Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.10.2014, Az. 2 BvR 437/12

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2014, 2104

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, wenn die Untätigkeit eines Fachgerichts gerügt wird, im Ausgangsverfahren jedoch keine Entschädigungsklage gem §§ 198 Abs 1, 201 GVG erhoben wurde


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde des strafgefangenen Beschwerdeführers betrifft die fachgerichtliche Behandlung eines auf Nichtvornahme einer Durchsuchung gerichteten Eilantrages.

I.

2

1. Am 6. September 2011 wurde der in der [X.] untergebrachte Beschwerdeführer für eine Zeugenvernehmung in einem Verfahren vor dem [X.] in die [X.] überstellt. Während seines Aufenthalts dort erhielt er Besuch von seiner Großmutter. Kurz vor Beginn der Besuchsdurchführung und auch vor der Vorführung bei Gericht wurde von Beamten der [X.] eine Durchsuchung durchgeführt, deren nähere Umstände streitig sind.

3

2. Mit Schreiben vom 6. September 2011 beanstandete der Beschwerdeführer bei der [X.], ohne nähere Darstellung des Vorgangs, dass er vor der Besuchsdurchführung vom selben Tage einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen worden sei. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit, dass er das Schreiben im Wege der Dienstaufsicht geprüft habe. Der Umkleidungsvorgang vor einem Besuch und vor einer Aus- oder Vorführung in Anwesenheit eines Bediensteten stelle noch keine Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 [X.] dar. Es seien lediglich die Sachen des Beschwerdeführers durchsucht worden. Eine weitergehende Kontrolle - insbesondere die vom Beschwerdeführer behauptete körperliche Durchsuchung - sei nach schriftlicher Einlassung des zuständigen Beamten nicht erfolgt.

4

3. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim [X.]. Er habe sich der [X.] (Entkleiden, Heben der Arme, [X.] sowie Inaugenscheinnahme seiner entblößten [X.] und seiner unverdeckten Rückenansicht) nicht nur vor dem Besuchstermin, sondern auch danach unterziehen müssen. Anlässlich eines Zeugentermins beim [X.] sei am darauffolgenden Tag ebenfalls vor und nach der Vorführung eine derartige Durchsuchung erfolgt. Zwar könne der Anstaltsleiter eine Maßnahme nach § 84 Abs. 1 [X.] allgemein anordnen, dabei handele es sich jedoch um eine Durchsuchung ohne Entkleidung. Die Kontrolle der Person beschränke sich auf das Abtasten der Kleidung sowie auf die Suche in den Taschen oder die Überprüfung mittels elektronischer Geräte. Für den 9. November 2011 habe ihn das [X.] erneut als Zeugen geladen, so dass Wiederholungsgefahr bestehe.

5

Das [X.] ging am 20. Oktober 2011 beim [X.] ein. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2011, eingegangen beim [X.] am 29. Dezember 2011, teilte der Beschwerdeführer dem [X.] mit, dass er auf seinen Antrag vom 17. Oktober 2011 bisher keine Antwort erhalten habe. Daher sei er am 8. und 22. November 2011 erneut rechtswidrig durchsucht worden. Da eine weitere Ladung nicht ausgeschlossen sei, bestehe auch weiterhin die Gefahr, dass er rechtswidrig behandelt werde. Daher bitte er um Bearbeitung seines Antrags.

II.

6

1. Mit seiner am 24. Februar 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer bei sachdienlicher Auslegung seines Antrags gegen das Unterlassen des [X.]s Gera, den Antrag auf Erlass einer einst-weiligen Anordnung seiner Dringlichkeit entsprechend zu behandeln. Das [X.] habe auf seinen Eilantrag nicht reagiert, obwohl die mit Entkleidung verbundene Durchsuchung nach § 84 Abs. 2 und 3 [X.] offenkundig rechtswidrig erfolgt sei und er sich zwischenzeitlich auch nach dem Verbleib seines Antrags erkundigt habe.

7

2. Das [X.] hat zur Nichtbehandlung des Eilantrages durch das [X.] ausgeführt, dass der Antrag des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 beim [X.] eingegangen sei. Soweit habe ermittelt werden können, sei die Akte versehentlich unter die [X.] des Berichterstatters in dem Verfahren geraten, in dem der Beschwerdeführer als Zeuge geladen worden sei. Der Antrag des Beschwerdeführers und der mit dem Antrag zusammenhängende Schriftverkehr sei deshalb übersehen und nicht weiter bearbeitet worden. Die Akte sei erst im [X.] mit dem [X.] aufgefunden worden. Zwischenzeitlich habe das [X.] den Antrag abgewiesen.

8

3. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2013 hat Rechtsanwalt [X.] angezeigt, mit der Vertretung des Beschwerdeführers beauftragt worden zu sein und beantragt, dem Beschwerdeführer unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

9

4. [X.] wurde beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der Eilantrag des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 beim [X.] eingegangen und mit richterlicher Verfügung vom 3. November 2011 der Justizvollzugsanstalt zur Stellungnahme übersandt worden ist. Mit Schriftsatz vom 7. November 2011 nahm die Justizvollzugsanstalt zu dem Antrag Stellung, indem sie auf ein Schreiben vom 18. Oktober 2011 verwies, mit dem dem Beschwerdeführer ein [X.] für seine Großmutter übersandt worden war. Auf der Rückseite des der Stellungnahme beigefügten [X.]s des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Besuchstermins befindet sich die richterliche Verfügung: "[X.]". Der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 18. Dezember 2011, eingegangen beim [X.] am 29. Dezember 2011, mit dem sich der Beschwerdeführer nach dem Verbleib seines Antrags erkundigt hatte, trägt den Vermerk: "Akte bei [X.] angefordert"; das Zustellungsschreiben des [X.] vom 18. September 2012 trägt den Vermerk "Akte im Archiv - im Hause - angefordert". Mit Vermerk vom 8. Oktober 2012 wurde festgestellt, dass sich die Akte noch in den [X.] zu dem Verfahren befunden habe, in dem der Beschwerdeführer als Zeuge geladen worden war. Dort sei die Akte irrtümlich verblieben und erst heute wieder aufgefunden worden.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

Zwar dürfte das Unterlassen des [X.]s, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seiner Dringlichkeit entsprechend zu behandeln, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes verletzt haben (1.); jedoch ist die Verfassungsbeschwerde aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig (2.).

1. a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem [X.] Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. [X.] 35, 382 <401 f.>; 37, 150 <153>; 101, 397 <407>; stRspr). Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener [X.] gewährt wird. Namentlich der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. [X.] 37, 150 <153>; 65, 1 <70>).

b) Dadurch, dass das [X.] weder auf den Eilantrag des Beschwerdeführers noch auf die seinen Eilantrag betreffende Nachfrage reagiert hat und spätestens auf die Nachfrage des Beschwerdeführers auch hätte bemerken müssen, dass über den gestellten Eilantrag, wohl versehentlich, wenn auch mit dem abschließenden Vermerk "[X.]", nicht entschieden worden ist, ist es den sich hieraus für die Gerichte ergebenden Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. [X.] 49, 220 <226>; 77, 275 <284>; 93, 1 <13 f.>; stRspr) nicht gerecht geworden. Auch wenn es sich dabei um ein bloßes Versehen gehandelt hat und Versehen dieser Art auch in einem geordneten Justizbetrieb und bei pflichtbewusst arbeitenden Richtern vorkommen können, ändert dies nichts daran, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz durch die Nichtbehandlung seines [X.] verletzt worden sein dürfte (vgl. [X.], 25 <32>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig. Zwar hat sich der Beschwerdeführer darum bemüht, sich durch Nachfrage beim [X.] über den Verbleib seines [X.] zu informieren, wobei die Nachfrage bei verständiger Würdigung als Verzögerungsrüge ausgelegt werden muss, die nach § 198 Abs. 3 und Abs. 6 Nr. 1 [X.] auch bei einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. hierzu auch [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 6. Juni 2013 - 2 BvQ 26/13 -, juris).

Allerdings hat der Beschwerdeführer es versäumt, beim zuständigen [X.] eine Klage auf angemessene Entschädigung für infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erlittene Nachteile gemäß § 198 Abs. 1, § 201 [X.] zu erheben (zu diesem Erfordernis vgl. [X.], 424 <426 f.>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Januar 2013 - 2 BvR 1912/12 -, juris, Rn. 4, und vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1565/11 -, juris, Rn. 11 ff.; Beschluss der [X.] des [X.] vom 5. September 2013 - 1 BvR 2447/11 -, juris, Rn. 12 ff.). Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das diese Rechtsschutzmöglichkeit geschaffen hat, ist zwar erst am 3. Dezember 2011 - und damit nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag bei dem [X.] anhängig gemacht hatte - in [X.] getreten. Allerdings findet das Gesetz nach Art. 23 Satz 1 auch auf im [X.]punkt des Inkrafttretens bereits anhängige Verfahren Anwendung.

3. Da die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 114, 121 Abs. 2 ZPO), ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts [X.] abzulehnen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 437/12

16.10.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

Art 19 Abs 4 GG, § 90 Abs 2 BVerfGG, § 198 Abs 1 GVG, § 198 Abs 3 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, § 201 GVG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.10.2014, Az. 2 BvR 437/12 (REWIS RS 2014, 2104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2104

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 Ws 166/18 (OLG Nürnberg)

Voraussetzungen für die Durchsuchung eines Strafgefangenen mit Entkleidung


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