] zu erstrecken. Ein [X.] ließe sich nur aus dem Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens und nicht allein aus den Feststellungszielen des [X.] ableiten.

Der Begriff des rechtlichen Interesses im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass der Nebenintervenient zur unterstützten [X.] oder zum Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder durch ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt ([X.], Beschlüsse vom 24. April 2006 - [X.], [X.], 1252 Rn. 8, vom 10. Februar 2011 - [X.]/09, NJW-RR 2011, 907 Rn. 10 und vom 18. November 2015 - [X.]/12, [X.], 532 Rn. 13). Ein solches "Obsiegen" gibt es im Kapitalanleger-Musterverfahren jedoch nicht. Der [X.] bewirkt nur, dass die Prozessgerichte der ausgesetzten Verfahren nach Maßgabe der Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 [X.] an die dort getroffenen Feststellungen zu einzelnen anspruchsbegründenden oder anspruchsausschließenden Voraussetzungen oder Rechtsfragen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]) gebunden sind. Für die dort zu treffende Entscheidung des Rechtsstreits kann es auf weitere, individuelle Fragestellungen ankommen. Kläger, die nicht zum [X.] ausgewählt wurden, können sich unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 [X.] der Bindungswirkung zudem entziehen. Die innerprozessuale Bindungswirkung allein berührt die Rechtsposition des [X.] noch nicht. Sein Interesse, dass die im Musterverfahren gestellten Fragen in einer bestimmten Weise beantwortet werden, ist mithin rein tatsächlicher oder wirtschaftlicher Natur und würde ebenso wenig ausreichen, um einen gesonderten, auf den Streitgegenstand des [X.] bezogenen [X.] zu begründen, wie der denkbare Umstand, dass im Musterverfahren und einem Folgeprozess dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. April 2006 - [X.], [X.], 1252 Rn. 8, 12 und vom 10. Februar 2011 - [X.]/09, NJW-RR 2011, 907 Rn. 10).

In Fällen der [X.] gemäß § 72 ZPO - wie hier - kann die [X.] nur aufgrund der Tatsache, dass der Ausgangsrechtsstreit für sie ungünstig ausgeht, glauben, einen Anspruch gegen einen [X.] zu haben, oder den Anspruch eines [X.] besorgen, und nicht allein deshalb, weil die Vorlagefragen in einer bestimmten Weise beantwortet werden.

c) Schließlich wäre es mit dem Charakter des [X.] als Vorlageverfahren auch unvereinbar, wenn dort nach einem Antrag auf Zurückweisung einer [X.] in einem Zwischenstreit unter den [X.]en des [X.] und dem Nebenintervenienten darüber entschieden werden müsste, ob ein aus dem Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens abzuleitender [X.] besteht (§ 71 ZPO). Ein solcher Zwischenstreit ist im Kapitalanleger-Musterverfahren nicht statthaft.

3. Eine [X.]sschrift, die - wie hier - eine in dem betroffenen Verfahren generell unstatthafte [X.] bewirken soll, ist vom Gericht nicht gemäß § 73 Satz 2 ZPO zuzustellen.

Zwar ist die Zulässigkeit der [X.] grundsätzlich nicht im Erstprozess, in dem der Streit verkündet wird, sondern erst im [X.] zwischen dem [X.] und dem [X.]sempfänger zu prüfen (st.Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2011 - [X.], [X.]Z 188, 193 Rn. 7 mwN). In der Rechtsprechung des [X.] war jedoch bereits vor Einfügung des heutigen § 72 Abs. 2 ZPO anerkannt, dass die Zustellung einer [X.]sschrift, die eine generell unzulässige [X.] an einen gerichtlich bestellten Sachverständigen bewirken soll, vom Gericht zu verweigern ist ([X.], Beschlüsse vom 27. Juli 2006 - [X.], [X.]Z 168, 380 Rn. 14 und vom 19. Dezember 2006 - [X.], [X.], 919 Rn. 5). Durch das [X.] vom 22. Dezember 2006 ([X.]) hat der Gesetzgeber durch Einfügen des neuen § 72 Abs. 2 ZPO gesetzlich geregelt, dass das Gericht und gerichtlich bestellte Sachverständige nicht "Dritte" im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO sind, und diesen Personen, denen gegenüber eine [X.] aufgrund ihrer Beteiligung am Verfahren generell ausgeschlossen ist, eine [X.]sschrift bereits nicht zuzustellen ist (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 36 ff.).

Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn die [X.], die mit Zustellung der [X.]sschrift bewirkt werden soll, generell unstatthaft ist, weil das betroffene Verfahren nicht interventionsfähig ist. Vor Zustellung der [X.]sschrift ist zu prüfen, ob die Vorschriften der §§ 66 ff. ZPO zur [X.] und [X.] - und damit auch die Regelung des § 73 Satz 2 ZPO - in dem Verfahren, in dem die Zustellung erfolgen soll, überhaupt anwendbar sind (für das Grundbuchverfahren BayObLG, Beschluss vom 11. Januar 1980 - [X.], [X.] 1980, 8, 12). Die Frage, ob ein Rechtsstreit seiner Art nach einer [X.] oder [X.] zugänglich ist, steht nicht zur Disposition der [X.]en ([X.]/Schütze/[X.], ZPO, 3. Aufl., § 66 Rn. 85). Es besteht kein Anlass, einem [X.] Kenntnis von einem Verfahren zu verschaffen, obwohl der Beitritt zu diesem Verfahren, ohne dass es auf einen - ebenfalls unstatthaften - Antrag auf Zurückweisung des Beitritts nach § 71 ZPO ankäme, ins Leere ginge.

Ellenberger     

       

Matthias     

       

Menges

       

Derstadt     

       

Dauber     

       

Meta

XI ZB 13/14

19.09.2017

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BGH, 1. Dezember 2015, Az: XI ZB 13/14, Beschluss

§ 8 Abs 1 S 1 KapMuG, § 9 KapMuG, § 11 Abs 1 S 1 KapMuG, § 20 KapMuG, § 22 KapMuG, § 66 Abs 1 ZPO, §§ 66ff ZPO, § 67 Halbs 2 ZPO, § 72 Abs 1 ZPO, § 73 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.09.2017, Az. XI ZB 13/14 (REWIS RS 2017, 5145)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3718 MDR 2017, 1439-1440 WM2017,2099 REWIS RS 2017, 5145


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XI ZB 13/14

Bundesgerichtshof, XI ZB 13/14, 19.09.2017.

Bundesgerichtshof, XI ZB 13/14, 01.12.2015.


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