Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.11.2022, Az. III ZR 36/22

3. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 7741

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 3. Zivilsenats (Einzelrichter) des [X.] vom 2. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt - auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau - von der [X.], einer Wertpapierhandelsbank, Schadensersatz unter dem Vorwurf der Fehlerhaftigkeit eines Börsenprospekts und ihrer Beteiligung an einer Marktmanipulation im Zusammenhang mit dem Börsengang der [X.] Aktiengesellschaft "[X.]" (im Folgenden: [X.]) an der [X.] (im Folgenden: [X.]).

2

Die [X.] verfügte über ein Grundkapital von 72.750 €, das auf rund 363 Millionen Stammaktien mit einem Nennwert von 0,0002 € aufgeteilt war. In den Jahren 2009 bis 2013 war das Unternehmen nicht kommerziell tätig. Ab 2014 war Gesellschaftszweck der Betrieb der [X.] "trig.com". In Ergänzung der Plattform sollte die [X.] einen "[X.]" für Rückvergütungen im Online-Shopping entwickeln und anbieten.

3

Am 17. Juli 2014 beantragte die Beklagte die Zulassung der [X.]-Aktien zum Handel im regulierten Markt der [X.] (im Folgenden: [X.]). Anfang August 2014 folgte ein überarbeiteter Antrag. Den von der [X.] Finanzaufsicht gebilligten Verkaufsprospekt notifizierte die [X.] (im Folgenden: [X.]) am 1. September 2014. Die Beklagte ist darin als "Listing Agent" und "Beraterin des Prospekts" aufgeführt, hatte ihn aber nicht unterzeichnet. Am 9. September 2014 ließ die [X.] die [X.]-Aktien zum Handel zu. Der erste Handel fand am 18. September 2014 statt. Ein erster, mit der [X.] abgestimmter, Ausgabepreis ("indikativer Quote") lag zwischen 2,81 € und 3,15 €. Die erste Order erfolgte über 8.500 Aktien zum Preis von 3,00 €.

4

Der Kläger und seine Ehefrau erwarben am 30. März 2015 1.500 Aktien der [X.] für 4.848,71 €, am 17. Juni 2015 wiederum 1.500 Aktien für 3.530,66 € und am 24. Juni 2015 weitere 2.000 Aktien für 2.323,71 €.

5

Am 15. Juni 2015 erstattete die [X.] Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation.

6

Der Kläger macht geltend, die Beklagte sei als emissionsbegleitende Bank am Prozess des Listings der [X.] beteiligt gewesen, habe diese bei der Erstellung des Prospekts beraten und im Rahmen einer [X.] bewertet. Sie sei verpflichtet gewesen, den Prospekt zu unterzeichnen. Der Vorstand der [X.] habe von der Überhöhung des [X.] gewusst oder habe diese jedenfalls erkennen müssen. Die Beklagte habe sich ein eigenes Bild von der Vermögenssituation der [X.] machen müssen und sich nicht auf die Angaben der [X.] verlassen dürfen. Der Kläger verlangt Erstattung der von ihm gezahlten Kaufpreise abzüglich des Erlöses aus dem Verkauf seiner Aktien in Höhe von 6,79 €.

7

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die [X.]evision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

9

Der Einzelrichter des Berufungsgerichts hat angenommen, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch wegen Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Prospekts aus § 21 Abs. 1 WpPG a.F. i.V.m. § 5 Abs. 2 und 4 WpPG a.F., weil diese nicht prospektverantwortlich sei. Der Kläger habe auch keine Ansprüche gegen die Beklagte wegen Beihilfe zur [X.] aus § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2, §§ 31, 831 [X.]. §§ 263, 27 StGB bzw. §§ 826, 830 Abs. 2 BGB. Es könne dahinstehen, ob der Vorstand der [X.] potentielle Anleger gemäß § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe, indem er von ihm gehaltene Aktien zu einem manipulativ überhöhten Preis verkauft habe, der eine realistische Gewinnchance von vornherein ausgeschlossen hätte. Jedenfalls sei eine Beihilfe hierzu durch eine Person, deren Handeln der Beklagten zuzurechnen wäre, nicht festzustellen.

Der Einzelrichter hat die Zulassung der [X.]evision mit einer Divergenz zu der am 16. Dezember 2021 verkündeten Entscheidung des "hiesigen Senats (Einzelrichterin)" mit dem Aktenzeichen 3 [X.] (= Parallelsache III Z[X.] 13/22) begründet. Hierzu hat er ausgeführt, es lägen unterschiedliche [X.]echtsaufassungen vor "im Hinblick auf die abstrakte [X.]echtsfrage, ob einer Spezialistin, welche die Forderung eines bestimmten Quotes ohne eigene Überprüfung übernimmt, eine leichtfertige Verletzung der Berufspflichten nach §§ 85 ff der Börsenordnung vorgeworfen werden kann und ob sich daraus eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung aus §§ 826, 830 BGB ergibt".

II.

Das angefochtene Urteil unterliegt schon deswegen der Aufhebung, weil es unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen [X.]ichters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen i[X.] Der Einzelrichter hätte die Sache gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Berufungsgericht zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen und das Berufungsgericht hätte das Verfahren nach § 526 Abs. 2 Satz 2 übernehmen müssen, da sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage die grundsätzliche Bedeutung der [X.]echtssache ergeben hatte. Dieser Verstoß ist im vorliegenden Fall ungeachtet der [X.]egelung des § 526 Abs. 3 ZPO sowie von Amts wegen zu berücksichtigen.

1. a) Gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO legt der Einzelrichter, dem die Sache gemäß § 526 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung übertragen worden ist, den [X.]echtsstreit dem Berufungsgericht, das heißt dem vollbesetzten Spruchkörper, zur Entscheidung über eine Übernahme vor, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder die grundsätzliche Bedeutung der [X.]echtssache ergeben. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Einzelrichter zur Vorlage des [X.]echtsstreits verpflichtet (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 - [X.]/18, NJW-[X.][X.] 2019, 942 [X.]n. 10; [X.], Urteil vom 16. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 2900, 2901; vgl. auch die [X.] [X.]spr. zu § 568 ZPO; vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200, 202; vom 10. November 2003 - [X.], NJW 2004, 448, 449 und vom 28. Januar 2022 - [X.], NJW-[X.][X.] 2022, 570 [X.]n. 5 mwN; zu § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.] vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2005 - [X.], NJW-[X.][X.] 2006, 286 [X.]n. 3) und das Berufungsgericht hat ihn gemäß § 526 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu übernehmen (vgl. [X.][X.], 6. Aufl. 2020, § 526 [X.]n. 24; [X.], 23. Aufl. 2018, § 526 [X.]n. 12).

Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur in den Fällen des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 beziehungsweise § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO vor. Vielmehr umfasst der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung in § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ebenso wie in § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 348a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 526 Abs. 1 Nr. 3 und § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO neben der grundsätzlichen Bedeutung im engeren Sinn auch die in § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO genannten Fälle der [X.]echtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung (vgl. BT-Drucks. 14/4722, [X.]; [X.], Beschlüsse vom 13. März 2003 aaO; vom 11. September 2003 - [X.], NJW 2003, 3712 und vom 18. September 2003 - [X.], NJW 2004, 223). Grundsätzliche Bedeutung haben auch die Fälle der sogenannten [X.], das heißt die Fälle, in denen innerhalb eines Spruchkörpers unterschiedliche Auffassungen über die Beurteilung der Sach- oder [X.]echtslage bestehen (vgl. BT-Drucks. aaO; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl., § 526 [X.]n. 8; [X.] aaO; [X.]/Schütze/[X.], ZPO, 5. Aufl., § 526 [X.]n. 16). Das Ziel der [X.]echtseinheitlichkeit, dem die Zivilprozessordnung durch vielfältige [X.]egelungen [X.]echnung trägt, dient der [X.]echtssicherheit (vgl. BT-Drucks. [X.]) und schützt das Vertrauen der Bürger in den [X.]echtsstaat, indem schwer erträgliche Unterschiede in der [X.]echtsprechung vermieden werden sollen (vgl. BT-Drucks. aaO S. 104).

Weitere Voraussetzung für die Vorlage und [X.]ückübernahme gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 ZPO ist, dass die grundsätzliche Bedeutung sich aus einer wesentlichen Änderung der Sach- und [X.]echtslage seit der Übertragung auf den Einzelrichter ergeben hat. Hält das Kollegium die Sache nicht für rechtsgrundsätzlich und überträgt es sie deshalb an den Einzelrichter, kann dieser sie dem vollbesetzten Spruchkörper nicht schon deshalb wieder zu einer Übernahmeentscheidung vorlegen, weil er sie, anders als das Kollegium, für grundsätzlich hält. Eine wesentliche Änderung der Prozesslage muss hinzukommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2019 aaO; [X.], Urteile vom 16. Juli 2003 aaO; vom 25. Oktober 2012 - [X.], NJW-[X.][X.] 2013, 161 [X.]n. 32 und vom 18. November 2016 - [X.], NJW-[X.][X.] 2017, 260 [X.]n. 7; [X.], Beschluss vom 11. Februar 2004 - [X.] 158/02, [X.]Z 158, 74, 76). Fehlt ein solcher [X.]ückübertragungsgrund, ist der Einzelrichter weiterhin [X.] und daher auch befugt, die [X.]evision zuzulassen. Das Ziel einer zügigen Verfahrenserledigung geht in diesem Fall dem Bestreben des Gesetzgebers, die Zulassung der [X.]evision durch einen Einzelrichter grundsätzlich auszuschließen (vgl. BT-Drucks. aaO [X.]; [X.], Urteile vom 18. Januar 2013 - [X.], [X.], 131 [X.]n. 5 und vom 18. November 2016 aaO [X.]n. 6), vor.

b) § 526 Abs. 3 ZPO schließt allerdings grundsätzlich eine Überprüfung der Entscheidung über die Übertragung, Vorlage oder Übernahme der Sache aus. Dieses Nachprüfungsverbot schützt die Zulassung der [X.]evision durch das Kollegium, damit nicht trotz Bindung an die Zulassung geltend gemacht werden kann, die Sache sei nicht grundsätzlich und daher vom Berufungsgericht in falscher Besetzung entschieden worden. Es schützt ferner die sachliche Nachprüfbarkeit von Einzelrichterentscheidungen in den Fällen, in denen der Einzelrichter ohne Willkür von einer Vorlage der Sache an den Spruchkörper gemäß § 526 Abs. 2 ZPO abgesehen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO, [X.] zu § 568 Satz 3 ZPO). § 526 Abs. 3 ZPO greift jedoch dann nicht ein, wenn die Entscheidung auf Willkür beruht, weil in einem solchen Fall eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegt (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 2016 aaO [X.]n. 7; [X.]/Schütze/[X.] aaO [X.]n. 20; vgl. auch [X.], Beschluss vom 25. November 2015 - [X.] 105/13, [X.], 413 [X.]n. 9 zu § 68 FamFG; in diese [X.]ichtung auch bereits [X.], Urteil vom 12. Dezember 2006 - [X.], [X.]Z 170, 180 [X.]n. 5). Aus diesem Grund ist auch eine Heilung des Verstoßes gemäß § 295 ZPO nicht möglich (vgl. [X.], Urteile vom 16. Oktober 2008 - [X.], [X.], 1351 [X.]n. 13 und vom 15. Oktober 2013 - [X.], juris [X.]n. 7; [X.][X.], 6. Aufl., § 295 [X.]n. 22, [X.]. mwN).

2. Ein nach diesen Maßstäben im [X.]evisionsverfahren zu berücksichtigender Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt vor.

a) Der Einzelrichter hätte das Verfahren gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Berufungssenat zur Übernahme vorlegen müssen, statt zur Sache zu entscheiden und die [X.]evision zwecks Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung zuzulassen.

Zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung am 2. Februar 2022 bestand innerhalb des Senats eine Divergenz hinsichtlich der Beurteilung der Sach- und [X.]echtslage. Während der Einzelrichter in dem vorliegenden [X.]echtsstreit das Vorgehen der Beklagten nicht als eine vorsätzliche Beihilfe zu den Manipulationen des Vorstands der [X.] beurteilt hat, ist die Einzelrichterin in dem Parallelverfahren 3 [X.] (= III Z[X.] 13/22) von einer Haftung der Beklagten aus diesem [X.]echtsgrund ausgegangen.

Auch die weitere Voraussetzung für die [X.]ückgabe einer Sache an den vollbesetzten Spruchkörper, dass der nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO maßgebliche Umstand nach der Übertragung auf den Einzelrichter eingetreten ist, ist erfüllt. [X.] Entscheidungen bereits zum Zeitpunkt der Übertragung der Sache auf den Einzelrichter am 25. Oktober 2021 sind nicht ersichtlich. Die [X.] ist erst dadurch eingetreten, dass der Einzelrichter des vorliegenden Verfahrens sich entschloss, von der Würdigung der Sach- und [X.]echtslage durch die Einzelrichterin des [X.] in deren Urteil vom 16. Dezember 2021 abzuweichen.

b) Die Sache gleichwohl nicht dem Berufungssenat vorzulegen, war objektiv willkürlich. Bei der Annahme von Willkür ist allerdings Zurückhaltung geboten. Nicht jede entgegen § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unterlassene Vorlage rechtfertigt diesen (objektiven) Vorwurf. Die Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung zwingen indessen zu einer solchen Würdigung.

Der Einzelrichter hat, wie seine Begründung der Zulassung der [X.]evision zeigt, im Ausgangspunkt zwar erkannt, dass eine einheitliche Würdigung des Vorgehens der Beklagten im Zusammenhang mit der Börseneinführung der [X.] nicht gewährleistet war. Er hat jedoch verkannt, dass die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung (zunächst) im Wege der Vorlage gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und nicht durch die Zulassung der [X.]evision herbeizuführen war, weil eine Divergenz innerhalb des [X.] nach der Übertragung der Sache an ihn entstanden war. Ungeachtet dessen, dass der Einzelrichter auch den [X.] der Beklagten abweichend von dem Urteil der Einzelrichterin vom 16. Dezember 2021 gesehen hat, beruht seine Beurteilung, dass der gegen die Beklagte erhobene Vorwurf der Teilnahme (§ 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) an einem deliktischen Verhalten des Vorstands der [X.] nicht zutreffend ist, vor allem auch auf einer Würdigung der Einzelfallumstände, die in erster Linie dem Tatrichter obliegt und vom [X.]evisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar ist (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2004 - [X.], NJW 2004, 3423, 3425 mwN). Demzufolge bedeutete die unterbliebene Vorlage der Sache an das Kollegium des [X.] eine schwerwiegende, objektiv unhaltbare Verkürzung der Angriffsmittel des Klägers - wie im Übrigen auch der Verteidigungsmöglichkeiten der Beklagten. Die Zulassung der [X.]evision gleicht dies wegen des hinsichtlich der tatrichterlichen Würdigung eingeschränkten [X.] nicht aus.

Sollte der Einzelrichter von einem engeren Verständnis der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 ZPO ausgegangen sein, ist dies unerheblich, weil die Frage, ob Willkür vorliegt, anhand objektiver Kriterien festzustellen ist (vgl. [X.] 80, 48, 51; 89, 1, 13 f; 96, 189, 203; [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2004 - [X.], [X.], 153). Dass sich der [X.] erst nach dem [X.] ergeben hat, lag ebenfalls auf der Hand.

3. Den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen [X.]ichters hat der [X.] wegen zu berücksichtigen.

Zwar hat die [X.]echtsprechung in den Fällen des § 551 Nr. 1 ZPO a.F. (nunmehr § 547 Nr. 1 ZPO) eine Besetzungsrüge verlangt (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 1964 - [X.], [X.]Z 41, 249, 254 sowie Beschluss vom 26. März 1986 - [X.], NJW 1986, 2115; [X.], Urteil vom 20. Juni 1991 - [X.], [X.], 512). Daran ist auch grundsätzlich festzuhalten (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO [X.]). Die den vorzitierten Entscheidungen zugrunde liegenden Konstellationen betrafen die Verkündung des Urteils eines Spruchkörpers durch einen anderen und daher unzuständigen Spruchkörper (Senat, Urteil vom 16. März 1964 aaO), die [X.]üge, der planmäßige Senatsvorsitzende sei nicht gehindert gewesen, die zum Berufungsurteil führende mündliche Verhandlung zu leiten (Senat, Beschluss vom 26. März 1986 aaO), sowie die [X.]üge, der Senat eines [X.] sei deshalb nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil ein [X.] mitgewirkt habe, der nur wegen einer allgemeinen Beförderungssperre noch nicht in eine Planstelle habe eingewiesen werden können ([X.], Urteil vom 20. Juni 1991 aaO). Diesen Fällen war gemein, dass die gerügten Besetzungsfehler auf den [X.]echtsmittelzug keinen Einfluss hatten (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO).

Der [X.] hat indes im Hinblick auf die § 526 Abs. 3 ZPO entsprechende [X.]egelung des § 568 Satz 3 ZPO bereits dargelegt, dass die entschiedenen Fälle mit der willkürlichen Zuständigkeitsüberschreitung des originären Einzelrichters im Beschwerdeverfahren bei [X.]echtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht vergleichbar sind und es dort der Erhebung einer Verfahrensrüge nicht bedarf (vgl. [X.] aaO sowie Beschluss vom 25. November 2015 aaO [X.]n. 9; aA [X.][X.], 6. Aufl. 2020, ZPO § 526 [X.]n. 32). Die vorgenannten Fallgestaltungen weichen grundlegend von der Entscheidung eines Einzelrichters ab, der von der [X.]echtsprechung seines Spruchkörpers abweichen will oder der eine uneinheitliche [X.]echtsprechung innerhalb dieses Spruchkörpers erkennt, gleichwohl von einer Vorlage der Sache an den Spruchkörper absieht und stattdessen die [X.]evision zuläs[X.] Zu Vorgehen eines Einzelrichters im Beschwerdeverfahren hat der [X.] ausgeführt, es bestehe ein öffentliches Interesse an der Wahrung der Funktionsfähigkeit des für die Klärung von [X.]echtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung eingeführten [X.]echtsbeschwerdeverfahrens. Wenn dieses Verfahren die ihm vom Gesetzgeber zugewiesene Aufgabe erfüllen solle, müsse das [X.]echtsbeschwerdegericht auch von Amts wegen darauf achten, dass in der Beschwerdeinstanz nicht unter Verletzung des [X.] auf [X.] die Zuständigkeitsverteilung zwischen Einzelrichter und Kollegium verschoben werde (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2003 aaO unter Verweis auf [X.], [X.], 318). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise bei einer willkürlichen Verhinderung einer Entscheidung durch den vollbesetzten Spruchkörper im Berufungsverfahren.

Es kommt bei der vorliegenden Fallgestaltung hinzu, dass zuvörderst der Berufungssenat selbst berufen ist, die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung innerhalb seines Spruchkörpers zu wahren. § 21f [X.] stellt diesen unter die Leitung eines Vorsitzenden, dem es unter anderem obliegt, auch kraft seines richtungsweisenden Einflusses auf die [X.]echtsprechung (vgl. [X.], Beschlüsse des [X.] vom 19. Juni 1962 - [X.], [X.]Z 37, 210, 213 und vom 20. November 1967 - [X.], [X.]Z 49, 64, 65 f sowie Beschlüsse vom 22. April 1983 - [X.] ([X.]) 4/82, [X.]Z 88, 1, 6 und vom 14. Januar 1991 - [X.] ([X.]) 5/90, [X.], 46, 47) die Einheitlichkeit der [X.]echtsprechung seines Spruchkörpers zu gewährleisten (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 2015 - VII Z[X.] 173/13, NJW 2015, 1685 [X.]n. 34 und vom 5. Oktober 2016 - XII Z[X.] 50/14, NJW-[X.][X.] 2017, 635 [X.]n. 13; Beschluss vom 14. Januar 1991 aaO; BeckOK [X.]/[X.], [X.]. [X.], [X.] § 21f [X.]n. 1). Diese Aufgabe kann er nur dann erfüllen, wenn das Kollegium in voller Besetzung in solchen [X.]echtssachen entscheidet, bei denen intern im Senat bestehende unterschiedliche [X.]echtsauffassungen zum Tragen kommen. Das Vorgehen des Einzelrichters beschädigt damit nicht nur die Funktionalität des [X.]evisionsverfahrens, sondern zugleich in besonderer Weise auch jene des Spruchkörpers.

III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird sich auch mit den von der [X.]evision erhobenen Sachrügen befassen müssen, auf die einzugehen der Senat zum derzeitigen Verfahrensstand keine Veranlassung hat.

Wegen der durch die [X.]evision angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.

Herrmann     

  

[X.]emmert     

  

Arend

  

Böttcher     

  

Kessen     

  

Meta

III ZR 36/22

10.11.2022

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 2. Februar 2022, Az: 3 U 68/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.11.2022, Az. III ZR 36/22 (REWIS RS 2022, 7741)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7741

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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