Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2018, Az. IV ZB 18/17

4. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 13545

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Gegenstand

Wiedereinsetzungsantrag bei Adressierung der Berufungsbegründung an unzuständiges Gericht


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] - 8. Zivilsenat - vom 30. Mai 2017 wird auf ihre Kosten verworfen.

[X.]: bis 80.000 €

Gründe

1

I. Die Beklagte erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung.

2

Sie hat gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 2. Februar 2017 zugestellte Urteil des [X.], mit dem sie zur Zahlung von 80.090,48 € nebst Zinsen abzüglich eines Betrages in Höhe von 5.579,16 € sowie zur Ausstellung einer Steuerbescheinigung näher bezeichneten Inhalts verurteilt wurde, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 31. März 2017, adressiert an das [X.] unter Angabe des erstinstanzlichen Aktenzeichens und eingegangen per Telefax am selben Tage, einem Freitag, um 14:57 Uhr bei der Gemeinsamen Poststelle der Justiz [X.] beantragte sie, "die am 03.04.2017 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung erstmals bis zum 21.04.2017 zu verlängern". Dieser Schriftsatz wurde am Dienstag, den 4. April 2017 von der Geschäftsstelle der Zivilkammer des [X.] an das im selben Hause befindliche [X.] weitergeleitet, wo er am selben Tage einging.

3

Nachdem die Beklagte vom Berufungsgericht auf die beabsichtigte Zurückweisung des [X.] wegen dessen verspäteten Eingangs hingewiesen worden war, hat sie mit einem dort am 18. April 2017 eingegangenen Schriftsatz unter gleichzeitiger Vorlage einer Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.

4

Zur Begründung des [X.] hat die Beklagte zum einen unter näherer Darlegung geltend gemacht, dass ihren Prozessbevollmächtigten kein Verschulden an der falschen Adressierung des [X.] treffe, und zum anderen, dass sich ein etwaiges Verschulden nicht ausgewirkt habe, weil der Schriftsatz bei einer ordnungsgemäßen Weiterleitung durch das [X.] im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs noch vor Fristablauf beim [X.] eingegangen wäre.

5

Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

6

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Rechtsmittelbegründungsfrist infolge der falschen Adressierung des [X.] versäumt worden sei, an der jedenfalls auch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden treffe, weil er den Adressierungsfehler bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes habe bemerken müssen.

7

Der Wiedereinsetzungsantrag könne auch nicht darauf gestützt werden, dass das [X.] den am Freitagnachmittag dort eingegangenen Fristverlängerungsantrag so schnell an das im gleichen Hause befindliche [X.] hätte weiterleiten müssen, dass ein Eingang beim Berufungsgericht noch vor Fristende am Montag um 24:00 Uhr zu verzeichnen gewesen wäre. Das [X.] sei zur Weiterleitung nur im normalen Geschäftsgang verpflichtet gewesen. Das sei hier geschehen. Es sei nicht ersichtlich, dass die am Dienstagmorgen erfolgte "Weiterverarbeitung" eines am Freitagnachmittag um 14:57 Uhr bei der gemeinsamen [X.] mehrerer Justizbehörden in einer Großstadt aufgelaufenen [X.] nicht mehr den Kriterien eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs entsprechen würde.

8

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

9

II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt weder den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Eine Entscheidung des [X.] ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich.

1. Das Berufungsgericht ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass auch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein seiner [X.] gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden an der fehlerhaften Adressierung des [X.] trifft. Er hätte bei Unterzeichnung des Schriftsatzes - ungeachtet des Fehlers seiner Kanzleiangestellten bei dessen Vorbereitung - bemerken können und müssen, dass dieser nicht an das Berufungsgericht gerichtet war. Die auf einer solchen falschen Adressierung beruhende Verzögerung des Eingangs beim zuständigen Gericht hat er selbst zu vertreten (vgl. auch [X.] NJW 2005, 2137 unter [X.], juris Rn. 10).

2. Allerdings wirkt sich ein etwaiges Verschulden der [X.] oder ihres Prozessbevollmächtigten nach ständiger Rechtsprechung des [X.] dann nicht auf die Fristversäumung aus, wenn die fristgerechte Weiterleitung eines bei einem unzuständigen Gericht eingereichten fristgebundenen Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muss Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1461 Rn. 13; [X.], Beschluss vom 27. Juli 2016 - [X.] 203/15, NJW-RR 2016, 1340 Rn. 12; jeweils m.w.N.).

3. So liegt der Fall hier aber nicht.

a) Das [X.] war nicht verpflichtet, bei der Weiterleitung des Schriftsatzes Maßnahmen zur besonderen Beschleunigung zu ergreifen, auch nicht im Hinblick auf das bevorstehende Wochenende. Andernfalls würde den [X.]en und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitete richterliche Fürsorgepflicht überspannt werden ([X.], Beschluss vom 6. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 408 Rn. 8 m.w.N.). Ein unzuständiges Gericht ist nur verpflichtet, bei ihm eingereichte fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 aaO Rn. 13 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich eine weitergehende Pflicht zur beschleunigten Bearbeitung und Weiterleitung des eingegangenen Schriftsatzes im Streitfall auch nicht daraus, dass das Datum des Fristablaufs in dem Fristverlängerungsantrag mitgeteilt war. Dieses Datum des Fristablaufs war hier in dem eingerückten Antrag ohne besondere Hervorhebung genannt; durch Fettdruck hervorgehoben war lediglich das Datum, bis zu dem die verlängerte Frist gewährt werden sollte. Auch war der Schriftsatz nicht als besonders eilbedürftig gekennzeichnet. Es kann deshalb weiter offen bleiben, ob insbesondere die [X.] sowie die Geschäftsstelle der Kammer beim [X.] bei einer solchen besonderen Kennzeichnung zu einer beschleunigten Weiterleitung bzw. Vorlage an den [X.] gehalten wären (vgl. [X.], Beschluss vom 6. November 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 408 Rn. 8).

b) Maßgeblich ist somit allein, ob mit einem rechtzeitigen Eingang des [X.] beim Berufungsgericht im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs gerechnet werden konnte.

Danach kann zunächst nicht erwartet werden, dass eingehende [X.] umgehend auf die zutreffende Adressierung überprüft und gegebenenfalls sofort an das zuständige Gericht weitergeleitet werden, so dass sie dort noch am selben Tag eingehen, selbst wenn sich das Berufungsgericht wie im Streitfall im selben Gebäudekomplex befindet wie das erstinstanzliche Gericht, bei dem der Schriftsatz eingegangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 1461 Rn. 14).

Bereits geklärt ist in der Rechtsprechung des [X.] darüber hinaus aber auch, dass im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs mit einem Eingang des Schriftsatzes auf der Geschäftsstelle der zuständigen Kammer unter Umständen erst am Tage nach dem Eingang bei der gemeinsamen [X.] zu rechnen ist, die Akte dem zuständigen [X.] jedenfalls erst am folgenden Werktag vorgelegt wird und die Bearbeitung seiner Verfügung durch die Geschäftsstelle erst am darauf folgenden Tag zu erwarten ist ([X.], Beschlüsse vom 12. Mai 2016 - [X.]/15, juris Rn. 14 und vom 29. August 2017 - [X.], NJW-RR 2018, 56 Rn. 15).

Nach diesen Maßstäben konnte die Beklagte im Streitfall deshalb nicht darauf vertrauen, dass der am Freitagnachmittag gestellte Fristverlängerungsantrag noch am Montag das zuständige [X.] erreicht.

[X.]     

      

[X.]     

      

Lehmann

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Bußmann     

      

Meta

IV ZB 18/17

21.02.2018

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 30. Mai 2017, Az: 8 U 444/17

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2018, Az. IV ZB 18/17 (REWIS RS 2018, 13545)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13545

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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