Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.02.2010, Az. XII ZB 129/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8993

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Gegenstand

Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdefrist: Hinweispflicht des Beschwerdegerichts bei ungenügender Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrunds


Leitsatz

Wenn das Beschwerdegericht im Verfahren der Wiedereinsetzung einer eidesstattlichen Versicherung keinen Glauben schenkt, muss es den Antragsteller darauf hinweisen und entsprechenden Zeugenbeweis erheben (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 11. November 2009, XII ZB 174/08, FamRZ 2010, 122) .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 5. Zivilsenats - [X.] - des [X.] in [X.] vom 30. Juni 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 1.000 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Mit Beschluss vom 24. März 2009 hat das Amtsgericht den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin eine monatliche Ausgleichsrente in Höhe von 1.154,50 € zu zahlen. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 30. März 2009 zugestellt worden. Mit einem am 7. Mai 2009 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt, diese zugleich begründet und wegen Versäumnis der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dem Schriftsatz war zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung der [X.] des Antragsgegners beigefügt, wonach diese am 27. April 2009 eine an das [X.] gerichtete Beschwerdeschrift geprüft, eingetütet und frankiert sowie kurz vor 18.00 Uhr bei der Postfiliale abgegeben hat. Auf Verfügung des [X.]s legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Juni 2009 eine ergänzende eidesstattliche Versicherung der [X.] vor.

2

Das [X.] hat das Wiedereinsetzungsgesuch des Antragsgegners zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

II.

3

[X.] ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem [X.]punkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - [X.]/08 - zur Veröffentlichung in [X.] bestimmt m.w.N.).

5

1. [X.] ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

6

Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ([X.] 151, 221, 227 m.w.N. sowie Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - [X.]/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom 18. Juli 2007 - [X.]/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. auch [X.] 88, 118, 123 ff.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.

7

2. [X.] ist auch begründet.

8

a) Im Ansatz zu Recht geht das [X.] davon aus, dass dem Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen wäre, wenn sein Verfahrensbevollmächtigter bereits am 27. April 2009 die Beschwerdeschrift per Post an das [X.] abgeschickt hätte, ohne dass sie dort angekommen ist. Denn dem Rechtsmittelführer dürfen Verzögerungen oder sonstige Fehler bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die [X.] nicht als Verschulden zugerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der [X.] für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der [X.] den Empfänger fristgerecht erreichen kann (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - [X.]/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723). Eine am (Montag) 27. April 2009 aufgegebene Postsendung hätte diesen Anforderungen im Hinblick auf die am 30. April 2009 ablaufende Beschwerdefrist genügt.

9

b) Soweit das [X.] den eidesstattlichen Versicherungen der [X.] und des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keine hinreichende Glaubhaftmachung für Fertigung und Absendung einer Beschwerdeschrift am 27. April 2009 entnommen hat, hält dies den Angriffen der Rechtsbeschwerde hingegen nicht stand. Die Entscheidung verstößt insoweit gegen die Verfahrensgrundrechte des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör.

aa) Die Entscheidung kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht der eidesstattlichen Versicherung der [X.] keinen Glauben geschenkt hat, ohne dem Antragsgegner Gelegenheit zu entsprechendem Beweisantritt zu geben. Denn wenn das Beschwerdegericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt, muss es den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten ([X.] Beschluss vom 7. Mai 2002 - [X.]/01 - veröffentlicht bei Juris).

Unabhängig davon hätte das [X.] prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der [X.] als Zeugin zu den darin genannten Tatsachen liegt (Senatsbeschluss vom 11. November 2009 - [X.] 174/08 - FamRZ 2010, 122 f. m.w.N.). Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne die vorherige Vernehmung der Zeugin auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus (vgl. insoweit [X.] Beschluss vom 19. November 2008 - [X.] - [X.] 2009, 159).

bb) Aber auch sonst hält die angefochtene Entscheidung den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand, weil sie gegen anerkannte Regeln der Beweiswürdigung verstößt.

Schon soweit das [X.] es nicht für nachvollziehbar hält, wie sich eine Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltskanzlei "nach über einer Woche" noch im Einzelnen mit genauem Datum an die Aufgabe bestimmter Schriftstücke erinnern könne, überzeugt dies nicht. Die hier relevante [X.] vom 27. April bis zum 7. Mai 2009 ist nicht so lang, dass sie ernsthafte Zweifel an dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung wecken könnte. Auf ausdrückliche Nachfrage hatte die [X.] ihre konkrete Erinnerung an den Vorgang hier zusätzlich mit der Namensähnlichkeit des Mandanten und eines Rechtsanwalts in der Kanzlei begründet. Die konkrete Erinnerung an diesen Vorgang hat das [X.] deswegen auch nicht in Zweifel gezogen.

Die Zweifel des [X.]s an dem genannten Datum der Aufgabe zur Post teilt der Senat nicht. Dabei ist von der eidesstattlichen Versicherung der [X.] auszugehen, wonach die an das [X.] gerichtete Beschwerdeschrift am 27. April 2009 kurz vor 18:00 Uhr bei der Postfiliale in [X.] aufgegeben wurde. Im Hinblick auf diesen eindeutigen Inhalt wäre die Rechtsauffassung des [X.]s nur dann haltbar, wenn die eidesstattliche Versicherung wahrheitswidrig abgegeben wurde. Hierfür hat das [X.] keine Anhaltspunkte aufgezeigt. Dass die [X.] das Datum der Aufgabe zur Post durch Einsicht in die in den Handakten befindliche Beschwerdeschrift vom 27. April 2009 mit eigenem [X.] rekonstruiert hat, kann das Gewicht der strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung nicht erschüttern. Insoweit weist die Beschwerdebegründung zu Recht darauf hin, dass § 378 ZPO für den Zeugenbeweis sogar ausdrücklich die Einsicht in Aufzeichnungen und andere Unterlagen vorsieht, um dem Zeugen die Erinnerung an seine Wahrnehmungen zu erleichtern.

Dass der [X.] in der Handakte kein Datum trägt, steht dem Wahrheitsgehalt ebenfalls nicht entgegen. Denn nach dem Beschwerdevortrag des Antragsgegners werden fristwahrende Schriftsätze im Büro des [X.] von der übrigen Post getrennt behandelt und von der dafür zuständigen [X.] abends zur Post gebracht. Wenn die [X.] daraus nach wenig mehr als einer Woche im Rückschluss die Erkenntnis gezogen hat, der Brief sei von ihr an dem [X.] gegeben, an dem er gefertigt wurde, ist dieser Schluss durchaus überzeugend. An besondere Umstände, die dem im Ausnahmefall entgegenstehen könnten, hätte sich die [X.] nach so kurzer [X.] vermutlich erinnern können.

cc) Schließlich fehlt hier auch dem Ausgangspunkt des [X.]s, wonach es einen ungewöhnlichen Vortrag darstelle, dass gerade zwei Schriftsätze an einem Tag abhanden gekommen seien, die Grundlage. Ob mit der Durchschrift der Beschwerdeschrift an den Antragsgegner am 27. April 2009 ein weiterer Schriftsatz abgeschickt wurde, hat das [X.] nicht festgestellt. Auf die Information des eigenen Mandanten sind die [X.] an die Absendung der Beschwerdeschrift auch nicht übertragbar.

Unabhängig davon kann die Anzahl abhanden gekommener Briefe jedenfalls dann nicht gegen die eidesstattlichen Versicherungen sprechen, wenn - wie der Antragsgegner durch Vorlage eines [X.]ungsberichts belegt hat - seinerzeit im Bezirk des [X.]s eine größere Anzahl an Briefen und Päckchen beim Transport von Postfilialen zum Verteilzentrum abhanden gekommen sind.

c) Sollte das Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung des erheblichen Beweiswerts der eidesstattlichen Versicherungen nicht zu einer hinreichend glaubhaft gemachten Absendung der Beschwerdeschrift am 27. April 2009 gelangen, wird es den Antragsgegner darauf hinweisen und die angebotenen Beweise erheben müssen.

Hahne     

        

Wagenitz     

        

Vézina

        

Dose     

        

Klinkhammer     

        

Meta

XII ZB 129/09

24.02.2010

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, 30. Juni 2009, Az: 5 UF 49/09, Beschluss

§ 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 284 ZPO, § 569 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.02.2010, Az. XII ZB 129/09 (REWIS RS 2010, 8993)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8993

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