LG Frankfurt, Urteil vom 22.07.2022, Az. 2-17 O 141/21

17. Zivilkammer | REWIS RS 2022, 3340

EUGH DIESEL DIESELSKANDAL

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Gegenstand

Dieselskandal bei Wohnmobilen: Kein Anspruch auf Schadensersatz; keine andere Bewertung nach Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH.


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte zu 2) und die Beklagte zu 3) jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger macht gegenüber den gesamtschuldnerisch in Anspruch genommenen [X.] Ansprüche auf Schadensersatz im Rahmen des sog. „Dieselskandals“ geltend.

Am 25.10.2016 erwarb der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs „[...]“, [X.] [...], Hubraum 2,3 Liter, 96 kW, Schadstoffklasse [X.] 5, zu einem Kaufpreis von 58.151,00 Euro brutto von einem nicht am Verfahren beteiligten [X.] (Anlage [X.]). Bei dem Fahrzeug handelt es sich um ein Wohnmobil, das auf einem [...] basiert.

Das Basisfahrzeug des Wohnmobils verfügt über eine wirksame Typengenehmigung, die im Rahmen eines sog. Mehrstufen-[X.] in [X.] von der dort zuständigen Behörde erteilt wurde. Die [X.] (Anlage [X.] 8) weist die Beklagte zu 3) als Herstellerin des Fahrzeuges aus. Weiter wird dort die Beklagte zu 2) als Herstellerin des [X.] geführt. Für den auf dem Basisfahrzeug aufsetzenden Aufbau besteht eine [X.]-Typengenehmigung in [X.], die durch das [X.] ([X.]) ausgestellt wurde.

Die Beklagte zu 1) ging Anfang 2021 aus der Fusion der [...]-Gruppe (…) mit der [...]-Gruppe hervor und hat ihren Sitz in den [X.]. Der im [X.] Handelsregister angegebene Gesellschaftszweck der [X.] zu 1) lautet „Financial Holdings“.

Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde weder vom [X.], noch von der [X.] Zulassungsbehörde (Ministerio delle Infrastrutture e die [X.], [X.]) zurückgerufen. Ebenso wenig erfolgte bislang das Angebot eines freiwilligen Software-Updates.

Ein Rückruf der Typengenehmigung erfolgte nicht. Die [X.] Zulassungsbehörde erfuhr bereits 2016 von den Erkenntnissen bezüglich möglicherweise in [...]-Motoren vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtungen. Das [X.] informierte auch die [X.] über mögliche Unregelmäßigkeiten. Diese leitete im Mai 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen [X.] ein.

Unter dem 18.02.2021 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des [X.] an die Beklagte zu 1), sowie unter dem [X.] an die Beklagte zu 2), machte jeweils Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826 i.V.m. 31 BGB analog in Höhe von 58.151,00 Euro geltend und forderte sie zur Zahlung innerhalb von sieben Tagen auf ([X.] 8 und 8.1).

Der Kläger behauptet,

dass es ihm bei dem Kauf des Fahrzeuges maßgeblich darauf angekommen sei, ein umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben. Er sei davon ausgegangen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. In dem Fahrzeug seien Abschalteinrichtungen für die [X.] enthalten, die nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 unzulässig seien. Insbesondere sei ein rechtswidrig programmiertes Zeit- und [X.] implementiert worden. Das Zeitfenster sei so ausgestaltet, dass die Abgasrückführung ([X.]), die der Absenkung der NOx-Emissionen durch Abgase diene, nach 22 Minuten auf nahezu Null reduziert werde. Dabei sei zu beachten, dass die Prüfung der Emissionswerte für das Fahrzeug im standardisierten Prüfzyklus NEFZ ([X.]) erfolge, der etwa 1180 Sekunden andauere (knapp 20 Minuten). Dies führe dazu, dass die vollumfängliche [X.] während des Ablaufs des Prüfzyklus stattfinde, im Realbetrieb aber weitestgehend deaktiviert sei. Der ausgewiesene Grenzwert werde daher nur auf dem Prüfstand eingehalten. Weiter sehe ein sog. „Thermofenster“ vor, dass die Abgasreinigung nach Maßgabe der Außentemperatur begrenzt oder gar abgeschaltet werde. Da diese Manipulationen eigentlich von dem Fahrzeug als Fehler erkannt würden, erkenne das On-Board-Diagnosesystem, dass sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde und unterdrücke entsprechende Fehlermeldungen. Die [X.] hätten mithilfe derartig gefälschter Abgaswerte das [X.] sowie das [X.] getäuscht und sich so die [X.] erschlichen. Es drohe ein Rückruf und eine Betriebsuntersagung. Der Kilometerstand habe zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 28.664 Kilometer betragen, wobei dieser Wert deshalb niedriger sei, als der in der Klageschrift angegebene Wert, da es sich bei diesem nur um eine Schätzung gehandelt habe.

Die Beklagte zu 1) habe den Motor entwickelt und in den Verkehr gebracht. Es handele sich bei ihr auch nicht um eine bloße Holding, was sich aus der personellen Kongruenz der Vorstände zwischen der [X.] und der [...] N.V. ergebe.

Die Beklagte zu 2) sei als Herstellerin des [X.] dafür verantwortlich gewesen zu prüfen, ob die ihr gelieferten Motoren den gesetzlichen Vorgaben entsprächen. Dies habe sie jedoch unterlassen. Sie sei für alle Belange des [X.] verantwortlich. Die Beklagt zu 2) habe den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeuges hergestellt und jedenfalls mitentwickelt.

Die Beklagte zu 3) habe mit Zustimmung und im Einvernehmen der [X.] zu 1) bei der [...] GmbH eine Motorsteuerungssoftware bestellt, die eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielt. Die Software sei nach den Spezifikationen der [X.] zu 1) und 3) hergestellt worden.

Der Kläger behauptet zuletzt, dass er das Fahrzeug in dem Wissen um die Manipulationen nicht gekauft hätte.

Der Kläger meint,

die [X.] hätten ihn vorsätzlich sittenwidrig getäuscht und geschädigt, weshalb ihm ein Anspruch §§ 826, 31 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zustünde. Ein Anspruch ergebe sich jedoch auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Normen. Sowohl bei der Richtlinie 2007/46/[X.], als auch bei den §§ 6, 27 [X.]-FGV handele es sich um drittschützende Normen.

Der Kläger hat zunächst nur Klage gegen die Beklagte zu 1) erhoben, die dieser zu einem aus der Akte nicht ersichtlichem Zeitpunkt zugestellt wurde, wobei [X.] unter dem [X.] erfolgte. Die Klage hat der Kläger sodann mit [X.] vom 26.01.2022 gegen die [X.] zu 2) und 3) erweitert. Die Klage wurde der [X.] zu 2) unter dem 04.02.2022 zugestellt. Ein Zustellungsnachweis für die Beklagte zu 3) befindet sich nicht in der Akte; sie zeigte unter dem [X.] an.

Vor der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurückgenommen.

Der Kläger beantragte zuletzt,

  1. die [X.] gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die [X.]eite einen Betrag in Höhe von 56.198,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges [...], [X.]. [...].
  2. festzustellen, dass die [X.] sich mit der Entgegennahme des [X.] aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befinden.
  3. die [X.] gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die [X.]eite einen Betrag in Höhe von 2.147,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.

Die [X.] beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die [X.] bestreiten insbesondere, dass unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen.

Entscheidungsgründe

1

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

2

Die Klage ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit folgt aus Art. 7 Nr. 2 EuGV[X.], die örtliche Zuständigkeit infolge der rügelosen Einlassung jedenfalls aus Art. 26 EuGV[X.].

3

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die [X.] zu 2) und zu 3) (Beklagte) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

4

A.

5

Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen die [X.] zu.

6

Nach dieser Norm kann derjenige Schadensersatz verlangen, dem durch einen anderen vorsätzlich in sittenwidriger Weise ein Schaden zugefügt wird.

7

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das [X.] aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann ([X.], Urteil vom 30.07.2020, [X.], [X.]; Urteil vom 25.05.2020, [X.] 252/19, [X.]; Urteil vom 07.05.2019, [X.] 512/17, [X.]; Urteil vom 28.06.2016, [X.] 536/15, [X.]).

8

Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben ([X.], Urteil vom 30.07.2020, [X.], [X.]; Urteil vom 25.05.2020, [X.] 252/19, [X.]; Urteil vom 28.06.2016, [X.] 536/15, [X.]). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das [X.], sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht ([X.], Beschluss vom 19.01.2021, [X.] 433/19, [X.]; Urteil vom 30.07.2020, [X.], [X.]; Urteil vom 25.05.2020, [X.] 252/19, [X.]; Urteil vom 07.05.2019, [X.] 512/17, [X.]).

9

Dabei ist auch § 826 BGB auf den Individualtäter ausgerichtet. Richtet sich der Anspruch daher gegen ein Unternehmen, das seiner Natur nach arbeitsteilig agiert und durch seine Organe handelt, ist für einen Anspruch nach §§ 826, 31 BGB erforderlich, dass ein Organ des Unternehmens die o.g. Voraussetzungen erfüllt. Voraussetzung für einen Anspruch ist dann, dass ein Vorstandsmitglied oder ein sonstiger verfassungsgemäßer Vertreter [X.]. § 31 BGB persönlich die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. [X.], Urteil vom 28.06.2016, [X.]. [X.] 536/15, Rn. 28 nach [X.] m.w.N.).

10

Ein Fahrzeughersteller handelt nach diesen Grundsätzen sittenwidrig, wenn er seine Fahrzeuge im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung versieht, sich durch Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde eine rechtswidrige Typengenehmigung erschleicht und die Fahrzeuge sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, in den Verkehr bringt (vgl. [X.], Urteil vom 25.05.2020, [X.] 252/19, Rn.17, 23, 25; Beschluss vom 19.01.2021, [X.] 433/19, Rn.17).

11

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

12

I.

13

Die Kammer kann bereits nicht feststellen, dass in das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde.

14

1.

15

Für die Anwendung des § 826 BGB ist dann kein Raum, wenn das streitgegenständliche Fahrzeug von der zuständigen Behörde nicht beanstandet wurde. Denn die Rechtmäßigkeit oder Rechtwidrigkeit einer Abschaltvorrichtung ist von der Zulassungsbehörde zu prüfen. Die [X.]-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der [X.] in Anwendung der [X.] 2007/46/[X.], der [X.] 2002/24/[X.] sowie der [X.] 2003/37/[X.] erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt, vgl. § 2 Nr. 4 [X.]. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Typengenehmigung von der [X.] Stelle ([X.]) oder einer anderen zuständigen Stelle innerhalb der [X.] ausgestellt wurde.

16

Die Typengenehmigung stellt gegenüber dem beantragenden Fahrzeughersteller einen (ggf. transnationalen) Verwaltungsakt dar, der für die Zivilgerichte grundsätzlich [X.] entfaltet. Danach sind die Feststellungen des Verwaltungsaktes von dem ordentlichen Gericht grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben wurden ([X.], Urteil vom 19.12.1978, [X.], NJW 1979, 597; vgl. auch [X.], Urteil vom 26.02.2020, 14 [X.]; [X.] Urteil vom [X.], [X.]. 5 O 92/21; [X.], Hinweisbeschluss vom [X.], [X.]. 5 U 3310/20).

17

Hiermit nicht in Einklang zu bringen wäre die Annahme der Kammer, wonach die Beklagte gegenüber dem Kläger gegen die guten Sitten verstoßen habe, indem sie in das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut habe. Denn hiermit brächte die Kammer zum Ausdruck, dass – anders als die zuständige Behörde dies festgestellt hat – das Fahrzeug eben nicht den „einschlägigen Vorschriften“ entspräche (vgl. hierzu auch [X.] a.a.[X.]; auch [X.], Hinweisbeschluss vom [X.], 7 [X.]; [X.], Hinweisbeschluss vom 27.01.2020, 5 [X.]; KG, Urteil vom 18.02.2020, 14 U 74/19).

18

So liegt der Fall jedoch hier. Das Fahrzeug verfügt unstreitig über eine gültige Typengenehmigung der zuständigen ([X.]) Zulassungsbehörde („Ministerio delle Infrastrutture e dei Transporti“).

19

2.

20

Die Kammer kann sich auch nicht ausnahmsweise über die [X.] hinwegsetzen.

21

Die [X.] des Verwaltungsaktes findet dort seine Grenzen, wo der Verwaltungsakt offenkundig von jedermann als rechtsunwirksam zu erkennen ist ([X.], Urteil vom 19.12.1978 - [X.] 43/77). Ob dies erst dann der Fall ist, wenn der Verwaltungsakt entsprechend § 44 VwVfG nichtig ist, wofür eine arglistige Täuschung nach Wertung des § 48 Abs. 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG nicht ausreichend ist, oder ob dies bereits dann der Fall ist, wenn sich der Fahrzeughersteller durch eine arglistige Täuschung gegenüber der Zulassungsbehörde in den Genuss der Typengenehmigung gebracht hat, kann hier letztlich dahinstehen. Denn eine Täuschung der [X.] Zulassungsbehörde durch die Beklagte trägt der Kläger bereits nicht hinreichend vor.

22

a.

23

Dies ergibt sich zunächst nicht aus dem Umstand, dass das [X.] nach eigenen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen sein soll, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Denn gegenüber dem [X.] wurde eine Typengenehmigung für den streitgegenständlichen Motor weder beantragt, noch wurde sie von diesem ausgestellt. Vielmehr wurde die Genehmigung von der [X.] Zulassungsbehörde erteilt und entfaltet auch gegenüber dem [X.] eine grundsätzliche Bindungswirkung.

24

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den seit dem 01.09.2020 geltenden Art. 51, 52 der [X.]-[X.] 2018/858, die den nationalen Zulassungsbehörden in bestimmten Fällen eigene Maßnahmen gestatten. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob die Voraussetzungen der Norm, die an verschiedenen Stellen ein Ermessen der Behörde vorsieht, vorliegen. Denn unstreitig hat das [X.] von keiner dieser Möglichkeiten mit Blick auf das streitgegenständliche Fahrzeug Gebrauch gemacht, sodass keine Durchbrechung der [X.] vorliegt.

25

Letztlich führte die Aufhebung der Typengenehmigung durch das [X.] zwar unter Umständen dazu, dass – anders als bei bestandskräftiger Typengenehmigung – von einem Schaden auszugehen wäre. Dieser Umstand änderte jedoch nichts an der Bewertung, wonach die obwaltenden Umstände einen Rückschluss auf eine Täuschung der [X.] Zulassungsbehörde gerade nicht zulassen (s.u.).

26

b.

27

Weiter ist unstreitig, dass [X.] Stellen die [X.] Zulassungsbehörde bereits 2016 über die hierzulande ermittelten Tatsachen mit Bezug auf etwaige Abschalteinrichtungen informiert haben. Ebenso ist unstreitig, dass die [X.] aufgrund der vorliegenden Situation ein Vertragsverletzungsverfahren gegenüber [X.] eingeleitet hat.

28

Nach den – ebenfalls vom Kläger vorgetragenen - Auskünften des [X.]es beharrt die [X.] Zulassungsbehörde indes, auch auf die Mitteilung der Erkenntnisse des [X.]es und trotz Einschaltung der [X.], auf ihrem Standpunkt, wonach die Typengenehmigung ordnungsgemäß erteilt wurde und somit keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist. Der Umstand, dass die zuständige Behörde unter den Erkenntnissen des [X.]es die Typengenehmigung nicht zurückgezogen hat spricht entscheidend dafür, dass die Entscheidung der [X.] Behörde nicht durch eine Täuschung über die tatsächlichen Abgaswerte veranlasst war. Dies gilt umso mehr, wenn die Behörde selbst unter dem Eindruck eines Vertragsverletzungsverfahrens bei ihrer Rechtsansicht bleibt und dies über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

29

c.

30

Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Erteilung der Typengenehmigung „offenkundig“ und „von jedermann als rechtsunwirksam“ erkannt werden kann. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, welche Abschalteinrichtungen unter welchen Voraussetzungen zulässig sind um eine komplizierte Frage, in deren Beantwortung die zuständigen Behörden zahllose Faktoren einzustellen haben. Nichts anderes kommt durch den unstreitigen Disput zwischen verschiedenen Zulassungsbehörden letztlich zum Ausdruck.

31

II.

32

Selbst wenn die vom Kläger behaupteten Vorrichtungen unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen würden, fehlt es jedenfalls an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte durch ihr Verhalten bewusst das [X.] aller billig und gerecht Denkenden verletzt bzw. die zukünftigen Erwerber getäuscht und damit betrogen haben könnte.

33

Die Gesetzeslage zu Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 a ) der [X.] ([X.]) Nr. 715/2007 ist gerade nicht eindeutig, was die sowohl in Fachkreisen als auch in der Judikatur kontrovers geführte Diskussion zeigt. Dass die [X.] durch ihr Verhalten bewusst im Sinne des § 826 BGB das [X.] aller billig und gerecht Denkenden verletzt haben könnten, ergibt sich nach dem hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht. Selbst wenn die [X.] bei der Wahl des Temperaturfensters oder in Bezug auf einen anderen technischen Aspekt die Grenzen des nach Art. 5 Abs. 2 a) der [X.] ([X.]) Nr.715/2007 Zulässigen überschritten haben sollten, läge darin aufgrund der grundsätzlichen Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen zum Motorschutz allenfalls ein „einfacher“ Gesetzesverstoß, bzw. Sachmangel im Sinne des Kaufrechts vor; eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der [X.] im Sinne einer Sittenwidrigkeit kann daraus jedoch – ohne zusätzliche Anhaltspunkte- nicht gefolgert werden (vgl. [X.], Beschluss vom 17.02.2020, [X.]. 12 U 353/19 BeckRS 2020, 2626).

34

III.

35

Es fehlt aber jedenfalls, ohne dass es hierauf ankäme, an geeignetem Vortrag zum Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen in der Person eines oder mehrere Organteile der [X.]. Entgegen der Ausführungen des [X.] trifft die [X.] auch keine sekundäre Darlegungslast.

36

Grundsätzlich trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (st. Rspr. [X.], Urteil vom [X.], [X.]. [X.] 405/19, Rn. 15 m.w.N.). Dieser Grundsatz erfährt aber eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete [X.] keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. [X.] er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden ([X.], Urteil vom 29.06.2021, [X.]. [X.] 566/19, Rn. 16). Voraussetzung ist jedoch, dass der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass Organmitglieder die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest gebilligt haben (a.a.[X.]).

37

Diesen Anforderungen genügt der klägerische Vortrag nicht.

38

Der Kläger zieht sich letztlich darauf zurück, dass es auf der Hand liege, dass „die Vorstandsebene“ Kenntnis von den Vorgängen gehabt haben müsse. Nicht hinreichend trägt er vor, dass eine oder mehrere Personen die streitige Grenze der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen vorsätzlich mit Schädigungsabsicht gegenüber [X.] überschritten hätten (s.o.). Er trägt auch keine greifbaren Anhaltspunkte für deren Kenntnis vor. Soweit der Kläger eine Art Wissenszurechnung unter Konzerngesellschaften ins Auge fasst, ist eine solches Konstrukt dem Deliktsrecht fremd.

39

Insbesondere geht der Verweis auf die Fälle zum Motor des Typs [X.] mangels Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Lebenssachverhalte fehl. Vorliegend wurde auch – anders als in den unter Bezug genommenen Verfahren – keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt.

40

IV.

41

Ohne dass es hierauf ankäme, schließt das Vorhandensein einer [X.]-Typengenehmigung auch einen Schaden des [X.] aus. Denn das Fahrzeug verfügt, wie angenommen, über eine gültige Typengenehmigung. Das Fehlen dieser Genehmigung ist aber Ausgangspunkt der vom Kläger angeführten (befürchteten) Schäden. Das Fahrzeug ist aufgrund der Gültigkeit der Genehmigung auch voll als Wohnmobil einsetzbar.

42

B.

43

Aus den gleichen Gründen scheidet auch ein Anspruch aus §§ 826, 831 BGB aus.

44

C.

45

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB scheidet gleichsam aus, da es an Anhaltspunkten für eine bewusste und gewollte Täuschungshandlung fehlt (s.o.).

46

D.

47

Ein Anspruch aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB scheidet ebenfalls aus.

48

Nach § 311 Abs. 3 S. 1 BGB kann ein vorvertragliches Schuldverhältnis („culpa in contrahendo“) auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollten. Es handelt sich dabei um eine Ausnahmevorschrift ([X.]/[X.], 9. Aufl. 2022, BGB § 311 Rn. 206).

49

Der Dritte muss dabei an den Vertragsverhandlungen selbst oder durch einen vierten in zurechenbarer Weise beteiligt sein. Entscheidend ist, dass der besondere Vertrauenstatbestand von dem [X.] selbst oder in ihm zurechenbarer Weise überhaupt geschaffen worden ist und er das Verhalten des anderen Verhandlungspartners maßgeblich beeinflusst hat (vgl. schon [X.], Urteil vom 05.04.1971 - [X.]), etwa indem er über das allgemeine Verhandlungsvertrauen hinaus eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für die Seriosität und die Erfüllung des Geschäfts bietet (vgl. [X.], Urteil vom [X.]).

50

Vorliegend ergibt sich bereits nicht, in welcher Form die [X.] selbst oder zurechenbar durch Vierte bei den Vertragsverhandlungen zwischen dem Kläger und dem Verkäufer des [X.] aufgetreten sein sollte. Jedenfalls aber kann eine Haftung allein aus dem guten Ruf der [X.] nicht hergeleitet werden, da dies letztlich zu einer vollkommen uferlosen Ausweitung der vorvertraglichen Haftung von namhaften Unternehmen führen würde, die mit dem [X.] der Relativität vertraglicher Schuldverhältnisse nicht in Einklang zu bringen wäre.

51

E.

52

Zuletzt scheidet auch ein Anspruch nach §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1 S. 1, 27 Abs. 1 [X.]-FGV aus.

53

1.

54

Einerseits scheidet der Anspruch aus, da die Vorschriften der [X.]-FGV nicht dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt sind und damit keine Schutzgesetzte i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB sind (vgl. [X.], Urteil vom 25.05.2020, [X.]. [X.] 252/19, Rn. 76 nach [X.]). Hieran hält die Kammer auch nach den Schlussanträgen des Generalanwalts am [X.] in der Rechtssache C‑100/21 fest, dessen Rechtsansicht die Kammer nicht teilt. Zur Begründung wird zunächst auf die zitierte Entscheidung des [X.]s verwiesen, dessen Ausführungen sich die Kammer zu eigen macht.

55

Der Generalanwalt führt selbst aus, dass die Erwägungsgründe zu der fraglichen Verordnung nebst denen der vorgehenden Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2007/46/[X.], hier Erwägungsgrund 3) keinen Rückschluss auf einen intendierten Individualschutz zulässt.

56

Einen individuellen Schutz des einzelnen Käufers will der Generalanwalt, entgegen der von ihm selbst als eindeutig empfundenen Erwägungsgründe, im Wesentlichen aus einer kurzen Passage im [X.], Ziffer 0 herleiten, wonach die Übereinstimmungserklärung eine Erklärung des Fahrzeugherstellers darstellt, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug im Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der [X.] geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte. Hieraus werde eine ausdrückliche Verbindung zwischen dem [X.] und dem individuellen Erwerber hergestellt.

57

Dieser Rechtsansicht vermag das erkennende Gericht nicht zu folgen.

58

Ungeachtet des Umstandes, dass eine einzelne Passage der Rahmenrichtlinie der hier streitgegenständlichen Verordnung - nach der hier vertretenen Ansicht - nicht das durch die Erwägungsgründe eindeutig als allgemeinschützend bestimmte Gepräge der Verordnung hin zu einem Individualschutz zu verändern vermag, überzeugt der Verweis auf die genannte Passage nicht. Es ist richtig, dass die [X.] demnach als Erklärung gegenüber dem Käufer gedacht ist. Dieser [X.] wird aber unmittelbar im nächsten Absatz im Sinne der Ausrichtung am Allgemeininteresse relativiert. Denn dort heißt es, dass die Übereinstimmungsbescheinigung den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ermöglichen soll, Fahrzeuge zuzulassen, ohne vom Antragsteller zusätzliche technische Unterlagen anfordern zu müssen. Dem entspricht es, dass die Übereinstimmungserklärung die Fahrzeugidentifikationsnummer enthalten muss ([X.], 0, lit. a). Der enge Zusammenhang legt aber gerade den Schluss nahe, dass die Erklärung dem Käufer zum Zwecke der vereinfachten Zulassung zu übergeben ist, damit dieser gegenüber der zuständigen Stelle nachweisen kann, dass auch das konkrete zuzulassende Fahrzeug mit denjenigen Normen der Verordnung übereinstimmt, die – wie in der zitierten Entscheidung des [X.]s ausgeführt – maßgeblich auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung abzielen, nicht jedoch auf den Schutz des einzelnen Käufers. Dafür, dass die Erklärung gar dem Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit des Käufers dienen soll, ist nichts ersichtlich.

59

Dass der Käufer – im Falle des Entzuges der [X.]-Typengenehmigung – nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug zuzulassen oder zu veräußern, begründet für diesen zweifellos einen Schaden, trifft aber keine Aussage darüber, ob die Verordnung ihn individuell schützen möchte oder sie diese Folge zum Schutze der Allgemeinheit ungeachtet individueller Interessen des Einzelnen will.

60

2.

61

Der Anspruch scheitert andererseits jedoch bereits daran, dass die Typengenehmigung gültig ist und daher auch ein Schaden nicht feststellbar ist (s.o.).

62

F.

63

Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

64

G.

65

Die übrigen Anträge teilen das Schicksal der Hauptforderung.

66

H.

67

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.

68

Für die Beklagte zu 1) folgt die Kostenentscheidung aus § 269 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 ZPO, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung insoweit einen Kostenantrag gestellt hat.

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Meta

2-17 O 141/21

22.07.2022

LG Frankfurt 17. Zivilkammer

Urteil

Sachgebiet: O

§§ 826, 823, 31 BGB

Zitier­vorschlag: LG Frankfurt, Urteil vom 22.07.2022, Az. 2-17 O 141/21 (REWIS RS 2022, 3340)

Papier­fundstellen: BeckRS 2022, 19652 REWIS RS 2022, 3340

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 5/20

VI ZR 252/19

VI ZR 512/17

VI ZR 536/15

VI ZR 433/19

VI ZR 405/19

VI ZR 566/19

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