Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.07.2014, Az. XII ZB 164/14

12. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4024

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

BUNDESGERICHTSHOF (BGH) EHE FAMILIENRECHT SOZIALHILFE BEHINDERUNG SCHEIDUNG

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Versorgungsausgleich: Ausschluss bei Bezug einer Conterganrente


Leitsatz

Der Versorgungsausgleich zugunsten eines contergangeschädigten Ehegatten kann nicht nach § 27 VersAusglG mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass der Ausgleichsberechtigte wegen seiner Conterganrente auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht angewiesen sei.

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin auf Verfahrenskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Gründe

I.

1

Die beteiligten Eheleute streiten im S[X.]heidungsverbund um Versorgungsausglei[X.]h.

2

Der 1961 geborene Ehemann war in der Ehezeit als Garten- und Lands[X.]haftsbauar[X.]hitekt selbständig; sein Unternehmen ist mittlerweile insolvent. Zuvor hatte er im Rahmen eines erfolglosen Sanierungsversu[X.]hs seine private Altersvorsorge aufgelöst und in das Unternehmen eingebra[X.]ht. Sonstige Versorgungsanre[X.]hte hat der Ehemann in der Ehezeit ni[X.]ht erworben. Der Ehemann ist [X.] und bezieht eine steuer- und sozialabgabenfreie [X.] von der Beteiligten zu 3 ([X.]), deren Höhe zunä[X.]hst monatli[X.]h 1.116 € betrug und die im Zuge einer erhebli[X.]hen Anhebung des Rentenniveaus im Jahre 2013 auf mittlerweile monatli[X.]h 3.686 € (zuzügli[X.]h einer jährli[X.]hen Sonderzahlung in Höhe von 1.840 €) erhöht wurde. Ausgezahlt wird dem Ehemann bis Ende Januar 2016 ledigli[X.]h ein um monatli[X.]h 523,56 € gekürzter Betrag, weil er si[X.]h diesen Teilbetrag seiner Rente Anfang der 2000er Jahre kapitalisieren ließ.

3

Die 1966 geborene Ehefrau ist Krankens[X.]hwester. Sie ist s[X.]hwerbehindert und bezieht neben [X.] aus einer Teilzeitbes[X.]häftigung (15 Wo[X.]henstunden) eine gesetzli[X.]he Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie hat in der Ehezeit Anre[X.]hte in der gesetzli[X.]hen Rentenversi[X.]herung sowie Anre[X.]hte in der Zusatzversorgung des öffentli[X.]hen Dienstes erworben.

4

Das Amtsgeri[X.]ht hat den Versorgungsausglei[X.]h na[X.]h § 27 [X.] ausges[X.]hlossen, weil die Ehefrau auf ihre Versorgungsanre[X.]hte dringend angewiesen sei und si[X.]h die Versorgungssituation des Ehemannes in Ansehung seiner [X.] ni[X.]ht wesentli[X.]h verbessern würde. Auf die Bes[X.]hwerde des Ehemannes hat das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht die Ents[X.]heidung abgeändert und den Versorgungsausglei[X.]h dur[X.]h interne Teilung der Anre[X.]hte der gesetzli[X.]hen Rentenversi[X.]herung und der Zusatzversorgung zu Lasten der Ehefrau dur[X.]hgeführt.

5

[X.] begehrt Verfahrenskostenhilfe für die Dur[X.]hführung der zugelassenen Re[X.]htsbes[X.]hwerde.

II.

6

Die für die Dur[X.]hführung des Re[X.]htsbes[X.]hwerdeverfahrens beantragte Verfahrenskostenhilfe ist ni[X.]ht zu bewilligen, weil die Re[X.]htsverfolgung der Antragsgegnerin keine hinrei[X.]hende Aussi[X.]ht auf Erfolg (§ 76 Abs. 1 FamFG iVm § 114 ZPO) verspri[X.]ht.

7

1. Unbes[X.]hadet der für den Senat bindenden Zulassung der Re[X.]htsbes[X.]hwerde dur[X.]h das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht stellen si[X.]h im vorliegenden Fall keine Re[X.]htsfragen von grundsätzli[X.]her Bedeutung (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1FamFG). Grundsätzli[X.]he Bedeutung hat eine Sa[X.]he, wenn sie eine ents[X.]heidungserhebli[X.]he, klärungsbedürftige und klärungsfähige Re[X.]htsfrage aufwirft, die si[X.]h in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (Senatsbes[X.]hluss vom 24. April 2013 - [X.] - FamRZ 2013, 1199 Rn. 4 mwN). [X.] sind sol[X.]he Re[X.]htsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft oder s[X.]hwierig ist oder zu denen unters[X.]hiedli[X.]he Auffassungen vertreten werden und die no[X.]h ni[X.]ht oder ni[X.]ht hinrei[X.]hend hö[X.]hstri[X.]hterli[X.]h geklärt sind (vgl. [X.] FamRZ 2010, 1235, 1236).

8

So liegt der Fall hier ni[X.]ht.

9

a) Die [X.] gehört - was ni[X.]ht in Zweifel gezogen wird - ni[X.]ht zu den gemäß § 2 Abs. 2 [X.] in den Versorgungsausglei[X.]h einzubeziehenden Anre[X.]hten, weil sie aus [X.] gezahlt wird und weder dur[X.]h Arbeit no[X.]h dur[X.]h Vermögen erworben worden ist. Das Bes[X.]hwerdegeri[X.]ht hat die Re[X.]htsbes[X.]hwerde deswegen au[X.]h ledigli[X.]h wegen der Frage zugelassen, ob der Bezug einer [X.] im Rahmen des § 27 [X.] bei der Beurteilung der wirts[X.]haftli[X.]hen Verhältnisse des [X.] berü[X.]ksi[X.]htigt werden dürfe.

b) Dieser Re[X.]htsfrage kommt keine grundsätzli[X.]he Bedeutung zu, weil sie na[X.]h dem geltenden Re[X.]ht eindeutig zu beantworten ist.

aa) Gemäß § 18 Abs. 1 [X.] bleiben Leistungen na[X.]h dem [X.] bei der Ermittlung oder Anre[X.]hnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen na[X.]h anderen Gesetzen, insbesondere dem [X.], [X.], Fünften und [X.] und dem Bürgerli[X.]hen Gesetzbu[X.]h, außer Betra[X.]ht. Die Aufzählung dieser Gesetze ist - wie die Formulierung "insbesondere" verdeutli[X.]ht - ni[X.]ht abs[X.]hließend (vgl. BT-Dru[X.]ks. 15/5654, [X.]) und s[X.]hließt deshalb das Versorgungsausglei[X.]hsgesetz ni[X.]ht aus. § 18 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt darüber hinaus, dass Verpfli[X.]htungen Anderer, insbesondere Unterhaltspfli[X.]htiger und der Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen, dur[X.]h das [X.] ni[X.]ht berührt werden. Im Versorgungsausglei[X.]h würde die Ausglei[X.]hspfli[X.]ht des Ehegatten mit den höheren Versorgungsanre[X.]hten jedo[X.]h dur[X.]haus berührt, wenn man (au[X.]h) die dem ausglei[X.]hsbere[X.]htigten Ehegatten gewährten Leistungen na[X.]h dem [X.] zum Anlass nehmen würde, den auf § 1 Abs. 1 [X.] beruhenden Anspru[X.]h des Conterganges[X.]hädigten auf Halbteilung der in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanre[X.]hte na[X.]h § 27 [X.] herabzusetzen oder auszus[X.]hließen. Zwingende gesetzessystematis[X.]he Gründe, wel[X.]he die S[X.]hlussfolgerung nahelegen könnten, dass § 18 [X.] der Berü[X.]ksi[X.]htigung von Leistungen na[X.]h dem [X.] zumindest bei der Anwendung von Härte- oder Billigkeitsregelungen des bürgerli[X.]hen Re[X.]hts ni[X.]ht entgegenstünde, bestehen ni[X.]ht. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er es - wie beispielsweise in § 11 Satz 4 [X.] und der dort enthaltenen Bezugnahme auf §§ 1579, 1611 Abs. 1 BGB - ausdrü[X.]kli[X.]h anordnen können.

bb) Im Übrigen gehört die [X.] na[X.]h allgemeiner Auffassung ([X.]/[X.]. § 1610 a Rn. 3; [X.]/[X.] 6. Aufl. § 1610 a Rn. 10; [X.]/[X.]. § 1610 a Rn. 5; [X.]/[X.] BGB 13. Aufl. § 1610 a Rn. 6; Botur in [X.]/Poppen/[X.] Unterhaltsre[X.]ht 2. Aufl. § 1610 a BGB Rn. 5; [X.]/[X.]/[X.] 3. Aufl. § 1610 a Rn. 4; Heiß/Heiß in Heiß/[X.] Unterhaltsre[X.]ht [Bearbeitungsstand: 2014] 3. Kap. Rn. 111; [X.]/[X.] 2007, 223, 226; vgl. au[X.]hBT-Dru[X.]ks. 15/5654, [X.]) zu den Sozialleistungen, die für Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitss[X.]hadens gewährt werden und bei denen gemäß § 1610 a BGB bei der Feststellung eines Unterhaltsanspru[X.]hes vermutet wird, dass die Kosten der Aufwendungen ni[X.]ht geringer sind als die Höhe dieser Sozialleistungen. Au[X.]h wenn die Vors[X.]hriften des [X.] keine unmittelbare Verweisung auf § 1610 a BGB enthalten, werden die Grundsätze des § 1610 a BGB au[X.]h im Rahmen des § 27 [X.] bei der Beurteilung der Frage zu berü[X.]ksi[X.]htigen sein, ob der Unterhalt des ausglei[X.]hsbere[X.]htigten Ehegatten dur[X.]h anderweitige Einkünfte gede[X.]kt ist (vgl. au[X.]h [X.] FamRZ 1995, 1277, 1278). Denn wenn und soweit eine dem [X.] aus [X.] gezahlte Sozialleistung ledigli[X.]h s[X.]hadensbedingten Mehraufwand abde[X.]ken soll, bezwe[X.]kt sie keine [X.] Absi[X.]herung für Alter oder Invalidität und kann daher au[X.]h keinen Auss[X.]hluss des Versorgungsausglei[X.]hs re[X.]htfertigen (vgl. bereits [X.]/[X.] BGB [2000] § 1587 [X.] Rn. 22; [X.]/[X.] BGB 13. Aufl. § 1587 [X.] Rn. 13).

Zwar stellt § 1610 a BGB ledigli[X.]h eine widerlegbare gesetzli[X.]he Vermutung auf, so dass die ausglei[X.]hspfli[X.]htige Person den Gegenbeweis dafür führen könnte, dass die ausglei[X.]hsbere[X.]htigte Person, die eine [X.] bezieht, in voller Höhe ihrer Rente tatsä[X.]hli[X.]h keinen dur[X.]h Körper- und Gesundheitss[X.]haden bedingten Mehrbedarf hat. Gerade diesen Gegenbeweis wollte der Gesetzgeber aber dur[X.]h die Fassung des § 18 [X.] auss[X.]hließen; es sollte ausweisli[X.]h der Begründung des Gesetzentwurfes klargestellt werden, dass die Leistungen na[X.]h dem neuen [X.] "als e[X.]hte Zusatzleistungen" erhalten bleiben (BT-Dru[X.]ks. 15/5654, [X.]). Na[X.]h diesen Intentionen des Gesetzgebers ist es - trotz der mittlerweile ni[X.]ht unerhebli[X.]hen Höhe der Leistungen na[X.]h dem [X.] - ni[X.]ht mögli[X.]h, von der Dur[X.]hführung des Versorgungsausglei[X.]hs mit der Begründung abzusehen, die ausglei[X.]hsbere[X.]htigte Person sei bereits mit ihrer [X.] ausrei[X.]hend versorgt.

2. Ergeben si[X.]h somit keine Re[X.]htsfragen, die einer Klärung dur[X.]h hö[X.]hstri[X.]hterli[X.]he Ents[X.]heidung bedürften, kommt es für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe in der Re[X.]htsbes[X.]hwerdeinstanz allein auf die Er-folgsaussi[X.]hten in der Sa[X.]he an (Senatsbes[X.]hlüsse vom 24. April 2013 - [X.] - FamRZ 2013, 1199 Rn. 9 und vom 16. Oktober 2013 - [X.] 176/12 - FamRZ 2014, 105 Rn. 36). Diese bestehen ni[X.]ht.

Dose                              S[X.]hilling                       Günter

           Nedden-Boeger                         Botur

Meta

XII ZB 164/14

16.07.2014

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Bamberg, 24. Februar 2014, Az: 7 UF 188/13

§ 18 ContStifG, § 27 VersAusglG, § 1610a BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.07.2014, Az. XII ZB 164/14 (REWIS RS 2014, 4024)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4024

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 164/14 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 546/10 (Bundesgerichtshof)

Versorgungsausgleich: Verzinsung des Ausgleichswertes beim Vollzug der externen Teilung


XII ZB 673/12 (Bundesgerichtshof)

Versorgungsausgleich: Interner Ausgleich eines sicherungshalber abgetretenen Anrechts aus einer privaten Lebensversicherung; erforderlicher Inhalt der Beschlussformel


XII ZB 636/13 (Bundesgerichtshof)

Versorgungsausgleich: Einbeziehung einer laufenden Invaliditätsrente aus betrieblicher Versorgung; Billigkeitsabwägung bei Anwendung der Härteklausel


XII ZB 252/14 (Bundesgerichtshof)

Versorgungsausgleich: Korrektur nach Gesetzesänderung betreffend den Wegfall des sog. Rentnerprivilegs für den Invaliditätsrente in der …


Referenzen
Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.